Mai 2023 – Ausgabe 41

Technische Entwicklungen in der Wirbelsäulenchirurgie

Priv. -Doz. Dr. med. Markus Konieczny

Schlüsselwörter: Navigationstechnik, Wirbelsäulenchirurgie, Skoliose, Bioglass

In keinem Bereich der Orthopädie haben ähnlich viele technologische Entwicklungen Einzug gehalten wie in der Wirbelsäulenchirurgie. In dieser Arbeit soll aus den Gebieten Implantat- und OP-Technik, Computer-assistierte Chirurgie und Biotechnologie jeweils ein Bereich dargestellt werden, der den Grundsatz des „primum non nocere“ erfüllt und eine Verbesserung der Lebensqualität für die Patienten ermöglicht.

Computerassistierte Chirurgie

Seit Anfang der 80er-Jahre etablierte sich zunehmend die Pedikelschraube und damit die Durchführung einer Spondylodese von posterior mittels Pedikelschrauben-Stab-System als Standardtechnik. Wurden 1997 noch 33 % der Versorgungen von posterior durchgeführt, waren es im Jahr 2012 bereits 91 %.

Während sich die Technik der Pedikelschraubenimplantation und die Implantattechnologie stetig verbessern, bleibt das Problem einer relevanten Zahl an Schraubenfehllagen bestehen:

Fehllageraten bis 40 % werden beschrieben. Einschränkend muss erwähnt werden, dass, obwohl Vacarro et al. zeigten, dass sich durch die Implantation mithilfe von anatomischen Landmarken ohne Zuhilfenahme von Röntgen oder Navigation („Freihandtechnik“) eine Fehllagerate von 40 % oder mehr ergab [1], es Wirbelsäulenchirurgen gibt, die über eine sehr geringe Komplikationsrate mit dieser Technik berichten. Waschke et al. berichten, dass sich trotz der bekannten Fehllagerate nur eine Revisionsrate von unter 1 % bei mehr als 1200 implantierten Pedikelschrauben zeigte [2].

Eine Implantation von Pedikelschrauben mithilfe der Freihandtechnik ist jedoch nicht möglich bei minimalinvasiven, perkutanen Verfahren und nur mit Einschränkung bei der Implantation von Pedikelschrauben im Bereich der Halswirbelsäule.

Vor allem bei der minimalinvasiven Technik entsteht dabei eine doppelt so hohe Strahlenbelastung für Patient sowie OP- Team als bei der offenen Technik. Da Wirbelsäulenchirurgen ohnehin einer etwa zwölffach höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sind als andere muskuloskelettale Chirurgen, ist dies ein entscheidender Vorteil der Navigationstechnik. Unter anderem eigene Arbeitsgruppen konnten eine Reduktion der Strahlenbelastung für den Patienten um etwa 80 % zeigen, während die Strahlenbelastung für den Chirurgen bei den meisten navigiert durchgeführten Wirbelsäulenoperationen auf etwa 0 % gesenkt werden kann [3], [4].

Angemerkt werden muss, dass in der Ausbildung von Wirbelsäulenchirurgen trotzdem zunächst die konventionelle Technik der Pedikelschraubenimplantation gelernt werden muss, bevor die navigierte Technik angewendet werden darf (Abb. 1-3).

Die Navigation kann jeweils auf der Grundlage von intra- oder präoperativ generierten Bilddaten durchgeführt werden, oder es können beide Verfahren miteinander kombiniert werden. Die einzelnen Verfahren unterscheiden sich dabei in Präzision und Strahlenbelastung: Die geringste Strahlenbelastung konnten wir in einer eigenen Arbeit für intraoperativ mittels 3D-Bildwandler erstellten Bilddaten nachweisen [3], [4].

Es ist auch das Registrieren von MRT-Bildern möglich, was sich vor allem in der Tumorchirurgie, aber auch bei navigierten endoskopischen Eingriffen bewährt hat. In der eigenen Erfahrung hat es sich bewährt, die Mehrzahl der Eingriffe mithilfe der Navigationstechnik durchzuführen, da ansonsten, wenn die Navigationstechnik nur selten durchgeführt wird, der Work-flow und die Bedienung des Gerätes stets wieder von Neuem eingeübt werden müssten.

Implantat- und OP-Techntik

Auch für die operative Versorgung von idiopathischen Skoliosen hat sich das Pedikelschrauben-Stab-System von posterior als häufigstes Verfahren etabliert [7], [8].

Nach Abschluss des Wachstums ist die aufrichtende Spondylodese, also eine Versteifung der Wirbelsäule in korrigierter Stellung, das etablierte Verfahren für Patienten mit einem Cobb-Winkel von mehr als 50°.

Vor Abschluss des Wachstums kann eine wachstumslenkende Versorgung ohne Versteifung mittels „Vertebral Body Tethering“ (VBT) durchgeführt werden (Abb. 4, 5). Dieses Verfahren basiert, analog zur Korrektur der Beinachse mittels Hemiepiphyseodese, auf dem Hueter- Volkmann-Gesetz: Auf der konvexen Seite der Kurve werden Schrauben implantiert, die mit einem flexiblen Band verbunden werden. Bei der Primärimplantation erfolgt eine initiale Korrektur der Kurve, im Verlauf des Wachstums wirkt die konvexseitige Zügelung der Wachstumsfugen dann korrigierend auf die Form der Wirbelkörper. Dieses Verfahren ist seit 2018 in Deutsch- land zugelassen, erste klinische Ergebnisse wurden 2011 präsentiert, inzwischen existieren Metaanalysen mit mehr als 800 Patienten, die eine Komplikationsrate von ca. 18 %, eine Reoperationsrate von ca. 15 % und eine Korrektur der Skoliose von ca. 49° Cobb auf durchschnittlich 23° zeigen, wobei etwa 5 % der Patienten im Verlauf eine Konversion zu einer Spondylodese erhielten [5], [6].

