Mai 2025 – Ausgabe 45
Mein Blick auf die Schulterchirurgie
Dr. med. Thomas Ambacher
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Dieses Thema ist ein geeigneter Anlass, einmal zurückzuschauen und sich bewusst zu machen, welche Entwicklung die Schulterchirurgie und man selbst genommen haben.
Man muss – persönlich betrachtet – sogar noch weiter zurückgehen: Wann begann überhaupt meine Überlegung, mich auf ein Gelenk zu spezialisieren? Bei mir war das 1986, als ich einen Knieoperateur aus der Schweiz kennenlernte, der ausschließlich Kniechirurgie betrieb. Dies war zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland noch völlig unüblich, wir waren noch lange Zeit in der Phase des Generalistentums. Die Ergebnisse der operierten Kniegelenke dieses Kollegen waren denen aller Generalistenoperateurinnen und -operateure derart überlegen, dass ich die Inspiration hatte, mich später selbst auch auf ein Gelenk zu fokussieren.
Inspiration durch Peter Habermeyer
Dass ich dann bei der Schulter gelandet bin, ist auf einen Vortrag von Peter Habermeyer zurückzuführen, den ich 1987 in Ulm gehört habe. Ich begann mich danach speziell für die Schulter zu interessieren vor allem aus dem Gefühl heraus, dass sich im Vergleich zu anderen Gelenken kaum jemand damit wirklich richtig auskannte. Zum damaligen Zeitpunkt war die Schulter ein Gelenk, das diagnostisch und therapeutisch noch nicht verstanden war, sehr vieles war unklar.
Im Rahmen meiner Promotion 1990 hat sich ein befreundeter Kollege mit dem Thema Rotationsosteotomie nach Luxationen der Schulter befasst. Wenn man bedenkt, dass das in den 1980er Jahren noch ein etabliertes Verfahren war, erkennt man retrospektiv, auf welchem Stand der Pathoanatomie und Pathomechanik wir damals waren.
Wesentlich geändert hat sich das dann in den 1990er Jahren mit der Verbreitung vor allem der diagnostischen apparativen Verfahren, wie Sonographie und MRT, sowie verbesserter klinischer Untersuchungstechniken.
Ich hatte das Glück, dass ich zu einem Zeitpunkt in die Schulterchirurgie eingestiegen bin, an dem die ganze Entwicklung in Diagnostik und Therapie gerade begonnen hat und somit vor mir lag. Die rasante Entwicklung, welche die Schulterchirurgie dann nahm, hat wohl niemand vorhersehen können. Zur Jahrtausendwende wurde mir noch prophezeit, dass man allein von der Schulter nicht leben könne. Einige aus meiner Sicht wesentliche Meilensteine möchte ich darstellen. Die Aufzählung ist sicher unvollständig.
Klinische Untersuchung, Sonographie, Röntgen, MRT
Zunächst galt es überhaupt im Rahmen der Diagnostik herauszufinden, was die Ursache einer schmerzhaften Funktionsstörung der Schulter war. Es gab früher den Begriff Periarthritis humeroscapularis (PHS), unter dem so ziemlich alles an Schulterschmerzen undifferenziert in einem Wort subsumiert wurde.
Differenzierte klinische Untersuchungstechniken waren in Deutschland bis in die 1990er Jahre nur in den wenigen Schulterzentren und Schulterambulanzen konzentriert. Es gab einzelne Keimzellen, z. B. in München und Würzburg, von denen aus sich das zunehmende Wissen verbreitete. Durch Kurse und Vorträge konnte man sich einiges aneignen, die Umsetzung im Alltag war allerdings ohne Anleitung schwierig. Für den deutschsprachigen Raum war das „grüne Buch“ der Schulterchirurgie von Peter Habermeyer ein erster Standard, in dem man eine systematische Untersuchung nachlesen konnte.
Im Laufe der Zeit lernte man, verschiedene Krankheitsbilder durch eine spezifische Anamnese und Untersuchung zu differenzieren. Die Diagnose PHS verschwand allmählich, ersetzt durch unterschiedliche Krankheitsbilder, von denen wir dann auch die Pathoanatomie und -physiologie kannten. Zusätzlich zur klinischen Untersuchung wurde die Schultersonographie Standard. Mit zunehmender Verbesserung der Geräte konnten wir viele pathologische Zustände bereits im Rahmen der Erstuntersuchung erkennen: Partial- und Komplettrupturen der Rotatorenmanschette, Bursitiden, Gelenkergüsse, Verkalkungen.
Ein wegweisender Fortschritt war die flächendeckende Verbreitung der MRT-Diagnostik. Da ein Großteil der Schulterpathologien ursächlich in Erkrankungen und Läsionen der Weichteile und nicht im Knochen liegt, konnten wir im MRT viele Pathologien genauer und auch reproduzierbar erkennen. Mit der Zeit entwickelten sich Klassifikationen der verschiedenen Läsionen mit Kriterien zur Entscheidungsfindung hinsichtlich konservativer und operativer Behandlung sowie hinsichtlich der Kausalität einer Läsion. Als Beispiel dient die Rotatorenmanschettenläsion mit den Klassifikationen zur Retraktion und Atrophie.
