Oktober 2019 – Ausgabe 34
Sprunggelenksendoprothese – noch ein weiter Weg?
Das Sprunggelenk stellt mit seiner komplizierten Kinematik, den wechselnden Bewegungszentren und seiner hohen Kongruenz eines Scharniergelenks, das aber trotzdem Rotations- und Translationsbewegungen ermöglicht, die Entwickler von Endoprothesen vor große Herausforderungen. Dementsprechend wird die „natürliche“ Kinematik bei Sprunggelenksendoprothesen noch lange nicht so gut nachempfunden wie bei Knieendoprothesen oder gar bei Endoprothesen der Kugelgelenke an Hüfte und Schulter. Trotzdem sind Fortschritte zu verzeichnen.
Die Endoprothetik des oberen Sprunggelenks (OSG) wurde von den Fachärzten Lord und Malotte 1970 mit einer umgekehrt eingesetzten Hüftendoprothese begründet. Drei Jahre später haben die beiden deutschen Mediziner Prof. Buchholz und Prof. Engelbrecht (Endoklinik Hamburg) im Jahr 1973 ebenfalls die funktionierende Hüftendoprothese – ein auf den Kopf gestelltes Kugelgelenk – für die OSG-Prothetik ausgewählt. Diese Konstruktion zeigte jedoch hohe Lockerungsraten und eine nur kurze Standzeit, so dass sie wieder verworfen wurde.Bei der zweiten Generation wurde die anatomische Struktur des OSG, anders als bei der umgekehrten Hüftendoprothese, eher nachempfunden. Jedoch gab es auch hier aufgrund der gekoppelten Gelenkpartner und zementierten Verankerung, wie bei der Imperial college® und der Mayo Total Ankle® Prothese, erhebliche frühzeitige Lockerungen und weitere Probleme, so dass auch dieser Ansatz verworfen wurde. Als dritte Generation wurde eine Prothese mit anatomisch nachempfundener Taluskappe und einer planen Tibiaplatte entwickelt, die durch ihre besondere Formgebung eher einem normalen Sprunggelenk ähnelt. Beide Komponenten werden durch einen Polyethylengleitkern zu einem Gelenk verbunden. Mit diesem Design begründete Hakon Kofoed mit der sogenannten Scandinavian Total Ankle Replacement (STAR®) Prothese 1990 die moderne Sprunggelenksendoprothetik. Die anfängliche Zementierung der Prothese führte zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen. Erst eine doppelte Hydroxylapatit-Oberflächenbeschichtung ermöglichte das erfolgreiche Ein-wachsen der Prothese in den Knochen. Bis dato konkurrierende Zweikomponenten-Prothesen mit halbfreier Führung wie AgilityÆ und die ESSKA® verschwanden schnell vom Markt, da die neue Dreikomponenten-Prothesen, wie etwa die Produkte Hintegra®, Salto®, STAR®, Mobility® und AES ® Prothese durch ihre innovative Technologie eher überzeugen konnten. Das Besondere an diesen Prothesen ist, dass sie zwei Komponenten mit einer planen Tibia und verschiedenen Formgebungen des Talus aufweisen. Teilweise wurden die Radien des Talus, die lateral größer als medial sind, nachempfunden. Außerdem wurden die talaren Komponenten mit gleichen Radien medial und lateral konzipiert. Alle Prothesen dieser Generation wurden als Einwachsprothesen konzipiert. Dabei fungierten die Mobility® und AES® Prothese eher als Oberflächenprothesen, während die STAR® und die Hintegra® Prothesen mit seitlichen Überdeckungen im Sinne einer Kappenprothese, funktionierten. Der wesentliche Konsens aller Prothesendesigns war eine plane Tibiaplatte. Dies ist jedoch fragwürdig, da die Natur dies über Millionen von Jahren so nicht vorgegeben hat. Allen Prothesen liegt der Versuch einer geringen Knochenresektion zugrunde. Außerdem sind ein gerader Schnitt bzw. die sogenannten anterioren und posterioren Schrägschnitte (halbes Sechseck) notwendig, um auf diese Weise eine große Oberfläche zum Einwachsen der Prothese zu gewährleisten. Falls jedoch die Schnittführungen nicht ganz präzise durchgeführt wurden, konnte das Einwachsen aufgrund des sogenannten Mismatching nicht optimal erfolgen, was gleichzeitig der Nachteil dieser Technik war. Ferner führten Scherkräfte an den Kanten der Schnitte zu frühzeitigen Lockerungen und Zystenbildungen.
