Oktober 2021 – Ausgabe 38
Rekonstruktion des Extensormechanismus (Quadrizepssehne/ Patellasehne) in Revisions- und Infektfällen
Prof. Dr. med. Hajo Thermann
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Keywords: Patellasehnenruptur, primäre Reinsertion, Semi-T-Transfer, Achillessehnen-Allograft, kompletter Extensormechnismus-Ersatz
Rupturen der Patella- oder der Quadrizepssehne werden beim älteren Menschen oft erst verspätet erkannt, sodass die Sehne erheblich degeneriert ist. Die primäre Reinsertion ist in diesen Fällen nicht erfolgversprechend; hier ist ein Sehnentransfer auch mit Allograft eine gute Lösung. Bei relativ frischen Rupturen bei liegender Knieendoprothese kann hingegen eine Primärversorgung bei noch guter Patellasehnensubstanz durch eine Augmentation mit ortsständiger Semitendinosussehne erfolgreich sein.
Die Ruptur der Patellasehne bei liegender Knieendoprothese ist im Vergleich zu einer primären Ruptur der Patellasehne oder der Quadrizepssehne, welche akut chirurgisch mit Reinsertion erfolgreich versorgt werden kann, komplett anders zu bewerten.
Die Ruptur bei liegender Knieprothese, vor allem mit zusätzlichem retropatellarem Ersatz, muss operativ aggressiver angegangen werden. Meistens ist ein Gewebetransfer im Sinne eines ortsständigen Sehnentransfers oder eines freien Sehnentransfers erforderlich, um eine sichere Heilung zu ermöglichen. Bei primärer Reinsertion – falls überhaupt möglich – kommt es immer wieder zu Insuffizienzen, mit Patella alta (nach oben verschobener Kniescheibe) und dem Unvermögen, das Bein in der Streckung zu halten.
Je nach Ausmaß der Sehnendegeneration bzw. -zerstörung stehen verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, sodass hier ein stringenter Algorithmus angewandt werden muss.
Semi-T-Transfer
Rupturen, die frühzeitig erkannt werden, haben in der Regel noch ausreichendes Sehnengewebe und zeigen eher eine geringere Sehnendegeneration, jedoch meistens mit Schrumpfungsvorgängen und Verkürzung der Sehne. Zudem besteht eine Patella alta, die mobilisiert werden muss, und damit ein vermehrter Zug auf der Reinsertion. In diesen Fällen ist daher eine Reinsertion wie bei einer akuten Ruptur nicht erfolgversprechend, sodass ein Gewebetransfer mit der Semitendinosussehne erfolgen muss. Die Technik entspricht der Semitendinosuspräparation für die Kreuzbandchirurgie. Die Sehne wird kaudal im Bereich der Insertion belassen und dann mittels Einfalzen im Bereich der Tuberositas tibiae schließlich mit einem Fadenanker fixiert. Der Verlauf ist parallel zur Sehne bis zum unteren Patellapol. Das Tranplantat wird mit einem Fadenanker knöchern und auch im Bereich des Periosts oder der seitlichen Patella in der korrigierten Position fest eingenäht.
Zur Sicherheit kann eine Mc Loughlin- Cerclage durch die Tuberositas, bis proximal durch die Quadrizepssehne patellanah, als ein Stressbypass eingebaut werden, um eine sichere Einheilung des Transplantats zu gewährleisten.
Die Nachbehandlung beinhaltet in der Regel acht Wochen in einer Streckschiene. Maximaler Bewegungsumfang ist anfangs 20° Beugung, danach kontinuierlicher Bewegungsaufbau auf 60° und 90° Beugung in 14-tägigen Schritten, wenn die Semitendinosussehne stabil einheilt (sonographische Kontrollen).
Aufgrund der längeren Stilllegung des oberen und der seitlichen Rezessus kommt es immer wieder zu massiven Verklebungen.
Die Implantatentfernung einer Mc Loughlin-Cerclage sollte für eine Arthrolyse am besten mit einem Vapor und einer milden Narkosemobilisation nach Arthrolyse genutzt werden. Danach kann – mit einem Schmerzkatheter – auf der Bewegungsschiene der volle Bewegungsumfang von 120° Beugung innerhalb von vier bis sechs Wochen erreicht werden.
