Oktober 2021 – Ausgabe 38

Sehnenmuskeltransfers bei irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen

Martetschläger

Prof. Dr. med. Frank Martetschläger
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Abdullah Al-abbasi

Tauber

Prof. Dr. med. Mark Tauber
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Keywords: Irreparable posterosuperiore/anterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur, Latissimus dorsi-Transfer, Lower Trapezius-Transfer, Pectoralis major-Transfer

Irreparable Rotatorenmanschettenrupturen (RMR) führen zu einer dauerhaften Schulterfunktionsstörung mit teilweise starker Beeinträchtigung des Patienten im alltäglichen Leben. Trotz der Fortschritte in Sachen chirurgischer Technik und Instrumente kann jedoch in manchen Fällen eine Rekonstruktion der Rotatorenmanschette nicht möglich sein. Eine Behandlungsoption bieten dann verschiedene Sehnenmuskeltransfers, die die Schmerzsituation und Alltagsfunktion der betroffenen Schulter signifikant verbessern können.

In der Folge werden die am häufigsten verwendeten Sehnenmuskeltransfers beschrieben, die bei irreparablen RMR zur Anwendung kommen:

  1. Latissimus dorsi-Transfer (LDT) bei irreparabler posterosuperiorer RMR
  2. Transfer des unteren Trapezius (LTT) bei irreparabler posterosuperiorer RMR
  3. Pectoralis major-Transfer (PMT) bei isoliertem irreparablem Riss der Subscapularissehne

Neben der exakten Kenntnis der anspruchsvollen OP-Techniken ist die Auswahl des richtigen Patienten für den jeweiligen Sehnenmuskeltransfer von enormer Bedeutung.

Irreparable posterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur

Laut Literatur wurde bei massiver posterosuperiorer Rotatorenmanschettenrekonstruktion eine Revisionsversagerrate von 21 bis 91 % beobachtet. Re-Rupturen treten typischerweise innerhalb der ersten sechs Monate nach der primären Rekonstruktion auf. Klassische Symptome einer Re-Ruptur treten in der Regel im Zeitraum von zwei Jahren auf. Dazu gehören eine eingeschränkte Überkopffunktion, erhöhte Schmerzen, eine Einschrän- kung der passiven Beweglichkeit sowie ein Kraftverlust der betroffenen Schulter.

Bei Revisionen zur Behandlung einer Re-Ruptur der Rotatorenmanschette ist mit einer erhöhten Komplikationsrate zu rechnen. Wenn eine posterosuperiore RMR als irreparabel einzuschätzen ist, besteht die Möglichkeit, mittels Muskelsehnentransfer eine Verbesserung der Schulterfunktion und der Patientenzufriedenheit zu erreichen.

Irreparable posterosuperiore RMR sind definiert als komplette Rupturen der Supra- und Infraspinatussehne, die nicht vollständig anatomisch verschlossen werden können. Vorab sind die Beurteilung der Muskelatrophie der Rotatorenmanschette, welche in der Schnittbildgebung (CT, MRT) eingeteilt werden kann, sowie der akromio-humerale Abstand (AHA) und die statische Migration des Humeruskopfes essenziell für die Therapieplanung. Eine hochgradige Atrophie und fettige Infiltration der Rotatorenmanschette sowie ein AHA von < 7 mm sind Anzeichen für eine weit fortgeschrittene RMR, die ein Revisionsversagen wahrscheinlich machen. Eine nachweislich gute Option zur Behandlung einer irreparablen Verletzung der Rotatorenmanschette ist der Einbau einer inversen Schulterprothese. Aufgrund eingeschränkter Prothesenhaltbarkeit wird dieses Verfahren allerdings vor allem bei älteren Patienten angewandt. Alternativ besteht bei jüngeren, aktiveren Patienten (< 60-65 Jahren) mit guten motorischen Fähigkeiten die Möglichkeit eines arthroskopischen Débridements mit Teilrekonstruktion der Rotatorenmanschette sowie einer Augmentation mittels Graft (z. B. superiore Kapselrekonstruktion) oder Sehnentransfer. Die wichtigsten Sehnentransferoperationen werden in der Folge näher erläutert. Dazu gehören der Latissimus dorsi- Transfer (LDT) (mit oder ohne Teres major, LDTMT) und seit kurzer Zeit der untere Trapezius-Transfer (LTT).

