Mai 2024 – Ausgabe 43

Patellofemorale Dysplasie

Prof. Dr. med. Christoph Becher

Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Schlüsselwörter: Patellofemorale Dysplasie, Trochlea­dysplasie, patellofemorale Instabilität, patellofemorale Arthrose

Die patellofemorale Dysplasie ist eine angeborene Fehlbildung des Gelenkabschnitts zwischen Patella und ihrem Gleitlager des Oberschenkelknochens (Trochlea femoris). Mögliche Folgen der Dysplasie sind eine Instabilität der Patella oder ein frühzeitiger Verschleiß. Die geeignete Therapie richtet sich nach dem Ausmaß der Beschwerden und der Fehlbildung.

Physiologische Anatomie des patellofemoralen Gelenkabschnitts

Grundsätzlich werden im Kniegelenk drei Kompartimente (Gelenkabschnitte) unterschieden: das innere (mediale) und das äußere (laterale) Kompartiment zwischen Oberschenkel und Unterschenkel sowie das Kompartiment zwischen Knie­scheibe (Patella) und Oberschenkel (Femur) – das patellofemorale Kompartiment.

Im patellofemoralen Kompartiment artikuliert die knorpelüberzogene keilförmige Rückfläche der Patella mit der Führungsrinne des Femurs (Trochlea femoris).

Die mediale und die laterale Facette der Trochlea bilden gemeinsam einen mit Gelenkknorpel überzogenen Bereich, welcher der Patella als Gleit- bzw. Führungsrinne während der Kniebeugung (Flexion) dient. Der durch die innere und äußere Facette im Transversalschnitt gebildete trochleäre Winkel (Sulkuswinkel) beträgt physiologisch ca. 137° ± 8° (Abb. 1a und 2a). Mechanisch gilt dieses Gleitlager als der am stärksten belastete Teil des Kniegelenkes. Die laterale Trochleafacette ist etwas ausgedehnter und reicht weiter nach oben als die kleinere mediale Facette. Dies kann vor einer lateralen Subluxation der Patella bei Aktivierung des Oberschenkelmuskels (M. quadriceps femoris) schützen. Zudem wird die Trochlea von oben nach unten tiefer, was ebenfalls das Risiko einer Luxation senkt.

Die Patella hat in der frontalen Ebene eine annähernd dreieckige Form. Der Rückfläche der Patella und ist mit einem ca. 4-5 Millimeter dicken hyalinen Knorpel überzogen – der dickste Gelenkknorpel im menschlichen Körper. Im mittleren Teil der Patella befindet sich ein vertikaler First, der die Gelenkfläche in eine kleinere mediale Facette und in eine größere leicht laterale Facette unterteilt (Abb. 3a).

Patella und Trochlea artikulieren je nach Gelenkstellung mit einer unterschiedlich großen Kontaktfläche. Im gestreckten (extendierten) Kniegelenk liegt die Patella lediglich mit dem unteren Anteil auf dem oberen Rand der Trochlea. Bei zunehmender Flexion gleitet die Patella auf der Trochlea von oben nach unten (proximal nach distal) und legt im Verlauf einen Weg von 5 bis 7 Zentimetern zurück.

Pathologische Anatomie des patellofemoralen Gelenkabschnitts: Patellofemorale Dysplasie

Bei einer patellofemoralen Dysplasie handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung des patellofemoralen Gelenkabschnitts.

Eine mögliche Fehlbildung der trochlearen Gleitrinne wird als Trochleadysplasie bezeichnet. Dabei ist der Winkel zwischen innerer und äußerer Facette (Sulkuswinkel) deutlich erhöht und damit die trochleare Rinne geringer ausgeprägt. Beginnend vom oberen Anteil erscheint die Trochlea in der axialen Ansicht eher konvex.

Dejour et al. teilen die Ausprägung der trochlearen Dysplasie in vier Schweregrade auf. Jeder Schweregrad destabilisiert den Patellalauf und adressiert die zunehmende Konvexität und „Erhöhung“ der patellofemoralen Gelenkfläche (Abb. 1b, c und 2b, c).

In Kombination mit der Trochleadysplasie findet sich in der Regel auch eine angepasste Patella mit entsprechend asymmetrisch geformten Patellafacetten.

