Oktober 2023 – Ausgabe 42

Orthopädische Spätschäden beim Gewichtheben und Geräteturnen

Schmitt

Prof. Dr. med. Holger Schmitt
Zum Arztprofil

Schlüsselwörter: Rotatorenmanschettenläsion, Ellenbogenluxation, Synovialitis am Handgelenk, retropatellare Chondropathie, Kapselbandverletzung des Sprunggelenks, vordere Kreuzbandruptur, Unterarmfraktur, Sprunggelenksarthrose, Handgelenksarthrose, Ulna-plus-Phänomen

Am Beispiel der beiden Sportarten Gewichtheben und Turnen werden die sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Athletinnen und Athleten und die sich aus den Belastungen ergebenden Risiken für Verletzungen und Spätschäden dargestellt. Ebenfalls erwähnt werden die positiven Effekte: Durch eine gut ausgebildete Rumpfmuskulatur ist die Wirbelsäule trotz der Belastungen in beiden Sportarten stabilisiert und geschützt, sodass im Vergleich zu nicht Sporttreibenden keine Häufung von Rückenbeschwerden beobachtet wird.

Intensive Belastungen im Leistungssport können sowohl zu akuten Verletzungen als auch zu chronischen Überlastungsschäden führen. Je nach gewählter Sportart können dabei verschiedene Körperregionen in Mitleidenschaft gezogen werden. Drei Faktorengruppen bestimmen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Spätschäden im Sport: Neben den sogenannten endogenen Faktoren, d. h. Kriterien, die jedes Individuum von Geburt an sportunabhängig mitbringt, finden sich auch sportartspezifische Kriterien. Die Art der Belastung je nach Sportart und Disziplin ist ein solches Kriterium mit großem Einfluss. Der andere Faktor, die Verletzungswahrscheinlichkeit, ist erhöht bei Sportarten mit direktem Gegnerkontakt. Unter endogenen Faktoren versteht man personenspezifische Besonderheiten, die, sofern sie die Gelenke betreffen, sich im Wesentlichen äußern in Fehlstellungen, Fehlbildungen und Instabilitäten, die mit einem erhöhten Arthroserisiko in Zusammenhang stehen.

Im Folgenden werden an zwei sehr unterschiedlichen Sportarten die Belastungen während der Sportausübung und die damit verbundene Wahrscheinlichkeit von Spätschäden erläutert.

Gewichtheben

Das olympische Gewichtheben besteht aus zwei Disziplinen: dem Reißen und dem Stoßen. Beim Reißen wird das Gewicht mit breitem Griff und in einem Zug – meist in Hocktechnik – zur Hochstrecke auf die durchgestreckten Arme gebracht (Abb. 2). Beim Stoßen wird das Gewicht in etwa schulterbreit gefasst und zuerst mittels Hocktechnik auf die Brust und dann von dort nach kurzem Schwungholen durch Anbeugen der Kniegelenke durch Abstoßen senkrecht nach oben auf die durchgestreckten Arme gebracht (Abb. 1).

Grundsätzlich fördert Gewichtheben als kraftbetonte Sportart die Ausbildung eines guten Muskelkorsetts und führt somit zu einer gesteigerten Belastbarkeit des Muskel-Sehnen-Apparates. Insbesondere Maximalkraft und Beweglichkeit können verbessert werden. Von besonderer Bedeutung sind darüber hinaus Schnellkraft und Koordination.

Bei regelrechter Technik ist Gewichtheben nicht wirbelsäulenschädlich. Insbesondere das körpernahe Anheben des Gewichtes führt zu einem geringen Verletzungsrisiko. Auch eine Schädigung von Wachstumsfugen im Kindes- und Jugendalter bei Gewichthebern ist nicht bekannt. Zu Wachstumsverzögerungen oder -beschleunigungen ist es bislang nicht gekommen.

