Oktober 2019 – Ausgabe 34

Wie genau ist die Kreuzbandrekonstruktion am Knie?

Die vordere Kreuzbandplastik ist heutzutage eine Standardeingriff, der – sofern er arthroskopisch durchgeführt wird – in hohem Maße die Stabilität und Funktion des Kniegelenkes wiederherstellen kann. Die anatomische Rekonstruktion, d.h. die exakte Positionierung der Bohrkanäle, durch die das Ersatztransplantat durchgezogen wird, scheint ein entscheidender Faktor für das Outcome zu sein. Fehlplatzierungen können entweder zu erheblichen Bewegungseinschränkungen oder zu Instabilitäten führen.

Das vordere Kreuzband hat als zentraler Bestandteil des Kniegelenkes die Aufgabe, das Gelenk zu stabilisieren und somit die natürliche Bewegung des Gelenkes zu ermöglichen. Im Wesentlichen betrifft das die sog. Translationsbewegungen des Gelenkes; das vordere Kreuzband soll den Vorschub des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel limitieren und sichern. Darüber hinaus hat es die Aufgabe, auch Rotationsbewegungen gemeinsam mit anderen Strukturen (wie z. B. den Seitenbändern und den Menisken) zu führen und zu sichern. Übermäßige Krafteinwirkungen, wie sie bei sportlichen Belastungen und hier insbesondere bei Landungen nach Sprüngen auftreten können, können zu einer Verletzung dieser Struktur führen und somit die gesamte Stabilität des Kniegelenkes gefährden. Mittlerweile gibt es zahlreiche Untersuchungen, die belegen, dass in den meisten Fällen eine operative Stabilisierung zu einer verbesserten Funktion des Gelenkes führt und auch die Einsatzfähigkeit im Sport wieder erreicht werden kann. Inwieweit kann durch eine operative Stabilisierung tatsächlich die volle Funktionsfähigkeit erzielt werden und worauf kommt es hierbei an?

Ergebnisse der Kreuzbandchirurgie

Die erfolgreiche Weiterentwicklung minimalinvasiv durchzuführender Operationstechniken in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass bei optimaler Rehabilitation im Spitzensport ca. 85 – 90 % der Athleten nach 9 bis 12 Monaten wieder auf demselben Level in ihre Sportart zurückkehren. Werden die Operationen arthroskopisch durchgeführt – was heute Standard ist -, sind die Ergebnisse nahezu identisch unabhängig davon, welches Transplantat als Kreuzbandersatz (Semitendinosussehne, Patellasehne, Quadrizepssehne) verwendet wird. Jedes dieser Transplantate hat seine Vor- und Nachteile. Auch die Fixierungsmethode scheint keinen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse zu haben. Hier gibt es Verfahren, die ganz auf zusätzliche Fixierungshilfen verzichten, über intra- und extraossäre Implantate bis hin zu resorbierbaren Schrauben. Von besonderer Bedeutung ist allerdings die Lage der Bohrkanäle, durch die das Transplantat vor der Fixierung hindurchgezogen wird.

Anatomische Rekonstruktion

Besteht das Ziel der Rekonstruktion darin, das Kreuzband exakt wiederherzustellen, müssen die Insertionspunkte des vorderen Kreuzbandes am Femur und am Schienbein exakt für die Positionierung der Bohrkanäle dargestellt werden. Bei einer frischen Ruptur des vorderen Kreuzbandes (meistens am Ansatz femoral oder in den mittleren Abschnitten) findet der Operateur die Reste des Bandes als Stumpf an den entsprechenden Stellen.

Auch wenn es eine individuelle Varianz in der Lokalisation des vorderen Kreuzbandes gibt, so finden sich die Ansatzpunkte doch an nahezu derselben Stelle. Zur Vereinfachung und als Hilfe für den Operateur gibt es mittlerweile wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse darüber, wo z. B. auf einem Röntgenbild sichtbar die Lage der Bohrkanäle lokalisiert sein sollte.