Achillessehnenallograft
Bei älteren Patienten wird die Ruptur der Patellasehne oder Quadrizepssehne häufig nicht sofort erkannt und erst verspätet diagnostiziert. Wenn die Therapie erst zu einem erheblich späteren Zeitpunkt einsetzt, ist die Sehnenstruktur stark degenerativ verändert. Shau et al. berichten in einer Multicenter-Studie, dass der mittlere Zeitabstand zwischen der Ruptur des Extensormechanismus und der finalen chirurgischen Versorgung bei 76 % der Patienten 19,5 Monate betrug!
Bei schlechter Sehnensubstanz, ent- weder primär oder durch übersehene Patellasehnenrupturen, mit erheblichen Substanzverlusten und Verkürzung der originären Patellasehne, reicht ein Semi-T-Transfer nicht aus.
In diesem Falle sollte ein Achillessehnen-Allograft mit knöchernem Block transplantiert werden. Die Achillessehne mit dem Block wird mit dem Bildwandler markiert. Danach wird ein schräger, nach distal spitz zulaufender Keil für das Bett der Patellasehne ausgesägt. Die Patellasehne wird angeschrägt, sodass sie sich mit der Tuberositas tibiae verhakt (Dove-tail-Technik). Der so eingepasste Knochenanteil der Achillessehne braucht nur noch mit einer einzelnen 3,5 Schraube fest eingepasst werden. Es ist darauf zu achten, dass der Knochen mit der Sehne plan zur Tuberositas abschließt. Danach wird mit einer Mc Loughlin-Cerclage die Patella alta in die richtige anatomische Position gebracht und bis 60° gebeugt, um eine ausreichende Länge für den Extensormechanismus durch die Rekonstruktion der Patellasehne in der Bewegung festzulegen. Danach wird die Achillessehne Y-förmig am Ansatz geteilt, wobei Fadenanker den distalen Pol fest fixieren. Y-förmig wird dann die Patella im Periost der Patellasehne herumgeführt und im proximalen Anteil mit der Quadrizepssehne in Pulvertaft-Technik fest verankert.
Aus meiner Erfahrung sollte zur biologischen Augmentation am Anfang das Transplantat in Knochenmark „gebadet“ werden. Auch die knöcherne Insertion wird mit Knochenmark im Sinne einer Mini-spongiosaplastik biologisch augmentiert. Ferner bevorzuge ich nach Beendigung der Rekonstruktion ACP (Platelet Rich Plasma) als weitere biologische Unterstützung sowie Fibrinkleber, um einen hohen Anteil von Fibroblasten zu haben. In der Regel ist der Wundverschluss bei dieser Art der Rekonstruktion einfach.
Die infizierte Patellasehne
Bei der infizierten Patellasehne wird die Sehne komplett entfernt und ein umfangreiches Débridement durch- geführt. Gerade bei liegender Prothese ist auf eine vollständige, radikale Entfernung der infizierten Sehne zu achten. Ferner sollten immer eine Synovektomie und ein Polyethylenwechsel vorgenommen werden, um die posterioren Anteile im Prothesenbereich zu debridieren. Das Débridement mit Lavage sollte eventuell mehrfach durchgeführt werden, bis absolut sicher keine Keime mehr nachweisbar sind. Danach sollte für sechs Wochen eine antibiotische Behandlung erfolgen, um dann bei sicherer Infektfreiheit mit einem Achillessehnen-Allograft den Extensormechanismus und die Patellasehne neu zu rekonstruieren. Sollte sich bei der Rekonstruktion ein zweifelhafter makroskopischer Befund zeigen, ist auf eine Transplantation des Allograft zu verzichten und nochmals ein Débridement durchzuführen. Bei infizierter Prothese muss in dieser Situation ein Prothesenwechsel in Etappen über Spacer durchgeführt werden.
Kompletter Ersatz des Extensormechanismus (Allograft)
Bei Verlust des gesamten Extensormechanismus, häufig bei Rupturen mit nur noch rudimentärem Knochen der Patellasehne (Shelf-Typ), ist eine Rekonstruktion des Extensormechanismus mit verbliebener Patella nicht durchführbar. Auch bei massiver Verkürzung (Patella baja) mit substanziellen Knochendefekten der Patella lässt sich diese Situation mit einer Sehnen-Allograft-Rekonstruktion nicht lösen.
