Mai 2023 – Ausgabe 41
Krafttraining im Alter
Wolfram Dautz
Heiko Kleemann
Schlüsselwörter: Krafttraining, hohes Alter, Kraftzuwachs, Leistungsdiagnostik, progressives Krafttraining, sensomotorisches Training
Der demografische Wandel hin zu einer alternden Gesellschaft ist in Deutschland längst als Tatsache akzeptiert. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen eine klare Sprache: 2021 waren etwa 7,3 % der Bevölkerung über 80 Jahre alt [1]. Es wird vermutet, dass sich diese Entwicklung in den nächsten vier Jahrzehnten intensivieren wird und der Anteil der Senioren stetig steigen wird [2]. Dies bedingt eine Anpassung des Trainings, da zu vermuten ist, dass altersbedingte Beschwerden zunehmen werden, die erhebliche Einschränkungen im Alltag und einen deutlich spürbaren Rückgang der Lebensqualität nach sich ziehen.
Neben der Notwendigkeit, die Herz-Kreislauf-Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, ist es besonders wichtig, den aktiven und passiven Bewegungsapparat funktional zu erhalten. Schon ab 50 Jahren nimmt die Sturz- und Verletzungshäufigkeit zu; gut ein Drittel der über 65-Jährigen stürzt mindestens einmal im Jahr [5], zum Teil bedingt durch Probleme mit dem Gleichgewicht. Neben Stürzen sind die weitaus häufigsten Probleme bei über 70-Jährigen mit etwa 23,4 % chronische Rückenschmerzen [6].
Die Beschwerden lassen sich oft auf die schwindende Muskelkraft zurückführen; der kombinierte Verlust an Kraft-, Reaktions- und Leistungsfähigkeit der Muskeln ist das Resultat einer Sarkopenie, also der Verringerung der Muskelfaserdichte und des Muskelquerschnitts im Alter, wovon mindestens die Hälfte der über 80-Jährigen betroffen ist [9]. Bereits ab dem 60. Lebensjahr ist mit einer Abnahme der isometrischen Muskelkraft von etwa 1 % – 1,5 % pro Jahr zu rechnen [8]. Ebenso verringert sich die konzentrische (überwindende) Kraft deutlich, während der Verlust der exzentrischen (nachgebenden) Kraft aufgrund der erhöhten Stiffness (Elastizitätsverlust) der Muskulatur geringer ist. Ein weiterer Aspekt beim Verlust der Muskelkraft ist die schlechter werdende Anspannungsfähigkeit der Muskelfasern wegen der Abnahme der großen Alpha-Motoneuronen im Rückenmark.
Es mag angesichts dieser Faktoren unwahrscheinlich klingen, aber auch im Alter ist dennoch ein Kraftzuwachs möglich durch Kraft- und Beweglichkeitstraining, um den Muskel in seiner funktionellen Länge bewegen zu können. Obwohl es Diskussionen über Kontraindikationen und negative Begleiterscheinungen des Krafttrainings gibt, lässt sich sein Nutzen nicht von der Hand weisen, besonders angesichts der recht geringen Neben- wirkungsrate von 25 % (meistens muskulo-skelettale Beschwerden nach dem Training), die von Liu und Latham in einer systematischen Literaturrecherche zu Nebenwirkungen von Krafttraining ermittelt wurde [5].
Wie kann man den Beschwerden entgegenwirken?
Um das Muskelvolumen zu erhöhen, gilt es, die Zunahme der Eiweißsynthese mit einer Erhöhung kontraktiler Elemente [5] zu erreichen, zum Beispiel mit einem auf mehrere Monate angelegten Hypertrophie Training. Dass dieses erfolgreich ist, kann über die Ermittlung des Muskelquerschnitts per Computertomographie nachgewiesen werden. Bereits eine Trainingsphase von sechs bis neun Wochen zeigt eine ca. 10%ige Zunahme unter Beteiligung von spezifischen Muskelfasern der Kraft und Kraftausdauer (Typ-1- als auch Typ-2-Fasern). Erstaun- licherweise ist der Effekt bei Älteren sogar spürbarer als bei Jüngeren relativ zum Ausgangsniveau.
Bei derartig langfristig angelegten Trainingsperioden wird immer wieder eingewandt, dass ältere Menschen nicht mehr so belastbar seien und eine reduzierte Intensität beachtet werden sollte, besonders zur Vermeidung von Verletzungen und chronischer Überlastung. Dieser Einwand ist allerdings nur schwach unterfüttert mit aktuellen Daten und eher das Gegenteil scheint der Fall, also die Effektivität einer höheren Trainingsintensität auch bei Älteren. Laut Steib et al. hatte ein hochintensives Krafttraining bei einer Versuchsgruppe von 1313 über 65-Jährigen eine eklatante Verbesserung der Kraftleistungskapazität zur Folge, im Vergleich zu einem Training mit niederer oder mittlerer Intensität. Entscheidend ist wie immer, das Training an den Patienten anzupassen, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Eine gezielte Leistungsdiagnostik, die eine individuelle Trainingsplanung gewährleistet, ist die Voraussetzung dafür.
Neben dem Muskel- und Krafttraining, zum Beispiel dem progressiven Krafttraining (PRT, „progressive resistance training“) zur Behandlung von Sarkopenie (Verlust von Muskelzellen /-fasern), ist erwiesen, dass zur Stabilisierung des Gleichgewichts das Trainieren der inter- und intramuskulären Koordination wichtig ist, etwa durch sensomotorisches Training. Besonders die Kombination beider Bereiche ist vorteilhaft im Alter. Ilfieri et
- haben hierzu ein zwölfwöchiges Training durchgeführt mit Probanden um die 70 Jahre. Bausteine des Trainings waren Standstabilität, Kraft, sensomotorisches Training auf unebenen Untergründen und koordinative Aufgaben. Es stellte sich heraus, dass ein multisensorisches Training die posturale Kontrolle deutlicher verbesserte als ein reines Krafttraining. Eine Kombination ist also zu bevorzugen.
Das Krafttraining hat noch zusätzliche Vorteile bei der Vorbeugung von typischen Erkrankungen im Alter. Regelmäßige kurze Trainingseinheiten (20-30 Minuten, 2-3 Mal pro Woche) hatten positive Effekte auf Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Osteoporose [5].
Fazit
Es lässt sich feststellen, dass ein individuell auf den Patienten zugeschnittenes Training auch und besonders bei älteren Menschen zu empfehlen ist. Die angeführten positiven Effekte eines Krafttrainings, besonders wenn kombiniert mit multisensorischem Training, wiegen die Nachteile durch die bekannten Risikofaktoren auf. Durch das Training wird das Verletzungs- und Sturzrisiko gemindert, indem die koordinative Kontrolle verbessert wird. Dies ermöglicht den älteren Menschen eine höhere Mobilität, welche ein wichtiger Faktor ihrer guten Lebensqualität ist.