Mai 2021 – Ausgabe 37
Osteotomien zur Korrektur von Fehlstellungen der Brust- und Lendenwirbelsäule
Dr. med. Bernd Wiedenhöfer
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Dr. Christiane Kartak
Dr. med. Stefan Matschke
Keywords: Spondylolisthesis, Wirbelkörperfraktur, SchwabOsteotomie
Unter dem Begriff Osteotomie versteht man die geplante und gezielte operative Durchtrennung von Knochen mit dem Ziel einer Korrektur von vorhandenen Fehlstellungen. Im Bereich der Wirbelsäule entstehen verschleißbedingt oder als Folge von Unfällen, aber auch durch Anlagestörungen von Wirbelkörpern, durch Grunderkrankungen wie der idiopathischen Skoliose des Kindes und Jugendalters oder durch entzündliche Erkrankungen, des rheumatischen Formenkreises wie der Bechterew’schen Erkrankung ebenfalls vielerlei Fehlstellungen. Dieser Beitrag ist im Wesentlichen der Behandlung verschleiß und unfallbedingter Fehlstellungen gewidmet.
Bedingt durch Alter und genetische Veranlagung kommt es zu einer Abnahme des Wassergehaltes und der elastischen Anteile der Bandscheiben. Die Folge ist ein Höhenverlust der Bandscheiben. Dieser führt wiederum zu einem Verlust der natürlichen hohlrückenartigen Krümmung der Lendenwirbelsäule in der Seitenansicht (Lordose). Diese Veränderungen können sogar so weit gehen, dass die Lordose komplett verloren geht und eine Buckelbildung (Kyphose) im Bereich der Lendenwirbelsäule entsteht. Der Höhenverlust der Bandscheibe im vorderen Anteil der Wirbelsäule verursacht durch den erhöhten Druck auf die kleinen Wirbelgelenke eine relevante Arthrose (Facettenarthrose) im hinteren Anteil der Wirbelsäule.
Dieses komplexe Zusammenspiel kann zu Gefügelockerungen und Instabilitäten in den betroffenen Bewegungssegmenten der Wirbelsäule führen. Dieses „Wirbelgleiten“ oder im Fachbegriff „Spondylolisthesis“ genannte Phänomen be schreibt ein horizontales Vorwärtsgleiten von Wirbelkörpern über einer verschlissenen Bandscheibe und dem darunter liegenden Wirbelkörper (Abb. 1). Auch kann, verbunden mit diesen teilweise einseitig vermehrten verschleißbedingten Veränderungen, eine Sförmige Verkrümmung der Lendenwirbelsäule (degenerative Skoliose) entstehen (1).
Unfallfolgen treffen im Wesentlichen die knöcherne Struktur der Wirbelkörper, können aber auch die Bandscheiben und Bandstrukturen betreffen. Bei Stürzen, die zu Brüchen an der Wirbelsäule führen, kommt es häufig zu einer sogenannten axialen Krafteinleitung. Dies bedeutet, dass die Energie, die die Stabilität der Wirbelkörper übersteigt und zum Bruch führt, von oben nach unten durch den Körper geleitet wird. Da die Lastachse der Wirbelsäule überwiegend durch die vorderen Anteile der Wirbelsäule verläuft, sind die dort liegenden Wirbelkörper von einer Einstauchung der vorderen Anteile betroffen. Aus dem normalerweise in der seitlichen Ansicht quaderförmigen entsteht ein trapez oder keilförmiger Wirbelkörper mit Höhenverlust an der Vorderseite. Im Bewegungssegment entwickelt sich eine kurzbogige Kyphose. Anders als bei den verschleißbedingten Veränderungen, die im vorhergehenden Absatz beschrieben wurden, kommt es durch diese Fehlstellung nicht zu einem vermehrten Druck in den hinteren Strukturen (Wirbelgelenken) des betroffenen Segments. Die Fehlstellung führt allerdings ebenso zu einer Abnahme der Lordose der Lendenwirbelsäule beziehungsweise Zunahme der Kyphose der Brustwirbelsäule. Durch diese meist punktuelle Veränderung der globalen Anatomie der Wirbelsäule wird jedoch in den angrenzenden Segmenten und Abschnitten der Wirbelsäule ein komplexes Kompensationsmuster entfaltet. Der Körper versucht die Buckelfehlstellung durch eine vermehrte Lordose in den angrenzenden Bewegungssegmenten und abschnitten auszugleichen. In diesen Bereichen kommt es dadurch zu einem erhöhten Druck in den Wirbelgelenken, was wiederum dort zu Schmerzen führt (2, 3).
