Mai 2025 – Ausgabe 45
Unsere prägendsten Erfahrungen in der Rheumatologie
Das Zentrum für Rheumatologie an der ATOS Klinik Heidelberg besteht seit fast zwölf Jahren. Nach den beiden Gründerinnen Ines Dornacher und Verena Schmitt sind 2020 Regina Max und 2024 Melanie Kihm mit eigenen Schwerpunkten hinzugekommen. Alle vier Rheumatologinnen berichten hier, was sie am Fach Rheumatologie fasziniert: die Vielfalt der Symptome, aber auch der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten dieser hochinnovativen medizinischen Disziplin.
Dr. Med. Ines Dornacher und Dr. med. Verena Schmitt
Gründerinnen des Zentrums für Rheumatologie
Vielfalt und interdisziplinäre Zusammenarbeit
Das Faszinierende für uns in der Rheumatologie sind zum einen die Vielfältigkeit der Symptome bei rheumatischen Erkrankungen, zum anderen die vielen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Ein ganz wichtiger Bestandteil ist dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Als wir vor über zehn Jahren die Niederlassung in der ATOS Klinik realisiert haben, musste die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen erst etabliert werden. Es ist für uns beeindruckend, wie intensiv sich das Miteinander mit den verschiedenen Disziplinen in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Zusammenarbeit ist geprägt von respektvollem fachlichem Austausch, durch den sich viele und z. T. sehr anspruchsvolle Fälle gemeinsam haben lösen lassen, z. B. mithilfe spezieller von uns angebotener Verfahren wie der Synovialflüssigkeitsanalyse.
Synovialflüssigkeitsanalyse
Diese bieten wir für alle Kolleginnen und Kollegen in der ATOS Klinik Heidelberg und für auswärtige Praxen an. Bei Punktionen geschwollener Gelenke kann Gelenkflüssigkeit gewonnen und diese analysiert werden. So kann die Ursache der Gelenkschwellung diagnostiziert bzw. differenziert werden: degenerativ, entzündlichrheumatisch und bakteriologisch. Bereits die makroskopische Beurteilung ist hilfreich: klar = unauffällig, trüb = V. a. entzündlichen Erguss, milchigeitrig = V. a. bakteriellen oder hochentzündlichen/leukozytenreichen Erguss (Abb. 1).
Durch die Bestimmung der Leukozytenzahl im frischen Punktat, z. B. mittels Bürker Zählkammer, kann zwischen nicht entzündlichem Erguss (< 2000 Leukozyten/μl) und entzündlichem Erguss (> 2000 Leukozyten/μl) unterschieden werden. Eine Leukozytenzahl bis 200/μl ist normal. Bei einer Leukozytenzahl 50.000/μl ist von einer bakteriellen Gelenkinfektion auszugehen. Wichtig ist jedoch, dass auch eine Leukozytenzahl unter 50.000/μl ein bakterielles Geschehen nicht ausschließt. Deshalb wird immer eine bakteriologische Untersuchung des Punktates empfohlen [1]. Diese wie auch die Leukozytendifferenzierung, die weitere differentialdiagnostische Hinweise gibt, erfolgen in kooperierenden Laboren. Die Untersuchung des Gelenkergusses am Polarisationsmikroskop, wie wir es im Zentrum für Rheumatologie anbieten, ermöglicht den Nachweis von Kristallen und damit u. a. die Diagnose einer Gichtarthritis (Abb. 2). Durch diese Diagnostik können in der interdisziplinären Zusammenarbeit entscheidende Weichen bei der Diagnosestellung und für die weitere Therapie gestellt werden.
Dr. Med. Regina Max
Seit Januar 2020 verstärkt Regina Max das Zf RTeam. Zuvor war sie für Ines Dornacher und Verena Schmitt bereits eine wichtige Ansprechpartnerin in der Universitätsklinik Heidelberg.
