Oktober 2023 – Ausgabe 42

Spätschäden im alpinen Skisport

Dr. med. Sven Lichtenberg
Zum Arztprofil

Schnetzke

Prof. Dr. med. Marc Schnetzke
Zum Arztprofil

Prof. Dr. med. Markus Loew
Zum Arztprofil

Schlüsselwörter: alpine Skisportverletzung, Schulterluxation, VKB-Verletzung, Meniskusverletzung, Frakturen der unteren und oberen Extremität, Wirbelsäulenverletzung, Schädel-Hirn-Trauma, chronische traumatische Enzephalopathie

Mit der Professionalisierung sind der Leistungsdruck und das Verletzungsrisiko im alpinen Skisport stark angestiegen. Aus akuten Verletzungen, insbesondere an der unteren und oberen Extremität, können Spätschäden entstehen, die z. T. endoprothetisch versorgt werden. Beschwerden an der Wirbelsäule treten bei vielen Athletinnen und Athleten auch ohne vorausgegangenes Makrotrauma auf.

Der Skisport ist eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen in Deutschland und hat Millionen von Anhängern. Seit den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck, bei denen die kürzlich verstorbene Rosi Mittermaier Gold für Deutschland gewann, wurde auch der Leistungssport des alpinen Rennlaufs mehr und mehr kommerzialisiert und heute werden jedes Wochenende die Rennen des alpinen Ski-Weltcupzirkus von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten übertragen.

Verletzungsrisiko

Durch diese Kommerzialisierung kam es jedoch auch zu einer zunehmenden Professionalisierung des alpinen Skisports. Der Leistungsdruck ist insbesondere für die Athletinnen und Athleten sukzessive gestiegen, was zu einer vermehrten Inkaufnahme von Risiken führte. Die professionellen alpinen Skisportlerinnen und -sportler wie auch Freizeit-Skifahrerinnen und -skifahrer, die ihren Vorbildern nacheifern möchten, tragen ein hohes Risiko, sich bei der Ausübung ihres Sports zu verletzen.

Die typischen Verletzungsmechanismen sind:

  • Stürze
  • Kollisionen
  • hängen bleiben

Das Verletzungsrisiko der alpinen Skifahrerinnen und Skifahrer wird in Deutschland von der Stiftung Sicherheit im Skisport jährlich ermittelt und veröffentlicht. Nach den neuesten Daten der Skisaison 2021 / 2022 stieg das Risiko einer alpinen Skisportverletzung in der vergangenen Saison leicht an; etwa 38.000 Sportlerinnen und Sportler mussten sich demnach einer ärztlichen Behandlung nach einem Skiunfall unterziehen. Im Vergleich zur ersten Statistik aus dem Jahr 1979/80 sank das Unfallrisiko um 62 Prozentpunkte. Eine stationäre Behandlung wegen eines Skiunfalls mussten 1,6 / 1000 Skifahrerinnen bzw. Skifahrern erleben. 55 Prozent der verunglückten Personen mussten operiert werden, 64 Prozent der Patientinnen und Patienten waren im Durchschnitt 38 Tage arbeitsunfähig.

Am häufigsten betroffen ist das Kniegelenk mit 28 Prozent aller Skiunfälle, auffällig ist hierbei der deutlich höhere Anteil an Frauen (42 Prozent Frauen vs. 18 Prozent

Männer). Bei Schulter- und Kopfverletzungen mit jeweils 14 Prozent resp. 10 Prozent aller Unfälle ist das Geschlechterverhältnis umgekehrt: Schulterverletzungen kommen bei Frauen mit 8 Prozent vs. 18 Prozent weniger häufig vor als bei Männern, das Gleiche gilt für Kopfverletzungen: 6 Prozent vs. 13 Prozent. Alle übrigen Regionen sind bei beiden Geschlechtern in relativ ähnlichem Ausmaß betroffen.

