Oktober 2021 – Ausgabe 38

Sehnentransfers in der Vorfußchirurgie

Dr. med. Dr. h.c. Michael Gabel
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Keywords: Vorfußchirurgie, Sehnentransfers: Extensor hallucis longus, Extensor hallucis brevis, Flexor digitorum longus, Extensor digitorum brevis, Extensor digiti minimi

Die aktuelle Vorfußchirurgie will Funktionen erhalten und verloren gegangene Funktionen wieder ersetzen – anders als noch vor Jahren, als auch Resektionsarthroplastiken oder bei störenden Kleinzehenfehlstellungen Amputationen an der Tagesordnung waren. In das Repertoire jedes Spezialisten gehören dazu verschiedene Operationstechniken, insbesondere auch der Sehnenchirurgie, neben Erfahrungen bei der Indikationsstellung und in der Rehabilitation.

Zu bedenken ist, dass der Fokus bei der Anamnese, der klinischen Untersuchung und der Therapie nicht allein auf den Vorfuß gerichtet werden darf, sondern dass immer Beinachse sowie Rückfußstellung und -funktion mit einbezogen werden müssen. Ein Beispiel: Das Recruitment der Zehenstrecker – damit ist gemeint, dass beim Anheben des Fußes die Zehenstrecker übermäßig eingesetzt werden – führt mit der Zeit zu Hammerzehen. Solch ein Recruitment resultiert teils aus der Ruptur der Sehne des Musculus tibialis anterior. Also muss man die Sehne nähen und ggf. augmentieren und adressiert somit die Ursache, statt die Hammerzehen isoliert zu operieren.

Einführung

Die verschiedenen speziellen Techniken werden teils knöchern, teils als weichteilige Operationen häufig auch in Kombination angewandt. So ist ein Hallux valgus nicht immer gleich zu behandeln, in erster Linie sind Ansprüche und Individualität des Patienten zu berücksichtigen, dann aber auch die spezielle Pathoanatomie und die Anamnese (Ist der Fuß voroperiert? Was stört die Funktion im Alltag?). Über die operativen Alternativen und die daraus resultierende Nachbehandlung sind die Patienten aufzuklären.

Wichtig bei der Entscheidungsfindung ist die Tatsache, dass man eine knöcherne Korrektur, wenn sie über- oder unterkorrigiert wurde, eher noch einmal revidieren kann als etwa einen Sehnentransfer. Eine Sehne, die zu lang ist und damit zu wenig Vorspannung hat, kann man auch kaum durch eine neue Operation verkürzen, das heißt, man muss intraoperativ eher etwas mehr an Spannung aufbauen. Eine Sehne, die versetzt wird, bringt gewöhnlich einen Kraftgrad (von fünf möglichen) weniger als an ihrem ursprünglichen Ansatzort. Um die Spannung intraoperativ einzuschätzen, gibt es kaum eine korrekte „Maß“angabe, es kommt also viel auf Erfahrungswerte an.

In Kombination angewandt beginnt man in der Regel mit dem knöchernen Teil, dann erst folgt angepasst die Sehnentransferoperation. Der relaxierte und liegende Patient macht die intraoperative Einschätzung, wie viel man durch den Sehnentransfer erreicht, zusätzlich schwer. Der Hebedefekt sollte mit bedacht werden. Günstig ist bei Sehnentransferoperationen, die übermäßige Funktion einer Sehne zu schwächen und in eine funktionell günstige Ansatzposition zu bringen. Auf das Beispiel der Girdlestone-Taylor- Operation sei verwiesen. Bei der Indikation zu Sehnentransferoperationen sind eine ausreichende Durchblutung und neurologische Grunderkrankungen zu berücksichtigen.

Tenotomien können minimalinvasiv vorgenommen werden, ein Sehnentransfer nur offen. Wir kennen verschiedene Techniken der Sehnenchirurgie, ein Teil ist eher Primäroperationen vorbehalten, ein Teil kann auch für Revisionsoperationen eingesetzt werden.

Sehnentransfer am Vorfuß im Einzelnen: Transfer der Extensor hallucis longus-Sehne nach Jones [1]

Indikation: bei Hammerzehe D1 mit Schuhkonflikt und schmerzhaften Schwielen

Op-Technik (Abb. 1): Tenotomie der langen Strecksehne distal, dosierte Kapsulotomie am Grundgelenk. Je nach Ausprägung der Fehlstellung versetzt der Autor auch nur die Hälfte der Strecksehne. Die Sehne wird durch ein Bohrloch im MFK I-Kopf gezogen und in Neutralstellung des Fußes in angemessener Vorspannung mit dem zuführenden Teil der Sehne vernäht und ermöglicht aktive Elevation des Metatarsale I. Fast obligat dazu die Interphalangealgelenk-Arthrodese, was die plantarisierende Kraft der langen Beugesehne günstig auf das Grundglied umlenkt.

Das Vorgehen an D1 ist vergleichbar der Rückverlagerung der Extensor digitorum longus-Sehnen bei Ballen- Hohlfuß-Deformität nach Hibbs [2]

Transfer der Extensor hallucis brevis-Sehne bei Hallux varus [3]

Indikation: flexible Hallux varus-Deformität und drohende Progredienz

Op-Technik (Abb. 2): V-förmiges Release der medialen Strukturen an MTP I. Darstellen der Extensor hallucis-brevis- Sehne und proximale Tenotomie, diese wird dann unter dem Ligamentum transversum profundum von distal nach proximal durchgezogen und am Kopf MT I transossär verankert, ggf. kann die laterale Gelenkkapsel gerafft werden. In balancierter Verlängerung werden die medialen Strukturen vernäht. Alternativ kann auch die Hälfte der Extensor hallucis-longus-Sehne von proximal nach distal unter dem Lig. transversum profundum hindurch zum Grundglied gezogen werden.

