Oktober 2019 – Ausgabe 34

Die Implantation einer Knietotalendoprothese ist bei fortgeschrittener Arthrose prinzipiell ein erfolgreicher operativer Eingriff mit besseren Ergebnissen im Vergleich zum konservativen Vorgehen. In Anbetracht einer allerdings immer noch beträchtlichen Anzahl an unzufriedenen Patienten und immer wieder notwendigen Revisionen aufgrund einer fehlerhaften Achsausrichtung bzw. fehlerhaften Ausrichtung der Prothesenkomponenten (Malalignment) und Instabilität des Knies, könnten technische Neuerungen Vorteile mit besseren Ergebnissen bedeuten. Die Größen und Formvarianten der konventionellen Knieprothesen können bisher kaum die Variabilität des menschlichen Kniegelenkes abdecken. Eine Überdimensionierung der Implantate wurde in bis zu 76 Prozent am Oberschenkelknochen (Femur) und bis zu 90 Prozent am Schienbeinknochen (Tibia) beschrieben. Ebenso wurde gezeigt, dass ein Überhang der Implantate das Risiko von residualem Schmerz und Steifigkeit erhöht und die funktionellen Ergebnisse negativ beeinflusst.

Da das periartikuläre Weichteilgewebe des Kniegelenks nicht elastisch ist, erzeugt die Implantation einer „mechanisch“ ausgerichteten Prothese eine Imbalance der Bänder, einen veränderten Lauf der Kniescheibe (Patella) und daraus resultierend eventuell Steifigkeit. Diese Nachteile werden adressiert durch technisch-operative Tricks wie Bandrelease, zusätzliche Außenrotation der femoralen Komponente und z. B. kinematisches Alignment, welche alle eine „palliative“ Lösung für die nicht-anatomische Form der Prothesen und die Veränderung der natürlichen Achsausrichtung (Alignment) darstellen. Es ist daher wichtig zu verstehen, dass Ausrichtung und Implantatdesign eng miteinander verknüpft sind und nicht einzeln betrachtet werden können.

Achsausrichtung (Alignment) in der Knietotalendoprothetik

Der „goldene Standard“ in der Knieendoprothetik ist die sog. mechanische Achsausrichtung (mechanisches Alignment), welche auf eine gerade Beinachse von 180° abzielt (neutrales Alignment), erreicht durch orthogonale Knochenschnitte in Beugung und Streckung. Ein perfekt gerades Bein von 180° spiegelt allerdings nicht die durchschnittliche natürliche Beinachse wider, wurde aber aus den Gründen der Reproduzierbarkeit und der Lastverteilung gewählt, um Polyethylenabrieb und Lockerungen zu minimieren. Die durchschnittliche natürliche Schrägheit der Gelenkfläche (joint line obliquity) beträgt 3°, allerdings verbunden mit großen interindividuellen Variationen, ausgedrückt durch den mechanischen medialen distalen Femurwinkel (mMDFA), den mechanischen medialen proximalen Tibiawinkel (mMPTA) und die Gelenkflächenkonvergenz. Die native Schrägheit der Gelenkfläche kann mit klassischen, orthogonalen Knochenschnitten fast nie wiederhergestellt werden. Daher resultieren asymmetrische Knochenresektionen und eine Instabilität. Das anatomische Alignment zielt zwar immer noch auf eine gerade Beinachse (180°), versucht aber durch leicht schräge Knochenschnitte (3°) die durchschnittliche Schrägheit der Gelenklinie wiederherzustellen. Das später eingeführte kinematische Alignment adaptiert die Position der Implantate in der Frontalebene an die Weichteile und erhöht dadurch das native Alignment der unteren Extremität. Hierbei unterscheidet sich die Orientierung der Komponenten Varus-Valgus und die Schrägheit der Gelenklinie bei den verschiedenen Patienten (patientenspezifische Positionierung), was bei Standardimplantaten eine Diskrepanz zwischen Knochen und Implantat hervorruft. Dieses Konzept muss daher in irgendeiner Weise mit der patientenspezifischen Anpassung der Implantate verknüpft werden.

