Mai 2020 – Ausgabe 35
Rehabilitation und Sportfähigkeit nach Knorpelzelltransplantation am Kniegelenk
Prof. Dr. med. Rainer Siebold
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Keywords: Autologe Chondrozytentransplantation, Ersatzknorpel, Rehabilitation, Sportfähigkeit
Die Transplantation körpereigener Knorpelzellen (ACT) ist ein bewährtes Verfahren zur Regeneration von Knorpelschäden am Kniegelenk. Wir führen mittlerweile ca. 300-400 knorpelaufbauende Eingriffe mit verschiedenen Techniken pro Jahr am Kniegelenk durch. Die Erwartungen der Patienten sind hoch. Wie gestaltet sich die Rehabilitation im ersten Jahr? Wie ist es um die Sportfähigkeit gestellt? Im folgenden Artikel werden beide Aspekte beleuchtet.
Autologe Chondrozytentransplantation (ACT)
Aus dem Knie entnommene Knorpelzellen werden im Labor vermehrt und 6-8 Wochen später in den Knorpelschaden im Kniegelenk implantiert. Dabei können mehrere Knorpeldefekte gleichzeitig behandeltwerden. Für Knorpelschäden hinter der Kniescheibe haben wir ein eigenes minimal-invasives Verfahren entwickelt (Siebold u. Paessler et al.). In 85 – 90 % der Fälle kann der Knorpeldefekt dadurch komplett verschlossen werden. Dabei entsteht guter Ersatzknorpel, der dem ursprünglichen Knorpel in Funktion und Qualität ähnelt. Wir führen diese Technik seit nun 15 Jahren durch; pro Jahr werden ca. 100 Patienten auf diese Weise minimalinvasiv operiert. In verschiedenen Publikationen haben wir darüber berichtet (siehe Literatur). Unsere Indikation zur ACT sind tiefe Knorpeldefekte mit gesundem Umgebungsknorpel („Schlaglöcher“) bei Patienten bis zu einem Alter von 60 Jahren und (ansonsten) gesundem Gelenkmilieu. Weitere Voraussetzungen sind ein funktionstüchtiger Meniskus, ein stabiles Kniegelenk und eine weitgehend gerade Beinachse. Patienten mit Arthrose im Kniegelenk können mit dieser Technik nicht versorgt werden.
Frührehabilitation nach ACT
Knorpelgewebe regeneriert sehr langsam. Deshalb sind Zeit und Geduld unabdingbare Voraussetzungen für den Heilungsverlauf. Je nach Lokalisation und Größe des behandelten Knorpeldefekts stellen wir unseren Patienten einen individuellen Nachbehandlungsplan zusammen. Die Belastungsphasen richten sich dabei nach den Entwicklungsphasen des Knorpelregenerats (nach Hirschmüller et al. AJSM 2011).
Proliferationsphase
In den ersten sechs Wochen kommt es zum Anwachsen der neuen Knorpelzellen im Knorpeldefekt. Dabei gehen die Knorpelzellen schon nach 4-12 Stunden eine feste Verbindung mit dem freiliegenden Knochen ein. Der Blutkuchen mit Knorpelzellen ist in den ersten Wochen sehr weich, sodass starke Scherkräfte auf das junge Regenerat unbedingt vermieden werden müssen. Andererseits ist es notwendig, das Gelenk durchzubewegen, um die heranwachsenden Knorpelzellen zu ernähren. Deshalb setzen wir bereits 1-2 Tage postoperativ in der Klinik eine passive motorgetriebene Schiene (CPM-Schiene) ein. Auch wird am ersten postoperativen Tag in der Klinik mit physiothera-peutischer Behandlung begonnen. Der stationäre Aufenthalt dauert 2-3 Tage.
Behandlungsmaßnahmen 1. – 6. Woche
Wichtig: Vermeidung von Scherkräften auf das Transplantat!
