Oktober 2020 – Ausgabe 36
Spondylodesen im Bereich der Halswirbelsäule
Keywords: Spondylodese, ACDF, Bandscheibenersatz, Cages
Die entlastende Stabilisierung (Spondylodese) der HWS über den vorderen Zugang (ACDF – anterior cervical discectomy and fusion) hat sich seit vielen Jahren als „Gold-Standard“ in der Behandlung von Patienten mit Bandscheibenvorfall bzw. einer degenerativen Bandscheibenerkrankung der Halswirbelsäule etabliert. Grund hierfür ist eine sehr hohe Patientenzufriedenheit durch eine schnelle und anhaltende Verbesserung der Schmerzen mit guten Langzeiterfolgen bei einer sehr geringen Komplikationsrate.
Um die Beweglichkeit (ROM – range of motion) des Bewegungssegmentes zu erhalten, wird heute bei entsprechender Indikation eine bewegungserhaltende Operation in Form einer Bandscheibenprothese vorgenommen.
Bis in die 1950erJahre wurde die Halswirbelsäulenchirurgie weitgehend über einen hinteren Zugang angegangen. Mitte der 1950erJahre initiierten Pioniere wie Smith und Robinson, Cloward sowie Bailey und Badgley den Gedanken der Operation über einen vorderen Zugang zur Halswirbelsäule. Bereits zu dieser Zeit verwendeten Smith und Robinson so wie Cloward ein Transplantat zur Fusion. Derzeit ist die anteriore cervikale Mikrodiskektomie (ACD) und Fusion (ACDF) mit einem Cage ein weit verbreitetes Verfahren zur Behandlung von Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule, Nervenreizsyndromen bedingt durch Einengungen des Rückenmarkkanals und der Nervenwurzelkanäle oder Myelopathien (Schädigung des Rückenmarks). Das Verfahren der ACDF hat sich seit der erstmaligen Beschreibung von Cloward im Jahre 1958 als „GoldStandard“ etabliert.
Den Gedanken folgend, das Bewegungssegment mit einer guten Beweglichkeit im Bereich der Halswirbelsäule wieder herzustellen sowie eine Anschlussdegenerationen (ASD – adjacent segment degeneration) bzw. eine Pseudarthrose zu verhindern, kam es trotz aller Vorteile der ACDF zur Entwicklung von mehreren neu- en Technologien. Die Bandscheibenprothetik (CDA – cervical disc arthroplasty) hat sich bei korrekter Indikationsstellung als gute Option zur weiteren Minderung dieser Komplikationen und als Lösung zur Erhaltung des Bewegungssegments ohne zusätzliche Belastung benachbarter Segmente etabliert.
Operationsindikation
Weiche Bandscheibenvorfälle verursachen Symptome, indem sie von vorne zentral oder seitlich auf das Rückenmark drücken. Ein in die Schulter, den Arm oder die Hand (Radikulopathie) ausstrahlender Schmerz resultiert, wenn ein Bandscheibenvorfall die ausgehende Nervenwurzel oder den Nervenaustrittskanal einengt. Die Indikation zur operativen Therapie besteht, wenn der Schmerz durch konservative Therapiemaßnahmen nicht besserbar ist (Fallbeispiel 6).
Eine dringliche Operationsindikation liegt im Falle von neurologischen Ausfällen, d. h. Lähmungserscheinungen, vor (Fallbeispiel 2) sowie bei akuten, sehr starken Schmerzen, die unter hochdosierten Analgetikagaben einschließlich einer entzündungshemmenden Kortisonbehandlung nicht verbesserbar sind (Fallbeispiel 4).
Operationsplanung
Der verschleißbedingte Verlust der Bandscheibenhöhe führt zu einer Veränderung der Ausrichtung der Wirbelsäule in der seitlichen Betrachtung. Gleichzeitig kommt es hierdurch zu Einengungen im Bereich der Nervenaustrittskanäle. Wölbt sich Bandscheibenmaterial in die bereits eingeengten Nervenaustrittskanäle vor, verursacht das die typischen Beschwerden und Schmerzen i. S. einer Radikulopathie (6, 7) (Fallbeispiel 3, 5).