Die Biologika-Ära: Meilenstein in der Rheumatologie
Rückblickend auf meine in der Zwischenzeit über 26jährige Tätigkeit in der Rheumatologie hat mich der Beginn der sogenannten Biologika Ära besonders beeindruckt. Mit Infliximab und Etanercept wurden im Jahr 2000 die ersten sogenannten Biologika zugelassen. Sie blockieren den Tumornekrosefaktoralpha (TNFalpha), ein Zytokin, das eine Schlüsselrolle bei der Entzündungsreaktion spielt (Abb. 3). Vor Einführung der Biologika wurden hauptsächlich nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Kortikosteroide und sogenannte konventionelle krankheitsmodifizierende Antirheumatika (cDMARDs, conventional Disease Modifying Antirheumatic Drugs/Basismedikamente), z. B. Methotrexat, eingesetzt. Hiermit konnten und können zwar Entzündungen und Schmerzen gelindert werden, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen bzw. zu stoppen gelang jedoch nicht bei allen Betroffenen.
Die Wirksamkeit der TNF-alpha-Hemmer war und ist beeindruckend und eröffnete neue Möglichkeiten für die Behandlung von Erkrankten, die auf herkömmliche Therapien nicht ansprachen oder diese aufgrund von Nebenwirkungen nicht fortführen konnten. Während die bisherigen chemisch hergestellten Medikamente das Immunsystem auf die eine oder andere Art „modulieren“, sind Biologika biotechnologisch hergestellte Medikamente, die gezielt in den Krankheitsprozess im Immunsystem eingreifen. Sie basieren auf natürlichen Proteinen, die in lebenden Zellen produziert werden. Diese Medikamente sind oft Antikörper oder lösliche Rezeptoren, die spezifische Moleküle im Körper blockieren können, die an entzündlichen Prozessen beteiligt sind.
Seit den frühen Erfolgen mit TNF-alpha-Hemmern wurden zahlreiche weitere Biologika, auch bDMARDs genannt, die auf andere molekulare Ziele, wie Interleukin 1 (IL1), IL6, IL17, IL23, B- oder T-Zellen, gerichtet sind, entwickelt und zugelassen (Abb. 4).
Während meiner Zeit an der Uniklinik Heidelberg habe ich verschiedene Phase-3-Studien geleitet, die zur Zulassung dieser neuen Medikamentengruppe beigetragen haben. Der intensive Austausch mit den Studienteilnehmenden, das gemeinsame Erfahren von erstaunlich rascher Wirkung und das sorgfältige Beobachten von möglichen Nebenwirkungen haben meine Zuversicht gestärkt, den meisten – wenn auch nicht allen – der von einer entzündlichrheumatischen Erkrankung Betroffenen eine gut wirksame und sichere Therapie anbieten zu können. Erfreulicherweise sind auf den Meilenstein der „Biologika“ bereits weitere spannende Medikamente und Therapieansätze gefolgt (z. B. t DMARDs, target/zielgerichtete synthetisierte Basistherapien), weitere werden noch folgen (z. B. CAR-T-Zelltherapie, bispezifische Antikörper).
Dr. Med. Melanie Kihm
Seit Februar 2024 ist Melanie Kihm Mitarbeiterin im ZfR und bereichert u. a. durch ihre nephrologische Erfahrung das Team.
Nach fast einem Jahrzehnt in der Nephrologie, in der ich neben chronischen Dialysepatientinnen und -patienten auch vielemit Autoimmunerkrankungen der Niere betreute, habe ich 2019 eher durch Zufall einen Ausflug in die Rheumatologie unternommen. Sehr schnell habe ich festgestellt, dass „Rheuma“ keinesfalls nur eine „Schmerzerkrankung von älteren Personen“ ist. Zunächst etwas überfordert mit dem riesigen Spektrum an autoimmunologischen Erkrankungen, war mir nach den ersten Schritten in der Rheumatologie schnell klar, dass dies eines der innovativsten Fächer der Inneren Medizin ist. Die Rheumatologie ist ein faszinierendes Fachgebiet, das komplexe Autoimmunerkrankungen erforscht, innovative Therapien entwickelt und damit zahlreichen Patientinnen und Patienten zu mehr Lebensqualität verhilft und das Leben der Menschen verlängert. Die neuen therapeutischen Optionen ermöglichen beeindruckende, schöne Arzt Patienten Erlebnisse. Ein Beispiel: Einer Patientin, der im Rahmen einer Autoimmunerkrankung die Haare ausgefallen waren, sind nach Jahren mit Perücke unter einer Biologika-Therapie mit Anifrolumab die Haare nachgewachsen.
