Mai 2022 – Ausgabe 39
Sportverletzungen des Schultereckgelenks
Abdullah AlAbbasi
Prof. Dr. med. Frank Martetschläger
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Prof. Dr. med. Mark Tauber
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Schlüsselwörter: Schultereckgelenk, AC-Sprengung, Rockwood- Klassifizierung, Tight-Rope-Fixierung
Verletzungen des Schultereckgelenks (AC-Gelenk) sind sowohl bei Sportlern als auch bei Nichtsportlern weit verbreitet und umfassen ein breites Spektrum an Pathologien wie Verstauchungen, Sprengung und Frakturen. Insbesondere bei Überkopfsportlern muss bei der Beurteilung und Behandlung besonders darauf geachtet werden, dass die Funktion und die Rückkehr zum Spiel so effizient und sicher wie möglich erfolgen. Die Biomechanik der Überkopf-Wurfbewegung stellt eine enorme Belastung für das AC-Gelenk und Schultergelenk dar, was diese Athleten im Vergleich zu AC-Verletzungen in der Allgemeinbevölkerung zu einer besonderen Untergruppe macht.
Anatomie und Biomechanik des AC-Gelenks
Das ACGelenk ist ein echtes diarthrodiales Gelenk zwischen dem konvexen lateralen Schlüsselbein und dem konkaven medialen Schulterdach.
Die Enden des lateralen Schlüsselbeins und des medialen Schulterdachs sind mit hyalinem Knorpel überzogen, der im zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt oft in Faserknorpel übergeht. Im ACGelenk befindet sich eine Faserknorpelscheibe (Discus articularis), von der man annimmt, dass sie ähnlich wie ein Meniskus im Knie funktioniert mit der Aufgabe, die Inkongruenz der Gelenkflächen auszugleichen und die Druckübertragung zu optimieren. Der Diskus unterliegt einer altersbedingten Degeneration im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt, stellt aber bei jungen, aktiven Patienten ein Verletzungsrisiko dar.
Das Schlüsselbein stützt die obere Extremität in einem festen Abstand zum Achsenskelett, um eine optimale Bewegung und Kraft der oberen Extremität zu ermöglichen, was nur durch die Befestigung des Schlüsselbeins am Schulterblatt im ACGelenk möglich ist.
Die Stabilität des ACGelenks hat mehrere Säulen. Die meiste Stabilität kommt von den skapuloklavikulären Befestigungen über die korakoklavikularen (CC) Bänder und die ACGelenkkapsel, die aus anterioren, posterioren, superioren und inferioren Komponenten besteht. Diese Kapsel sorgt in erster Linie für horizontale (anteriorposteriore) Stabilität. Die CCBänder sind in erster Linie für die vertikale Stabilität des distalen Schlüsselbeins verantwortlich.
Die Bewegung um das ACGelenk kann als primär gleitende Bewegung mit einer minimalen Rotationskomponente be schrieben werden. Beim Anheben der oberen Extremität hebt sich die Klavikula um 1115° und zieht sich um 1529° zurück. Die Rotation um das Schlüsselbein kann bis zu 40 bis 50 Grad nach hinten betragen, wenn der Arm an der Schulter angehoben wird.
Spektrum der Pathologie
Die Sprengung des Schultereckgelenks ist ein Kontinuum und reicht von der einfachen Bänderzerrung bis hin zur kompletten Zerreißung aller skapuloklavikulären Bänder und zusätzlicher Verletzung der deltotrapezoidalen Faszie. Die Verletzung beginnt immer am ACGelenk selbst und schreitet dann zu den CCBändern fort. Schwere Formen führen auch zu einer Dislokation der Klavikula unter den Rabenschnabelfortsatz, was lediglich in Fallberichten beschrieben wurde.
Anamnese und klinische Untersuchung
Die körperliche Untersuchung des ACGelenks besteht aus dem direkten Abtasten des ACGelenks, gefolgt von einem PaxinosTest; ein positiver Test führt zu Schmerzen im ACGelenk. Der häufig verwendete Horizontal-Adduktionstest quer über den Körper ist zwar empfindlich, aber relativ unspezifisch.