Besteht die Indikation zur operativen Therapie aufgrund eines zervikalen Bandscheibenvorfalls bzw. einer degenerative disc disease (DDD), lindert die Dekompression des Rückenmarks durch ACD (anterior cervical discectomie) und der entsprechenden Nervenwurzel die Symptome. Ziel aller chirurgischen Eingriffe ist es, die Nervenwurzeln und das Rückenmark zu dekomprimieren und hierdurch die Schmerzen zu beseitigen. Nach kompletter Entfernung der Bandscheibe erfolgt die knöcherne Erweiterung des Spinalkanales einschließlich der Nervenaustrittskanäle und die Entfernung dort liegender versprengter Bandscheibenanteile.
Das seitliche Wirbelsäulenprofil mit Wiederherstellung der Bandscheibenhöhe wird nach entsprechender passiver Aufdehnung durch den eingebrachten Bandscheibenersatz Cage wiederhergestellt (Fallbeispiele 2, 3, 4). Indirekt kommt es hierdurch in der Segmenthöhe zu einer Erweiterung der Nervenaustrittskanäle wie auch einer Erweiterung der Gelenkspaltweite der kleinen Wirbelgelenke im hinteren Anteil der Wirbelsäule. Die angestrebte Fusion wird durch Befüllung des Cages mit Eigen-, Fremdknochen bzw. keramischem Knochenersatzstoff erreicht. Durch die Entwicklung neuer Technologien besitzen die intervertebralen Cages heute eine Oberfläche, die eine feste Verankerung mit den benachbarten Grund-, und Deckplatten gewährleistet. Hierdurch wird die Notwendigkeit einer zusätzlichen vorderen Abstützplatte minimiert.
Eine zusätzliche vordere Abstützplatte ist indiziert bei einer über mehrere Segmente reichenden Versteifung (ACDF) bzw. bei reduzierter Knochenqualität (Osteoporose), um ein Einbrechen des Cages in die angrenzenden Grund- und Deckplatten zu verhindern. Dies würde zwangsläufig wieder zu einer symptomatischen Einengung der Nervenaustrittskanäle führen (Fallbeispiel 3, 5).
Ziel aller chirurgischen Eingriffe ist es, die Nervenwurzeln und das Rückenmark zu dekomprimieren und hierdurch die Schmerzen zu beseitigen.
Hinsichtlich der verbesserten Fusion kann ein ventrales PlattenSchraubensystem zwischen 3–5 % das biologische Einwachsverhalten des Cages verbessern (14).
Die ACDF gilt seit Jahren als „GoldStandard“ in der Behandlung symptomatischer degenerativer Bandscheibenerkrankungen der HWS (711). Es wurde jedoch gezeigt, dass der Fusionsprozess das Bewegungsausmaß der Halswirbelsäule (ROM) bei Patienten beeinflusst (12, 13). Es gilt als erwiesen, dass Patienten, bei denen eine primäre ACDF durchgeführt wurde, postoperativ einen statistisch signifikant reduzierten range of motion (ROM) im Vergleich zu präoperativen Messungen aufwiesen (13). Im Vergleich zu ACDF hat die Literatur gezeigt, dass Patienten, bei denen eine Bandscheibenprothese als bewegungserhaltende Therapie eingesetzt wurde, den ROM entweder beibehalten oder verbessert haben (13) (Fallbeispiele 1,6).
Voraussetzung für den Erhalt der Segmentbeweglichkeit durch ein bewegungs- erhaltendes Implantat ist, dass keine übermäßigen degenerativen Veränderungen (Spondylosen) vorliegen. Hat der Körper diesen Prozess verstärkt eingeleitet, kann auch nach Implantation einer Bandscheibenprothese keine Segmentbeweglichkeit erhalten werden. In einem solchen Fall ist die ACDF indiziert und trotz der Versteifung mit einem deutlich besseren funktionellen Ergebnis verbunden (Fallbei spiele 3,5).
Nachbehandlung
Die Mobilisation der Patienten erfolgt so bald als möglich nach dem operativen Eingriff, ohne dass eine äußere Ruhigstellung i. S. von Orthesen erforderlich ist. Dies geschieht in der Regel bereits am Operationstag. Für die ersten vier Wochen nach dem operativen Eingriff ist die freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule bis zur Schmerzgrenze erlaubt. Das Heben und Tragen schwerer Lasten ist in den ersten sechs postoperativen Wochen auf 5 kg begrenzt. Für einen Zeitraum von drei Monaten nach dem operativen Eingriff sollten wiederholte, intensive Drehbewegungen des Halses, wie sie beispielsweise im Sport u. a. beim Tennis auftreten, vermieden werden.
Fallbeispiele
An den sechs folgenden Fällen werden Indikation, operatives Vorgehen und Ergebnisse beispielhaft dargestellt.
