Mai 2021 – Ausgabe 37
Stadienangepasste Therapie der Tendinosis calcarea der Schulter
Keywords: Calcifying tendinitis, Shockwave therapy, Needling, Shoulder arthroscopy
Die Tendinosis calcarea der Schulter ist ein verbreitetes Krankheitsbild, dessen Therapie in den allermeisten Fällen konservativ und physiotherapeutisch erfolgt. Bei langwierigem oder besonders schmerzhaftem Verlauf werden jedoch als physikalisches Verfahren die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) und schließlich als invasive therapeutische Optionen die Lavage (Needling) oder eine endoskopische chirurgische Intervention in Erwägung gezogen. Auf der Basis des zu erwartenden individuellen Verlaufs und der in der Literatur bekannten Evidenz der Behandlungsmaßnahmen empfiehlt sich ein standardisierter Therapiealgorithmus.
Vorkommen und Spontan-Verlauf
In einer epidemiologischen Studie von Louwerens et al. wiesen unter 1.219 Erwachsenen 7,8% asymptomatischer Probanden und 42,5 % von Patienten mit Schulterschmerzen im Röntgenbild Kalkdepots im Subakromialraum auf (7). Über die Ursache dieser Verkalkungen, die fast ausschließlich im Bereich der Rota- torenmanschette vorkommen (Abb. 1), gibt es kaum wissenschaftliche Evidenz.
Bei der Tendinosis calcarea (TC) handelt es sich um eine selbstlimitierende Erkrankung, bei der sich Phasen mit relativ geringen Beschwerden, die lediglich unter Belastung auftreten, mit solchen abwechseln können, die durch quälende Ruheschmerzen geprägt sind. Am Ende dieser zyklisch verlaufenden Symptomatik steht die Selbstauflösung der Kalkdepots im Rahmen eines entzündlichen, höchst schmerzhaften Prozesses. Prob lematisch ist allerdings, dass im Einzelfall der Verlauf oft nicht vorhergesagt wer den kann. Während manche Patienten teilweise über Jahre unter den rezidivierenden Beschwerden leiden, kommt es bei anderen nach einem einzigen Schmerzereignis zur Spontanheilung.
Zur prognostischen Klassifikation der TC wird noch immer die Einteilung nach Gärtner von 1990 verwendet (2), der im Röntgenbild drei Typen definierte (Abb. 2 a–c). In seinen Studien kam es bei den Verkalkungen vom Typ I in 33 % und bei den Typen II und III in 71 % innerhalb von drei Jahren zu einem Verschwinden des Kalkschattens im Röntgenbild.
Neuere Untersuchungen zum Spontanverlauf sind rar. In einer prospektiven Studie zur Stoßwellentherapie (Gerdes meyer et al. (3)) wurden 48 Patienten lediglich einer Plazebobehandlung unterzogen und über zwölf Monate kontrolliert. In 11 % der Fälle kam es innerhalb von sechs Monaten, in 25 % nach zwölf Monaten zu einer Spontanauflösung der Kalkdepots und in der gleichen Häufigkeit zu weitgehender Beschwerdefreiheit.
Medikamente und Physiotherapie
Die konservative Therapie versucht einerseits durch systemische Antiphlogistika und subakromiale Steroidinjektionen den Entzündungsschmerz zu unterdrücken, andererseits durch physiotherapeutische Maßnahmen die Durchblutung der Sehnen anzuregen und einer Einsteifung der Schulter entgegenzuwirken. In einer prospektiven Kohortenstudie an 420 Patienten (Ogon et al. (8)) wurde die Wirksamkeit einer standardisierten konservativen Behandlung evaluiert. In 73 % der Fälle kam es zu einer Beschwerdebesserung, 27 % wurden nach Therapieversagen endoskopisch operiert. Insbesondere Patienten mit Verkalkungen vom Typ III sprachen gut auf die konservative Behandlung an, während Kalkdepots vom Typ I eher weiterhin Beschwerden verursachten.
Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT)
Fokkussierte ESWT
In den 1990erJahren wurde die extrakorporale Stoßwellentherapie als Methode zur nichtinvasiven Behandlung der TC eingeführt (Loew et al. 1999, (5)). Es handelt sich dabei um Schallwellen, deren Energie unter Bildwandlerkontrolle im Kalkdepot fokussiert wird und die damit eine mechanische Desintegration bewirken und das Kalkdepot aus der Ruhe in die Auflösungsphase überführen sollten. In Abhängigkeit von der Höhe der Energie im Fokus wird eine niedrigenergetische (< 0,06 mJ/mm2) von einer hochenergetischen (> 0,28 mJ/mm2) ESWT unterschieden.
Gerdesmeyer et al. führten die erste prospektiv randomisierte, kontrollierte Studie durch, bei der die beiden Behandlungsqualitäten untereinander und mit einer Plazebogruppe verglichen wurden (3). 147 Patienten wurden über zwölf Monate beobachtet. In allen drei Gruppen kam es zu einer Verbesserung der Beschwerden und der Funktion (Constant Score) in den Followups nach sechs und zwölf Monaten. Ein vollständiges Verschwinden der Kalkdepots im Röntgenbild wurde in 86 % nach der hochenergetischen, in 37 % nach der niedrigenergetischen und in 25 % nach der Plazebobehandlung beobachtet. Diese Ergebnisse wurden in einer neueren Metaanalyse durch Verstraelen et al. bestätigt (9).
Radiäre ESWT
Nicht zu verwechseln mit der fokussierten ESWT ist die radiäre Stoßwellenbehandlung (rESWT), bei der die Schallwellen nicht gebündelt und ohne Ortung des Kalkdepots appliziert werden und im Bindegewebe bei Enthesiopathien keine mechanischen, sondern durchblutungssteigernde und analgetische Effekte ausüben sollen. Zu diesem Verfahren gibt es bisher für die TC der Rotatorenmanschette allerdings keine wissenschaftliche Evidenz. Die publizierten Studien analysierten lediglich das Schmerzver halten nach rESWT bei subakromialem Schmerzsyndrom (Engebretsen et al. (1)).
Needling und Lavage
Beim Needling handelt es sich um eine Punktion der Kalkdepots mit einer großlumigen Kanüle unter Bildwandlerkontrolle oder sonographisch gesteuert. Die Kalkdepots werden dabei eröffnet und mit einer physiologischen Kochsalzlösung gespült (Lavage).
In einer Metaanalyse (Zhang et al. 2019) wurden 254 Publikationen zum Thema der ultraschallgesteuerten Lavage aus gewertet, von denen allerdings nur fünf Studien prospektiv randomisiert die Häufigkeit der Kalkauflösung im Röntgenbild untersuchten (10). Unter diesem Kriterium ergab sich in den Lavagegruppen bei 220 Patienten in 75 % und in den Kontrollgruppen bei 184 Patienten in 41 % ein Behandlungserfolg mit signifikantem Unterschied zwischen den Gruppen. 27 % der Probanden aus den Kontroll- und 12 % aus den Lavagegruppen wurden wegen fortbestehender Beschwerden operiert.
Resümee der nicht chirurgischen Verfahren
In einem systematischen Literaturreview analysierten Louwerens et al. 20 prospektive, kontrollierte und randomisierte Studien zur Wirksamkeit sämtlicher angewendeter nicht invasiver Behandlungsverfahren (6). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die hochenergetische fokussierte ESWT das am gründlichsten untersuchte Therapieverfahren ist, das im kurz und mittelfristigen Verlauf als sicher und effektiv zu bewerten sei. Die sonographisch gesteuerte Lavage habe sich ebenfalls als wirksames Verfahren erwiesen, sei aber nicht effektiver als eine subakromiale Steroidinjektion.
