Mai 2023 – Ausgabe 41
Osteoporose beim alternden Menschen – eine interdisziplinäre Herausforderung
Dr. med. Jan Brünsing
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Schlüsselwörter: Osteoporose, Knochenbruch, Knochendichtemessung, Basistherapie
Die Osteoporose als mit Abstand häufigste Knochenerkrankung stellt mit steigendem Alter der Betroffenen höhere Anforderungen an eine qualifizierte Behandlung, da Knochenbrüche in dieser Lebensphase zu Immobilität mit nachfolgend hoher Morbidität und sozialem Rückzug der Patienten führen können.
Definition und Epidemiologie
„Osteón“ und „póros“, die altgriechischen Begriffe für Knochen und Furt, Durchgang, Pore sind nicht nur etymologisch prägend für eine Erkrankung, die sehr mit dem alternden Menschen assoziiert ist. Die Leitlinie des Dachverbandes Osteologie (DVO) definiert die Osteoporose als eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung der Knochensubstanz charakterisiert
ist [1]. Um beim sprachlichen Ursprung zu bleiben: Kennzeichnend für eine Osteoporose ist das Missverhältnis von Knochensubstanz und dem Hohlraum dazwischen (einer gesteigerten Porosität) – was in der Folge eine Verschlechterung der Knochenstatik und konsekutiv ein gesteigertes Risiko für Frakturen nach sich zieht, auch bei „normalen“ Belastungen mit geringer Krafteinwirkung. Als „manifest“ wird eine Osteoporose bezeichnet, wenn es bereits zu Frakturen gekommen ist.
Epidemiologisch ist die Osteoporose keine seltene Erkrankung beim älter werdenden Menschen: Die EPOS-Studie zeigte bei Frauen im postmenopausalen Alter zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr eine Häufigkeit von 15 %; bei Frauen ab dem 70. Lebensjahr ist fast jede zweite Frau erkrankt (45 %). Männer sind seltener betroffen (50.-60. Lebensjahr: 2,4 %, ab dem 70. Lebensjahr 17 %) [2]. In Deutschland leiden etwa 6 Millionen Menschen unter Osteoporose, pro Jahr kommen etwa 885.000 Neudiagnosen hinzu [3].
Pathogenese
Ein gesunder Knochen befindet sich im ständigen Umbau: Osteoklasten bauen vorwiegend ältere und brüchigere Trabekelstrukturen im Knochen ab, frisches Osteoid wird durch Osteoblasten synthetisiert und härtet nach abgeschlossener Mineralisation zu neuem Knochen aus. Jedes Ungleichgewicht zugunsten des Knochenabbaus führt zu einer Osteoporose.
Primäre Formen der Osteoporose können durch Abfall des Östrogens bei Frauen verursacht sein oder als sogenannte senile Osteoporose auftreten. Hierbei kommt es etwa ab dem 70. Lebensjahr in Folge von Kalzium- und/oder Vitamin-D3-Man- gel, durch die sinkenden Spiegel von Wachstumsfaktoren oder auch auf Basis genetischer Disposition zur Osteoporose. Das Risiko für eine Fraktur, also eine manifeste Osteoporose, steigt im Alter zusätzlich durch Sarkopenie und Sturzrisiko an.
Bei bestehenden Grunderkrankungen, die Einfluss auf die Knochendichte nehmen, spricht man von einer sekundären Osteoporose. Bei der Betreuung von Patienten mit Diabetes mellitus, Erkrankungen der Schild- und Nebenschilddrüsen, Hypogonadismus oder mit dauerhafter Medikamenteneinnahme (z. B. Glukokortikoide, PPI, Zytostatika, Antazida) sollte immer auch das Vorliegen einer sekundären Osteoporose in Erwägung gezogen werden. Das Risiko sowohl für die primäre als auch für eine sekundäre Osteoporose steigt zudem bei Rauchern, bei hohem Alkoholkonsum mit einer Unterversorgung von Mineralstoffen sowie bei Adipositas und Bewegungsmangel.