Bahnbrechend sind für mich die Erfolge, die die Kolleginnen und Kollegen um Prof. Schett bei den Erkrankungen der Kollagenosen, allen voran dem systemischen Lupus erythematodes, erzielen konnten.
CAR-T-Zelltherapie
Die Chimeric Antigen Receptor T-Cell Therapy ist eine Form der Immuntherapie, bei der die T-Zellen einer Patientin bzw. eines Patienten genetisch modifiziert werden, um spezifische Antigene auf der Oberfläche von Zielzellen zu erkennen und zu zerstören. Ursprünglich wurde diese Therapie zur Behandlung von hämatologischen Krebserkrankungen wie akuter lymphatischer Leukämie und bestimmten Lymphomen eingesetzt. Die Erfolge in der Onkologie haben den Weg für ihre Anwendung bei Autoimmunerkrankungen geebnet. Mittels CAR-T-Zelltherapie wurden in den letzten Jahren große Erfolge bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen erzielt. So ist diese Therapie vermutlich ein Durchbruch bei der Behandlung des systemischen Lupus erythematodes [2].
Der systemische Lupus erythematodes ist eine komplexe Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Gewebe angreift und zu Entzündungen und Schädigungen zahlreicher Organe führt. Traditionelle Behandlungenmit Immunsuppressiva und Kortikosteroiden sind nicht immer wirksam und haben oft erhebliche Nebenwirkungen.
Im März 2021 wurde am Universitätsklinikum Erlangen weltweit erstmals eine CAR-T-Zelltherapie bei einer SLE-Patientin erfolgreich angewendet. Die damals 20-jährige Patientin litt unter schweren Symptomen, die durch konventionelle Therapien nicht ausreichend kontrolliert werden konnten. Nach Infusion der modifizierten CAR-T-Zellen zeigte sie eine rasche und vollständige Remission der Krankheitssymptome. Sie konnte alle immununterdrückenden Medikamente, einschließlich Kortison, absetzen und ist bis zum heutigen Tage symptomfrei.
Erweiterung der CAR-T-Zelltherapie auf andere Autoimmunerkrankungen
Aufgrund des Erfolgs bei Lupus wurde die CAR-T-Zelltherapie auch für andere Autoimmunerkrankungen in Betracht gezogen. Bestärkt durch die positive Erfahrung aus Erlangen konnte z. B. 2023 am Universitätsklinikum Heidelberg (Prof. Dr. Hanns Martin Lorenz und PD Dr. Wolfgang Merkt) in enger Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen der Hämatologie einer 38 Jahre alten Patientin mit rasch progredienter systemischer Sklerose diese Therapie ermöglicht werden [3]. Die systemische Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, die durch eine Verhärtung und Verdickung des Bindegewebes gekennzeichnet ist und zu massiven Funktionsstörungen verschiedener Organe führen kann. Für die systemische Sklerose haben wir bislang kaum therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung, um die Sklerosierung von Haut und anderen Organen zu stoppen. Bei unserer Heidelberger Patientin stand neben der Haut insbesondere eine zunehmende Sklerose der Lunge im Vordergrund, eine Organbeteiligung mit sehr schlechter Prognose. Durch die CAR-T-Zelltherapie konnte bei dieser Patientin nicht nur die Verschlechterung gebremst werden, es gibt sogar Hinweise für positive Umwandlungsprozesse im Lungengewebe.
Perspektiven
Die bisherigen Erfolge der CAR-T-Zelltherapie bei Autoimmunerkrankungen eröffnen neue Horizonte für die Behandlung von Krankheiten, die bislang als schwer therapierbar galten. Hierfür sind weitere Studien erforderlich, um die Langzeiteffekte, potenzielle Risiken und die optimale Anwendung dieser Therapie zu bestimmen. Insgesamt hat die CAR-T-Zelltherapie das Potenzial, das Leben von Menschen mit Autoimmunerkrankungen grundlegend zu verbessern. Sollte es gelingen, chronischentzündliche Erkrankungen nicht nur zu kontrollieren, sondern möglicherweise sogar zu heilen, wäre ein weiterer Meilenstein in der Medizin erreicht.