In diesen Situationen muss ein kompletter Extensormechanismus implantiert werden. Ein entsprechendes Transplantat sollte vorher ausgemessen und entsprechend vorbereitet werden. Die Fixierung im distalen Anteil erfolgt mit Sehnenankern. Wichtig ist, mithilfe einer seitlichen Röntgenkontrolle die anatomische Position der Patellasehne für die Streckung und in der Beugung bis 90° einzustellen. Die Verankerung im Bereich der Quadrizepssehne ist teilweise in Pulvertaft-Technik, teilweise in Turn-Down-Flap-Technik, als Ummantelung des Allografts durchzuführen. Da in der Regel bei einem kompletten Extensormechanismus ein primärer spannungsfreier Weichteilverschluss nicht mehr gelingt, muss noch ein medialer Gastrocnemiuslappen zur Weichteildeckung angelegt werden, um eine sichere Weichteildeckung und Heilung zu gewährleisten. In Infektsituationen, auch der Weichteile, sollte man großzügig einen medialen Gastrocnemiuslappen oder einen medialen und lateralen Gastrocnemiuslappen verwenden, um stabile Weichteilverhältnisse zu generieren.
Shau et al. beschreiben in ihrer Multicenter-Studie, dass bei einem Vergleich zwischen einem Marlex-Mesh, einem synthetischen Band und einem Allograft nur eine geringe Überlegenheit des Achillessehnenallografts gegenüber dem Mesh besteht. In seiner Literaturstudie gibt er die Versagensquote mit 25 % an. Burnett et al. berichten über Dreijahres- Nachuntersuchungen nach Transplantation eines kompletten Extensormechanismus mit Patella- und Quadrizepssehne. In einer retrospektiven Untersuchung konnten sie feststellen, dass für eine erfolgreiche Implantation das Extensormechanismus- Allograft massiv fest eingenäht werden muss, um eine optimal wiederhergestellte Streckung zu erhalten. Hierbei waren ihre Ergebnisse nach vier Jahren 6° Streckdefizit bei 105° Beugung.
Das maximal straffe Einbauen eines kompletten Extensormechanismus ist aus meiner Erfahrung essenziell, da es aufgrund der Remodeling-Vorgänge sonst zu einer Laxizität käme, die das Wiedererreichen der optimalen Streckung verhindern könnte.
Wise et al. berichten von einem durchschnittlichen Streckdefizit von 6,6° und einer durchschnittlichen Kniebeugung von 105°, welche sicherlich bei der fatalen Situation eines Versagens des Extensormechanismus ein sehr gutes Ergebnis ist. Auch aus meiner Erfahrung sind die Patienten mit einem kleinen Streckdefizit (5-10 %) und einer ausreichenden Beugung von 105-110° wieder vollständig in ihre alltäglichen Aktivitäten integriert.
Die Ergebnisse in der Literatur zeigen beim Achillessehnen-Allograft in der Regel um 70 % gute Ergebnisse, wobei in der internationalen Literatur ein Streckdefizit von 10° als gutes Ergebnis angesehen wird. Aus meiner Sicht ist die Wiedererlangung der vollständigen Streckung nur durch ein sehr konservatives Nachbe-handlungsprogramm mit drei Monaten in der Streckschiene, Einspritzen von Wachstumsfaktoren, Beübung der Quadrizepsmuskulatur durch Anheben des Beins mit Orthese schon in der Streckschiene möglich (Abb. 3d-g). Bei einem Allograft oder bei unsicheren Verhältnissen sollte immer eine Mc Laughlin-Cerclage angelegt werden, die einen kompletten Stressbypass darstellt und somit die korrekte Stellung der Patella gewährleistet.
Fazit
Rupturen der Patellasehne, aber auch der Quadrizepssehne, werden gerade bei älteren Menschen häufig nicht wahrgenommen und kommen erst verspätet zur Diagnostik und damit zur Therapie.
In diesen Fällen hat eine erhebliche Degeneration der Sehnen stattgefunden, sodass hier großzügig, entsprechend der noch verbliebenen Sehnenanteile, ein Sehnentransfer auch mit Allograft durchgeführt werden muss. Bei relativ frischen Sehnenrupturen, bei liegenden Prothesen (nach Sturz etc.) kann die Primärversorgung bei noch guter Patellasehnensubstanz durch eine Augmentation mit ortsständiger Semitendinosussehne absolut erfolgreich sein. Eine Mc Laughlin Cerclage sollte zur Sicherung der Sehnenheilung bei Patellasehnenersatz / -rekonstruktion immer angelegt werden. Der komplette Ersatz des Extensormechanismus ist eine Ausnahmeindikation.