Verletzungsarten bei verschiedenen Disziplinen:

Der alpine Rennsport unterscheidet vier Disziplinen:

  1. Slalom:
    1. Torabstände zwischen 6 und 13 Metern
    2. Höhenunterschied zwischen Start und Ziel von bis zu 220 Metern
    3. Richtungsänderungen von bis zu 35 Prozent des Höhenunterschieds
  2. Riesenslalom:
    1. Torabstände nicht unter 10 Metern
    2. Höhenunterschied von bis zu 450 Metern
    3. Richtungsänderungen von max. 15 Prozent des Höhenunterschieds
  3. Super-G:
    1. Torabstände: nicht beschrieben
    2. Höhenunterschied von bis zu 650 Metern
    3. Richtungsänderungen von bis zu 7 Prozent des Höhenunterschieds
  4. Abfahrt:
    1. Torabstände: nicht festgelegt
    2. Höhenunterschied von bis zu 1100 Metern
    3. Richtungsänderungen: nicht festgelegt

Beim Slalom und beim Riesenslalom kommt es am häufigsten zu Verletzungen des Kniegelenks. Dies ist vor allem der neuen Bauweise der alpinen Rennski mit einer starken Taillierung des Skis geschuldet. Durch eine breite Schaufel, ein breites Ende und eine sehr schmale Skimitte erhält der Ski eine enorme Drehfähigkeit, um enge Kurvenradien möglichst schnell und ohne Geschwindigkeitsverlust zu durchfahren. Dies wird mit dem Wort „Carven“ beschrieben (engl.: to carve = schneiden).

Bei kleinsten Fehlern des Skifahrers bzw. der Skifahrerin kann es zu einem nicht geplanten „Greifen“ der Kante kommen, der Ski bewegt sich in Fahrtrichtung, während der Körper des Skifahrers bzw. der Skifahrerin in eine entgegengesetzte Richtung drängt. Es kommt zu einer massiven Verdrehung des Kniegelenks (Außendrehung des Unterschenkels mit Valgusstress) mit möglichen Verletzungen der Menisken und des kollateralen und zentralen Bandapparates (Kreuzbänder) sowie zu Knorpelschäden.

Ein weiterer Mechanismus zur Verursachung einer Kreuzbandruptur ist der „Slip-Catch-Mechanismus“. Nach Druckverlust auf dem führenden Außenski mit Körperinnenlage sowie Streckung des Außenbeins versucht der Rennfahrer bzw. die Rennfahrerin, wieder Halt und Druck auf dem Außenski zurückzugewinnen. Greift nun der Ski aufgrund seiner Taillierung, dann tut er dies extrem schnell und hart, was zu einer Kompression des fast gestreckten Knies in Flexion mit einer be- gleitenden Innenrotation des Unterschenkels und einer Valgusfehlstellung führt.

Bei Abfahrt und Super-G kommen diese Mechanismen ebenfalls vor, zusätzlich kann bei falschem Aufkommen nach Sprüngen mit einem Nach-hinten-Absetzen des Körpers durch den Schub des Unterschenkels nach vorn eine Kreuzbandruptur entstehen. Häufiger sind hier jedoch Schäden durch Stürze und Kollisionen. Knochenbrüche der oberen und unteren Extremitäten sind die Folge. Schwere Schädel-Hirn-Traumata (SHT) gehören leider auch immer wieder zu den auftretenden Verletzungen. Schwerste Kopfverletzungen können auch tödlich enden.

Verletzungen der Wirbelsäule sind leider auch gerade bei den „Speed-Disziplinen“ zu beklagen. Hier kommt allerdings auch die repetitive Belastung der Wirbelsäule durch Hocke und Kompression bei Sprüngen oder Schlägen hinzu.

Luxationen des Schultergelenks sind möglich, wenn z. B. der Arm in einem Tor bei hoher Geschwindigkeit hängen bleibt. Ebenso kommen Sprengungen des AC- Gelenks bei direktem Sturz auf die Schulter vor.

Die akuten Verletzungen werden meist, ähnlich wie es die o. g. Statistik zeigt, operativ behandelt. Eine Rückkehr in den Rennsport ist mit einer aufwendigen Rehabilitation meist möglich und erfolgreich. Aber erneute Verletzungen der gleichen oder der Gegenseite sowie an anderen Stellen können die alpinen Rennsportlerinnen und Rennsportler in deren Karriere ausbremsen.

Spätschäden der Verletzungen


Die beschriebenen akuten Verletzungen können in vielfacher Weise zu Spätschäden führen.

Kopf

Durch wiederkehrende Schädel-Hirn-Traumata kann es zu kognitiven Störungen im fortgeschrittenen Alter bis hin zu Demenzerkrankungen mit Depressionen kommen. Man spricht von einer chronischen traumatischen Enzephalopathie (CTE). Im Skisport ist diese bis dato nach bestem Wissen noch nicht dokumentiert, wohingegen sie bei Boxern, American Football- oder Rugbyspielern bereits seit Jahren erfasst wird. (Siehe hierzu auch Beitrag „Neurologische Spätfolgen bei Leistungssportlerinnen und -sportlern“, S. 32)

Rumpf

Spätschäden nach Rumpfverletzungen sind selten und werden nicht beschrieben.