Manifeste Osteoporose
Solange die knöcherne Struktur noch intakt ist, aber bereits ein Abbau der Knochenmasse messbar ist, liegt eine Osteopenie oder präklinische Osteoporose vor. Erst durch mindestens eine Fraktur wird dies definitionsgemäß zur manifesten Osteoporose. Prädilektionsstellen für Knochenbrüche sind die Wirbelkörper, der Oberschenkelhals sowie Unterarm und Hand (insbesondere nach Stürzen). Beim alternden Menschen müssen auch die Folgen dieser Verletzungen beachtet werden: Patienten im Alter sind gefährdet, nach einem Sturzunfall Lungenentzündungen, Dekubiti, Thrombosen oder Embolien zu erleiden. Nicht zuletzt kann es auch bei zunehmender Immobilität zu Vermeidungsverhalten mit Angst und Isolation kommen. Der Verlust der Lebensqualität kann enorm sein [4].
Screening und Diagnostik
Unter der Beachtung der epidemiologischen Daten sollten Frauen ab dem 60. Lebensjahr sowie alle Patienten ab dem 70. Lebensjahr auf das Vorliegen einer Osteoporose untersucht werden. In der allgemeinmedizinischen oder hausärztlich-internistischen Praxis könnte beispielsweise die Herpes zoster- oder Pneumokokken-Impfung als „Arzt-Reminder“ fungieren, die Patienten dann auch auf Knochenschwund und andere geriatrische Leiden zu untersuchen.
Natürlich muss auch bei jedem Menschen, der einen Knochenbruch erlitten hat, ohne einer adäquaten Krafteinwirkung ausgesetzt gewesen zu sein, abgeklärt werden, ob eine Osteoporose vorliegt. Anamnestische Hinweise auf eine familiäre Häufung, Stürze, Alkoholkonsum oder Fehlernährung bieten ebenso Anlass zur weiteren Diagnostik.
Jede Vorerkrankung, die Einfluss auf den Vitamin-D3-, Kalzium- oder Phosphatstoffwechsel nehmen kann, sollte in der Anamnese beachtet werden: Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Zöliakie, Anorexia nervosa oder Bulimie, Kurzdarmsyndrom (Malassimilation); weiterhin Hypogonadismus, Diabetes mellitus sowie Nieren-, Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenerkrankungen [5].
Die länger anhaltende oder dauerhafte Medikation mit Glukokortikoiden, Antiandrogenen, Aromataseinhibitoren, Antiepileptika oder Protonenpumpeninhibitoren (PPI) muss im Rahmen der Medikamentenanamnese bei jedem Patienten erfasst werden.
Bei der körperlichen Untersuchung ist auf eine zunehmende Krümmung der Wirbelsäule sowie auf einen Verlust an Körpergröße zu achten. Bei zunehmender Osteoporose wird der Rippen-Becken- Abstand abnehmen. Unter den apparativen Methoden ist die Knochendichtemessung mit Dual Energy X-ray Absorptiometry (DXA) der Goldstandard. Jede Standardabweichung (T-Wert) unter -2,5 sichert die Diagnose einer Osteoporose.
Bei akuten oder chronischen Rückenschmerzen, die nicht sicher anders erklärbar sind, sollte mindestens eine Röntgenuntersuchung der BWS/LWS in zwei Ebenen veranlasst werden. Laborchemisch werden routinemäßig dann noch die Nierenwerte (Kreatinin, Harnstoff), die Leberwerte (Transaminasen mit alkalischer Phosphatase und gamma-GT) sowie CRP, TSH und Blutbild bestimmt. Bei alternden Männern sollte die männliche Sexualhormonachse mit FSH und LH untersucht werden. Beim Verdacht auf eine sekundäre Osteoporose sollte eine Vorstellung beim Internisten erfolgen, insbesondere wenn sich der Verdacht auf eine Malassimilationserkrankung stützt.
