Mai 2021 – Ausgabe 37

Stadienangepasste Therapie der Tendinosis calcarea der Schulter

Prof. Dr. med. Markus Loew
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Schnetzke

Prof. Dr. med. Marc Schnetzke
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Keywords: Calcifying tendinitis, Shockwave therapy, Needling, Shoulder arthroscopy

Die Tendinosis calcarea der Schulter ist ein verbreitetes Krankheitsbild, dessen Therapie in den allermeisten Fällen konservativ und physiothera­peutisch erfolgt. Bei langwierigem oder besonders schmerzhaftem Verlauf werden jedoch als physikalisches Verfahren die extrakorporale Stoßwel­lentherapie (ESWT) und schließlich als invasive therapeutische Optionen die Lavage (Needling) oder eine endoskopische chirurgische Intervention in Erwägung gezogen. Auf der Basis des zu erwartenden individuellen Ver­laufs und der in der Literatur bekannten Evidenz der Behandlungsmaß­nahmen empfiehlt sich ein standardisierter Therapiealgorithmus.

Vorkommen und Spontan-Verlauf

In einer epidemiologischen Studie von Louwerens et al. wiesen unter 1.219 Erwachsenen 7,8% asymptomatischer Probanden und 42,5 % von Patienten mit Schulterschmerzen im Röntgenbild Kalk­depots im Subakromialraum auf (7). Über die Ursache dieser Verkalkungen, die fast ausschließlich im Bereich der Rota­- torenmanschette vorkommen (Abb. 1), gibt es kaum wissenschaftliche Evidenz.

Bei der Tendinosis calcarea (TC) handelt es sich um eine selbstlimitierende Er­krankung, bei der sich Phasen mit relativ geringen Beschwerden, die lediglich unter Belastung auftreten, mit solchen abwechseln können, die durch quälende Ruheschmerzen geprägt sind. Am Ende dieser zyklisch verlaufenden Symptoma­tik steht die Selbstauflösung der Kalk­depots im Rahmen eines entzündlichen, höchst schmerzhaften Prozesses. Prob lematisch ist allerdings, dass im Einzelfall der Verlauf oft nicht vorhergesagt wer­ den kann. Während manche Patienten teilweise über Jahre unter den rezidi­vierenden Beschwerden leiden, kommt es bei anderen nach einem einzigen Schmerzereignis zur Spontanheilung.

Zur prognostischen Klassifikation der TC wird noch immer die Einteilung nach Gärtner von 1990 verwendet (2), der im Röntgenbild drei Typen definierte (Abb. 2 a–c). In seinen Studien kam es bei den Verkalkungen vom Typ I in 33 % und bei den Typen II und III in 71 % innerhalb von drei Jahren zu einem Verschwinden des Kalkschattens im Röntgenbild.

Neuere Untersuchungen zum Spontan­verlauf sind rar. In einer prospektiven Studie zur Stoßwellentherapie (Gerdes­ meyer et al. (3)) wurden 48 Patienten lediglich einer Plazebobehandlung unter­zogen und über zwölf Monate kontrolliert. In 11 % der Fälle kam es innerhalb von sechs Monaten, in 25 % nach zwölf Mo­naten zu einer Spontanauflösung der Kalkdepots und in der gleichen Häufigkeit zu weitgehender Beschwerdefreiheit.

Medikamente und Physiotherapie

Die konservative Therapie versucht einer­seits durch systemische Antiphlogistika und subakromiale Steroidinjektionen den Entzündungsschmerz zu unterdrücken, andererseits durch physiotherapeutische Maßnahmen die Durchblutung der Seh­nen anzuregen und einer Einsteifung der Schulter entgegenzuwirken. In einer pros­pektiven Kohortenstudie an 420 Patien­ten (Ogon et al. (8)) wurde die Wirksamkeit einer standardisierten konservativen Be­handlung evaluiert. In 73 % der Fälle kam es zu einer Beschwerdebesserung, 27 % wurden nach Therapieversagen endos­kopisch operiert. Insbesondere Patienten mit Verkalkungen vom Typ III sprachen gut auf die konservative Behandlung an, während Kalkdepots vom Typ I eher wei­terhin Beschwerden verursachten.

Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT)
Fokkussierte ESWT

In den 1990er­Jahren wurde die extrakor­porale Stoßwellentherapie als Methode zur nichtinvasiven Behandlung der TC eingeführt (Loew et al. 1999, (5)). Es han­delt sich dabei um Schallwellen, deren Energie unter Bildwandlerkontrolle im Kalkdepot fokussiert wird und die damit eine mechanische Desintegration be­wirken und das Kalkdepot aus der Ruhe­ in die Auflösungsphase überführen soll­ten. In Abhängigkeit von der Höhe der Energie im Fokus wird eine niedrigener­getische (< 0,06 mJ/mm2) von einer hochenergetischen (> 0,28 mJ/mm2) ESWT unterschieden.

Gerdesmeyer et al. führten die erste pros­pektiv randomisierte, kontrollierte Studie durch, bei der die beiden Behandlungs­qualitäten untereinander und mit einer Plazebogruppe verglichen wurden (3). 147 Patienten wurden über zwölf Monate be­obachtet. In allen drei Gruppen kam es zu einer Verbesserung der Beschwerden und der Funktion (Constant Score) in den Follow­ups nach sechs und zwölf Mona­ten. Ein vollständiges Verschwinden der Kalkdepots im Röntgenbild wurde in 86 % nach der hochenergetischen, in 37 % nach der niedrigenergetischen und in 25 % nach der Plazebobehandlung beobachtet. Diese Ergebnisse wurden in einer neue­ren Metaanalyse durch Verstraelen et al. bestätigt (9).

Radiäre ESWT

Nicht zu verwechseln mit der fokussier­ten ESWT ist die radiäre Stoßwellenbe­handlung (rESWT), bei der die Schallwel­len nicht gebündelt und ohne Ortung des Kalkdepots appliziert werden und im Bindegewebe bei Enthesiopathien keine mechanischen, sondern durchblutungs­steigernde und analgetische Effekte aus­üben sollen. Zu diesem Verfahren gibt es bisher für die TC der Rotatorenman­schette allerdings keine wissenschaftli­che Evidenz. Die publizierten Studien analysierten lediglich das Schmerzver­ halten nach rESWT bei subakromialem Schmerzsyndrom (Engebretsen et al. (1)).

Needling und Lavage

Beim Needling handelt es sich um eine Punktion der Kalkdepots mit einer groß­lumigen Kanüle unter Bildwandlerkont­rolle oder sonographisch gesteuert. Die Kalkdepots werden dabei eröffnet und mit einer physiologischen Kochsalzlösung gespült (Lavage).

In einer Metaanalyse (Zhang et al. 2019) wurden 254 Publikationen zum Thema der ultraschallgesteuerten Lavage aus­ gewertet, von denen allerdings nur fünf Studien prospektiv randomisiert die Häu­figkeit der Kalkauflösung im Röntgenbild untersuchten (10). Unter diesem Kriterium ergab sich in den Lavagegruppen bei 220 Patienten in 75 % und in den Kontroll­gruppen bei 184 Patienten in 41 % ein Behandlungserfolg mit signifikantem Un­terschied zwischen den Gruppen. 27 % der Probanden aus den Kontroll-­ und 12 % aus den Lavagegruppen wurden wegen fortbestehender Beschwerden operiert.

Resümee der nicht chirurgischen Verfahren

In einem systematischen Literaturreview analysierten Louwerens et al. 20 prospek­tive, kontrollierte und randomisierte Studi­en zur Wirksamkeit sämtlicher angewen­deter nicht invasiver Behandlungsver­fahren (6). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die hochenergetische fokussierte ESWT das am gründlichsten untersuchte Therapieverfahren ist, das im kurz­ und mittelfristigen Verlauf als sicher und effektiv zu bewerten sei. Die sonographisch gesteuerte Lavage habe sich ebenfalls als wirksames Verfahren erwiesen, sei aber nicht effektiver als eine subakromiale Steroidinjektion.

