Oktober 2025 – Ausgabe 46
Prävention und konservative Therapie der Gonarthrose
Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Die Arthrose des Kniegelenks (Gonarthrose) ist eine der häufigsten Erkrankungen des Bewegungsapparates. Angesichts der zunehmenden Anzahl älterer Menschen wird die Anzahl der Betroffenen weiter steigen. Im Hinblick darauf werden die Aspekte der Prävention und Früherkennung immer wichtiger, um das Auftreten der Erkrankung zu reduzieren, die Progression zu verlangsamen und langfristig die Gesundheitskosten zu verringern [1]. Das Lebenszeitrisiko, bis zum 85. Lebensjahr eine symptomatische Gonarthrose zu entwickeln, wird mit 44,7 % angegeben. Dabei sind Übergewichtige (60,5 %) und Patienten mit zurückliegender Knieverletzung (56,8 %) signifikant häufiger betroffen [2].
Prävention
Bei der Gonarthrose, wie auch bei vielen anderen muskuloskelettalen Erkrankungen, ist die Motivation der Betroffenen, sich an der Behandlung zu beteiligen und Behandlungsverantwortung zu übernehmen, mitentscheidend für den Beschwerde- und Krankheitsverlauf [1]. Die Prävention wird grundsätzlich in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterteilt.
Ziel der Primärprävention ist, das Auftreten der Gonarthrose zu verhindern. Hierzu gehören die Vermeidung von Überlastung und Verletzungen, die Beachtung und Behandlung relevanter Beinachsenfehlstellungen (z. B. ausgeprägtes X- oder O-Bein) sowie das Vermeiden von Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Gicht etc.) mit deren Früherkennung und bestmöglichen Einstellung. Auch die Ernährung spielt hier eine Rolle.
Bei beginnender Arthrose soll mit Maßnahmen der Sekundärprävention das Fortschreiten der Erkrankung aufgehalten werden. Neben den Maßnahmen der Primärprävention sind die Gewichtskontrolle mit Anstreben des Normalgewichts sowie ein Training mit regelmäßiger Bewegung und Muskelkräftigung sinnvoll. Das Ausmaß der Gewichtsreduktion bestimmt die Verbesserung von Schmerz und Mobilität im Sinne einer Dosis-Wirkungs-Beziehung [2]. Jedes verlorene Gewichtsprozent kann zu zwei Prozent Besserung von Schmerz, Funktion und Steifheit führen [3]. Regelmäßige angeleitete Bewegungsübungen sind effektiv und ohne schädliche Nebeneffekte. Sie zielen neben schmerzarmer Mobilität des Kniegelenks auf Dehnung, Muskelkräftigung und Koordination des Bewegungsablaufs [4]. Auch operative Maßnahmen zur Behandlung von lokalisierten Knorpeldefekten oder Achskorrekturen durch Osteotomien bei schon vorhandenen Schäden können einerseits zur Verbesserung von Symptomen sowie andererseits als Sekundärprävention angezeigt sein.
Wenn schon eine manifeste Arthrose vorliegt, dienen die Maßnahmen der Tertiärprävention der Verhinderung von weiteren Folgeschäden oder der Verschlimmerung von bestehenden Krankheiten durch den schmerzbedingten Bewegungsmangel (z. B. Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen etc.). Hier gilt es dann auch, einen Circulus vitiosus zu durchbrechen, welcher die Probleme gegenseitig verstärkt. Alle Verfahren zur Symptomverbesserung bis zum Gelenkersatz sind dann prinzipiell angezeigt.
Es ist wichtig für die Patienten, die Erkrankung „Gonarthrose“ zu verstehen. Hilfreich sind hierfür beispielsweise Selbsthilfegruppen, wie die Deutsche Rheuma-Liga e. V., welche Informationen, Beratung und Austauschmöglichkeiten bieten. Die Krankenkassen finanzieren Trainingsprogramme, welche positive Effekte auf Erhalt und Verbesserung der Gelenkfunktion haben [1]. Sinnvoll erscheinen zudem kombinierte (multimodale) Therapieansätze (z. B. Physiotherapie, Ergotherapie, medikamentöse Schmerzbehandlung, Schulungen, Entspannungstechniken), die insbesondere auch psychologische Hilfestellungen zum Umgang mit chronifiziertem Schmerz beinhalten können [1]. Neu sind sogenannte „Medical Apps“, welche als verordnungsfähige, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) vermehrt verfügbar sind. In einer aktuellen Übersichtsarbeit werden Vorteile bezüglich Schmerzverringerung, Lebensqualität und Funktionalität beschrieben [5]. Im Internet gibt es zudem eine Fülle von Informationen in sehr unterschiedlicher Qualität. Eine gute Informationsquelle bietet die Plattform des IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen).
