November 2022 – Ausgabe 40

Vordere Kreuzbandverletzung beim Skifahren

Prof. Dr. med. Rainer Siebold
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Maja Siebold

Regina Tödter

Schlüsselwörter: Skisport, Verletzungen, vorderes Kreuzband

Skifahren ist unsere beliebteste Wintersportart. Viele Liebhaberinnen und Liebhaber dieses Wintersports zieht es dafür jedes Jahr in die Berge. Dabei ist Skifahren nicht ungefährlich. Sehr häufig kommt es bei Stürzen zu Verletzungen des Vorderen Kreuzbandes (VKB), egal, ob im Profi- oder Hobbybereich. Obwohl sich in den letzten Jahrzehnten viel im Bereich Technik und Ausrüstung getan hat, bleiben teils gravierende, schwere Verletzungen am Kniegelenk nicht aus. Die Gründe dafür sind zahlreich. Lassen sich diese Verletzungen vermeiden?

Als Freizeit- und als Leistungssport hat sich das Skifahren seit fast 100 Jahren etabliert. Seither nimmt die Zahl begeisterter Skifahrerinnen und Skifahrer stetig zu: allein in Deutschland gibt es fast 7,4 Mio. aktiv Skifahrende, 2,7 Mio. Langlaufende und fast 2 Mio. Snowboardende. Weltweit zählt man sogar mehr als 200 Mio. Liebhaberinnen und Liebhaber des Skisports.

Skiverletzung – Wann, wer und wie?

In den letzten 25 Jahren wurde die Ausrüstung deutlich verbessert: Helme, Protektoren, angepasste Skischuhe und Bindungen schützen vor vielen Unfällen. Dennoch sind Verletzungen im Bereich der Kniegelenke immer noch sehr häufig. Kommt es zu schwerwiegenden Stürzen, ist in 35 bis 50 Prozent aller Knieverletzungen das Vordere Kreuzband (VKB) betroffen – egal, ob es sich um professionellen Rennsport oder um Hobbyskilauf handelt. Lange Zeit vermutete man, dass die Carving-Technik für die hohe Verletzungsrate des VKB verantwortlich sei (Abb. 1). Dies konnte allerdings in Untersuchungen nicht bestätigt werden.

Die meisten Verletzungen ereignen sich bei Kurvenmanövern, bei Landungen nach Sprüngen und zeitlich gesehen im letzten Abschnitt der Piste. Auch wird immer wieder von „Slow-Motion“-Unfällen im Stehen oder beim Lifteln berichtet, wobei die Bindung dabei nicht aufgeht. Frauen sind im Hobbysport bis zu sechsmal häufiger von einer VKB-Ruptur betroffen als Männer. Auch bei Kindern sind Mädchen häufiger verletzt als Jungen.

Einflussfaktoren, die zu einem Unfall führen können

Geschwindigkeit:

Vor allem Anfängerinnen und Anfänger schätzen ihre Geschwindigkeit oft falsch ein. Nicht selten wird auch der Schwierigkeitsgrad der Piste unterschätzt.

Wagemut und Alkohol:

Alkohol scheint eine wesentliche Rolle zu spielen. Er führt zu erhöhter Unaufmerksamkeit und Risikobereitschaft; insbesondere viele Kollisionen werden von alkoholisierten Fahrerinnen und Fahrern verursacht.

Fitness:

Konditionelle Faktoren wie individuelle Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Koordination sind ebenfalls wichtig. Dabei geht es nicht nur um die körperliche Vorbereitung vor dem Skiurlaub, sondern auch um das richtige Aufwärmen und um genügend Pausen.

Äußere Faktoren:

Temperatur, Schneefall und Windverhältnisse führen zu vermehrter Unfallgefahr. Frauen verletzen sich zum Beispiel häufiger, je kälter es wird, und Hobbysportlerinnen und -sportler im Allgemeinen reagieren unsicher bei schnellem Wetterwechsel und starkem Schneefall oder schlechter Sicht.

Skiausrüstung:

Die Skibindung ist wichtig, um bei Stürzen rechtzeitig auszulösen. Eine zu fest eingestellte Skibindung öffnet im entscheidenden Moment nicht, der Ski löst sich nicht ab, der Hebel auf das Kniegelenk vergrößert sich und Verdreh- Traumata am Knie mit Kreuzbandriss sind die Folge.

Zeitpunkt:

Die meisten Verletzungen im Freizeitbereich treten um die Mittagszeit auf. Die Pisten sind voll, Ermüdungserscheinungen und Unaufmerksamkeit sind die Ursache.