Chirurgische Behandlungsoptionen

Eine chirurgische Intervention gilt wegen der mit der Invasivität verbundenen Komplikationsrisiken als Ultima Ratio in der Therapie der TC. Dabei werden drei endoskopische Prozeduren angewendet: die Kalkexstirpation (KE) (Abb. 3), die arthroskopische subakromiale Dekom­pression (ASAD) und eine Kombination von KE mit ASAD.

Eine aktuelle Literaturrecherche (Verstra­ elen et al. 2017) analysierte sämtliche in den anerkannten wissenschaftlichen Datenbanken zu diesem Themenkomplex gelisteten Arbeiten und fand aus 574 Publikationen lediglich sechs prospektiv randomisierte Studien, wobei Vergleiche zwischen einzelnen Operationsverfahren, in keiner einzigen Studie jedoch mit einer unbehandelten Kontrollgruppe vorge­nommen wurden (9). Die subjektive und funktionelle Erfolgsrate lag bei allen unter­suchten Verfahren zwischen 73 % und 80 %. Unter funktionellen und klinischen Gesichtspunkten ergab sich kein Unter­schied zwischen den Eingriffen mit aus­ schließlicher KE im Vergleich zu denen mit zusätzlicher ASAD.

Behandlungsalgorithmus

Auch wenn es sich bei der Tendinosis calcarea der Schulter um eine selbstlimi­tierende Erkrankung handelt, bei der in einem Zeitraum von 1–3 Jahren in vielen Fällen eine spontane Kalkauslösung und damit Beschwerdefreiheit zu erwar­ten ist, stellt diese Perspektive vor allem durch die Unmöglichkeit, den Verlauf individuell vorherzusagen, für viele Patien­ten eine inakzeptable Situation dar. Aus diesem Grund ist in den meisten Fällen eine symptomatische konservative Be­handlung und bei chronischem Verlauf auch eine invasive Intervention in Betracht zu ziehen.

Die Indikation zu den individuell zu emp­fehlenden therapeutischen Maßnahmen hat sich an dem zu erwartenden Spontan­ verlauf zu orientieren. Hierzu leistet das Röntgenbild eine wichtige Hilfestellung.

Die in dieser Literaturanalyse zusammen­ gefassten Erkenntnisse führen für die Autoren zu der nachfolgenden Behand­lungsempfehlung (Loew et al. 2021, (4)):

  • Bei einer Erstmanifestation einer bis dahin unbehandelten TC in der Ru­hephase (Röntgentyp I) wird eine Physiotherapie eingeleitet. Ergänzend kann die fokussierte ESWT in etwa der Hälfte der Fälle zu einer Desinte­gration des Kalkdepots führen. Bei ausbleibendem Erfolg über mehr als sechs Monate ist als semiinvasive Therapiemaßnahme ein Needling mit Lavage in Erwägung zu ziehen. Da das Komplikationsspektrum mit der endos­kopischen Kalkentfernung vergleichbar ist, bevorzugen die Autoren wegen der höheren Erfolgsaussichten die En­doskopie.
  • Bei einer Erstmanifestation in der In­ termediärphase (Röntgentyp II) er­folgt neben der Physiotherapie eine Schmerzbehandlung mit NSAR, even­tuell in Kombination mit einer sub­akromialen Injektion eines Steroidprä-­ parates. Bleibt hier der Erfolg aus, wird eine endoskopische KE durchgeführt.
  • Bei einer Erstmanifestation in der Auf­lösungsphase (Röntgentyp III), die in vielen Fällen mit heftigen Schmerzen einhergeht, sind invasive Maßnahmen nicht indiziert. Hier empfiehlt sich, ausnahmsweise neben einer kurzfris­tigen Ruhigstellung, eine Schmerz­therapie durch subakromiale Injektion eines Lokalanästhetikums mit Steroid­zusatz in Kombination mit potenten Analgetika (ggf. Opiaten), da mit einer kurzfristigen Spontanheilung gerechnet werden kann.