Latissimus dorsi-Transfer (LDT)

Der 1988 erstmals beschriebene Latissimus dorsi-Transfer gehört zu den am besten untersuchten Sehnenmuskeltransfers. Ziele des LDT sind die dauerhafte Zentrierung des Humeruskopfes, ferner die Außenrotation (ER) wiederherzustellen sowie die Abduktion und Elevation zu verbessern. Voraussetzung für eine erfolgreiche Operation ist die Abwesenheit einer Glenohumeralarthrose (GH) oder einer signifikanten statischen Migration des Humeruskopfes.

Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie mittels Sehnenmuskeltransfer ist zudem die korrekte Auswahl der Patienten bezüglich des Alters, des körperlichen Befundes sowie der radiologischen Bildgebung. Der Latissimus dorsi-Transfer wird zu 70 % bei Männern im Durchschnittsalter von 59 Jahren durchgeführt. Es konnten jedoch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der postoperativen Resultate nachgewiesen werden.

Eine intakte Subscapularissehne ohne funktionelle Einschränkung ist bei einem LDT zur Erhaltung der Elevation und der glenohumeralen Stabilität entscheidend. Eine geschmeidige Schulterbewegung ist essenziell – insbesondere eine passive Flexion und Abduktion ≥ 80°. Subscapularis-Risse mit einer Atrophie Grad III nach Goutallier sowie eine Ruptur, die mehr als 50 % der kranialen Sehne betreffen, sollten präoperativ ausgeschlossen werden. Eine pseudoparalytische Schulter korreliert nachweislich mit einem schlechten Outcome. Eine Läsion des N. axillaris sowie eine Deltamuskelinsuffizienz sind absolute Kontraindikationen.

Die Bildgebung ist für die weitere Entscheidungsfindung obligat. Hierzu gehören die Röntgenaufnahmen in drei Ebenen und eine kernspintomografische Untersuchung der betroffenen Schulter zum Ausschluss einer GH-Arthrose und einer höhergradigen Rotatorenmanschettenarthropathie (≥ Grad III n. Hamada mit Azetabularisierung des Akromions).

Eine irreparable Ruptur der Supraspinatus- und Infraspinatussehne kennzeichnet sich typischerweise durch eine Retraktion der Sehne/-n auf Höhe des Glenoids (Patte Stadium 3) mit einer hochgradigen fettigen Infiltration bzw. deutlicher Atrophie der Muskulatur.

Eine Atrophie des Teres minor sollte präoperativ mittels MRT ebenfalls ausgeschlossen werden. Es wurde festgestellt, dass eine Atrophie und fettige Infiltration Grad III n. Goutallier oder höher mit schlechteren postoperativen Ergebnissen und einer verminderten aktiven Außenrotation verbunden ist.

Gerber veröffentlichte eine Studie mit Zehnjahres-Follow-up, die die Haltbarkeit der Rekonstruktion sowie die zu erwartende Schulterfunktion (Constant Score) ermittelte. Bei 74 % der Probanden zeigten sich gute bis exzellente Ergebnisse.

Lower Trapezius-Transfer (LTT)

Der LTT ist ein erst kürzlich beschriebenes Verfahren zur Versorgung von irreparablen posterosuperioren RMR und stellt eine weitere Behandlungsoption dar. Die Trapeziussehne der Pars ascendens kann ohne Gefährdung des N. accessorius oder der Muskelfasern des M. trazepius pars transversa sicher entnommen werden.