Die Einteilung einer Patelladysplasie wurde von Wiberg vorgenommen und beschreibt ebenfalls vier Schweregrade. Diese Klassifikation beschreibt im Wesentlichen die Asymmetrie der medialen und lateralen Facette der Patella in der axialen Projektion. Je höher der Wiberg-Grad, desto ausgeprägter ist die Asymmetrie der Facetten. Im höchsten Grad der Fehlbildung ist eine mediale Facette mehr oder weniger nicht mehr vorhanden. Dies bezeichnet man als „Jägerhut-Patella“ (Abb. 3).

Folgen der patellofemoralen Dysplasie

Entscheidend für das Ausmaß der stabilisierenden Wirkung der Trochlea ist der Flexionsgrad des Kniegelenks. Die sonst physiologischerweise vorhandene knöcherne Patellaführung beim Übergang von der Streckung in die Beugung ist ab ca. 20-30° Knieflexion geringer vorhanden bzw. wird durch eine Erhöhung der Trochlea (sog. Bump, Abb. 1c und 2c) sogar negativ beeinflusst. So muss die Patella über einen deutlich größeren Flexionsumfang von den weichteiligen Stabilisatoren geführt werden. Dies führt in vielen Fällen zu einer zunehmenden Überlastung dieser Strukturen, sodass im Weiteren eine dauerhafte Destabilisierung der Patella droht. Entsprechend wurde bei 96 % der Patientinnen und Patienten mit einer patellofemoralen Instabilität eine begleitende Trochleadysplasie diagnostiziert, die als einer der Hauptrisikofaktoren für eine patellofemorale Instabilität gilt.

Zudem kann die geringere Kontaktfläche zu einer erhöhten patellofemoralen Druckbelastung führen. Diese erhöhte Druckbelastung führt zusammen mit erhöhten Scherkräften durch die Instabilität der Patella zu einer frühzeitigen Schädigung des Gelenkknorpels (Abb. 2b, c) und konsekutiv im Verlauf zur Entwicklung einer patellofemoralen Arthrose.

Eine weitere Folge der patellofemoralen Dysplasie ist die „Patella alta“, eine zu hoch stehende Patella. Aufgrund der Dysplasie kann die Patella in Flexion nicht in das fehlende Gleitlager einsinken und die laterale anatomische Barriere ist durch die Dysplasie nicht oder nur noch minimal vorhanden. Dadurch wird die Patella nach oben-außen geschoben und es kommt aufgrund der fehlenden lateralen Barriere zu einer erhöhten patellaren Kippung (Tilt) und Seitverschiebung (Shift).

Therapie der patellofemoralen Dysplasie

Die Therapie der patellofemoralen Dysplasie richtet sich nach dem Ausmaß der Fehlbildung und den damit verbundenen Beschwerden und strukturellen Schäden.

Bei typischen Symptomen eines „vorderen Knieschmerzes“ ohne Instabilität der Patella und ohne strukturelle Schädigung des Gelenkknorpels stehen konservative Maßnahmen im Vordergrund. Als schmerzauslösende Faktoren werden von den Patientinnen und Patienten typischerweise Aktivitäten wie Treppensteigen (Absteigen meistens schlimmer als Aufsteigen), tiefes Hocken oder längeres Sitzen mit angewinkelten Beinen (z. B. im Kino oder im Flugzeug) angegeben. Auch sportliche oder berufliche Tätigkeiten mit vermehrter patellofemoraler und allgemeiner Belastung des Kniestreckapparates werden oft beschrieben. Eine Reduzierung und gegebenenfalls Umstellung der sportlichen Belastung sollte bereits zu Therapiebeginn erfolgen. Eine Dehnung der Streck- und Beugemuskulatur sowie ein gezieltes Muskeltraining bilden den Kern der konservativen Behandlung. Zudem können symptomorientierte physikalische Behandlungen sowie die Anwendung von Bandagen und Orthesen hilfreich sein.

Bei Vorhandensein einer signifikanten Instabilität der Patella oder einer strukturellen Schädigung des Gelenkknorpels sind in der Regel operative Maßnahmen angezeigt. Welche Verfahren nun sinnvoll sind, richtet sich nach dem Ausmaß der patellofemoralen Dysplasie und der strukturellen Schädigung. Knöcherne Verfahren mit Achskorrekturen (Osteotomien) oder die Vertiefung der Gleitrinne (Trochleaplastik, Abb. 4b) werden mit Weichteil-Verfahren (z. B. stabilisierende Bandplastik mit Ersatz des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) zur Patellastabilisierung und Verbesserung der patellofemoralen Pathobiomechanik angewandt. Zudem kommen regenerative Maßnahmen zur Behandlung von Knorpelschäden zum Einsatz.