Oktober 2023 – Ausgabe 42

Mögliche Spätfolgen nach Volleyball-Leistungssport

Berrsche

Dr. med. Gregor Berrsche
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Schlüsselwörter: Supraspinatussyndrom, Infraspinatussyndrom, Volleyballschulter, Patellaspitzensyndrom, Knorpelschaden, Meniskusschaden, Kreuzbandverletzung, Supinationstrauma, osteochondrale Läsion, chronische Achillessehnenentzündung

Volleyball ist eine der beliebtesten Sportarten weltweit und erfordert schnelle Bewegungen, abrupte Richtungswechsel und insbesondere Sprungbelastungen. Durch repetitive Belastungen können Überlastungsschäden an Knie und Sprunggelenk sowie an der Schulter entstehen, die für chronische Spätfolgen weitaus häufiger verantwortlich sind als akute Verletzungen.

Deutschland ist 2023 im August und September Co-Gastgeber der Volleyball- Europameisterschaft der Frauen. Seit den Sommerspielen in Tokio 1964 ist Volleyball olympisch und wurde im professionellen Bereich zunehmend intensiver und dynamischer in der Spielgestaltung. Auf diese spezifischen Belastungen werden die Athletinnen und Athleten bereits früh im Rahmen der Nachwuchsförderung durch gezielte Trainingsmaßnahmen vorbereitet. Im Leistungs- und Profisport steigt die Beanspruchung nochmals durch zeitlich eng abgestimmte Trainings- und Wettkampfplanungen sowie verkürzte Regenerationszeiten. Nach Jahren intensivster Beanspruchung im leistungsorientierten Volleyball sind daher sportarttypische Spätfolgen möglich. Durch repetitive Belastungen, insbesondere von Knie und Schultergelenken, mit stereotypen Bewegungsmustern sind die Spätfolgen zumeist chronische Überlastungsschäden und selten die Folge von Akutverletzungen.

Schulter

Ballaktionen werden im Angriff durch Aufschlag, Zuspiel oder Schmetterschlag und durch Blocken in der Abwehr durchgeführt. Diese Überkopfbelastungen mit explosivem Beschleunigen und Abbremsen des Schultergürtels als zentralem Gelenk der Kraftübertragung auf den Spielball sind analog zum Handball oder Tennis. Entsprechend finden sich an der Schulter insbesondere Sehnenpathologien durch Supra- und Infraspinatussyndrome und Gelenklippen-Veränderungen sowie Impingement-Konstellationen (Engpasssyndrome), wie sie bei der sog. Wer- ferschulter häufig auftreten (Abb. 1). Dazu gehören auch Veränderungen der ventralen Gelenkkapsel durch Verkürzungen (GI- RD – glenohumerales Innenrotationsdefizit). Sportarttypisch ist die sog. Volleyballschulter mit Verletzung des N. suprascapularis und konsekutiver Atrophie des M. infraspinatus mit Ausbildung einer charakteristischen Delle am Schulterblatt.

Knie und Sprunggelenk

Die allermeisten Spielaktionen finden in einer Höhe von ca. 2,70 bis 3,50 Metern statt. Der Maximalsprung ist daher das charakteristischste Element des Sports bei Angriff- und Abwehraktionen. Mehrere Hundert Sprünge werden pro Trainingseinheit absolviert. Gerade die vorderen Knieabschnitte sind hierbei durch die Exzentrik und die Vorfußbelastung stark beansprucht. Die Folge ist eine chronische Sehnenentzündung im ersten Drittel der Patellasehne (sog. Patellaspitzensyndrom), zum Karriereende häufig mit entsprechenden Strukturveränderungen der Sehnenmorphologie im MRT (Abb. 2).

Die hohe Sprungbelastung und Prellungen durch Stürze belasten aber auch den Knorpel im vorderen Kniekompartiment, dem sog. patello-femoralen Gelenkabschnitt. Die Kniescheibe läuft hier physiologisch in einer Vertiefung des Oberschenkelknochens und überträgt die Muskelkraft des Oberschenkels auf den Unterschenkel bei Kniestreckung. Bei Sprüngen kommt es zu einer explosiven Kraftentwicklung und -übertragung. Durch dauerhaft überhöhte Anpressdrücke und Traumata kommt es zunächst zu kleinen Knorpelschäden, typischerweise hinter der Kniescheibe und/oder in der gegenüberliegenden Gleitrinne, die sich im Verlauf zunehmend vertiefen und ausbreiten.