Technische Neuerungen

Die „Individualisierung der Medizin“ mit ihren technischen Neuerungen hat mittlerweile auch dieKnieendoprothetik erreicht. Computerassistenzsysteme mit evtl. zusätzlicher Robotik zur Verbesserung des Alignments und der Bandspannung sind immer häufiger in den Operationssälen anzutreffen. Implantatinnovationen wie kreuzband-erhaltende Prothesen versprechen, die Kinematik und das „Kniegefühl“ zu verbessern. Allerdings müssen neue Implantate immer auch kritisch gesehen werden. So hatte sich beispielsweise gezeigt, dass die kreuzband-erhaltenden Prothesen mit höheren Frührevisionsraten einhergehen. Bildbasierte Optionen mit alleiniger Herstellung eines patientenspezifischen Instrumentariums, um die erforderlichen Sägeschnitte am Knochen individuell durchführen zu können, haben keine wesentlichen Vorteile in Bezug auf Stabilität und Alignment gezeigt. Dies könnte daran liegen, dass dabei Standardimplantate mit neutraler mechanischer Ausrichtung verwendet werden, welche wie oben beschrieben Nachteile aufweisen und der Vielfalt der menschlichen Anatomie im Rahmen der Kniearthrose nicht gerecht werden. Mittlerweile ist es möglich, neben dem Instrumentarium auch das Implantat individuell anzufertigen. Für das erste auf den Markt verfügbare System (Conformis, Billerica, MA, USA) konnte gezeigt werden, dass die Ausrichtung in der frontalen (coronaren) Achse sehr exakt erfolgt mit einer perfekten neutralen Achse von 0 – 2° in 100 % der untersuchten Patienten. Aber auch hier muss diese neutrale Ausrichtung in Hinblick auf das natürliche patientenindivuelle Alignment und auf die Kinematik in Anbetracht der variablen Phänotypen des Knies und der publizierten besseren Ergebnisse bei nicht zur Neutralposition korrigierter Beinachse in Frage gestellt werden.

Origin® Custom Knieprothese mit knee-plan® Technologie

Seit etwa einem Jahr ist ein neues System zur individuellen patientenspezifischen Anfertigung einer Knieprothese mit zusätzlicher Planungssoftware und patienten-spezifischem Einmalinstrumentation erhältlich (Origin®, Symbios Orthopédie SA, Yverdon-les-Bains, Schweiz). Die Origin® Knieendoprothese wurde zwischen 2012 und 2017 entwickelt und ist seit 2018 CE-zertifiziert. Dieses System wurde designt, um die native, prä-arthrotische Anatomie des Kniegelenks wiederherzustellen. Das Origin® Alignment zielt darauf ab, sowohl die originäre (prä-arthrotische) Beinachse als auch die Schrägheit der Gelenklinie zu reproduzieren.Zunächst erfolgt eine Schnittbildgebung (Computertomographie) mit 3D-Rekonstruktion von Hüfte, Knie und Sprunggelenk, um eine detaillierte Visualisierung der Patientenanatomie in drei-dimensionaler Form zu erhalten. Mit Hilfe einer 3D Kniesimulation wird ein Modell der ursprünglichen Knieanatomie erstellt (KNEE-PLAN® Technologie). Knöcherner Abrieb und arthrotische Deformität werden beurteilt und während der 3D-Rekonstruktion korrigiert. Der mechanische, mediale, distale Femurwinkel (mMDFA)wird durch Rekonstruktion der nativen femoralen Oberfläche wiederhergestellt. Der mechanische, mediale, proximale Tibiawinkel (mMPTA) wird gemessen und durch eine Kombination aus Anpassung des Knochenschnitts (bis zu 3°) und einem asymmetrischen Polyethylen-Inlay (bis zu 2°) wiederhergestellt. Das native oder konstitutionelle Alignment wird erstellt aus

  1. der Morphologie des Kniegelenks aus ein er CT,
  2. klinischen Angaben, z. B. die Reduzierbarkeit der Fehlstellung, und
  3. der gewichtsbelasteten Achse aus einer Ganzbeinstandaufnahme. Dieses sog. originäre Alignment versucht nicht, die Beinachse auf 180 Grad zu verändern, sondern die native Achse wiederherzustellen.

Darauf basierend wird ein Implantat hergestellt, welches der ursprünglichen Form des Knies entspricht und dabei auch die ursprüngliche Beinachse und Gelenklinie wiederherstellt. Dabei soll eine möglichst physiologische Kinematik des Gelenkes gewährleitet werden. Ziel ist ein „natürliches“ Kniegefühl unter geringerer Invasivität des operativen Vorgehens mit größtmöglichem Erhalt der Knochensubstanz. Die exakte Implantation der Prothese wird durch das gleichzeitig spezifisch für diesen Patienten hergestellte Instrumentarium gewährleistet.

Fazit

Der technologische Fortschritt erbringt in der Knieendoprothetik klar ersichtliche Vorteile für den Patienten. Insbesondereaktive jüngere bzw. jung gebliebene Patienten können vom Einsatz neuer Technologien profitieren. Moderne Technologien – in Verbindung mit verbesserter Kenntnis über die für Funktion und Kinematik des Kniegelenkes wichtigen morphologischen Parameter – ermöglichen die Rekonstruktion des arthrotischen Gelenks mit der originären Beinachse und Gelenklinie unter Vermeidung von Prothesenüberständen und Kompromissen oder technisch-operativen Tricks, welche für eine Standardprothese stets notwendig sind. Diese mit der neu entwickelten patienten-spezifischen Origin® Knieendoprothese umgesetzten Ziele führen nach eigenen Erfahrungen zu guten Frühergebnissen. Ob bei generalisierter Anwendung nicht nur durch Spezialisten im Vergleich zum konventionellen Vorgehen insgesamt bessere Ergebnisse und längere Standzeiten der Prothesen mit geringeren Revisionsraten erreicht werden können, gilt es allerdings noch durch die weitere Erhebung von Daten zu beweisen.

Von Christoph Becher und Carsten Tibesku