Vorbeugung
Alle Menschen sollten auf eine ausreichende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D3 achten, diese Empfehlung muss für Osteoporose-gefährdete Personen noch unterstrichen werden. Die Ernährungsmedizin empfiehlt eine Kalziumaufnahme von 800-1500 mg pro Tag, ganz gleich, aus welcher Quelle dieses bezogen wird [6,7]. Nicht-Veganer können den Tagesbedarf grundsätzlich gut aus Milch- und Milchprodukten decken, die Aufnahme aus kalziumreichem Mineralwasser ist immer möglich. Auch eine ergänzende Supplementation mit Kau- oder Brausetabletten ist unkompliziert.
Hinsichtlich der Vitamin-D3-Versorgung werden mindestens 1000 I.E. pro Tag empfohlen: Im Sommer kann die Versorgung durchaus übers Sonnenlicht gewährleistet sein, im Zweifel muss man eine Supplementation empfehlen. Viele Menschen sind jedoch nicht mehr lange genug dem Sonnenlicht ausgesetzt (Beruf, Schichtdienst, Kleidung bis hin zur Verschleierung, Kosmetika mit UV-B-Filter, Aufenthalt hinter Scheiben) [8,9]. Nahrungsmittel haben kaum ausreichenden Vitamin-D3-Gehalt, sodass folglich dann nur eine Substitution infrage kommt. Es stehen Produkte für die tägliche oder wöchentliche Gabe (bis 20.000 I.E.) zur Verfügung. Die Nutzung von Kombinationspräparaten mit Vitamin K, mit Omega-3- Fettsäuren oder im Rahmen von Probiotika bietet sich immer an, um die Tabletten- oder „Präparate“-Last zu reduzieren.
Basistherapie und spezifische Therapie der Osteoprose
Diese im Grunde der Gesamtbevölkerung zu empfehlende Mindestversorgung von 800-1500 mg Kalzium sowie 1000 I.E. Vitamin D3 stellt gleichzeitig die Basistherapie der Osteoporose dar. Sie ist Grundlage einer jeden Behandlung, die durch eine spezifische Osteoporose-Therapie ergänzt wird.
Ob die Basistherapie ausreichend ist oder spezifisch mit Antiosteoporotika ergänzt werden muss, lässt sich durch die Erstellung eines patientenindividuellen Risikoprofils ermitteln. Wenn das Frakturrisiko für Wirbelkörper im 10-Jahreszeitraum über 30 % liegt, wird nach DVO-Leitlinie die Indikation zur spezifischen Osteoporosetherapie gestellt. Es steht eine Schwellenwerttabelle für die Indikationsstellung zur Verfügung, die nach Geschlecht und Alter stratifiziert ist (Tabelle 1) [1].
Die spezifische Osteoporose-Therapie erfolgt bei postmenopausalen Frauen vorwiegend mit antiresorptiv wirkenden Arzneistoffen (Hemmung des Knochenabbaus) wie Bisphosphonaten (oral und intravenös verfügbar), monoklonalen Antikörpern (RANKL-Antikörper) wie Denosumab und dem selektiven Östrogenrezeptormodulator (SERM) Raloxifen. Teriparatid stimuliert als rekombinantes Fragment des Parathormons den Knochenanbau [10], wirkt also osteoanabol. Die positive Wirksamkeit von Östrogenersatztherapien auf die Osteoporose sei an dieser Stelle erwähnt, diese sind aber bei den vielfältigen internistischen Nebenwirkungen (Thrombosen und Embolien, kardiovaskuläre Ereignisse, Demenzrisiko, Karzinomrisiko) kritisch zu sehen.