Neben der Gewichtskontrolle durch maßvolles Essen spielt natürlich auch eine Rolle, welche Lebensmittel verzehrt werden. Entzündungsprozesse im Körper und in den Gelenken werden durch die aufgenommene Nahrung beeinflusst. Allgemein sind Industriezucker, Weißmehlprodukte, übermäßiger Fleischkonsum (v. a. rotes Fleisch), Alkohol und Verwendung von Fast Food und Fertigprodukten als negative Faktoren zu werten. Günstig sind allgemein eine ballaststoffreiche Ernährung, pflanzlich antioxidativ wirkende Lebensmittel (z. B. Brokkoli, Grünkohl, Blaubeeren) und gesunde Fette (z. B. Hering, Lachs) etc. Weitere Informationen können beispielsweise hier eingesehen werden: https://pears-fetch-fef.craft.me/u5zcT6WAmYfe6D.
„Präventive Maßnahmen nehmen bei Gonarthrose eine herausragende Stellung ein, wobei die wichtigsten Ansatzpunkte Körpergewicht und körperliche Aktivität sind.“
Konservative Therapie
Die konservative Therapie der Gonarthrose zielt darauf ab, die Beschwerden zu lindern, die Gelenkfunktion zu erhalten, die Lebensqualität zu verbessern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Ein operativer Eingriff soll dadurch vermieden oder zumindest verzögert werden.
Die oben beschriebenen Maßnahmen der Prävention kommen natürlich auch hier mit gleicher Zielsetzung zum Einsatz. Die Anwendung sollte immer multimodal sein und ein individuelles Konzept für den behandelten Patienten beinhalten. Die Schwerpunkte sind individuell unterschiedlich zu setzen und werden bei einem an Bewegungsarmut leidenden übergewichtigen Patienten andere sein als bei einem sportlichen, schlanken Patienten – trotz der in der Bildgebung vielleicht identischen Schäden. Für die Therapie ist eine ärztliche Konsultation zur Konzepterstellung und Ausstellung entsprechender Verordnungen wünschenswert.
Typische ärztliche Maßnahmen wären:
Schmerztherapie: Für das Schmerzmanagement steht eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung, welche leitliniengerecht eingesetzt werden sollten [1]. Klassischerweise kommen nicht steroidale Antirheumatika (NSAIDs), beispielsweise Ibuprofen oder Diclofenac, zum Einsatz. Die Anwendung in Bezug auf Art der Wirkstoffe variiert je nach Patientenprofil (Beachtung anderer Erkrankungen: gastrointestinal, hepatorenal und kardiovaskulär!). Nahrungsergänzungsmittel (sog. SADOA, Slow Acting Drugs in OsteoArthritis) können ergänzend oder alternativ eingesetzt werden.
Orthopädische Hilfsmittel, wie Einlagen, Orthesen, Gehhilfen, können die Stabilität verbessern und die Belastung des Gelenks reduzieren.
Injektionstherapien werden kontrovers diskutiert. Etabliert ist die Verwendung von Kortikosteroiden, Hyaluronsäure und Platelet-Rich Plasma (PRP – Eigenbluttherapie).
Intraartikuläre Injektionen in der konservativen Therapie der Gonarthrose
Kortikosteroide: Die aktuelle Leitlinie empfiehlt die Anwendung von intraartikulären Kortikosteroiden für eine kurzzeitige Therapie schmerzhafter Gonarthrosen nur, wenn andere pharmakologische Therapieformen unwirksam oder ungeeignet sind oder wenn dadurch physikalische Therapieformen unterstützt werden [1]. Die Wirkung ist allerdings häufig auf einen nur relativ geringen Zeitraum von zwei Wochen bis drei Monaten beschränkt. Da hohe Dosierungen und regelmäßige Applikationen den Knorpelstoffwechsel hemmen und sogar die Knorpelmasse vermindern können [6], sollte eine möglichst niedrige (aber wirksame) Dosierung kurzfristig angewendet werden.