Die normale Kinematik des Sprunggelenkes entspricht einem abgesägten Konus mit einem sogenannten medialen Pivot. Der mediale Radius mit dem stabilen, zweilagigen Deltabandkomplex hat nur einen geringen Bewegungsumfang, hingegen ermöglicht der größere laterale Radius des abgesägten Konus die Mobilität im Bereich des lateralen Gelenkabschnitts und die Rotation des Gelenkes.
Polyaxiale Bewegungszentren im Sprunggelenk
Dennoch, die entscheidenden Bewegungszentren im Sprunggelenk sind wechselnd (polyaxial), so dass die kinematische „künstliche Wiederherstellung“ eines solchen Gelenks als Prothese erhebliche Probleme bereitet. Das zweite wesentliche Problem ist, dass das OSG – im Vergleich zum Kniegelenk – ein sehr kongruentes Gelenk darstellt, was eine komplexe Verzahnung zwischen den Gelenkabschnitten mit nur geringem Spielraum entspricht. Trotzdem kann man nicht von einem Scharniergelenk sprechen, da zusätzliche Rotations- und Translationsbewegungen auftreten. Dieses multiaxiale Gelenk, das von kräftigen Bändern stabilisiert und geführt wird, kann in dem Malleolengabel-geführten Talus um eine angrenzenden Fußwurzelknochen proniert und supiniert werden. Diese komplexen kinematischen Prinzipien konnte keine dieser Prothesen erfüllen, weshalb sie zu entsprechenden Einschränkungen in der Dorsalextension als auch der Plantarflexion führten, nicht nur bedingt durch Narbenbildung, sondern auch als Reaktion auf die unphysiologische Belastung im Gelenk als Folge der „unkinematischen“ endoprothetischen Versorgung. Die von meinem Co-Autoren Sebstian Müller und mir durchgeführten 3D-Fußanalysen nach Implantation von Hintegra® Prothesenzeigten im Vergleich zum gesunden Sprunggelenk in allen kinematischen Untersuchungen der Bewegung mit einem Vicom-System deutliche Unterschiede zwischen Prothese und normalem Gelenk. Insbesondere bei der Flexion und Extension beobachteten wir signifikante Unterschiede, ebenfalls bei der Untersuchung des unteren Sprunggelenkes mit subtalarer Inversion.
Als ersten Schritt hin zur natürlichen Entwicklung des Sprunggelenkes wurden konvexe tibiale Komponenten wie die „Trabecular metal total ankle®“ und die „Vantage® Prothese“, entwickelt. Die Dreikomponenten-Prothesenentsprachen zudem mit ihrer Funktionsweise mit mobilem Gleitkern nicht der Realität. Denn das Polyethylen verband sich immer in einer festen Narbe mit der tibialen Komponente und nur der Talus führte zu einer Beweglichkeit im Gelenk. Aus diesem Grund wurde erneut auf die Zweikomponenten-Prothesen zurückgegriffen, die insbesondere in den USA konstruiert wurden: Das Polyethylen wurde an der tibialen Komponente fixiert, wodurch wieder die Zweikomponenten-Prothesen entstanden, die eine uneingeschränkten Zulassung für den amerikanischen Markt erhielten. Nichtsdestotrotz hat das konvexe Design der OSG-Prothesen nicht zu einem normalen kinematischen Verhalten geführt.
Neue Entwicklungen
Das heutige Design versucht diese komplexen, wechselnden Strukturen zu vereinfachen, indem man zumindest die talare Schulter nachempfindet und mit zwei verschiedenen Radien arbeitet. Jedoch kann die kinematische Verkoppelung des Gelenkes zur Tibia auf diese Weise nicht vollständig nachempfunden werden. Bei den neuesten Entwicklungen aus dem Jahr 2018 (Vantage®) wird das tibiale Design im lateralen Bereich an die Fibula angepasst und entsprechend eingebuchtet.