Beim Skifahren ist das Knie hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt, etwa durch die Talabfahrt und die damit verstärkte Rückenlage, die gleichzeitige Hockstellung und die Übertragung des Gewichts auf die Knie. Ein VKB-Riss entsteht durch eine Drehbewegung des Unterschenkels gegen den Oberschenkel oder/und eine zeitgleiche X-Beinstellung des Beins (Abb. 2, 3). Da Frauen eher zur X-Beinstellung neigen, wird angenommen, dass dies einer der Gründe für die höhere Verletzungsrate bei Frauen ist.

Viele Verletzungen sind vermeidbar

Geschwindigkeit, Risikobereitschaft/ Alkoholkonsum, physische Verfassung, Skiausrüstung und Wetterverhältnisse können das Risiko eines Skiunfalls erhöhen. Die meisten Unfälle sind Stürze, selten Kollisionen mit anderen Fahrenden. Eine gute Vorbereitung schon zu Hause ist wichtig. Ausdauer- und Muskeltraining und Skigymnastik verbessern die Fahreigenschaften.

Vor Ort gibt es weitere Dinge zu beachten: Man sollte nicht übermüdet nach langer Fahrt auf die Piste gehen. Regelmäßige Pausen und der Verzicht auf Alkohol auf der Piste sind eigentlich selbstverständlich. Eine passende Skiausrüstung, am besten vor Ort im Skigebiet im Fachhandel zusammengestellt, sollte heute Standard sein. Besonderes Augenmerk verdient die Einstellung der Skibindung, die auf keinen Fall zu fest sein darf! Und bei schlechtem Wetter: einfach mal zu Hause bleiben oder einen Einkehrschwung machen – aber bitte ohne Alkohol.

Therapiemöglichkeiten bei VKB-Ruptur

Passiert der Unfall doch und man verdreht sich das Kniegelenk, ist eine ärztliche Erstbehandlung vor Ort sinnvoll. Meist ist ein Abfahren ins Tal sowieso nicht mehr möglich und ein Transport notwendig. Andererseits ist ein Kreuzbandriss kein medizinischer Notfall – es kann in Ruhe überlegt werden, wann und vor allem
wo man sich operieren lässt. Eine heimatnahe Operation hat viele Vorteile, z. B., dass der operierende Arzt oder die Ärztin auch später erreichbar ist.

Sollte es zu einer Operation kommen, ist es ratsam, einen Experten bzw. eine Expertin heranzuziehen, der/die sich darauf spezialisiert hat. Eine operative Stabilisierung ist in der Regel angezeigt, nicht zuletzt, weil eine unbehandelte Kreuzbandverletzung zu einer Instabilität des Kniegelenks führt, zum Sport-Aus und weiteren Schäden am Meniskus und Knorpel. Damit steigt auch die Arthrose- Gefahr stark an. Deshalb setzt der
Autor dieses Artikels, der bisher mehr als 3000 Kreuzbandrekonstruktionen bei Erwachsenen, Jugendlichen
und Kindern durchgeführt hat, auf den Kreuzbandersatz. Mehr dazu unter: www.izo-atos.de/knie

Kreuzbandrekonstruktion

Es gibt viele verschiedene Techniken, um das vordere Kreuzband zu operieren. Alle Techniken werden heute minimal-invasiv durchgeführt. Je nach Verletzungsmuster, Patientenbedürfnissen und sportlichem Aktivitätsgrad führen wir unterschiedliche Techniken durch. Ob Freizeit- oder Leistungssport – unser Credo ist eine operative Therapie gemäß „Menu à la carte“. Nur so kann man den unterschiedlichen Patientenbedürfnissen gerecht werden. Das setzt jedoch für die Operierenden voraus, dass sie auf Kreuzbänder spezialisiert sind und die verschiedenen Techniken beherrschen.

Eine Kreuzbandrekonstruktion kann z. B. in Einzel- und Doppelbündeltechnik oder als flache Rekonstruktion durchgeführt werden. Für die Rekonstruktion kann die körpereigene Semitendinosussehne, Patellasehne oder Quadrizepssehne verwendet werden. Auch eine Augmentation kann man im Einzelfall durchführen, um noch brauchbares eigenes Kreuzbandgewebe zu erhalten. Dadurch können die postoperative Propriozeption, Gefäßversorgung, schnelle Einheilung und Stabilität verbessert werden. All das muss bei der Entscheidung über die OP-Technik berücksichtigt werden.

Fazit

Leider ist eine vordere Kreuzbandverletzung beim Skifahren immer noch häufig. Ein guter Trainingszustand, die passende Skiausrüstung und vernünftiges Handeln auf der Piste sind wichtig, um Verletzungen zu vermeiden. Von zentraler Bedeutung ist die Skibindung, die auf keinen Fall zu fest eingestellt werden darf, damit sich beim Sturz der Ski vom Schuh lösen kann. Kommt es doch zu einem Kreuzbandriss, sollten Spezialisten das Knie operieren. Viel besser ist es jedoch, gesund aus dem Skiurlaub zurückzukehren.