Arthroskopische Diagnostik und Therapie
In den letzten vier Jahrzehnten hat die Arthroskopie eine beeindruckende Entwicklung genommen. Vor 40 Jahren hatten wir noch kleine Monitore im Din A4-Format, deren Bildqualität nicht einmal ansatzweise mit der Leistungsfähigkeit der aktuellen Kameras vergleichbar war. Die großen Monitore mit ihrem enormen Vergrößerungseffekt und maximaler Auflösung sind eine erhebliche Erleichterung für die Operierenden und ermöglichen eine präzise Rekonstruktion. Erst durch die Weiterentwicklungen der Arthroskopie wurde es bei zusammenfassender Betrachtung der Informationen aus Anamnese, klinischer Untersuchung und bildgebender Diagnostik überhaupt möglich, die Pathoanatomie unterschiedlicher Krankheitsbilder an der Schulter auch kausal zu verstehen sowie Klassifikationen und Behandlungsempfehlungen zu entwickeln.
Implantatentwicklung an der Schulter
In den 1980er Jahren gab es noch keine Implantate zur Refixation von Weichteilstrukturen. Sehnennähte erfolgten mühsam transossär, ebenso Labrumrekonstruktionen. Ein Meilenstein war die Entwicklung von Fadenankern, denn erst durch diese waren standardisierte arthroskopische Methoden zur Refixation von Sehnen- und Labrumgewebe möglich. Schrittweise erfolgte eine Weiterentwicklung über Kunststoff- und resorbierbare Fadenanker zur reinen Fadenfixation ohne sonstiges Fremdmaterial. Dadurch konnten Einschränkungen in der postoperativen Diagnostik, Probleme bei Folgeeingriffen und Komplikationen durch ein Implantatimpingement vermieden werden. In der aktuellsten Implantatgeneration ist die Refixation der Weichteilstrukturen durch reines Fadenmaterial ohne Knoten bei sehr kurzen OP-Zeiten möglich, was zu einer weiteren Reduzierung der Komplikationsrate und zur zunehmenden Verbreitung der arthroskopischen Verfahren maßgeblich beigetragen hat.
Anatomische Prothesen
Über einen langen Zeitraum hatten Schulterprothesen den Ruf, schlechte Resultate hervorzubringen. Wenn man retrospektiv die nicht anatomischen Implantate betrachtet, ist das auch nicht verwunderlich. Bis in die 1980er Jahre waren Monoblockprothesen üblich, welche nicht annähernd die anatomische Situation reproduzieren konnten. Mit Verbreitung der anatomischen Implantate änderten sich auch die Behandlungsresultate grundlegend. Die Rekonstruktion der Humeruskopfanatomie konnte mit den Implantaten der 3. und 4. Generation gelöst werden. Metaphysär verankerte Humeruskopfimplantate verdrängten dabei zunehmend die Schaftimplantate. Eine Herausforderung blieb der Glenoidersatz.
Inverse Prothesen
Ein weiterer Meilenstein war die Entwicklung der inversen Implantate, die sich um die Jahrtausendwende auch in Deutschland zunehmend verbreiteten. Zunächst häufig als Revisionsimplantat verwendet, waren dann die Hauptindikationen die Cuff-Arthropathie, Arthrosegelenke mit großen Rotatorenmanschettenschäden oder funktioneller Insuffizienz der Manschette. Anfangs war man noch eher zurückhaltend mit den Indikationen, da man die Befürchtung von frühzeitigen Glenoidlockerungen hatte. Dies bestätigte sich in Langzeitstudien auch über mehr als zehn Jahre nicht. Die Lockerungsraten auf der Glenoidseite waren sogar deutlich niedriger als bei den anatomischen Implantaten. Alle Anwendenden waren ebenfalls erstaunt über die sehr hohe Rate funktionell guter Ergebnisse mit annähernder Schmerzfreiheit auch bei erheblichen Vorschäden der Gelenke. Ein weiterer Vorteil war die frühfunktionelle Nachbehandlungsmöglichkeit bei diesen Implantaten, sodass die Betroffenen in sehr kurzer Zeit hervorragende Resultate erreichten.
Diese Beobachtungen haben letztlich auch dazu geführt, dass die inverse Prothese die anatomische Frakturprothese bei komplexen Frakturen älterer Patientinnen und Patienten vollkommen verdrängt hat.