In einer Kadaverstudie konnte festgestellt werden, dass der Lower Trapezius-Transfer dem Latissimus dorsi-Transfer bei der Wiederherstellung der glenohumeralen Mechanik überlegen ist. Im Vergleich zum LDT konnte beim LTT eine verbesserte Außenrotation in 0°-Abduktionsstellung nachgewiesen werden.

Irreparable anterosuperiore Rotatorenmanschettenrupturn

Anterosuperiore RMR treten weitaus seltener auf als posterosuperiore RMR.

In einer MRT-Studie mit 2.000 Rotatorenmanschettenrupturen konnten lediglich bei 2 % Subscapularis-Risse nachgewiesen werden. Dabei zeigten sich 13 % isolierte Rupturen der Subscapularissehne und 37 % anterosuperiore Rotatorenmanschettenrupturen, also in Kombination mit einer Ruptur der Supraspinatussehne.

Der M. subscapularis ist für die korrekte Funktion der Schulter essenziell, da er der primäre Innenrotator und vordere dynamische Stabilisator ist. Patienten mit einem Riss der Subscapularissehne zeigen typischerweise Schmerzen im vorderen Schulterbereich, eine Schwäche der Innenrotation sowie eine Funktionsstörung. Die Funktion des M. subscapularis kann mittels Bellypress-Test, Bearhug- und Lift-off-Test beurteilt werden.

Während die Rekonstruktion von frischen Rupturen der Subscapularissehne typischerweise erfolgversprechend ist, sind die Ergebnisse bei einer chronischen Verletzung mit fettiger Infiltration und Atrophie (Grad III n. Goutallier oder höher) nicht mehr vielversprechend.

Zur Behandlung der irreparablen anterosuperioren Rotatorenmanschettenruptur wurde in den letzten Jahrzehnten v. a. der Transfer der Pectoralis major-Sehne eingesetzt und auch im Langzeit-Follow-up untersucht.

Pectoralis major-Transfer (PMT)

Der Zweck eines PMT ist es, die innenrotierende Zentrierungskraft, die an der gesunden Schulter durch den M. subscapularis ausgeübt wird, wiederherzustellen. Der PMT kann ventral und dorsal der Conjoint Tendon durchgeführt werden. In Studien zeigte sich im Fünfjahres- Follow-up eine hohe Zufriedenheitsrate.

Beim dorsalen Transfer werden die superioren zwei Drittel der Sehne unter die Conjoint Tendon hindurchgeführt. An- schließend wird der inferiore Anteil des M. pectoralis (Pars sternalis) unter die Pars clavicularis, aber anterior der Conjoint Tendon transferiert, um eine Verletzung des N. musculocutaneus zu vermeiden. Biomechanisch ist die subkorakoidale (dorsale) Platzierung des Transfers überlegen. In Studien konnte bei Durchführung des subkorakoidalen Transfers eine Zufriedenheit von über 75 % nach 18 Monaten mit verbesserten ASES- und VAS-Scores nachgewiesen werden.

Bei der Indikationsstellung für den PMT ist Folgendes zu beachten: Alter < 65 Jahre (idealerweise < 40), intakte oder reparable posterosuperiore RMR und eine minimale GH-Arthrose sind obligat. Aufgrund eines sogenannten Tenodese- Effekts ist bei erfolgreichem subkorakoidalem Transfer von einem Außenrotations-Verlust von bis zu 25° zu rechnen.

OP-Techniken

Latissimus dorsi-Transfer

Bei der Zweischnitttechnik wird eine superiore Inzision über dem Akromion durchgeführt.

Der Humeruskopf wird ohne posterosuperioren Sehnenansatz freigelegt und eine Beurteilung der verbliebenen Rotatorenmanschette durchgeführt. Bei erhaltenen Sehnenfasern werden diese möglichst in den Transfer integriert.

Nach der Präparation des Oberarmkopfes wird eine zweite Inzision in der Achselhöhle durchgeführt. Dieser Schnitt beginnt über dem Latissimus dorsi und verläuft kranial zur Achselhöhle und dann schräg zur Achselhöhle hin.

