Mai 2021 – Ausgabe 37

Komplexe knöcherne Korrekturen bei vorderem Knieschmerz, Insta­bilität der Patella und Arthrose

Prof. Dr. med. Christoph Becher

Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Keywords: Knie, Arthrose, Knorpelschaden, Knieschmerzen, Patella, Instabilität, Osteotomie

Fehlstellungen der Beinachse in der Frontalebene oder sogar in mehreren Ebenen mit daraus resultierender Entwicklung eines Knorpelschadens bzw. einer Arthrose sind relativ häufig. In manchen Fällen führt dies auch zu sog. vorderen Knieschmerzen, evtl. in Verbindung mit einer Instabilität der Kniescheibe. Die Behandlung dieser Fehlstellungen stellt eine großediagnostische und therapeutische Herausforderung dar.

Die Entwicklung und Progression eines Gelenkknorpelschadens in einem der drei Kniekompartimente (innen bzw. medial, außen bzw. lateral oder im Bereich der Kniescheibe bzw. patellofemoral) ist häu­fig mit einer Achsenfehlstellung verbun­den und deren Korrektur spielt eine zen­trale Rolle bei der Entstehung und Be ­handlung von Knorpelschäden bzw. der daraus resultierenden Arthrose (1). Ins­besondere Achsabweichungen von > 5° sind kritisch zu sehen.

Eine Änderung der mechanischen Bein­achsen und insbesondere der Torsions­verhältnisse führt zudem zu Veränderun­gen in der Führung der Patella. Bei einer vermehrten Antetorsion des femoralen Schenkelhalses befindet sich z. B. das dis­tale Femur relativ zur Tibia in Innenrotation.

Eine vermehrte Außentorsion des Tibia­kopfes relativ zur distalen Tibia kann zu einer außenrotierten Stellung der Tubero­sitas tibiae gegenüber dem Femur führen. Beides bewirkt eine erhöhte Belastung des äußeren (lateralen) Anteils des Patel­lofemoralgelenks (2). Des Weiteren kann der lateralisierte Lauf der Patella, insbe­sondere in Streckstellung und bei zusätz­lichem Hochstand der Patella (Patella alta), zu einer Luxationstendenz führen. Neben der Instabilität kann es auch zu einer Überlastung, vor allem an distalen und lateralen Abschnitten der retropatel­laren Gelenkfläche, mit konsekutiver Knorpelschädigung kommen (3).

Eine ausführliche Deformitätenanalyse, welche klinisch wie bildgebend durchzu­führen ist, stellt die Grundvoraussetzung vor Durchführung einer Achskorrektur (Osteotomie) dar. Klinisch zu empfehlen ist ein gewisser Standard mit Beginn der Untersuchung im Stehen, funktioneller Untersuchung mit Beobachtung beim Gehen und Durchführung spezifischer Tests, sitzender Untersuchung mit 90° flektierten Kniegelenken und hängenden Unterschenkeln sowie auf der Untersu­chungsliege in Rückenlage und Bauchlage.

Als bildgebende Basisdiagnostik sind Röntgenbilder in drei Ebenen und ein MRT anzusehen. Die Beinganzaufnahme ist zur Korrektur von Achsdeformitäten in der Frontalebene von entscheidender Bedeutung. Die Analyse beinhaltet neben der anatomischen und mechanischen Beinachse ebenso die Auswertung der Kniebasiswinkel, um den Ursprung der Deformität zu identifizieren. Die Deformität sollte möglichst am Punkt ihrer maxima­len Ausprägung korrigiert werden.

Wenn möglich sollten Achskorrekturen in Form einer biplanaren Osteotomie unter Verwendung winkelstabiler Plattenfixa­teure zur Stabilisierung erfolgen.

Fallbeispiele

Fall 1:
Die 22­jährige Patientin klagte über Be­schwerden im äußeren Bereich des rech­ten Knies bei deutlicher Valgusfehlstel­lung und beginnendem Knorpelschaden mit Außenmeniskusläsion im lateralen Kniekompartiment. Die Röntgenganzbein­aufnahme zeigte eine erhebliche Valgus­fehlstellung (Abb. 1a), welche mit einer dis­talen medialen biplanaren Osteotomie am Oberschenkelknochen (Femur) korri­giert wurde (Abb. 1b). Zudem erfolgte eine Arthroskopie des Knies zur Behandlung des Knorpel­ und Meniskusschadens.