Für die männlichen Osteoporosepatienten sind (nicht alle) Bisphosphonate sowie Teriparatid zugelassen. Ein klinisch auffälliger und laborchemisch nachgewiesener Mangel an Testosteron sollte substituiert werden, was aber nicht zur spezifischen Osteoporosetherapie gehört.
Die Einleitung einer spezifischen Therapie erfolgt immer zusätzlich zur Basistherapie, die beibehalten wird. Bei den möglichen Nebenwirkungen gehört – wie bei allen medizinischen Maßnahmen – eine ausführliche Patientenaufklärung und Dokumentation zu den obligaten Schritten. Die Wirksamkeit und auch mögliche Nebenwirkungen müssen überprüft werden, bei Unverträglichkeiten sind Umstellungen auf andere Substanzen oder Substanzklassen zu erwägen. Wichtig ist eine langfristige Adhärenz des Patienten, nur bei möglichst gut verträglicher Therapie wird die üblicherweise angestrebte Behandlungsdauer von drei bis fünf Jahren erreicht [11].
Als Therapieziel ist mindestens ein Erhalt der initialen Knochendichte zu setzen, im Idealfall ist eine Zunahme festzustellen. Unter lebenslanger Beibehaltung der Basistherapie kann dann eine Behandlungspause versucht werden, unter jährlicher Kontrolle der Knochendichte.
Herausforderungen im letzten Lebensdrittel
Healthcare professionals ist gut bekannt, dass Patienten mit Osteoporose ein deutlich höheres Risiko für Knochenbrüche haben. Wichtig ist aber auch, dass Patienten im letzten Drittel des Lebens durchaus komplexere Situationen mitbringen, die eine erfolgreiche Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen schwieriger machen und eine entsprechende „Rezidivprophylaxe“ oft ein multidisziplinäres Vorgehen erfordert: Multimorbidität, Polypharmazie, Immobilität und Einsamkeit sind Faktoren, die beispielsweise bei der Behandlung eines jungen Erwachsenen mit einem Knochenbruch kaum eine Rolle spielen – aber im Alter allesamt und in Kombination eine sehr hohe Bedeutung haben.
Wer auch immer zuerst in Kontakt mit dem geriatrischen „Fall“ kommt, sollte motiviert sein, eine umfassende Anamnese zu erheben und frühzeitig entsprechende Kollegen zu involvieren. Eine perfekt durch den Internisten behandelte Osteoporose nützt wenig, wenn eine Patientin im Rahmen einer Depression oder einer beginnenden Demenz nur noch auf dem Sofa liegt und kontinuierlich Muskelmasse verliert. Und auch die beste orthopädisch- unfallchirurgische Versorgung einer Femurfraktur sorgt nur kurzfristig für Linderung, wenn der Patient danach nicht beübt, auf Osteoporose untersucht und behandelt wird.
Fazit
Die frühzeitige Identifikation von Osteoporose- (und sturz-)gefährdeten Menschen ist für eine rechtzeitig beginnende Therapie essenziell. Neben einer ausführlichen Anamnese einschließlich der Familien- und Medikamentenanamnese steht den Behandelnden vor allem die Knochendichtemessung zur Diagnosesicherung zur Verfügung.
Die Basistherapie die Osteoporose stützt sich auf eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D3-Versorgung, die ohnehin auch für eine gesunde Ernährung empfohlen werden. Die Entscheidung zur Einleitung einer spezifischen antiosteoporotischen Therapie erfolgt leitliniengerecht anhand des T-Wertes und im Wesentlichen anhand von Alter und Geschlecht. Hierfür stehen verschiedene wirksame Substanzen zur Verfügung, die Auswahl sollte anhand der Kontraindikationen und Nebenwirkungen erfolgen. Eine gute Verträglichkeit ist wichtig, um eine hohe Adhärenz des Patienten über die drei bis fünf Jahre dauernde spezifische Therapie zu erreichen. Die Versorgung von alterstraumatologischen Verletzungen sollte immer interdisziplinär und nachhaltig erfolgen.