Winkelstabile Implantate
Zu Beginn meiner Ausbildung begann die Phase der Zunahme von osteoporoseassoziierten Frakturen bei zunehmend älteren Menschen. Am Humeruskopf wurden die meisten Frakturen mit T-Platten aus Implantatstahl oder mit geschlossener Reposition mit von distal eingebrachten Kirschner-Drähten versorgt. Die Ergebnisse waren häufig unbefriedigend mit Repositionsverlust, Dislokation der Kirschner-Drähte und Ausriss der Schrauben aus dem osteoporotischen Knochen. Hinsichtlich der biomechanischen Stabilität stellten die winkelstabilen Platten aus Titan eine erhebliche Verbesserung dar. Die Gewebereaktion war reduziert, die Platten waren deutlich dünner, und die Dislokationsrate konnte massiv reduziert werden. Die Versorgung mit winkelstabilen Implantaten ermöglichte eine frühzeitige übungsstabile Mobilisierung. Es verblieb aber dennoch eine relativ hohe Rate von etwa 30 % der Patientinnen und Patienten mit funktionell unbefriedigenden Resultaten und mit Sekundäreingriffen zur frühzeitigen Korrektur oder Entfernung von einzelnen Schrauben durch Sinterung des Kalottenfragmentes.
Stammzellen
Wie bereits eingangs beschrieben, sind in den vergangenen drei bis vier Dekaden die mechanischen und biomechanischen Herausforderungen zur anatomischen Rekonstruktion unterschiedlicher Schulterpathologien hervorragend gelöst worden. Auch in Zukunft sind hier noch Optimierungen zu erwarten, aber vermutlich keine derart bahnbrechenden Entwicklungen wie in der Vergangenheit. Weitere grundlegende Verbesserungen hinsichtlich der Heilung verletzter Strukturen und der Regeneration von degenerativ verändertem Gewebe sind vor allem von biologischen Verfahren zu erwarten. Für den Bereich Sehnenheilung gibt es bereits erste erfolgversprechende Ansätze mit Stammzellen, die zunächst in wenigen Zentren angewendet werden. Die Arbeitsgruppe um Christoph Schmitz aus München hat das Heilungspotenzial durch Injektion von Stammzellen in Supraspinatussehnengewebe eindeutig histologisch belegt. Für das kommende Jahrzehnt ist mit einer praxistauglichen Therapiemöglichkeit für Betroffene mit Partialschäden der Rotatorenmanschette zu rechnen.
Ernährung und allgemeine Lebensweise
In den letzten Jahren haben neue Untersuchungen der Grundlagenforschung gezeigt, dass Verschleißprozesse des Knorpels und der Sehnen zu einem hohen Anteil auf Störungen der Entzündungsprozesse zurückzuführen sind und im Endstadium in eine entzündliche Gelenkerkrankung münden. Ursächlich für die überschießenden Entzündungsreaktionen sind mechanische Fehl- und Überbelastung, psychosoziale Stressfaktoren und Ernährungsfehler. Die Einbeziehung dieser Parameter in die Therapie ist zeitaufwendig und ein längerer Prozess, aber die Basis für eine nachhaltige Erholung der geschädigten Strukturen.
Mein persönliches Fazit: Differenziertere Prüfung der OP-Indikation
Am Ende möchte ich aber noch eine ganz andere, persönliche Erfahrung hinzufügen, die mich geprägt hat. Wenn man mit sehr hoher operativer Frequenz über lange Zeiträume tätig ist, erlebt man auch die andere Seite ganz bewusst: dass wir trotz aller Errungenschaften bei einigen Patientinnen und Patienten auch ungünstige Ergebnisse produzieren und dass man lernen muss, auch mit Komplikationen zu leben.
Man macht auch die Erfahrung, dass nicht alles, was gut aussieht, im Ergebnis für die Betroffenen auch gut ist (z. B. eine anatomische Rekonstruktion einer Humeruskopffraktur mit schmerzhafter steifer Schulter) und dass der Körper auch vieles selbst heilen und kompensieren kann.
Letztendlich haben diese Beobachtungen und Reflexionen in Kombination mit anderen ungünstigen Entwicklungen der allgemeinen Infrastruktur dazu geführt, dass meine Operationsfrequenz im Laufe der Zeit immer weiter abgenommen hat.
Ich führe die komplette Primärdiagnostik durch, Beratungen, Zweitmeinungen und das gesamte Spektrum der konservativen Therapie. Danach verbleibt ein kleiner Anteil von Erkrankten, die ohne Operation nicht zurechtkommen. Insbesondere nach frischen Verletzungen gibt es auch Patientinnen und Patienten, bei denen eine nichtoperative Therapie gar nicht in Betracht kommt und die primär operativ versorgt werden müssen. Denn auch durch Nichtoperieren kann man Betroffenen einen Schaden zufügen, indem man die Grenzen der konservativen Therapie nicht kennt und z. B. das Zeitfenster für eine Sehnennaht überschreitet, was die Chance zur Erhaltung der Sehne nimmt.
So bleibt am Ende die Erkenntnis, dass die eigentliche Herausforderung darin besteht, zu erkennen, welche Therapie für welche Patientinnen und Patienten der beste Weg ist.