- Stufenweise Steigerung des Bewegungsumfangs mit Kniegelenkorthese
- Passives Bewegungstraining durch CPM-Schiene, 2 x ca. 30 min/Tag für 6 Wochen
- Abschwellende Maßnahmen (Kühlung, Lymphdrainage)
- Kontrollierte Physiotherapie mit Bewegungsübungen
- Teilbelastung mit 10 kg für 6 Wochen an Unterarmgehstützen mit Thromboseschutz
- Physiotherapeutische isometrische Quadrizepsansteuerung
- Elektrostimulation der Quadrizepsmuskulatur
- Wiederherstellung der Gelenkhomöostase, z.B. durch Eigenbluttherapie und Hyaluronsäureinjektionen
Umwandlungsphase
Zwischen der 7. und der 12. postoperativen Woche entwickeln sich die Knorpelzellen und Kollagen Typ II wird gebildet. Proteoglykane formen die Knorpelmatrix, was für den Aufbau des Knorpels wichtig ist. Das Regenerat hat nun eine schwammartige Konsistenz; es wird zunehmend fester. Bei normalem Heilungsverlauf sollte nach 3 Monaten eine weitgehende Füllung des Knorpeldefekts vorliegen.
Behandlungsmaßnahmen 7. – 12. Woche
Wichtig: Weiterhin Vermeidung von Scherkräften auf das Transplantat!
- Wiederherstellung des vollen passiven und aktiven Bewegungsumfangs durch Physiotherapie
- Schrittweise Belastungszunahme in der 7.- 8. postoperativen Woche bis zur Vollbelastung ab der 9. Postopera- tiven Woche
- Einfaches Propriozeptionstraining in der geschlossenen Kette beidbeinig
- Ausdauertraining durch Standradfahren (ab 8. Woche), Kraulschwimmen und Aquajogging (ab. 10. Woche)
Remodeling-Phase
Die Phase vom 4. bis 6. Monat ist charakterisiert durch eine zunehmende Festigung des Knorpelregenerats mit der Bildung von Proteinvernetzungen. Das Transplantat bildet jetzt eine feste Verbindung zum Knochen und umliegenden Knorpelrand. In dieser Phase steht nun Muskeltraining im Vordergrund, außerdem Ausdauertraining, Funktions- und Koordinationstraining. Sprung- sowie Stop-and-go-Sportarten sind noch nicht erlaubt, da sie das junge Knorpelregenerat schädigen könnten.
Behandlungsmaßnahmen 4. – 6. Monat
- Fortsetzung des Ausdauertrainings mit Radfahren, Schwimmen, Aquajogging, Ruder-Ergometer, Stepper, Crosstrainer, Nordic Walking
- Leichtes Gerätetraining mit hoher Wiederholungszahl unter physiotherapeutischer Anleitung
Reifungsphase
Sie erstreckt sich vom 7. Monat bis zum 3. Jahr (!). Große Matrixproteine stabilisieren zunehmend das Knorpelregenerat und bilden einen Rahmen für die Knorpelzellen. Die Verbindung zum subchondralen Knochen und dem umliegenden Knorpel festigt sich. Auch nach dem 2. und 3. postoperativen Jahr tritt noch eine weitere Verbesserung der Knorpelqualität ein.
Behandlungsmaßnahmen ab dem 7. Monat
- Muskelaufbautraining an Geräten (dosiert, Betonung auf der Wiederholungszahl, keine Belastungsspitzen)
- Radfahren, Schwimmen, Aquajogging, Ruderergometer, Stepper, Crosstrainer, Nordic Walking, Skilanglauf
- Jogging ab dem 9.-12. Monat in der Ebene je nach ursprünglicher Defektgröße und -lokalisation sowie in Abhängigkeit vom Heilungsverlauf (Kontrolle durch MRT)
- Alpinskifahren frühestens nach 1 Jahr
- Sportartspezifisches Training mit Richtungswechsel und Drehungen, zunächst rein spielerisch mit Koordinationsübungen, langsam steigern
- Intensives sportartspezifisches Training frühestens nach 1 Jahr starten!
- Harter Stop-and-go-Sportarten ist frühestens nach 1,5 Jahren sinnvoll und nur nach Rücksprache mit dem Operateur
Eine uneingeschränkte Sportfähigkeit setzt Beschwerdefreiheit, einen unauffälligen klinischen und kernspintomographischen Kniebefund, eine isokinetische Muskelkraft von > 80 % im Vergleich zur gesunden Gegenseite und gute sportartspezifische Fähigkeiten voraus!