Der Effekt von beiden beschriebenen Fehlstellungen liegt in einer Verschiebung des Schwerelots nach vorne. Diese Verschiebung hat eine relevante Auswirkung auf das aufrechte Stehen und Gehen. Der aufrechte Stand und Gang des Menschen ist ein sehr komplexes Zusammenspiel von einwirkenden Kräften und muskulärer Arbeit. Der gesunde Mensch ist in der seitlichen Ansicht in der Lage, mit dem Rumpf aufrecht im Lot zu stehen, ohne höhergradige Muskelarbeit zu leisten. Einfach erklärt halten sich dabei die Bauch und die Rückenstreckmuskulatur das Gleichgewicht und das Körperschwerelot fällt durch die Wirbelsäule. Verschiebt sich das Schwerelot nun nach vorne, kommt es zu einem Übergewicht der Bauchmuskulatur gegenüber der Rückenstreckmuskulatur. Folglich muss diese mehr Kraft aufwenden, um den Rumpf in die natürliche Haltung aufzurichten und aufrecht zu halten. Das kostet mehr Energie und verursacht Schmerzen, die von Betroffenen wie ein schwerer Muskelkater in der Lende beschrieben werden.
Zu Beginn sind diese Fehlstellungen und Symptome meist gut konservativ zu behandeln. Krankengymnastik, Gerätetraining und bei Bedarf eine medikamentöse Therapie mit entzündungshemmenden Präparaten oder auch die gezielte Einspritzung von kortisonhaltigen Medikamenten direkt an die Wirbelgelenke können sehr hilfreich sein. Wenn die konservativen Therapieoptionen jedoch ausgereizt sind und die Lebensqualität weiterhin so eingeschränkt ist, dass eine operative Therapie unumgänglich ist, muss diese dezidiert geplant werden.
Operationsplanung
Zu dieser Planung gehört neben der Festlegung der zu behandelnden Segmente die genaue Analyse der Fehlstellung im Verhältnis zu den Normwerten der betroffenen Segmente. Erst aus dieser Analyse ist eine adäquate Therapie abzuleiten. Die Analyse besteht aus einer klinischen und radiologischen Beurteilung der Gesamtstatik, der individuellen „Normalstatik“, der segmentalen Fehlstellung, der globalen und regionalen Kompensationsmechanismen (Abb. 2) (2). Auch muss die Funktion der Hüft und Kniegelenke beurteilt werden, da diese ebenfalls Teil der funktionellen Kette des aufrechten Stands sind (4). Aus diesen Werten kann dann das notwendige Korrekturausmaß berechnet werden.
Ist dieses berechnet, werden die geeigneten therapeutischen Verfahren gewählt.
Operationsverfahren
Die Korrektur ist immer mit einer stabilisierenden und versteifenden Operation verbunden. Über den Zugang zur Wirbelsäule vom Rücken aus wird dabei ein SchraubenStabSystem in die Wirbelkörper der zu behandelnden Bewegungssegmente eingebracht. Über den gleichen oder einen zusätzlichen vorderen Zugang wird dann die jeweils betroffene Bandscheibe ausgeräumt und durchmit Knochen gefüllte Platzhalter (Cages) aufgebaut und stabilisiert. Dabei spielen Osteotomien eine zentrale Rolle.
