Mai 2025 – Ausgabe 45

Meine prägendsten Erfahrungen in der Hüft- und Kniegelenkendoprothetik: die USA-Aufenthalte in Klinik und Forschung

Prof. Dr. med. Rudi G. Bitsch
Zum Arztprofil

Was war die prägendste Erfahrung in meinem Spezialgebiet der Endoprothetik von Hüft- und Kniegelenk? Was waren für mich die umwälzende Innovation und die wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte? Es fällt mir schwer, darauf eine kurze und konkrete Antwort zu geben. Mein früherer Chef stellte mir einmal eine ähnliche Frage: Glauben Sie, dass sich in der Endoprothetik in den letzten Jahren etwas Bedeutendes verändert hat? Meine Antwort war: Ja, das glaube ich! Es wurden so viele wichtige Dinge eingebracht, geändert oder weiterentwickelt, dass es eher schwerfällt, die eine wichtigste Veränderung herauszuheben.

Meine Ausbildung an der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg wurde schon früh von der Mitarbeit im Heidelberger Labor für Biomechanik beeinflusst, das ich später auch langjährig geleitet habe. Durch dieses wissenschaftliche Arbeiten war es mir möglich, Kongresse auf der ganzen Welt zu besuchen, die aktuelle wissenschaftliche Literatur nicht nur zu lesen, sondern als lebendige Erfahrungsberichte zu verfolgen, die von Autorinnen und Autoren vorgetragen wurden. Ich kam international mit verschiedenen Forschungsgruppen in Kontakt, lernte Entwicklungsingenieurinnen und -ingenieure in den Spezialabteilungen der Prothesenhersteller kennen und entwickelte eigene Patente.

Eigene Forschung zum Verschleiß von Gleitlager-Materialien

Im Rahmen dieses Engagements unternahm ich auch mehrfach längere Auslandsaufenthalte in den USA, so war ich 2004/2005 über ein Jahr in Los Angeles am Joint Replacement Institute der UCLA bei Thomas Schmalzried, Harlan Amstutz und Harry McKellop. Die Forschungsbereiche von Professor McKellop und Tom Schmalzried umfassten damals die Verbesserung der Haltbarkeit orthopädischer Implantate, die Entwicklung und Bewertung verschleißresistenter Materialien für Prothesengleitlager, insbesondere von hochvernetztem Polyethylen und Metall-Metall-Gleitlager. Die Explantatanalyse gehörte auch dazu, um bewerten zu können, wie Design und Gleitlagermaterial die langfristige Haltbarkeit und klinische Leistungsfähigkeit beeinflussen. Ferner wurde die Computer-Modellierung eingesetzt, um die Leistungsstärke verschiedener orthopädischer Implantate bewerten und verbessern zu können, insbesondere in Bezug auf die Schnittstelle zwischen Knochen und Implantat.

In diesem Umfeld war es möglich, 34 Personen mit Hüfttotalendoprothesen und einem Marathon-Polyethylen-Inlay aus vernetztem Polyethylen mit 24 Endoprothesen und einem herkömmlichen (in Luft-gamma-sterilisierten) Enduron-Polyethylen-Inlay zu vergleichen. Es wurden die Verschleißraten anhand sequenzieller Fünf-Jahres-Röntgenaufnahmen und einer Messung der Patientenaktivität mit einer linearen Regressionsanalyse bestimmt. Das Marathon-Polyethylen zeigte durchschnittliche Verschleißraten von 15,4 mm³/Jahr und 8,0 mm³/Million Zyklen. Das Enduron-Polyethylen wies durchschnittliche Verschleißraten von 55,5 mm³/Jahr und 29,9 mm³/Million Zyklen auf. Die angepasste volumetrische Verschleißrate des Marathon-Polyethylens war um 73 % niedriger als die des Enduron Polyethylens (p = 0,001). Osteolysen entwickelten sich bei acht der 24 Hüften mit einem Enduron Inlay, waren jedoch bei keiner Hüfte mit einem Marathon-Inlay feststellbar. Mit dieser Arbeit war es uns erstmals gelungen, nicht nur die Abriebfestigkeit von hochvernetztem Polyethylen aktivitätsbezogen nachzuweisen, sondern auch die geringere Anfälligkeit für Osteolysen nach einer minimalen Beobachtungszeit von fünf Jahren zu beweisen (DOI: 10.2106/JBJS.F.00991).

