Mai 2021 – Ausgabe 37
Osteotomien bei Kindern und Adoleszenten
Dr. med. Sebastian Müller
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Keywords: Congenital femur deficiency, Paley Typ 1, miserable malalignment, Derotationsosteotomie, Verlängerungsosteotomie
Operative Eingriffe am wachsenden Skelett gehören zu den eher selten durchgeführten Operationen. Die Indikation zu einer Korrekturosteotomie muss sehr sorgfältig gestellt werden, da viele Patienten zunächst nur wenige Einschränkungen und meist keine Schmerzen haben. Die Korrektur sollte in den meisten Fällen vor Abschluss des Wachstums erfolgen. Im folgenden Beitrag werden Korrekturosteotomien an der unteren und obe-ren Extremität anhand von Fallbeispielen vorgestellt.
Ursachen/Ätiologie
Am wachsenden Skelett gibt es grundsätzlich zwei Ursachen für das Auftreten von Fehlstellungen: angeborene oder genetisch bedingte Deformitäten oder durch Traumata oder sonstige Erkrankungen ausgelöstes Fehlwachstum (z. B. Tumore, Infektionen, neurologische Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen). Die angeborenen Fehlstellungen zeigen meist eine progressive Entwicklung und der kindliche Körper kann sich mit dem Wachstum sehr gut an diese Deformitäten anpassen. Auch bei früherworbenen Erkrankungen (spastische Lähmungen, Stoffwechselerkrankungen) kommt es durch ein muskuläres Ungleichgewicht zu einer Anpassung, welche allerdings zu erheblichen Problemen sowie Deformitäten führen kann. Je später das auslösende Agens in der Skelettreife einwirkt, desto geringer ist das Korrekturpotenzial.
Insbesondere traumatische oder infekt- oder tumorbedingte Wachstumsfugenläsionen können erhebliche Probleme bereiten. Früh aufgetretene Fehlstellungen in der Koronar- oder Sagittalebene (Varus, Valgus, Ante sowie Retrokurvation) können gut durch das Wachstum korrigiert werden, während Fehlstellungen in der Transversalebene (Rotationsdeformitäten) nur ein sehr begrenztes Korrekturpotenzial besitzen.
Korrekturgründe
Notwendige Korrekturosteotomien im Kindesalter bedürfen einer sehr sorgfältigen Indikationsstellung. Viele unserer Patienten haben keine oder nur wenig objektive Einschränkungen, Schmerzen nur in Ausnahmefällen. Die gesundheitlichen Folgen im Wachstumsverlauf müssen den Eltern vom Kinderorthopäden ausführlich dargestellt werden und deren eventuelle Auswirkungen auf die spätere Entwicklung. Dies besonders, wenn es sich um Gelenkfehlstellungen der unteren Extremitäten handelt.
Die Gründe für eine notwendige Korrekturosteotomie bereits im Kindesalter können sehr verschieden sein. Einerseits handelt es sich um Fehlstellungen, und dies sind aus gesundheitlichen Gründen auch die wichtigsten, die sich im weiteren Verlauf des Wachstums negativ auf die Gesundheit des Kinds auswirken. Andererseits besteht der Wunsch nach einer Korrektur auch aus rein kosmetischen Gründen (z. B. innenrotiertes Gangbild, Körpergröße). Bei diesen Korrekturgründen stehen wir oft vor einem großen Dilemma.
Besonders bei angeborenen Fehlstellungen, bei denen die Eltern und das Kind sich über viele Jahre an die Deformität gewöhnt haben, ist es oft schwierig, den Sinn einer Korrektur zu erklären, da die Eltern und das Kind die zu erwartenden Folgen nur schwer abschätzen können.
Umgekehrt verhält es sich, wenn die Kosmetik im Vordergrund steht; hier ist es oft schwierig, die Eltern oder den Patienten von einer Korrektur, die keinerlei gesundheitliche Konsequenzen hat, abzubringen. In beiden Fällen braucht es sehr viel ärztliches Geschick und Einfühlungsvermögen.
Korrekturzeitpunkt
Die häufig vertretene Meinung, dass man mit einer operativen Korrektur immer bis zum Ende des Wachstums warten sollte, ist aus kinderorthopädischer Sicht grundsätzlich falsch. Es gibt seltene Fehlstellungen, für die dies zutrifft, z. B. die Brachy metatarsie. Es gibt es jedoch auch sehr viele Fehlstellungen, die keine Korrekturpotenz aufweisen und eher mit dem Wachstum zunehmen, beispielsweise c-förmige Wachstumsfugen an Hand und Fuß (longitudinal epiphyseal bracket), tarsale Coaliti ones oder Cubitus varus. Indikationen zu Korrekturen sollten daher von einem entsprechenden erfahrenen Kinderortho päden gemeinsam mit dem Patienten und den Eltern gestellt werden.
Operative Verfahren
Die Voraussetzungen für eine adäquate und erfolgversprechende Korrektur sind neben der sorgfältigen Indikationsstellung und präoperativen Planung auch die Verwendung geeigneter Implantate. Erfreulicherweise hat die Entwicklung im Bereich der orthopädischunfallchirurgischen Versorgung auch neue, kindgerechte Implantate hervorgebracht. Insbesondere die Möglichkeit winkelstabiler Osteosynthesen erlaubt nun eine frühfunktionelle Nachbehandlung nach Osteotomien ohne quälende Gipsruhigstellung. Auch die Etablierung von motorisierten Implantaten zur Korrektur von Längendifferenzen oder Skoliosen im Wachstum stellt einen Meilenstein in der Versorgung dar.