Fallbeispiel 1
35jähriger Patient mit rezidivierenden Kopf, Nackenschmerzen, zunehmendem Schwindelgefühl mit Nachweis einer hochgradigen Spinalkanalstenose C5/C6, bedingt durch einen zentralen Bandscheibenvorfall, neurologisch unauffälliger Befund (Abb. 1a–d).
Fallbeispiel 2
41jährige Patientin, ausgeprägtes Schmerzbild mit Radikulopathie links, Teillähmung der Armbeugung als Kennmuskulatur links um die halbe Kraftfunktion gegenüber der Gegenseite.
Bei bestehender motorischer Schwäche des linken Armes erfolgte die akute mikrochirurgische Bandscheibenentfernung mit Entfernung des im Nervenwurzelkanal gelegenen Bandscheibenvorfalls mit anschließender ACDF. Bereits am OPTag nach dem operativen Eingriff bestand wieder eine volle Kraft für den linken Arm, die Schmerzen waren unmittelbar komplett rückläufig. Die Zeitdauer der stationären Behandlung betrug 3 Tage (Abb. 2a–d).
Fallbeispiel 3
53jährige Patientin, C6Syndrom, ausgeprägtes Schmerzsyndrom mit Radikulopathie rechts. Die initiale Einleitung einer hochdosierten Kortisontherapie begleitet von einer analgetischantiphlogistischen Medikation sowie eine Wärmetherapie konnten die ausgeprägten Schmerzen nicht verbessern. Es erfolgte die mikrochirurgische Dekompression mit Erweiterung des Nervenwurzelkanals in den Segmenten C5/C6 und C6/C7 mit bisegmentaler ACDF. Zusätzliche Stabilisierung mittels einer winkelstabilen vorderen Abstützplatte. Die ausstrahlenden Nervenschmerzen waren unmittelbar nach dem operativen Eingriff nicht mehr vorhanden (Abb. 3a–e).
Fallbeispiel 4
58jährige Patientin, sensomotorisches C6Syndrom rechts mit Schwäche in der Armbeugung 4/5 Kraftgrad, konservativ nicht behandelbarer Gefühlsstörung des Daumens und therapierefraktärer Radikulopathie rechts. Die Patientin war nicht MRT fähig, da schmerzbedingt eine Diagnostikzeit in einer Stellung über ca. 30 Minuten nicht möglich war. Bei Versagen der konservativen Therapie (Krankengymnastik, analgetischantiphlogistische Medikation, Erweiterung auf eine Opiattherapie und eine hoch dosierte Kortison Therapie) erfolgte die mikrochirurgische Bandscheibenentfernung C5/C6. Es fand sich ein im Nervenwurzelkanal liegender Bandscheibenvorfall C5/C6 rechts bei bestehender degenerativer Nervenwurzelkanaleinengung, der entfernt wurde, mit Erweiterung des Nerven wurzelkanals. Unmittelbar postoperativ war die motorische Schwäche aufgehoben, es bestand keine radikuläre Schmerzsymptomatik mehr. Die Sensibilitätsstörung im Daumen hat sich im Verlauf von wenigen Wochen wieder vollständig er holt (Abb. 4a–e).
Fallbeispiel 5
58jährige Patientin, seit Monaten therapierefraktäre Nackenschmerzen mit Radikulopathie links, kein neurologisches Defizit (Abb. 5a–f).
Fallbeispiel 6
51jähriger Patient, seit ca. 10 Jahren rezidivierende Beschwerden im Übergang vom Nacken zum Schultergürtel mit immer wiederkehrender Schmerzausstrahlung über das Versorgungsgebiet des 6. Halsnerven links. Keine neurologischen Defizite. Intensive Krankengymnastik bei deutlichem Schub über 8 Wochen ohne Verbesserung. Ausgeprägte Schmerzen auch im Verlauf des M. trapezius und des M. levator scapulae im Schultergürtel links.
Nach mikrochirurgischer Entlastung C5/ C6 und Entfernung des Bandscheibenvorfalls aus dem Nervenwurzelkanal links erfolgt bei geringer Degeneration und sehr guter Knochenqualität ohne Zeichen der Osteoporose die Implantation einer Bandscheibenprothese C5/C6 zum Erhalt des Bewegungssegmentes. Unmittelbar postoperativ sind die ausstrahlenden Schmerzen komplett rückläufig. Die Entlassung erfolgt nach zweitägigem stationären Aufenthalt (Abb. 6a–d).