Die Injektion eines Lokalanästhetikums in das ACGelenk kann dazu beitragen, die Ursache der Schulter-schmerzen bei einem Patienten zu ermitteln, dessen Untersuchung nicht eindeutig ist. Eine sorgfältige neurologische und vaskuläre Untersuchung sollte immer durchgeführt werden. Bereits klinisch kann eine horizontale Instabilität im Crossbody Test festgestellt werden, indem sich das Schlüsselbein und das Akromion aneinander vorbeischieben. Dabei taucht das Akromion nach vorne unten. Ein „inverses Klaviertastenphänomen“ ist Ausdruck der vertikalen Instabilität, wobei klarzustellen ist, dass bei einer ACGelenkSprengung nicht das Schlüsselbein hochsteht, sondern die Schulter hängt.
Bildgebung
Die Röntgenuntersuchung umfasst eine PanoramaStressAufnahme mit 10 kg Gewicht an beiden hängenden Armen sowie eine AlexanderAufnahme im Seitenvergleich. Damit kann eine exakte Klassifikation sowohl der vertikalen als auch der horizontalen Instabilität erfolgen.
AC-Sprengung: Klassifikation
Das am häufigsten verwendete Klassifizierungssystem für ACVerletzungen ist das von Rockwood, das nicht nur das ACGelenk, sondern auch die CCBänder und die deltoideotrapezoidale Faszie berücksichtigt (Tabelle 1)
Einer der Vorzüge des Rockwood Systems ist seine Anwendbarkeit auf das Management.
AC-Sprengung: Typ I und II
Es besteht ein allgemeiner Konsens über die nichtoperative Behandlung von ACVerletzungen des Typs I und II.
Je nach Schmerz und Funktion ist in der Regel eine kurze Ruhigstellung (maximal zwei Wochen) erforderlich, um die Bandstrukturen zu entlasten. Während dieser Zeit ist es wichtig, den Ellenbogen, das Handgelenk und die Hand regelmäßig aus der Schlinge zu nehmen, um Steifheit zu vermeiden.
Danach kann ein Rehabilitationsprogramm durchgeführt werden, bei dem der Schwerpunkt auf der Kontrolle des Schultergelenks sowie der Beweglichkeit und Kraft der Schulter liegt. Üblicherweise werden sportliche Aktivitäten bei Typ I für 2 Wochen und bei Typ II für mindestens 36 Wochen eingestellt. Bei anhaltenden Schmerzen können zur Symptombehandlung Injektionen mit Lokalanästhetika und/oder Kortikosteroiden in Betracht gezogen werden.
Die nichtoperative Behandlung von Verletzungen des Typs I und II wird bei der Mehrzahl der Patienten mit guten Kurzzeitergebnissen in Verbindung gebracht, obwohl nur wenige Berichte speziell für Überkopfsportler vorliegen.
Im Gegensatz dazu berichten mehrere Autoren von guten bis ausgezeichneten funktionellen Ergebnissen bei der mittel und langfristigen Nachsorge mit 80 90 % Patientenzufriedenheit.
AC-Sprengung: Typ IV, V und VI
Es gibt relativ wenige randomisierte Studien zu hochgradigen ACVerletzungen. Die Behandlung akuter hochgradiger ACVerletzungen erfolgt in der Regel chirurgisch, um die Stabilität eines von Natur aus instabilen ACGelenks wieder herzustellen. Es wurden mehr als 160 Operationstechniken beschrieben. Zu den Fixierungsoptionen gehören Metallimplantate (KDrähte, Hakenplatte), der Transfer des korakoakromialen (CA) Bandes (WeaverDunnVerfahren), die CCIntervallfixierung mit starren (Bosworth Schraubentechnik) und nicht starren (Aufhängevorrichtungen mit Naht, Flip Buttons, Unterlegscheiben) Implantaten sowie die AC und/oder CCBandrekonstruktion (mit Sehnenallotransplantat oder Autotransplantat). Praktisch gesehen lassen sich diese Eingriffe in anatomische und nichtanatomische ACGelenkrekonstruktionen unterteilen, wobei die anatomischen Rekonstruktionen in den letzten Jahren immer beliebter geworden sind.