In Abhängigkeit vom Schweregrad der Fehlstellung hat Schwab eine sechsstufige Einteilung von Osteotomien definiert (Abb. 3) (5). Diese beginnen mit korrigierenden Eröffnungen und Mobilisationen der Wirbelgelenke (Schwab-I- Osteotomie) über aufrichtende Entfernungen der Wirbelgelenke (Schwab II -Osteotomie) oder der Bogenwurzeln mit Teilen der Wirbelkörper (Pedikel Subtraktionsosteotomie oder Schwab-III-Osteotomie) bis hin zu kompletten Wirbelkörperentfernungen zur Korrektur extrem komplexer Fehlstellungen (Schwab-VI-Osteotomie). Die Schwab I und Schwab-II-Osteotomie sind die am häufigsten eingesetzten Osteotomien in der Behandlung von Fehlstellungen der Wirbelsäule. Viele degenerative Veränderungen gehen nur mit geringen Fehlstellungen einher. Verschlissene Bewegungssegmente mit nur geringem Verlust der Lordose und Rumpfhaltung, aber mit schmerzhaften Arthrosen der Wirbelgelenke, können sehr gut minimalinvasiv korrigierend mit einem SchraubenStabSystem, einem über den gleichen hinteren Zugang eingebrachten Cage und einer mobilisierenden Schwab-I-Osteotomie behandelt werden. Über den selben Zugang ist auch eine Erweiterung des Rückenmarkskanals in gleicher Sitzung möglich. Wenn zum Abschluss der Operation die Schrauben über den eingebrachten Stäben zusammengezogen und unter Kompression gesetzt werden, kann pro Segment eine Aufrichtung von bis zu 5° erzielt werden. Zudem fördert die Eröffnung der Wirbelgelenke die spätere Versteifung der be handelten Segmente in der anatomisch wiederhergestellten Stellung.
Handelt es sich um ein horizontal instabiles oder in relevanter kyphotischer Fehlstellung verändertes Segment oder mehrere Segmente, ist diese Technik nicht mehr ausreichend, da keine angemessene Korrektur möglich ist. Hier werden Korrekturen von bis zu 10° pro Segment benötigt.
In diesen Fällen ist die Schwab-II-Osteotomie indiziert. Bei dieser Osteotomie werden die Wirbelgelenke zwischen den Bogenwurzeln (Pedikel) und gleichzeitig Teile der Dornfortsätze und Wirbelbögen entfernt. Auch dieses Verfahren bietet die Möglichkeit der gleichzeitigen Erweiterung des Rückenmarkskanals. Durch die Entfernung der hinteren Strukturen zwischen den Dornfortsätzen und den Facettengelenken wird Raum von mehreren Millimetern bis über 1 cm erzielt. Der entstandene Raum kann gegen Ende der Operation in der gleichen Technik wie bei der Schwab-I-Osteotomie genutzt werden, um die Schrauben über den Stäben zusammenzuziehen und damit eine aufrichtende Korrektur von durchschnittlich 10° und manchmal auch mehr pro Segment zu erzielen. Dank dieser Fähigkeit bietet die Osteotomie bei geringer Invasivität ein hohes Korrekturpotenzial mit geringen Komplikationsquoten und hat sich als regelhafter Bestandteil in der korrigierenden Wirbelsäulenchirurgie verschleiß und unfallbedingter Fehlstellungen, aber auch in der Deformitätenchirurgie zur Behandlung von jeglichen Skoliosen, Kyphosen und Spondylolisthesen etabliert.
Da die Osteotomien Schwab III-VI ausschließlich komplexeren Fehlstellungen vorbehalten sind, soll an zwei Fällen unterschiedlicher Ursache der Effekt der Schwab I und der Schwab-II-Osteotomie veranschaulicht werden.