Verschiedene Körperregionen unterliegen einem gewissen Verletzungsrisiko: Im Bereich der oberen Extremität finden sich Rotatorenmanschettenläsionen insbesondere im Rahmen von Ausgleichsbewegungen bei Fehlversuchen, bei denen der Athlet versucht, das Gewicht durch Anspannung von schulterübergreifender Muskulatur zu stabilisieren. Im Bereich des Ellenbogens kann es zu Überlastungen der Bandstrukturen kommen, teilweise auch zu Luxationen oder knöchernen Ausrissen. Als Dauerschäden können in diesen Fällen Bewegungseinschränkungen auftreten, meist im Sinne eines Streckdefizits. Überlastungsbeschwerden im Bereich der Handgelenke können ebenfalls auftreten. Hier finden sich insbesondere Synovialitiden (Gelenkentzündungen) im Bereich des Handgelenkes bei Überstreckbelastungen. Ein typisches Phänomen vor allem im Wettkampf stellen Risswunden der Hohlhand, zum Teil auch der Finger, dar.

Durch intensive Trainingsbelastung kann es zur Bildung von Hornhautschwielen kommen. Im Bereich der unteren Extremität sind insbesondere im Kniegelenksbereich Beschwerden bekannt. Neben retropatellarer Chondropathie (Knorpelschädigung) kommt es zu Sehnenansatzphänomenen im Bereich der Quadrizeps- und der Patellasehne, bei Jugendlichen auch im Bereich der Tuberositas tibiae. Akute Verletzungen des Tractus iliotibialis können ebenfalls auftreten, führen aber nicht zu dauerhaften Folgeschäden.

Grundsätzlich kann es auch im Bereich der Wirbelsäule zu Verletzungen kommen, wobei im Wesentlichen muskuläre Verspannungen im Vordergrund stehen. Es gibt keinen Nachweis dafür, dass bei regelrechter Technik strukturelle Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule durch Gewichtheben provoziert werden können.

Betrachtet man nun im Langzeitverlauf das Auftreten körperlicher Beschwerden ehemaliger Gewichtheber und Gewichtheberinnen, so finden sich teilweise im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule vermehrte Verschleißveränderungen der Intervertebralgelenke in der Röntgendiagnostik. Verschmälerung der Zwischenwirbelräume werden altersentsprechend gesehen, erhebliche Verschmälerungen treten fast nicht auf. Die guten und sehr kräftigen Muskelstrukturen sind im Vergleich zu nicht Sporttreibenden bei ehemaligem Gewichtheben deutlich besser ausgeprägt und führen dann auch zu einer geringeren Beschwerdesymptomatik.

Dies ist ein Phänomen, das sich bei zahlreichen ehemaligen Leistungssportlerinnen und -sportlern auch in anderen Sportarten findet. Auch in den leichtathletischen Wurfdisziplinen finden sich teilweise deutliche degenerative Veränderungen an Hüftgelenken und Kniegelenken im Sinne von Arthrosen, ohne dass die Athletinnen und Athleten über stärkere Beschwerden im Laufe des Lebens klagen, ebenso trifft dies auch für degenerative Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule zu. Betrachtet man die Sportart Gewichtheben im Vergleich zu Kampf- oder auch Spielsportarten, so ist das Auftreten der Arthrosen im Bereich des Hüft- oder Kniegelenkes, die das Einsetzen eines künstlichen Gelenkes erforderlich machen, deutlich geringer ausgeprägt.

Geräteturnen

Geräteturnen stellt als technisch akrobatische Sportart sehr hohe Anforderungen an die Athleten und Athletinnen hinsichtlich der motorischen Grundeigenschaften, psychomotorischer Grundleistungen, Koordination und Konzentration. Insbesondere die Aspekte Kraft, Kraftausdauer, Beweglichkeit und Schnelligkeit werden als wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme am Geräteturnen dargestellt.

Bereits im Kindes- und Jugendalter werden sehr große Trainingsumfänge und hohe Belastungen absolviert, um im internationalen Vergleich auch auf höchstem Niveau mithalten zu können. Teilweise werden im Juniorenbereich Wochentrainingszeiten von mehr als 20 Stunden realisiert. Diese hohe Trainingsintensität mit großen mechanischen Belastungen führt zu einer besonderen Beanspruchung des Bewegungsapparates. Es kommt zu hohen passiven Impactkräften sowie aktiven Kräften bei Sprüngen und Landungen, zu Zugbelastungen durch Beschleunigungs- und Zentrifugalkräfte mit Bodenreaktionskräften von bis zu 12-15 G bei Landungen, z. B. vom Reck, sowie zu Kompressions-, Torsions- und Scherkräften auf die Gelenke der oberen Extremität mit bis zum Zwei- oder Dreifachen des Körpergewichtes.

