Mai 2025 – Ausgabe 45
Tiefsitzender Rückenschmerz – das Iliosakralgelenk als häufige Ursache
Schlüsselwörter: Iliosakralgelenk, ISG-Syndrom, tieflumbaler Rückenschmerz
Der tieflumbale Rückenschmerz ist mit einer Lebensinzidenz von 70 % ein häufiges und gesundheitsökonomisch relevantes Krankheitsbild. Eine spezifische Ursache (z. B. Osteochondrose, Wirbelkörperfrakturen oder eine systemische Grunderkrankung wie rheumatoide Arthritis) kann nur in 15 % der Fälle nachgewiesen werden. Von den verbleibenden 85 % der Patientinnen und Patienten mit – definitionsgemäß unspezifischen – Rückenschmerzen sind die Beschwerden bei 15 bis 25 % der Erkrankten auf das Iliosakralgelenk (ISG) zurückzuführen [1].
Klinik und Ätiologie des ISG-Syndroms
Patientinnen und Patienten mit ISG-Syndrom klagen typischerweise über tief sitzende Kreuzschmerzen, die oft in das Gesäß und/oder den Oberschenkel ausstrahlen, selten jedoch bis unterhalb des Knies. Häufig wird der Schmerz als dumpf, ziehend oder stechend beschrieben. Verschiedene Aktivitäten, wie längeres Sitzen, Stehen, Treppensteigen oder das Überkreuzen der Beine, verschlimmern die Beschwerden. Insbesondere das Sitzen bereitet den Erkrankten auf der betroffenen Seite Beschwerden, da Translationsbewegungen im ISG als sehr schmerzhaft empfunden werden. Die Schmerzsymptomatik resultiert aus einer Dysfunktion und/oder aus pathologischen Veränderungen des Iliosakralgelenks, das eine zentrale Rolle in der Lastübertragung zwischen Wirbelsäule und unterer Extremität spielt. Menschen mit degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule wie Facettengelenkarthrose sowie Personen nach lumbosakraler Spondylodese oder nach Hüftgelenkersatz neigen zu einer ISG-Dysfunktion. Bei Betroffenen mit tief sitzenden Rückenschmerzen nach Spondylodese oder Hüftgelenkersatz liegt die Prävalenz einer ISG-Dysfunktion bei 30 bis 45 % [2, 3]. Hinsichtlich des Pathomechanismus wurde eine vermehrte Belastung des ISG durch größere Hebelarme bei eingeschränkter Wirbelsäulenbeweglichkeit beschrieben [4]. Bei ISG-Beschwerden nach Hüftgelenkersatz werden u. a. eine erhöhte postoperative Mobilität des ISG, die Ausrichtung der Pfanne sowie eine postoperative Beinlängendifferenz als Ursachen diskutiert [5, 6, 7].
Anamnese, klinische Untersuchung und Diagnostik
Stellt sich eine Patientin oder ein Patient in unserer Sprechstunde mit Schmerzen im unteren Rücken oder Glutealbereich vor, wird zunächst in einem Gespräch die Schmerzhistorie erörtert. Für uns ist es wichtig zu wissen, wann und bei welchen Aktivitäten der Schmerz auftritt, wo er genau lokalisiert ist und welche Schmerzqualität vorherrscht. Weiterhin wird abgeklärt, ob es Traumata oder Voroperationen in der Vergangenheit gab und ob Grunderkrankungen, z. B. eine rheumatoide Arthritis, vorliegen, welche eine ISG-Dysfunktion begünstigen können. Sollte sich anamnestisch hieraus der Verdacht einer Funktionsstörung des ISG als Ursache für die Schmerzen im unteren Rückenbereich ergeben, schließt sich zunächst eine klinische Untersuchung an. Hierbei wird ein in klinischen Studien validiertes Cluster an Provokationstests durchgeführt. Sollten mindestens drei von fünf Tests positiv ausfallen – also reproduzierbar den Indexschmerz auslösen –, ist eine ISG-Dysfunktion bei passender Anamnese hoch wahrscheinlich (Sensitivität 91 %, Spezifität 78 %) [8].
Bei positiver Anamnese und passenden klinischen Befunden erfolgt zur Diagnosesicherung – und auch Therapie – die Infiltration des ISG mit einem Lokalanästhetikum. Die Infiltration des ISG ist weiterhin der einzige allgemein anerkannte Goldstandard hinsichtlich der Diagnosesicherung einer ISG-Dysfunktion. Das ISG wird im kaudalen Drittel unter Zuhilfenahme eines Bildwandlers infiltriert, und zuvor wirddie intraartikuläre Nadellage mittels Kontrastmittel verifiziert. Eine Schmerzreduktion von mindestens 75 % bestätigt die Diagnose [9]. Auch wenn eine unauffällige Bildgebung eine iliosakrale Arthropathie nicht ausschließen kann, sollte eine radiologische Abklärung der LWS, des Beckens und der Hüftgelenke zum differentialdiagnostischen Ausschluss anderer Pathologien, z. B. okkulten Frakturen des hinteren Beckenrings, Übergangsstörungen, Bandscheibenvorfällen oder einer Koxarthrose – insbesondere wenn eine interventionelle Therapie geplant ist –, großzügig gestellt werden.