Komplikationen während der Rehabilitationsphase
Das Abscheren des frischen Knorpelregenerats ist die größte Gefahr für das Versagen der Knorpelzelltransplantation im ersten postoperativen Jahr. Mögliche Ursachen für das Abscheren sind v. a. eine ungünstige Lokalisation des Knorpelschadens und ein großer Defekt sowie eine zu frühe Belastung. Deshalb muss insbesondere bis zum 6. postoperativen Monat ein behutsamer und bedachter Belastungsaufbau stattfinden. Dies gilt auch für die Rückkehr zur Alltagsbelastung und für die berufliche Tätigkeit. Berufe mit körperlicher Belastung können nach ACT für mindestens 5-6 Monate nicht ausgeübt werden. Negative Einflussfaktoren auf das Ergebnis sind außerdem hohes Körpergewicht, Nikotinabusus, niedrige Knorpelzellzahl und -qualität, Voroperationen wie z. B. Mikrofrakturierung, Begleitverletzungen und lange Dauer der Symptomatik als Hinweis auf eine degenerative Komponente.
Sportfähigkeit nach Knorpelzellentransplantation
Natürlich hängt die Sportfähigkeit nach der Knorpelzelltransplantation vom Ausmaß des Knorpelschadens, der Knorpelheilung sowie der Gesamtschädigung des Gelenks und der Dauer der Beschwerden ab. Dabei spielen v. a. der Meniskus und die Kreuzbänder eine entscheidende Rolle. Hohes Körpergewicht und kniebelastende Stop-and-go-Sportarten (Fußball, Handball, Basketball, Squash, Tennis, Badminton etc.) haben selbstverständlich ebenfalls einen negativen Einfluss. Bei kleineren Knorpeldefekten bestehen in der Regel bessere Aussichten für eine uneingeschränkte Rückkehr zum Sport.
Bei großen Knorpelschäden und Früharthrose sind Sportarten ohne Stop-and-go-Belastung zu favorisieren, z. B. Radfahren, Schwimmen, Nordic Walking, Fitnesstraining, Skilanglauf etc. Welche Sportart sich für welchen Patienten eignet, muss postoperativ ganz individuell anhand der patientenspezifischen Kriterien gemeinsam mit dem Arzt entschieden werden. In einer amerikanischen Literaturanalyse zur Sportfähigkeit nach unterschiedlichen Knorpelregenerationsverfahren aus dem Jahr 2016 in „Arthroscopy“ konnten die Autoren zeigen, dass junge Sportler mit kleineren Knorpelschäden, kurzer präoperativer Symptomphase, ohne vorausgegangene Eingriffe und mit konsequenter Rehabilitation die besten Chancen für eine Rückkehr zum Sport hatten. Eine australische Studie mit 70 Patienten ergab, dass die Sportfähigkeit 2 Jahre nach ACT bereits gut war, aber bis zum 5. postoperativen Jahr noch deutlich weiter anstieg.In einer Literaturanalyse von 1.300 Patienten mit verschiedenen Knorpelregenerationsverfahren wiesen ACT-Patienten mit 96 % die höchste Rate an langfristiger Sportfähigkeit auf im Vergleich zu Patienten mit Mikrofrakturierung oder Mosaikplastik. Allerdings dauerte es nach ACT auch mit durchschnittlich 18 Monaten deutlich länger, bis die Patienten ihre volle Sportfähigkeit wieder erreichten.
Schließlich ist wichtig, dass die Patienten ihre eigenen zukünftigen sportlichen Ambitionen einschätzen und eine realistische Erwartungshaltung an die Operation und ihre postoperative Sportfähigkeit haben. In vielen Fällen geht es letztendlich darum, überhaupt wieder eine gewisse Belastbarkeit für Freizeitsport zu erreichen. Unsere Erfahrungen mit Knorpelzelltransplantation bei Leistungssportlern sind bisher durchweg gut. Viele Leistungssportler können für einige Jahre in ihren Sport zurückkehren. Aber auch bei ihnen muss mit einer Rehabilitationsphase von 12–18 Monaten in Abhängigkeit von der Sportart und -härte gerechnet werden.