Transfer der Flexor digitorum longus-Sehne an den Kleinzehen 2-4 nach Girdlestonetaylor [4]

Indikation: flexible Hammerzehen oder flexible dorsale Subluxation im Zehengrundgelenk MTP, Stellungskorrektur einer transversalen Zehenfehlstellung durch asymmetrisches Anspannen der Sehnenschenkel

Op-Technik (Abb. 3): Die lange Beugesehne wird plantar auf Höhe des Grundgliedschaftes dargestellt, über eine Stichinzission distal an der Zehenbeere abgesetzt und tunneliert nach proximal ausgeleitet. Längs gespalten wird je ein Schenkel medial und lateral streng am Periost des Grundglied-Schaftes dorsal ausgeleitet. Die beiden Sehnenschenkel werden Seit-zu-Seit vernäht. Dazu wird der Fuß in 90° gehalten und die Zehe im Grundgelenk um 20° gebeugt.

Fesselung der Flexor digitorum longus-Sehne der Kleinzehen 2-4 [5]

Indikation: Überstreckung der Kleinzehen im Grundgelenk; zwar werden durch eine PIP-Versteifung schon palntarisierende Kräfte der Beugesehne rekrutiert. Verstärken kann man den Effekt aber noch durch den Transfer der langen Beugesehne distal an das Grundglied.

Op-Technik (Abb. 4): Nach Resektion der Kondylen und der Basis des Mittelgliedes bei der PIP-Arthrodese kann transartikulär die lange Beugesehneplantar dargestellt, mit dem Faden angeschlungen und an das distale Grundglied fixiert werden. Dann erfolgt die PIP-Arthrodese in bewährter Weise. Anmerkung: Modifikation der Görres-Operation bei neurogenen Klauenzehen [6]. Gegenüber der Girdlestone-Taylor-Operation deutlich begrenztes Potenzial.

Mictenotomie Flexor digitorum longus-Sehne der Kleinzehen 2-4

Indikation: Mallet-Zehe mit Schwielen. Op-Technik (Abb. 5): In Lokalanästhesie nach Oberst transkutane Stichelung der langen Beugesehne und der plantaren Kapsel in der Beugefalte des Endgelenkes. Pflasterzügelung zur Korrektur für vier bis sechs Wochen.

Transfer der Extensor digitorum-brevis-Sehne [7]

Indikation: Flexible mediale Achsen- abweichung der Kleinzehen 2 – 4

Op-Technik (Abb. 6): S-förmiger dorsaler Zugang über dem Kleinzehengrundgelenk. Mediales Spalten der Strecksehnenaponeurose und Durchführung eines dorsomedialen Kapselrelease. Distale Tenotomie der Extensor digitorum-brevis-Sehne und Transfer des freien Sehnenendes unter dem Ligamentum intermetatarsale hindurch zur lateralen Grundphalanx. Unter adäquater Vorspannung hier periostale oder transossäre Fixation in korrigierter Kleinzehenstellung.

Bei valgischer Abweichung kann auch ein gekreuzter intrinsischer Transfer der Extensor digitorum-brevis-Sehne des medial benachbarten Zehs in gleicher Weise erfolgen.

Tranfer der Extensor digiti minimi-Sehne nach Lapidus [8]

Indikation: Digitus quintus varus et superductus

Op-Technik (Abb. 7): Dazu wird die Strecksehne proximal abgelöst, nach distal tunneliert, auf Höhe des Grundgelenkes ausgeleitet und von medial mit einer gebogenen Klemme um das Grundglied D5 nach plantar und lateral verlegt, anschließend lateral proximal in maximal möglicher Vorspannung mit der Sehne des M. abductor digiti minimi vernäht.

Transfer der Extensor digitorum longus-Sehne aus die plantare Platte nach Stainsby [9]

Indikation: Überstreckung im Grund- gelenk der Kleinzehen, Instabilität im Grundgelenk nach Gocht-Resektionsarthroplastik der Basis des Grund- gliedes, Revisionseingriffe

Op-Technik (Abb. 8): Das Grundgelenk wird streckseitig eröffnet, reponiert und die Basis des Grundgliedes so sparsam wie möglich reseziert. Die Strecksehne wird proximal abgesetzt und unter der nötigen Vorspannung transartikulär an die plantare Platte angenäht. Ggf. kann der Zeh über das Grundgelenk hinweg temporär mit einem K-Draht transfixiert werden.

Fazit

In der Hand des versierten Operateurs sind solche Sehnentransferoperationen häufig der Schlüssel zum Erfolg in der Vorfußchirurgie. Man darf den Effekt aber nicht überschätzen und ergänzt häufig eine knöcherne Korrektur. Eine dezidierte Indikationsstellung und Aufklärung des Patienten sind zu bedenken, die Nachbehandlungsschemata sind meist nicht zu differenziert – wie man es etwa aus der Handchirurgie bei Sehnenoperationen kennt – und richten sich in der Regel nach den gleichzeitig durchgeführten knöchernen Operationen. Das Operationsergebnis ist für sechs Wochen durch zügelnde Verbände zu sichern.