Die vertikal angeordneten kleinen Zapfen zeigen ein ideales Belastungsprofil auf das Knochen-Implant-Interface in der sogenannten „finite Elemente-Methode“. Das Risiko von exzentrischem Stress und die Stressabschirmung können deutlich abgemildert werden, so dass die tibiale Lockerung durch zystische Veränderungen vermieden werden sollte. Die talare Komponente wird jetzt mit einer Raspe „rund“ präpariert, mit zwei Radien und einer anterioren Zunge, die der Anatomie stärker nachempfunden wurde und durch das runde Profil sowohl der Prothese als auch des Talus im Vergleich zu der bisherigen Schnittführung Abscherspannungen herabsetzt.
Die Prothese, die aus meiner Sicht am weitesten den kinematischen Anforderungen eines Sprunggelenkes entspricht, ist das German Ankle System®(GAS) von Prof. M. Richter (2007!). Es handelt sich hierbei um eine Dreikomponentenprothese, wobei das Polyethylen konvex zur Tibia und konkav zum Talus ist. Die talare Komponente entspricht einem abgesägten Konus wie bei einem normalen Talus, und wurde auch „rund“ implantiert (bereits 2007!).
Vergleich zwischen Gas®-Prothese und Hintegra®
Eine vergleichende biomechanische Studie dieser Prothese mit einem Standardimplantat (Hintegra®) untersuchte experimentell am Präparat in einem speziellen Robot System mit Druckmessplatten im implantierten Gelenk und im Vergleich dazu im natürlichen Sprunggelenk. Beide Prothesen erhöhten den Druck und die Scherkraft im Vergleich zum normalen Sprunggelenk signifikant. Hierbei schnitt die anatomische „German Ankle System®(GAS)“-Prothese besser ab als die der Hintegra®Prothese. Druckmessungen im lateralen Gelenkabschnitt ergaben für das „German Ankle System®“ signifikant niedrigere Werte im Vergleich zu der Hintegra®Prothese. Zusätzlich zeigte sich kein Unterschied zum normalen Gelenk.
Außerdem ermöglicht die GAS®Prothese im Vergleich zur Hintegra® eine signifikant bessere Dorsalflexion und Plantarflexiondes Sprunggelenkes, während die Dorsalflexion bei der Hintegra®Prothese deutlich vermindert war. Weiterhin fiel auf, dass die Hintegra®Prothese die Translation von proximal nach distal und von medial nach lateral zur Fibula gegenüber der GAS®erhöhte (vermehrter PE-Abrieb!). Bei dem Experiment wurde eine deutliche Verbesserung des anatomischen, kinematischen Systems der GAS®Prothese festgestellt, welches die Bewegung der Knochen weniger alteriert, als die Standard Dreikomponenten-Systeme (Hintegra®). Insgesamt zeigt das Modell eine viel größere Nähe zu einer normalen Kinematik des Sprunggelenkes. Leider wurde dieser Prothese bislang nicht produziert, da die Patente vom Autor verkauft wurden und sie sich somit in Alltagsbelastungen nicht bewähren konnte.
Fazit
Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Sprunggelenksendoprothetik in Händen von Experten zu einer erfolgreichen Wiederherstellung der Beweglichkeit des Gelenkes mit Schmerzfreiheit geführt hat. Die Problematik zum jetzigen Zeitpunkt der Sprunggelenksendprothetik ist, dass die anatomisch funktionelle Kinematik des Gelenkes noch immer nicht optimal nachempfunden werden kann, was zu Einschränkungen in der Beweglichkeit mit vermehrtem Druck und mit Scherkräften führt und zu Schmerzen bzw. Lockerung führt. Die „vielversprechendste Prothese“ ist leider patentrechtlich verkauft und bisher nicht produziert worden.
Zum jetzigen Zeitpunkt weisen die neuesten Prothesen noch einen größeren Abstand zu kinematisch normalen Abläufen auf im Vergleich zur Knieendoprothetik, und noch deutlicher im Vergleich zu den Kugelgelenken Schulter und Hüfte.
Die Sprunggelenksendoprothetik leidet darunter, dass sie kein wirtschaftlich bedeutender Faktor mit „edit value“ ist, so dass die Ressourcen zur Weiterentwicklung von der Industrie verständlicherweise nicht optimal zur Verfügung gestellt werden. Neueste Entwicklungen in der Computertechnik, auch weitere CAD-, 3D Print-Verfahren sowie die Hinwendung der Endoprothetikindustrie zu anatomischen Implantaten werden jedoch auch bei der Sprunggelenksendoprothetik zu weiteren Fortschritten führen.