In der Folge kommt es zur isolierten Retropatellararthrose. Frühzeitig erkannt können größen- und stadienadaptierte autologe Knorpelersatzverfahren zum Tragen kommen, von lokalen Mikrofrakturierungen bis hin zu Knorpeltransplantationen (s. Abb. 3), die den Gelenkabschnitt und die ursprüngliche Funktionalität erhalten. Bei ausgetragenem patello-femoralem Gelenkabschnitt ist ein Gelenkersatz der retropatellären Gelenkfläche angezeigt. Hier kann auch mittels patienten-individuellem Ersatz über 3-d-Druckverfahren die originäre Gelenkfläche passgenau ersetzt werden, sodass die gewohnte sportliche Belastung, wie z. B. Volleyball, wieder möglich ist. Andere typische chronische Strukturverletzungen im Knie durch die hohe Sprung- und Rotationsbelastung finden sich an den Menisken. Gerade der Innenmeniskus ist aufgrund anatomischer Gegebenheiten häufig betroffen (Abb. 4). Durch die dynamische und repetitive Spitzenbelastung mit dem Mehrfachen des Körpergewichts kommt es frühzeitig zu Einrissen und einem Verschleiß der Substanz. Die schmale Landezone nach Maximalsprüngen am Netz birgt dabei das größte Risiko für akute und zumeist trau- matisch bedingte Verletzungen. Isolierte Kreuzbandverletzungen sind dabei keine Seltenheit (Abb. 5).

Analog zu anderen Ballsportarten (z. B. Fußball, siebenfach) ist auch beim Volleyball aufgrund einer verminderten muskulären Stabilisierung während der Landung (dynamisches Genu valgum) die Rate an Kreuzbandrissen bei Mädchen und Frauen erhöht (zweifach). Eine operative Stabilisierung zur Vermeidung der instabilitätsbedingten Folgen, gerade für die ohnehin vermehrt beanspruchten Kniebinnenstrukturen wie den Meniskus, ist daher stets zu empfehlen im Leistungssport.

Sprunggelenk

Die Inzidenz der häufigsten Verletzung im Volleyball, einer Verdrehung mit Umknicken des oberen Sprunggelenks (sog. Supinationstrauma) ist dagegen geschlechtsunabhängig. Sie stellt über 50 Prozent der akuten Verletzungen im Volleyball dar. Als häufigste Spätfolge, insbesondere bei fehlender Stabilität am oberen Sprunggelenk (OSG) durch die Bandverletzungen, kann es zu Schäden an der Knorpel-Knochenintegrität, sog. osteochondralen Läsionen, kommen (Abb. 6).

Weitere Pathologien: Achillessehne, Lendenwirbelsäule, Finger

Weitere typische Pathologien als Sprungsportart betreffen chronische Entzündungen der Achillessehne (betont der sog. mid portion) und degenerative Veränderungen an der Lendenwirbelsäule durch Entwicklung von Facettengelenksarthrosen, ferner Bandscheibensinterungen und Osteochondrosen der Wirbelkörper.
Durch multiple Verrenkungen und Prellungen mit Kapsel- und Seitenbandverletzungen, gerade beim Blocken, sind Veränderungen der Fingergelenksbeweglichkeit durch Fehlstellungen, Instabilitäten oder Streck- und Beugedefizite häufig.

Fazit

Trotz dieser möglichen Spätfolgen ist Volleyball auch als Leistungssport keine Hochrisikosportart für vorzeitigen Gelenkverschleiß. Mit im Durchschnitt 4,2 Verletzungen pro 1000 Spielstunden liegt Volleyball hinter den Kontaktsportarten. Zur Vermeidung von gravierenden Spätfolgen wird zur Prävention von Überlastungen ein besonderes Augenmerk auf muskuläre Dysbalancen an der oberen (insbesondere Scapulaführung) und an der unteren Extremität (Oberschenkelstrecker mit M. vastus medialis und Hamstrings) sowie der Rumpfmuskulatur (Prinzipien der sog. core stability) gelegt.

Dr. med. Gregor Berrsche
DEUTSCHES GELENKZENTRUM HEIDELBERG
ATOS Klinik Heidelberg
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