Hyaluronsäure: Die Hyaluronsäuretherapie als Viskosupplementation hat in der orthopädischen Praxis seit vielen Jahren einen festen Stellenwert in der Behandlung der Gonarthrose. Hyaluronsäuren sind ein wichtiger Bestandteil des Gelenkknorpels und kommen hochkonzentriert in der Synovialflüssigkeit vor. Sie sind als essenzieller Faktor für die viskoelastischen (gleitenden und stoßabsorbierenden) Eigenschaften in der humanen Synovialflüssigkeit enthalten. In der aktuellen Leitlinie kann aufgrund der widersprüchlichen Evidenz keine Empfehlung zum Einsatz von intraartikulärer Hyaluronsäureinjektion abgegeben werden [1]. Grund dafür ist die Vielzahl an Hyaluronsäureprodukten, welche weltweit vermarktet werden. Die Präparate unterscheiden sich in Bezug auf die Herstellung und Verarbeitung sowie in ihren Eigenschaften und Wirkungen durch die unterschiedlichen Molekülgrößen sowie die unterschiedliche Verkettung bzw. Vernetzung der Moleküle untereinander erheblich. Entsprechend ist die Wirkung auch unterschiedlich. Präparate mit höherer Molekülgröße und Quervernetzung verbessern die physikalischen Eigenschaften der Hyaluronsäure durch Verzögerung des enzymatischen Abbaus. Daraus resultiert eine längere Verweildauer im Gelenk [7]. In einem systematischen Überblick über die verfügbare Evidenz zeigten diese Hyaluronsäuren eine bessere Wirksamkeit als diejenigen, welche diese Eigenschaften nicht aufwiesen [8].
Platelet-Rich Plasma (PRP): Eine Eigenbluttherapie mit Platelet-Rich Plasma (PRP) ist als intraartikuläre Therapieoption zur Behandlung der Gonarthrose in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt und zählt aktuell zu den am intensivsten erforschten regenerativen Behandlungskonzepten. PRP steht stellvertretend für eine autologe konzentrierte Thrombozytensuspension.
Thrombozyten sind zuständig für die Hämostase und bilden zudem die Grundlage für die erste Phase der Wundheilung. In dieser Phase aggregieren die Blutplättchen und formen den Gerinnungsthrombus. Zudem werden durch Degranulation von Thrombozyten Wachstumsfaktoren (z. B. TGFß, IGF, PDGF) freigesetzt. Kurz zusammengefasst kann die Therapie mit PRP lokale Wachstumsfaktoren freisetzen, die für die Heilung notwendigen Zellen anziehen und diese Zellen zu erhöhter Aktivität stimulieren. Bei der Herstellung von PRP werden die Bestandteile des zuvor abgenommenen und antikoagulierten Vollbluts mittels Zentrifugation aufgetrennt (Abb. 1).
Für die Behandlung der Gonarthrose sollte möglichst leukozytenarmes PRP verwendet werden [9]. Je nach Herstellungsprotokoll besteht die Möglichkeit, aus dem Blut der Patienten unterschiedliche Präparate in Abhängigkeit der zu behandelnden Pathologie herzustellen. Autologes Konditioniertes Serum (ACS) ist beispielsweise eine PRP-Form, bei welcher in einem ersten Schritt die im Vollblut vorhandenen Leukozyten stimuliert werden, wodurch vermehrt entzündungshemmende, regenerierende Zytokine produziert werden. Durch die anschließende Zentrifugation wird ein Serum frei von zellulären Bestandteilen automatisch isoliert und separiert (Abb. 2). ACS eignet sich vor allem zur Behandlung einer entzündlichen aktivierten Arthrose. Entsprechend der Leitlinie kann PRP in Betracht gezogen werden, wenn andere analgetische und funktionsverbessernde Maßnahmen nicht geeignet, kontraindiziert oder nicht wirksam sind [1].
Fazit
Die Gonarthrose ist eine komplexe degenerative Erkrankung mit unterschiedlicher Erscheinungsform und Stadieneinteilung. Präventive Maßnahmen nehmen eine herausragende Stellung ein. Die wichtigsten Ansatzpunkte sind das Körpergewicht und die körperliche Aktivität, welche sich primär durch die Ernährung und Überwindung der häufig auch beruflich bedingten Bewegungsarmut beeinflussen lassen. Körperliche Aktivität soll allerdings nicht zu Überlastung und Verletzungen führen. Diese Maßnahmen stehen in der Hauptverantwortung des Patienten und können beratend angeleitet werden. Die Motivation der Betroffenen, die Behandlungsverantwortung zu übernehmen, ist mitentscheidend für den Beschwerde- und Krankheitsverlauf.
Weitere Maßnahmen kommen erst bei manifesten Beschwerden durch die Arthrose zum Einsatz und bieten multiple Optionen. Grundsätzlich stehen die nicht invasiven und nebenwirkungsarmen Maßnahmen im Vordergrund. Erst bei zunehmender oder nicht vorhandener Wirksamkeit werden ärztliche Maßnahmen beispielsweise mit Verordnung von Medikamenten und evtl. intraartikulären Injektionen sinnvoll. Operative Maßnahmen sind – wenn nicht präventiv sinnvoll (z. B. bei Achsfehlstellungen) – erst bei Versagen der präventiven und konservativen Maßnahmen angezeigt. Dann kann ein partieller oder vollständiger Gelenkersatz allerdings auch mit sehr guten Ergebnissen zur Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung führen [10].