Obere Extremität

Rezidivierende Luxationen werden in der Regel operativ versorgt und die Athletinnen und Athleten können ihren Sport wieder gut ausüben. Die mögliche posttraumatische Arthrose oder die durch eine zu enge Stabilisierungsoperation ausgelöste „Capsulorrhaphy Arthropathy“ können in der Spätphase zu weiteren Beschwerden mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen. Behandeln kann man diese Schäden dann in der Regel erfolgreich mit einer Schulterprothese. Im Bereich des Ellenbogens können ebenfalls rezidivierende Bandverletzungen zu Bewegungseinschränkungen bis hin zur Arthrose führen. Ein endoprothetischer Ersatz ist auch hier gut möglich.

Der langfristige Zustand nach Frakturen und die Funktionalität der oberen Extremität (Schulter- und Ellenbogengelenk) richten sich nach der Güte der akuten Versorgung. So können die Extremitäten selbst nach Gelenkfrakturen mit anatomischer Rekonstruktion auch im Alter gut funktionieren, hingegen können Fehlstellungen zu optischen und funktionellen Einschränkungen führen. Bei posttraumatischer Arthrose hilft meist eine Endoprothese.

Inzidenzen oder Fallbeschreibungen liegen nicht vor.

Wirbelsäule

Insbesondere die nicht makrotraumatisch verletzte Wirbelsäule macht vielen ehemaligen alpinen Rennläuferinnen und -läufern schwer zu schaffen. So haben diese meist schon in ihrer aktiven Karriere immer wieder Ausfallzeiten vom Rennsport durch Wirbelsäulenbeschwerden. Dies wird sich dann nach Beenden der Karriere durch eine Reduktion der Belastungen zunächst bessern, durch die zunehmende Degeneration jedoch meist ein lebenslanges Problem bleiben. Wenn man die Berichterstattung über den alpinen Skisport in den Medien verfolgt, war es ja in den letzten Jahren unausweichlich, von den Rückenproblemen Felix Neureuthers, Deutschlands bestem Slalomfahrer, zu hören.

Untere Extremität

Hier steht natürlich das Kniegelenk im Zentrum der Betrachtung, da es das am häufigsten verletzte Gelenk im Skisport ist. Trotz optimaler Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands kann es zu Spätschäden mit Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Arthrose sowie zu Achsfehlstellungen kommen. Unausweichlich ist dann die Endoprothesenimplantation, die sich häufig schwieriger als bei der „normalen“ Arthrose gestaltet, weshalb ein Roboter-unterstütztes System zu bevorzugen ist.

Für Knochenbrüche der unteren Extremität gilt prinzipiell das Gleiche wie für die obere Extremität mit dem Unterschied, dass die Betroffenen die Beine zur Fortbewegung mehr einsetzen müssen als die Arme und somit die Probleme der unteren Extremität hinsichtlich der Mobilität mehr Gewicht und Bedeutung besitzen.

Sprunggelenk und Fuß

Diese Region des Körpers wird beim Skifahren selten verletzt, da sich Füße und Sprunggelenke gut geschützt in einem stabilen Skischuh befinden, der viele Verletzungen fernhält. Erst bei massiven Traumata, die auch zu einer Schädigung des Skischuhs führen, muss mit dann allerdings verheerenden Schäden des Fußes gerechnet werden. Langzeitfolgen können dann Gehbehinderungen sein, die mit Orthesen, orthopädischen Hilfsmitteln oder einer Arthrodese des OSG behandelt werden müssen.

Diese Aufzählung der Spätfolgen gilt natürlich nicht nur für ehemalige Leistungssportlerinnen und -sportler, sondern in gleicher Weise auch für Freizeitsportlerinnen und -sportler, die eine der oben beschriebenen Verletzungen erlitten haben.

Durch meine Tätigkeit als Ausbilder im Skilehrwesen des Westdeutschen Skiverbandes war es mir immer schon Aufgabe und Anliegen, durch Vermitteln der optimalen Technik, Beratung zur optimalen Aurüstung und Anhalten zum umsichtigen, defensiven Skifahren die Risiken für Verletzungen in diesem so schönen Sport zu reduzieren.

Dr. med. Sven Lichtenberg
Prof. Dr. med. Marc Schnetzke
Prof. Dr. med. Markus Loew

DEUTSCHES GELENKZENTRUM HEIDELBERG
ATOS Klinik Heidelberg
sven.lichtenberg@atos.de