Präoperativ ist eine sorgfältige Diagnostik erforderlich. Neben den klassischen bildgebenden Verfahren Röntgen, MRT und ggf. CT sollten auch dynamische Untersuchungen bedacht werden. Insbesondere bei komplexen Rotationsfehlstellungen der unteren Extremitäten sollte neben der radiologischen Torsionsbestimmung die 3D-Ganganalyse zum Repertoire der präoperativen Maßnahmen gehören. Hiermit können funktionelle und vor allem dynamische Abweichungen in allen drei Raumebenen genauestens erfasst werden. Dies kann das Risiko von Über- oder Unterkorrekturen minimieren.
Im folgenden einige Beispiele für operative Korrekturen im Kindes- und Jugendalter:
Osteotomien im Bereich der Hüfte
Korrekturosteotomien im Bereich der Hüfte gehören zu den häufigsten kinderorthopädischen Eingriffen. Vor Einführung des Ultraschallscreenings der Säuglingshüfte gehörte die unerkannte Hüftdysplasie zu einer der Hauptindikationen für Osteotomien. Heute dominieren eher die neurologisch bedingten Hüftluxationen oder dysplasien (spastische Zerebralpa rese) sowie die erworbenen Fehlstellungen (M. Perthes, Epiphyseolysis capitis femoris). Ziel eines operativen Eingriffes ist die Rezentrierung des Hüftkopfes (proximale Femurosteotomien) sowie die Verbesserung der Überdachung (Azeta buläre Osteotomien).
Fallbeispiel 1:
Dreijähriger Junge mit einer PFFD (Proximal focal femoral deficiency) Typ Paley 1b, präoperativ (Abb. 1 und 2).
Operatives Vorgehen: Konversion der PFFD vom Typ Paley 1b in Paley 1a. Pseud arthrosenresektion, ValgisationsDerotationsVerkürzungsosteotomie mit winkel stabiler Klingenplatte, periazetabuläre Osteotomie nach Dega (Abb. 3–6).
Osteotomien im Bereich des Knie- und Sprunggelenks
Am wachsenden Skelett gehören die Osteotomien im Bereich der Kniegelenke zu den selteneren Indikationen. Solange die Epiphysenfugen offen sind, können angeborene Deformitäten in der Frontalebene sowie Längendifferenzen mittels temporären oder permanenten Epiphyseodesen korrigiert werden. Nach Verschluss der Fugen sind hier allerdings auch Osteotomien erforderlich. Deformitäten in der Sagittalebene sowie Rotationsfehlstellungen können mittels Epiphyseodesen nur bedingt korrigiert werden. Hier sind meistens auch Korrektureingriffe erforderlich.
Fallbeispiel 2:
Beidseitiger vorderer Knieschmerz bei einem 14jährigen Mädchen – miserable malalignment (Abb. 7) Operatives Vorgehen: Suprakondyläre De rotationsosteotomie beidseits, supramal leoläre Gegenrotation sowie winkelstabile Osteosynthesen, frühfunktionelle Nachbehandlung. Zweizeitiges Vorgehen (Abb. 8 und 9).
Verlängerungsosteotomien
Die Technik der ExtremitätenVerlängerung ist nicht neu. Bereits 1905 wurde durch den Italiener Alessandro Codivilla eine operative Beinverlängerung durchgeführt. Seitdem wurden zahlreiche Therapieverfahren sowie unterschiedliche Methoden zur ExtremitätenVerlängerung eingesetzt. Zu den bekanntesten gehört die Methodik nach Ilisarov. Zu den neuesten Entwicklungen gehören voll implantierbare motorisierte DistraktionsMarknägel, wie z. B. Fitbone® oder Precice®. Sobald die Wachstumsfugen verschlossen sind, kann eine Distraktionsosteoto- mie durchgeführt werden. In Kürze werden auch motorisierte Plattensysteme zur Verfügung stehen, sodass eine Verlängerung auch vor Verschluss der Epiphysen möglich sein wird. Ab 1,5–2cm Längendifferenz können diese Implantate eingesetzt werden.
Fallbeispiel 3:
Juvenile Humeruszyste mit mehrfachen Spontanfrakturen, vorzeitiger Verschluss der proximalen Epiphyse. Längendifferenz ca. 8 cm (Abb. 10)
Operatives Vorgehen: Auffüllen der Zyste mit Cerament, nach Konsolidierung Akutkorrektur der Varusdeformität und Verlängerung mit PreciceNagel (Abb. 11–13).
Nachbehandlung/ Verlaufskontrolle
Die Einführung winkelstabiler Implantate in der Kinderorthopädie ermöglicht häufig eine frühfunktionelle Nachbehandlung. Langfristige Ruhigstellung ist nur noch in Ausnahmefällen erforderlich. Bei verbliebenem Restwachstum muss der postoperative Verlauf sorgfältig kontrolliert werden, um Rezidive oder wachstumsbedingte Komplikationen rechtzeitig erkennen zu können.