Die nur in Fallberichten beschriebenen TypVIVerletzungen stellen eine absolute OPIndikation dar und treten ausschließlich im Rahmen von Hochrasanztraumata auf.
AC-Sprengung: Typ III
Die optimale Behandlung von TypIII Verletzungen ist Gegenstand einer anhaltenden Debatte.
Die aktuellen Konzepte lassen sich zusammenfassen:
- Erstens ist eine unvollständige Reposition des ACGelenks nicht gleichbedeutend mit einem schlechten Ergebnis.
- Zweitens sind chronische Veränderun gen am ACGelenk, wie Osteolyse, Hypertrophie der distalen Klavikula und Verkalkung der CCBänder, ebenfalls nicht zwangsläufig ein Zeichen für eine schlechte Prognose oder eine schmerzhafte Schulter.
- Drittens bildet sich die Deformität mit der Zeit zwar nicht vollständig zurück, doch kann sie etwas an Schwere verlieren.
- Schließlich gibt es einen berechtigten Anteil von Patienten, bei denen eine nichtoperative Behandlung nicht gut anschlägt, auch wenn dieser Anteil noch nicht genau abgegrenzt ist.
In Bezug auf Verletzungen des Typs III hat der Fachausschuss eine genauere Einteilung in die Typen IIIA und IIIB vorgenommen:
Typ IIIA ist definiert durch ein stabiles ACGelenk ohne Überschiebung des Schlüsselbeins auf Röntgen-aufnahmen in Adduktion quer zum Körper und ohne signifikante Dysfunktion des Schulterblatts.
Typ IIIB gilt als instabil mit therapieresistenter Skapuladysfunktion und einer Überschiebung der Klavikula in der Adduktionsaufnahme quer zum Körper.
Die Empfehlung lautet, alle Verletzungen des Typs III zunächst nichtoperativ zu behandeln und die klinische und röntgenologische Beurteilung nach 3 bis 6 Wochen zu wiederholen, um den Typ IIIA bzw. IIIB zu bestimmen und eine end gültige nichtoperative bzw. operative Behandlung durchzuführen.
In einer eigenen Multicenterstudie unter der Schirmherrschaft der Deutschen Vereinigung für Schulter und Ellenbogenchirurgie konnte an 78 Patienten mit einer akuten ACGelenksprengung vom Typ Rockwood III kein Unterschied im klinischen 2JahresErgebnis festgestellt werden. Auch unterschieden sich die bei den Typen IIIA und IIIB nicht, was die Rolle der horizontalen Instabilität im akuten Setting infrage stellt.
In zwei großen Übersichtsarbeiten wurden ziemlich uneindeutige Ergebnisse für die nichtoperative und die operative Behandlung von TypIIIVerletzungen nachgewiesen. Die konservative Behandlung war im Hinblick auf die Verkalkung des CCBandes und die Osteolyse der lateralen Klavikula überlegen; die operative Behandlung war jedoch bei der Erhaltung der anatomischen Reposition überlegen.
Es wurden 14 Studien mit insgesamt 646 Schultern einbezogen, die keine signifikanten Unterschiede zwischen konservativer und chirurgischer Behandlung in Bezug auf postoperative Arthrose, anhaltende Schmerzen und mittlere Scores zeigten.
Ein postoperativer Repositionsverlust wurde in 14 % der Fälle festgestellt; wenn jedoch nur Hakenplatten und arthroskopische Suspensionsverfahren ausgewertet wurden, sank die Rate auf 1,5 %.