Chirurgische Behandlungsoptionen
Eine chirurgische Intervention gilt wegen der mit der Invasivität verbundenen Komplikationsrisiken als Ultima Ratio in der Therapie der TC. Dabei werden drei endoskopische Prozeduren angewendet: die Kalkexstirpation (KE) (Abb. 3), die arthroskopische subakromiale Dekompression (ASAD) und eine Kombination von KE mit ASAD.
Eine aktuelle Literaturrecherche (Verstra elen et al. 2017) analysierte sämtliche in den anerkannten wissenschaftlichen Datenbanken zu diesem Themenkomplex gelisteten Arbeiten und fand aus 574 Publikationen lediglich sechs prospektiv randomisierte Studien, wobei Vergleiche zwischen einzelnen Operationsverfahren, in keiner einzigen Studie jedoch mit einer unbehandelten Kontrollgruppe vorgenommen wurden (9). Die subjektive und funktionelle Erfolgsrate lag bei allen untersuchten Verfahren zwischen 73 % und 80 %. Unter funktionellen und klinischen Gesichtspunkten ergab sich kein Unterschied zwischen den Eingriffen mit aus schließlicher KE im Vergleich zu denen mit zusätzlicher ASAD.
Behandlungsalgorithmus
Auch wenn es sich bei der Tendinosis calcarea der Schulter um eine selbstlimitierende Erkrankung handelt, bei der in einem Zeitraum von 1–3 Jahren in vielen Fällen eine spontane Kalkauslösung und damit Beschwerdefreiheit zu erwarten ist, stellt diese Perspektive vor allem durch die Unmöglichkeit, den Verlauf individuell vorherzusagen, für viele Patienten eine inakzeptable Situation dar. Aus diesem Grund ist in den meisten Fällen eine symptomatische konservative Behandlung und bei chronischem Verlauf auch eine invasive Intervention in Betracht zu ziehen.
Die Indikation zu den individuell zu empfehlenden therapeutischen Maßnahmen hat sich an dem zu erwartenden Spontan verlauf zu orientieren. Hierzu leistet das Röntgenbild eine wichtige Hilfestellung.
Die in dieser Literaturanalyse zusammen gefassten Erkenntnisse führen für die Autoren zu der nachfolgenden Behandlungsempfehlung (Loew et al. 2021, (4)):
- Bei einer Erstmanifestation einer bis dahin unbehandelten TC in der Ruhephase (Röntgentyp I) wird eine Physiotherapie eingeleitet. Ergänzend kann die fokussierte ESWT in etwa der Hälfte der Fälle zu einer Desintegration des Kalkdepots führen. Bei ausbleibendem Erfolg über mehr als sechs Monate ist als semiinvasive Therapiemaßnahme ein Needling mit Lavage in Erwägung zu ziehen. Da das Komplikationsspektrum mit der endoskopischen Kalkentfernung vergleichbar ist, bevorzugen die Autoren wegen der höheren Erfolgsaussichten die Endoskopie.
- Bei einer Erstmanifestation in der In termediärphase (Röntgentyp II) erfolgt neben der Physiotherapie eine Schmerzbehandlung mit NSAR, eventuell in Kombination mit einer subakromialen Injektion eines Steroidprä- parates. Bleibt hier der Erfolg aus, wird eine endoskopische KE durchgeführt.
- Bei einer Erstmanifestation in der Auflösungsphase (Röntgentyp III), die in vielen Fällen mit heftigen Schmerzen einhergeht, sind invasive Maßnahmen nicht indiziert. Hier empfiehlt sich, ausnahmsweise neben einer kurzfristigen Ruhigstellung, eine Schmerztherapie durch subakromiale Injektion eines Lokalanästhetikums mit Steroidzusatz in Kombination mit potenten Analgetika (ggf. Opiaten), da mit einer kurzfristigen Spontanheilung gerechnet werden kann.