Dies kennzeichnet einen der Vorteile des Verfahrens: Wenn die Korrektur mittels VBT nicht ausreichend ist, kann anschließend immer noch eine Spondylodese durchgeführt werden.

Aufgrund der noch nicht vorliegenden Langzeitergebnisse (im Durchschnitt zwei Jahre Follow-up in den Metaanalysen), gibt es bisher nur von einer Fachgesellschaft, der Vereinigung für Kinderorthopädie, eine Stellungnahme dazu. Es wird unter anderem empfohlen, das Verfahren nur bei noch ausreichender Wachstums- reserve (mindestens zwei Jahre Restwachstum) und ausreichender Flexibilität der Kurve (Korrektur der Kurve auf einen Cobb Winkel von weniger als 30° in den Bending-Aufnahmen) durchzuführen.

Insgesamt scheint das Verfahren bei lumbaler oder thorakolumbaler Skoliose vorteilhafter zu sein als bei einer rein thorakalen Kurve. Eine selektive Fusion birgt für die Patienten kaum Nachteile im Vergleich zu einem VBT, wenn eine rein thorakale Fusion durchgeführt wird. Wenn jedoch durch ein VBT eine lumbale Fusion vermieden werden kann, bringt dies signifikante Vorteile für den Patienten, insbesondere eine verbesserte Beweglichkeit.

Biotechnologie

Bei operativen spinalen Fusionen kommt es in bis zu 25 % der Fälle zu einer Pseudarthrose. Deswegen wird intensiv nach den idealen Substanzen geforscht, um die Fusion zu fördern.

Der Goldstandard ist die autologe Spongiosa aus dem Beckenkamm (ICBG).
Der Nachteil dieser Methode ist die hohe Komplikationsrate: Bis zu 25 % der Patienten haben postoperativ relevante Schmerzen, die zum Teil vier Jahre nach dem Eingriff noch nachweisbar sind. Eine Alternative zur Beckenkammspongiosa stellt lokale Spongiosa dar, z. B. aus den lokalen Dornfortsätzen. Dieses Verfahren zeigt jedoch vor allem bei multisegmentalen Versorgungen eine signifikant geringere Fusionsrate als der Goldstandard, in der Arbeit von Sengupta et al. von nur 20 % [9].

Um die Hebemorbidität bei der Entnahme von ICBG zu vermeiden, wurden Knochenersatzstoffe entwickelt. Keramische Knochenersatzstoffe wirken osteokonduktiv und können in einer günstigen 3D-Struktur produziert werden, sind allerdings nicht bioaktiv. Daher sollten diese in der Regel nur mit autologem Knochen oder in Kombination mit anderen bioaktiven Substanzen eingesetzt werden. Laut den aktuell vorliegenden Ergebnissen ist dabei lediglich die Kombination mit „Bone Morphogenic Protein“ (BMP) dem Goldstandard ICBG gleichwertig in der Fusionsrate.

Mit dem Einsatz von BMP lassen sich generell mindestens gleichwertige Fusions- raten erreichen wie mit ICBG, jedoch ist die Komplikationsrate beim Einsatz von BMP höher. Es werden in bis zu 20 % der Fälle Radikulitiden beschrieben, weiterhin wird von heterotopen spinalen Ossifikationen und in einigen Arbeiten von einer erhöhten Krebsrate berichtet.

Aus diesen Gründen wurde eine weitere Substanz relevant, das Bioglass. Bioglass ist seit 1969 bekannt und wurde zunächst insbesondere in Zahnpasta verwendet. Der bioaktive Wirkmechanismus führt zur Bildung von knochenähnlichem Hydoxylapatit und führt dann zur Kolonisation der Oberfläche mit knochenbildenden Zellen [10]. Je größer die Oberfläche der Substanz ist, desto potenter und schneller bildet sich neue Knochensubstanz. Die ersten Bioglass-Substrate hatten eine solide 3D-Architektur und wurden daher mit keramischen Knochenersatzstoffen kombiniert, um die Eigenschaften der beiden Substanzen zu kombinieren. Durch die „Vermischung“ von Bioglass mit den keramischen Substanzen wurde zwar die Oberfläche vergrößert und Bioaktivität ermöglicht, jedoch wurde der Gehalt an Bioglass in dem Produkt verdünnt und dadurch die Bioaktivität verringert.

Moderne Bioglass-Produkte werden zum Beispiel in filamentärer Struktur hergestellt und haben dadurch eine große Oberfläche. Sie bestehen zu 100 % aus bioaktivem Bioglass.

Fazit

Mit einem routinierten Vorgehen ist die Navigationstechnik bei Wirbelsäuleneingriffen eine Bereicherung für den OP-Alltag, unter anderem weil keine Röntgenschürzen mehr getragen werden müssen. Die Navigation erhöht die Patientensicherheit im Hinblick auf die Präzision der Schraubenlage und reduziert zudem das Risiko von Strahlenschäden.

Navigationstechnik wird bei uns auch beim Vertebral Body Tethering (VBT) angewandt, was die Strahlenbelastung für die noch jungen Patienten reduziert.

Eingesetzt werden kann das VBT am besten bei lumbalen, flexiblen Kurven und bei Patienten mit noch großer Wachstumsreserve.

Als Knochenersatzstoff verwenden wir regelmäßig Bioglass, und zwar wegen der Kombination aus hoher knochenbildender Potenz und niedriger Komplikationsrate.