Die häufigsten akuten Verletzungen betreffen die Sprunggelenke, die insbesondere bei Landebelastungen zu Kapselbandverletzungen und teilweise auch zu Knorpelschädigungen führen. Etwas weniger häufig sind Verletzungen im Bereich der Kniegelenke. Hier werden insbesondere vordere Kreuzbandrupturen am Boden, bei Sprüngen und Landungen beobachtet.

An der oberen Extremität finden sich nach Stützbelastungen Unterarmfrakturen und auch Frakturen oder Luxationen des Ellenbogens. Beim Zugreifen kann es zu Schädigungen der Fingergelenke kommen. Die Zahl der Schultergelenkverletzungen im Geräteturnen ist im Vergleich zu den anderen Lokalisationen der oberen Extremität relativ gering.

Schwere Wirbelsäulenverletzungen kommen selten vor. Es kann durch Hyperflexions- oder Hyperextensionstraumen zu Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule und auch Lendenwirbelsäule kommen. Durch chronische Belastung bedingt wurden in der Vergangenheit bei aktiven Turnern und Turnerinnen gehäuft Spondylolysen (Unterbrechung des Wirbelbogens) und Spondylolisthesen (Wirbelgleiten) beobachtet (Abb. 3). Studien aus den 1990er-Jahren konnten hier einen hohen Prozentsatz dokumentieren. Veränderte Trainingsmaßnahmen mit insbesondere Betonung eines Krafttrainings konnten bei jugendlichen Athletinnen und Athleten zu einer deutlichen Reduktion dieser hohen Prozentzahlen führen.

Spätschäden im Sinne von Arthrosen der Hüft- oder Kniegelenke sind wie bei Ballspielsportarten beispielsweise beim Turnen nur wenig bekannt. Dies kommt zum einen dadurch, dass die Kunstturner und -turnerinnen ihren Sport als Leistungssport häufig nur über einen überschaubaren Zeitraum ausüben. Im internationalen Vergleich gibt es wenige Athletinnen und Athleten, die über das 30. Lebensjahr hinaus diesen Sport betreiben. Vorrangig bei den degenerativen Veränderungen sind Probleme im Bereich der Sprunggelenke (Arthrosen) sowie teilweise auch im Bereich der Handgelenke. Hier finden sich sportartspezifische Besonderheiten durch den Einfluss der Stützbelastungen auf die Wachstumsfuge des distalen Unterarmes. Aufgrund der Dauerbelastungen bei Stützbewegungen kommt es teilweise zu einem frühzeitigen Verschluss der Wachstumsfuge am distalen Radius beim Weiterwachsen der Ulna zum sogenannten „Ulna-plus-Phänomen“.

Bislang gibt es keinen Hinweis dafür, dass die besondere Bewegungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen in der Sportart Geräteturnen tatsächlich mit einem erhöhten Auftreten von degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule im höheren Erwachsenenalter korreliert. Es scheint so zu sein, dass die gut ausgebildete Muskulatur während der Trainingsphase und häufig auch danach wie auch bei Gewichthebern dazu dient, die Wirbelsäule trotz der sehr guten Beweglichkeit stabil zu halten und somit auftretenden Impulse keine Voraussetzung für Spätschäden sind.

Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei den beiden sehr unterschiedlichen Sportarten Gewichtheben und Geräteturnen das Auftreten von schweren degenerativen Veränderungen in den großen Gelenken (Schulter, Hüfte, Kniegelenk) nur relativ selten zu beobachten ist. Sportartübergreifend scheint eine sehr gute Muskulatur, die während der Sportausübung zum Erreichen von Höchstleistungen erforderlich ist, auch protektiv auf die Gelenke wirkt.

Das Risiko von Spätschäden wird erhöht beim Auftreten von akuten Verletzungen, beim Gewichtheben im wesentlichen Ellenbogen und Kniegelenk betreffend, beim Geräteturnen hauptsächlich Knie- und Sprunggelenk betreffend.

Prof. Dr. med. Holger Schmitt
DEUTSCHES GELENKZENTRUM HEIDELBERG
ATOS Klinik Heidelberg
holger.schmitt@atos.de