Eine sorgfältige Präparation der Sehne und Mobilisation des umliegenden Gewebes ist notwendig, um den Ansatz des Latissimus dorsi an der Crista tuberculi minoris aufzufinden.

Im Anschluss wird die Sehne scharf vom Humerus abgetrennt und mittels nicht- resorbierbarer Naht nach Krakow armiert. Die Sehne wird zwischen M. deltoideus und M. teres minor geführt und am Tuberculum majus möglichst ventral im Footprint fixiert.

Alternativ zur Zweischnitttechnik kann die Einschnitttechnik (Herzberg/Habermeyer, siehe AN 38 Seite 8) verwendet werden, um den Sehnenansatz am Humerus frei zu präparieren und anschließend den Latissimus dorsi mit oder ohne Teres major aus dem hinteren Humeruskompartiment zu transferieren, um die Sehne in maximaler Außenrotation des Arms am Tuberculum majus möglichst ventral am Footprint zu fixieren.

Lower Trapezius-Transfer

Bei dieser Technik wird ebenfalls ein Zugang mit zwei Inzisionen durchgeführt. Die erste Inzision gleicht dem LDT. Die zweite Inzision wird 1 cm medial der Scapula angelegt. Der Trapeziusansatz der Pars ascendens an der Scapula wird abgelöst und ein Achillesehnen-Allograft zur Augmentation verwendet. Das Allograft ist zur Verlängerung der Sehne notwendig. Anschließend wird ein subkutaner Tunnel vom medialen Zugangsweg zum lateralen Zugangsweg unter dem M. deltoideus hindurchgeführt. Ein Sehnen-Wrap kann verwendet werden, um das Gleiten des Sehnentransfers zu unterstützen. Der Muskelsehnentransfer wird am Footprint der Supraspinatussehne und Infraspinatussehne befestigt.

Pectoralis major-Transfer

Auch hier wurden, wie oben bereits erwähnt, mehrere Techniken beschrieben. Beim eigenen Vorgehen wird über einen deltopektoralen Zugang der humerale Ansatz des M. pectoralis major

vollständig dargestellt. Es erfolgt das Ablösen und Armieren der kranialen 2/3 der Sehne bzw. wird die Pars clavicularis von der Pars sternalis separiert und das Muskel-/Sehnenpaket weit mobilisiert. Im Anschluss erfolgt die Präparation und Mobilisation der ,,Conjoint Tendon“ und des M. pectoralis minor. Zusätzlich wird der N. musculocutaneus dargestellt, um beim Durchziehen der abgelösten Sehne des M. pectoralis major unter der „Conjoint Tendon“ hindurch eine Verletzung des Nervs zu verhindern. Nach dem Transfer der Pectoralis major-Sehne wird diese mittels Fadenanker am Tuberculum minus fixiert.

Zusammenfassung

Irreparable RMR mit hochgradiger Muskelatrophie Grad III n. Goutallier/Thomazeau können die Funktion der Schulter deutlich einschränken. Der Latissimus dorsi-Transfer wird bei posterosuperiorer RMR mit eingeschränkter Abduktion und Außenrotation angewandt und mit guten Ergebnissen in der Literatur mehrfach beschrieben. Der LTT-Transfer stellt eine vielversprechende neue Möglichkeit dar, hat aber den Nachteil, ein freies Graft zu benötigen und muss seine Ergebnisse erst im Langzeit-Follow-up bestätigen. Bei einer Defektsituation mit AR-Lag scheint der Latissimus dorsi- und Teres major-Transfer das Mittel der Wahl zu sein. Hier konnten eine verbesserte Außenrotation und eine geringere Komplikationsrate im Vergleich zum isolierten LDT gezeigt werden.

Isolierte Subscapularis-Defizite lassen sich mittels Pectoralis major-Transfer zufriedenstellend behandeln.