Die VKB-Plastik als Kompromiss

Problematisch und weiterhin noch nicht komplett gelöst ist die Tatsache, dass die Insertionspunkte keine Punkte, sondern Flächen darstellen, an denen die Kreuzbänder inserieren. Darüberhinaus finden sich innerhalb des vor-deren Kreuzbandes Faserbündel, die sich bei unterschiedlichen Beugegraden des Kniegelenkes anspannen. Bei der Kreuzbandersatzplastik handelt es sich somit um einen gewissen Kompromiss, mit dem man zwar die Stabilität des Gelenkes erheblich verbessern kann, die natürlichen Eigenschaften des Kreuzbandes aber nicht hundertprozentig wiederherstellt.

Aus diesem Grunde werden auch immer wieder operative Versuche entwickelt, das ursprüngliche Kreuzband zu erhalten unter der Vorstellung, genau diese Qualität zu bewahren. Bislang gibt es aber keinen zuverlässigen Nachweis dafür, dass Nahttechniken dauerhaft dieselbe Stabilität erreichen können wie die derzeit als Standard gesehenen Kreuzbandersatzplastiken. Die meisten Operateure sind daher dazu übergegangen, bei der vorderen Kreuzbandplastik die Bandstümpfe zu belassen und nicht zu entfernen. Zum einen dienen diese Stümpfe als Orientierung für eine möglichst anatomische Wiederherstellung, zum andern finden sich in der Ansatzregion der Bänder am Knochen wertvolle Strukturen, die einen positiven Einfluss auf das Einwachsverhalten und später auf die Funktion des Gelenkes haben. Um die anatomischen Voraussetzungen noch besser wiederherzustellen wurde vor einigen Jahren die sog. Doppelbündeltechnik entwickelt, bei der zwei getrennt voneinander platzierte und gespannte Transplantate eingebracht werden. Auch wenn diese Technik den anatomischen Vorgaben eher als die Einzelbündeltechnik entspricht, haben Verlaufsstudien gezeigt, dass funktionell und mittlerweile auch in der Langzeitbeobachtung zwar vergleichbare, aber keine besseren Ergebnisse zu erzielen sind und die Komplikationsmöglichkeit durch das Setzen zweier zusätzlicher Bohrkanäle erhöht sein kann. Gerade bei Kreuzbandrevisionen, d.h. bei erneuter Verletzung der Kreuzbänder, können sich zusätzliche Probleme ergeben.

Auch wenn es sich bei der arthroskopischen Kreuzbandersatzplastik heutzutage um einen Standardeingriff handelt, gibt es bei der Lage der Bohrkanäle einige Faktoren zu berücksichtigen. Worauf muss geachtet werden?

Mögliche Komplikationen

Werden die Bohrkanäle deutlich vor oder hinter der optimalen Ansatzzone gelegt, kann neben einer verminderten Stabilität des Gelenkes insbesondere ein Beuge- oder Streckdefizit auftreten. So führt eine zu weit ventrale Lage des tibialen Kanales häufig zu einem Streckdefizit des Gelenkes, da der Kreuzbandersatz durch die knöchernen Konturen des Oberschenkels bei Streckung behindert wird. Ein zu weit hinten gelegener Bohrkanal an der Tibia (kommt sehr selten vor) kann theoretisch zu einem Beugedefizit führen, resultiert aber häufiger in einer verminderten Stabilität. Bei einer zu weit ventralen Bohrkanallage am Femur kann sowohl ein Streck- als auch ein Beugeproblem resultieren. Darüber hinaus kann es zu einem Qualitätsverlust des Transplantates durch die ständige mechanische Reizung am Knochen kommen. Unabhängig von der Lage der Bohrkanäle kann es allerdings auch bei regelrechtem Verlauf zu außergewöhnlichen Vernarbungen in einem operierten Kniegelenk kommen. Man spricht hier von einer Arthrofibrose, die trotz korrekter Lage zu einer Bewegungseinschränkung führen kann.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei der vorderen Kreuzbandersatzplastik um eine operative Maßnahme handelt, die in einem sehr hohen Maße die Stabilität und Funktionalität eines Kniegelenkes wieder-herstellen kann. Eine exakte Positionierung der Bohrkanäle ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, dass es zu einem optimalen Heilungsverlauf mit guten Ergebnissen kommt.

Von Holger Schmitt