Zu patientenspezifischen Schnittblöcken

Im Rahmen des Lautenschläger Reisestipendiums der Manfred Lautenschläger Stiftung Heidelberg war ich 2012 ein weiteres Mal in den USA, diesmal in Boston am Brigham and Women‘s Hospital der Harvard Medical School bei Wolfgang Fitz, Richard D. Scott und Thomas S. Thornhill. Selbstverständlich standen an dieser für die Knieendoprothetik renommierten Institution und mit den auf diesem Gebiet herausragenden medizinischen Kollegen die neusten Entwicklungen der Knieendoprothetik im Vordergrund, wie patientenindividuelle Knieprothesen nach Maß, das optimale Alignment von Knieprothesen und die gapbalancierte Implantation der Prothesenkomponenten. In einer Studie aus dieser Zeit wurde von mir eine aufeinanderfolgende Serie von 21 Personen mit Kniearthrose und 22 kreuzbanderhaltenden Knieprothesen untersucht. Während der Operationen wurde die Rotation der Bohrlöcher der Femurkomponente bei allen Kniegelenken sowohl mit patientenspezifischen Sägeblöcken als auch gapbalanciert aufgezeichnet und anschließend in Computertomografien übertragen. Die Rotationsunterschiede zwischen den beiden Methoden, relativ zur transepikondylären Achse, wurden analysiert. Basierend auf unserer Studie zeigte sich die Notwendigkeit, die Femurrotation nicht nur auf Grundlage CT-basierter patientenspezifischer Sägeblöcke auszurichten, sondern diese zu kontrollieren und an die Bandspannung anpassen zu können (DOI: 10.1007/s0016701538369).

Und zu minimalinvasivem Zugang

Zudem wurde in dieser Zeit am Brigham and Women‘s Hospital die Implantation von Hüftprothesen minimalinvasiv über den direkten anterioren Zugang im Rahmen eines Enhanced Recovery Programm eingeführt. Schnell war ich von den Vorteilen dieses Vorgehens überzeugt, von der präoperativen Optimierung der Patientinnen und Patienten mit Verbesserung des körperlichen Zustands und der Vermeidung unnötiger Bluttransfusionen (Patient Blood Management), von einem optimierten Schmerzmanagement und der Verwendung regionaler Betäubungsverfahren, um den Einsatz von Opioiden zu minimieren, sowie von den minimalinvasiven operativen Techniken, um Gewebe- und Muskelschäden zu vermeiden. Diese geringere operative Traumatisierung ermöglicht nicht zuletzt eine frühe Mobilisation und verkürzte Krankenhausaufenthalte bei geringerer Komplikationsrate.

Ich übernahm nahezu das komplette Konzept und seine Weiterentwicklungen in meine klinische Routine und operiere meine Patientinnen und Patienten mit einer fortgeschrittenen Hüftarthrose nur noch minimalinvasiv über den direkten anterioren Zugang unter Verwendung eines speziellen Lagerungstisches. Diese Entwicklung in der Endoprothetik geht selbstverständlich immer weiter. So verfügen wir an der ATOS Klinik Heidelberg über ein Mako Smart Robotics™-Roboter-Assistenzsystem. Diese Technologie unterstützt die präzise Platzierung von Implantaten und verbessert die Genauigkeit während des Eingriffs. Beispielsweise ermöglichen optische Messsysteme, die Computernavigation und Augmented-Reality-Lösungen eine exakte dreidimensionale Planung und Umsetzung der Operation zur Erreichung z. B. eines optimalen Bewegungsausmaßes ohne Anschlagen von Prothesenkomponenten und Knochen (Impingement), welches gerade bei Erkrankten mit zusätzlichen Rückenproblemen oder Voroperationen vorteilhaft sein kann.

Fazit

Wenn ich also die prägendste Erfahrung in meinem Spezialgebiet nennen müsste, so wäre es sicherlich das kontinuierliche und international vernetzte wissenschaftliche Arbeiten mit dem Ziel, eine Verbesserung der klinischen Anwendungen zu erreichen. Oder als persönliche Eigenschaft ausgedrückt: niemals stehen bleiben und mit dem Erreichten zufrieden sein, sondern offen bleiben, um auch mit langjähriger eigener Erfahrung weiter Neues dazulernen zu dürfen.

ATOS