Zeitpunkt der Operation
Die akute ACSprengung sollte innerhalb von 23 Wochen operativ versorgt werden. Dieses Zeitfenster ist hinsichtlich der Biologie der Bandheilung zu interpretieren.
Studien ergaben, dass die Ergebnisse in der frühzeitig operierten Gruppe mit 91 % besser ausfielen als in der Gruppe, die erst verzögert operiert wurde (73 %).
Insbesondere bei Überkopfsportlern empfehlen wir eine situative Bewertung des Zeitpunkts, wenn eine Operation in Betracht gezogen wird.
Operative Ergebnisse
In jüngerer Zeit wurden in mehreren retrospektiven Studien die funktionellen Ergebnisse der TightRopeFixierung (FlaschenzugSystem) mit denen der Hakenplattenfixierung bei akuten Verletzungen des Typs IV, V und VI verglichen.
In mehreren Studien wurden für beide Fixationstechniken gute bis hervorragende Ergebnisse festgestellt, wobei es keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Techniken gab. TightRopePatienten wiesen signifikant höhere gute Werte sowie eine globale Zufriedenheit auf.
Auch die Schlafqualität und die sportliche Aktivität verbesserten sich in der Tight RopeGruppe signifikant. Hinsichtlich der Bewegungsfähigkeit, der Kraft oder der Einschränkungen im täglichen Leben gab es keine Unterschiede. Die Autoren führen die vergleichsweise schlechtere Lebensqualität mit einer Hakenplatte auf die chronische Reizung des subakromialen Raums zurück.
Als klarer Vorteil der arthroskopischen Techniken müssen sowohl die Möglichkeit der gleichzeitigen Adressierung eventueller Begleitpathologien gesehen werden, als auch die Vermeidung eines Zweiteingriffs zur Implantatentfernung, was bei der Hakenplatte unvermeidbar ist.
Return to sports
In einigen Studien wurde bei akuter TypVSprengung nach arthroskopischer Fixierung mit einem kortikalen Fixationsknopf festgestellt, dass alle Patienten in der Lage waren, zu einem früheren Leistungsniveau zurückzukehren (62 %), auch wenn die Häufigkeit der Aktivitäten deutlich abnahm (26 %). Bemerkenswert ist, dass es keinen signifikanten Unterschied in der Fähigkeit zur Rückkehr zu Überkopf- oder Kontaktsportarten gab.
In einer weiteren Studie wurde festgestellt, dass bei Patienten mit TypVVerletzungen mit einer einzigen kortikalen Fixationstechnik eine ReturntoSportsRate von 95 % erreicht wurde, ohne dass es einen Unterschied in der Rate zwischen Überkopf- und NichtÜberkopfsportlern gab. Allerdings war bei Überkopfsportlern die Wahrscheinlichkeit signifikant höher, dass sie die Trainingsintensität und -häufigkeit reduzierten und schließlich die Sportart wechselten.
Zusammenfassung
ACGelenkverletzungen sind nach Schulterluxationen die zweithäufigste Verletzung am Schultergürtel. Verletzungen des Typs I und II sind in der Regel konservativ zu behandeln, während Verletzungen des Typs IV, V und VI als instabil gelten und in der Regel operiert werden sollten.
Für die Allgemeinbevölkerung, die Sportgemeinschaft als Ganzes und insbesondere für Überkopfsportler ist der Behandlungsalgorithmus für Verletzungen des Typs III jedoch nach wie vor im Fluss und läuft in Richtung konservativ. Der Mangel an Daten über Überkopfsportler macht definitive Empfehlungen unmöglich; wir empfehlen jedoch einen individuellen Ansatz, der ein gemeinsames Entscheidungsmodell mit dem Spieler und dem ihn umgebenden medizinischen Team beinhaltet.
Bei Verletzungen des Typs III wird eine Operation jedoch nur dann in Betracht gezogen, wenn eine hochwertige konservative Behandlung, einschließlich einer umfassenden Rehabilitation, versagt.