Fall 2:
Die 23­jährige Patientin klagte über Beschwerden im vorderen Kniegelenks­bereich und die kosmetisch „krumm“ wirkenden Beine (Abb. 2). Im Rahmen der präoperativen Analyse zeigte sich ein sog. miserable malalignment (Kombi­nation aus vermehrter femoraler Antetor­sion, tibialer Außenrotation und damit vergrößertem Q­Winkel mit nach innen schielender Kniescheibe (Patella) bei parallelem Fußstand bds. (Abb. 3). Es bestanden rein belastungsabhängige Schmerzen im Rahmen des Sportes und ein psychischer Leidensdruck aufgrund der kosmetischen Fehlstellung.

Die komplexe Deformität konnte durch eine Drehung des Knochens am Femur mittels derotierender biplanarer Osteoto­mie und durch Achskorrektur an der Tibia (valgisierende biplanare Osteotomie) be­hoben werden (Abb. 4). Die Osteotomien wurden durch Plattenfixateure stabilisiert. Dadurch sind die Beine nun kosmetisch und radiologisch gerade (Abb. 5). Im Ver­gleich zu den präoperativen Aufnahmen (Abb. 3), stehen Oberschenkel und Unter­schenkel nun kongruent zueinander mit zudem besserer Zentrierung der Patella.

Fall 3:
Bei dieser 18­jährigen Patientin bestand eine chronische Instabilität der Patella mit Zustand nach rezidivierenden Luxationen. Es wurde bereits ein erfolgloser operati­ver Eingriff mit Rekonstruktion des media­len patellofemoralen Ligaments (MPFL) durchgeführt. Allerdings bestand weiter­hin eine Patella alta (Abb. 6a) und ein vermehrter Patella­Tilt (Abb. 6b) durch die pathologische Drehung des Femurs. Zur operativen Therapie erfolgte eine derotie­rende biplanare Osteotomie mit Stabili­sierung durch Plattenfixateur sowie Dista­lisierung und Medialisierung der Tuber­ositas tibiae mit Stabilisierung durch Schrauben (Abb. 6c). Zudem erfolgte eine Nachspannung der MPFL­Plastik. Die Patella steht nun in der seitlichen und axi­alen Ebene kongruent (Abb. 6c + d). Eine Luxation der Patella trat danach nicht mehr auf.

Fall 4:
Bei dem 20­jährigen Patienten bestand schon seit Jahren eine chronisch luxiert stehende Patella bei komplexer Fehl­stellung der unteren Extremitäten rechts > links. An beiden Beinen wurden schon mehrfach erfolglos operative Eingriffe durchgeführt (insgesamt sieben Vor­operationen). Auf den präoperativen Rönt­genaufnahmen sieht man eine X­-Bein­ und Drehfehlstellung an Ober­ und Unter ­ schenkel (Abb. 7a), die sehr tief stehende und nach außen luxiert stehende Patella baja (Abb. 7b) mit hochgradiger Trochlea­dysplasie (Abb. 7c + d). Zudem bestand ein vollschichtiger Knorpelschaden an der Oberschenkelaußenseite.

Im Rahmen der operativen Therapie er­folgte eine Begradigung der Beinachse durch eine distale biplanare Open­Wedge­ Osteotomie mit Fixierung durch einen Plattenfixateur (Abb. 7 e + f). Zudem wur­den die Kniescheibe durch eine Proximali­sierung und Medialisierung der Tubero­sitas tibiae mit Fixierung mit drei Schrau ben und der innere Halteapparat durch eine MPFL­Plastik stabilisiert. Weiterhin wurde der äußere Halteapparat gelöst, um die Patella zentrieren zu können (Abb. 7 f + g). Aufgrund der hochgradigen Trochleadysplasie mit nicht vorhandenem Knorpel erfolgte zusätzlich ein Ersatz des Gleitlagers mit einer Teilprothese (HemiCAP Wave) (Abb. 7 f + g).

Fazit

Insbesondere wenn Ober­ und Unter­schenkel und mehrere Ebenen betroffen sind, führen Fehlstellungen der Beinach­se zu komplexen Problemen mit frühzei­tigem Verschleiß und Instabilitäten. Die operative Behandlung dieser komplexen Fehlstellungen bedarf fundierter Kennt­nisse der physiologischen und pathologi­schen Anatomie und der Biomechanik. Mit knöchernen Korrekturen durch Osteo­tomien und zusätzlichen Eingriffen an den Bändern und Weichteilen können die Achsverhältnisse korrigiert werden und auch schwerwiegende Fehlstellungen so behoben werden, dass eine gute Alltags­fähigkeit und Beschwerdelinderung bzw. Beschwerdefreiheit erreicht wird. Je nach Ausprägung der Vorschädigung des Knorpels sind auch wieder höhergradige sportliche Belastungen möglich.