Fallbeispiele
Fall1: Instabile BWK 12-Fraktur durch Unfall
Fall 1 (Abb. 4) hat unfallbedingt einen instabilen Berstungsbruch des 11. und 12. Brustwirbels erlitten und in der Folge eine kurzbogige posttraumatische Kyphose mit der hochgradigen Gefahr der Entstehung einer Querschnittlähmung entwickelt. Die Kyphose im Übergang von Brust zur Lendenwirbelsäule zwischen 10. Brust und 2. Lendenwirbel beträgt fast 50°, sollte aber 20° nicht überschreiten. Es erfolgt eine Korrektur in zwei Operationen. Neurologische Komplikationen waren nicht vorhanden. Eine konservative Therapie ist bei fehlenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht geeignet für solche Fehlstellungen. Bei fortbestehender Fehlstellung besteht eine signifikante Gefahr für die Entwicklung einer Schmerzchronifizierung und der Entwicklung einer Arbeitsunfähigkeit (6). Die Analyse der vorhandenen Fehlstellung mit einer signifikanten fixierten Buckelbildung zeigt besonders in der Brustwirbelsäule eine kompensatorische verstärkte Aufgradung (Lordose). Diese verursacht einen verstärkten schmerzhaften Druck in den Wirbelgelenken. Auch unterhalb zeigt sich eine Verstärkung der natürlichen Lordose der Lendenwirbelsäule. Die operative Planung beinhaltet zur Korrektur der Fehlstellung eine aufrichtende Korrektur zwischen dem 10. Brust und dem 2. Lendenwirbel mit Schwab-I-Osteotomien im Segment zwischen 10. und 11. Brust und dem 1. und 2. Lendenwirbel. Ergänzend erfolgen Schwab-II-Osteotomien zwischen 11. und 12. Brust und dem 12. Brust und 1. Lendenwirbel. Damit ist eine potentielle Korrektur ausschließlich über den hinteren Zugang von fast 30° möglich. Der geborstene 12. Brustwirbel muss zur Vermeidung einer Pseudarthrose (fehlende knöcherne Durchbauung) mit einem Wirbelkörperersatz korrigierend stabilisiert werden und so kann die Kyphose auf unter 20° und damit normalisiert werden.
Fall2: Verschleissbedingte segmentale Kyphose
Fall 2 (Abb. 5) zeigt eine verschleißbedingte segmentale Kyphose zwischen L4 und L5 kombiniert mit einer subtotalen Verlegung des Rückenmarkkanals durch einen Bandscheibenmassenvorfall. Das Bandscheibenfach hat seine natürliche trapezförmige Konfiguration verloren. Die Kyphose ist bedingt durch den Kollaps des Bandscheibenfachs. Angrenzend findet sich in den Wirbelkörpern im MRT eine vermehrte Signalintensität als Zeichen einer vermehrten Knochenbildung, um den Verschleiß zu kompensieren. Die Statikanalyse im EOS Imaging zeigt eine segmentale Kyphosierung im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule an, die sich natürlicherweise durch eine starke Lordose auszeichnet. Die Gesamtstatik ist erhalten aufgrund der Fähigkeit zur Kompensation in den angrenzenden Bewegungssegmenten. Diese Fähigkeit wird jedoch mit dem Alter abnehmen.
Auf Grundlage der Analyse wurde deshalb die Indikation zur aufrichtenden Korrektur des Segments zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper mit einem SchraubenStabSystem und einem die natürliche Ausrichtung der Bandscheibe unterstützenden Bandscheibenersatz (Cage mit 20° Lordose) sowie der Erweiterung des Rückenmarkskanals gestellt. Diese Korrektur ist nur mit einer Schwab-II-Osteotomie möglich. Nach Korrektur zeigt sich nun eine harmonische Konfiguration an der Lendenwirbelsäule mit Wiederherstellung der natürlichen Lordose.
Fazit
Zusammenfassend zeigt sich, dass Osteotomien an der Wirbelsäule sehr effektive Instrumente zur Balancierung der Wirbelsäule darstellen. Es ist notwendig, vor einer operativen versteifenden Korrektur die Fehlstellung genau zu analysieren und eine exakte Planung zur sicheren Wiederherstellung der Rumpfhaltung durchzuführen und dabei zu klären, ob und welche Osteotomien notwendig sind. Bei gezieltem Einsatz verbessert sich die Zufriedenheit der Patienten.