Therapie
Mit den Betroffenen werden initial alle therapeutischen Möglichkeiten besprochen, und die für sie passende Therapie wird ausgewählt. In vielen Fällen reichen konservative Maßnahmen aus, um eine Beschwerdebesserung zu erzielen. In der akuten Phase sind Schonung und das Vermeiden von vertikaler Belastung des ISG sowie lokale Kühlung und die orale Gabe von NSAR indiziert. Im Anschluss daran erfolgen der Wechsel zur Wärmetherapie sowie zusätzlich die Verordnung von manueller und/oder Physiotherapie. Darüber hinaus kann eine Orthese zur Schmerzlinderung beitragen.
Sollten die vorgestellten Maßnahmen über einen gewissen Zeitraum nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen, kann das Therapieregime um therapeutische Infiltrationen mit einem Lokalanästhetikum und ggf. einem Kortikoid erweitert werden. Sollte dadurch nur eine temporäre Schmerzlinderung eintreten, kann eine Denervation des ISG erwogen werden. Die ISG-Denervierung gehört in den Bereich der interventionellen Schmerztherapie und ist ein sicherer, minimalinvasiver Eingriff, in welchem mittels einer Hitze- oder Kältesonde unter Durchleuchtung die schmerzleitenden Nervenfasern gezielt ausgeschaltet werden. Die Ursache der Schmerzen, z. B. eine ISG-Arthrose, wird hiermit zwar nicht beseitigt, jedoch kommt es in der Regel zu einer deutlichen Linderung der Beschwerden, welche oft auch bis zu einem Jahr anhalten kann.
Das iFuseverfahren – eine minimalinvasive und nachhaltige ISG-Stabilisierung
Bei ausbleibendem Erfolg der konservativen sowie interventionellen Therapie kann als Ultima Ratio eine Versteifungsoperation des ISG in Erwägung gezogen werden. In unserer Klinik nutzen wir hierbei das iFuse-Implant-System, welches explizit für die Fusion des Iliosakralgelenks entwickelt wurde. Während des 30-minütigen minimalinvasiven Eingriffs werden zwei bis drei iFuse-Implantate über einen kleinen lateralen Hautschnitt transiliakal in das ISG eingebracht. Aufgrund der dreieckigen Form und des Pressfit Einbringens der Implantate werden schmerzhafte Bewegungen im ISG sofort reduziert. Zusätzlich fördert die 3D-gedruckte knochenähnliche Titanoberfläche das schnelle Einwachsen des Implantats in nur wenigen Wochen und sichert so den Langzeiterfolg der Therapie. Klinische Studien attestieren dem iFuse Verfahren eine hohe Sicherheit, nachhaltige Schmerzreduktion sowie eine hohe Gesamtzufriedenheit der behandelten Personen [10]. Dies spiegeln auch unsere Erfahrungen wider. Die von uns behandelten Patientinnen und Patienten zeigten sich – abgesehen vom postoperativen Wundschmerz – hinsichtlich des Indexschmerzes beschwerdearm und konnten schon vier Stunden nach der Operation mobilisiert werden. Sicherheitshalber empfehlen wir, nach einer Fusion des ISG die Mobilisation an Unterarmgehstützen durchzuführen. Üblicherweise können die Behandelten das Krankenhaus zwei bis drei Tage nach der Operation verlassen und sind mobil.
Bei den meisten Betroffenen muss nur die beschwerdeführende Seite behandelt werden. Im Verlauf kommt es dann auch zu einem Rückgang der Beschwerden auf der Gegenseite. Sollten die Schmerzen jedoch kontralateral persistieren oder sich dort de novo eine ISG-Dysfunktion entwickeln, ist auch eine Fusion der Gegenseite möglich. Abbildung 1 zeigt die Versorgung eines Patienten mit zwei iFuse-Implantaten rechtsseitig bei ISG-Dysfunktion nach ex domo erfolgter Spondylodese LW4-SW1.
Fazit
Der unspezifische tieflumbale Rückenschmerz ist ein häufiges und gesundheitsökonomisch relevantes Krankheitsbild. Ein Drittel dieser Beschwerden lassen sich auf das ISG zurückführen. Die Diagnosesicherung einer ISG-Dysfunktion ist anspruchsvoll und erfolgt mittels Anamnese, klinischen Provokationstests sowie einer Infiltration des ISG. Bei gesicherter Diagnose erfolgt die Therapie zunächst konservativ, bei anhaltenden Beschwerden ergänzt durch therapeutische Infiltrationen und ggf. mittels Denervation des ISG. Sollte sich hiernach kein für die Betroffenen zufriedenstellendes Ergebnis einstellen, besteht die Möglichkeit der Fusion des ISG. In unserer Klinik nutzen wir diesbezüglich das seit 15 Jahren etablierte und speziell für die Therapie der ISG-Dysfunktion entwickelte minimalinvasive iFuse-System. Durch die Form und Struktur der Implantate werden einerseits die schmerzhaften Bewegungen im ISG reduziert, andererseits wird das Einwachsen der Implantate gefördert. Dies führt zu einer nachhaltigen Beschwerdelinderung bei den Erkrankten und stellt somit eine sichere Alternative für Patientinnen und Patienten dar, bei denen bisherige Therapieverfahren nicht zum Erfolg geführt haben.