Oktober 2024 – Ausgabe 44

Kombiniertes plastisch- und bauchwandchirurgisches Vorgehen bei Rektusdiastase 3. Grades

Prof. Dr. med. Henning Niebuhr

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Dr. med. Georgios Kolios

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Dr. med. Wolfgang Reinpold

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Dr. med. Halil Dag

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Schlüsselwörter: Rektusdiastase, Klassifikationen, Bauchwandhernie, MILOS, e-MILOS, ELAR, MAO-Hybridverfahren

Die Rektusdiastase gerät zunehmend in den Fokus der Bauchwandchirurgen. Insbesondere die Kombination von Bauchwandhernie(n) und vorwiegend weiblicher Rektusdiastase steht hierbei im Vordergrund.

Gerade nach mehreren Schwangerschaften oder einer Mehrlingsschwangerschaft ist die Bauchwand häufig erheblich erschlafft (Abb. 1). Dieser Umstand kann zu verschiedenen relevanten Symptomen führen:

  • stark geschwächte Bauchpresse mit konsekutiver Defäkationseinschränkung
  • erhebliche Rückenschmerzen durch fehlende ventrale Stabilität der Bauchwand
  • T. massiver Hautüberschuss mit Nabeldeformität sowie striae distensae und dadurch bedingter „Scheinschwangerschaft“ mit entsprechender Ansprache der betroffenen Frauen und
  • die daraus resultierenden psychischen Belastungen.

Die sogenannte MAO-Prozedur beschreibt den maximal offenen Zugang (MA-maximal, O-open) zur Rektusdiastase durch die Bildung eines proximal gestielten Weichteillappens der Bauchwand, der durch den Plastischen Chirurgen präpariert wird. Dadurch ist die komplette anteriore Bauchwand frei zugänglich für den dann übernehmenden Hernienchirurgen.

Eine Arbeitsgruppe um Prof. Ferdinand Köckerling hat sich im Rahmen der DHG-Tagung 2018 in Hamburg gebildet, um eine Klassifizierung der Rektusdiastasen zu erarbeiten [1]. Das Ziel ist es, mögliche Therapien ausgehend von einer gemeinsamen Basis sinnvoll zu planen. Die Klassifikation teilt die Rektusdiastase in drei Schweregrade ein, die sich aus den folgenden Überlegungen ergeben.

Definiert wird die Rektusdiastase als unnatürliches, erworbenes Auseinanderstehen beider Rektusmuskeln in der Mittellinie der vorderen Bauchwand. Eine Rektusdiastase ist normalerweise zwischen 2 und 10 Zentimeter weit und zwischen 12 und 15 Zentimeter lang; in extremen Fällen wurden Weiten bis zu 30 Zentimetern beobachtet.

Pathophysiologisch ist festzuhalten, dass der Hebelarm der Rektusmuskulatur fortschreitend aus der notwendigen Position gerät und die schräge Bauchmuskulatur dadurch ihre Vorspannung verliert. Die daraus resultierende Insuffizienz der Bauchwand führt zu einer erheblichen Schwächung der Bauchpresse, sodass der notwendige intraabdominale Druck nicht mehr aufgebaut werden kann, was die oben genannten Symptome erklärt.

Die Rektusdiastase zeigt sich klinisch als Vorwölbung im Stehen und bei Sit-ups.

Diagnostik

Diagnostisch stehen die klinische Untersuchung mit der „Zweifingermethode“ (Abb. 2) sowie die „Zirkelmethode“ (Caliper) zur Verfügung. Als bildgebendes Verfahren bietet sich die dynamische Bauchwandsonographie (DAWUS) an, die dank exzellenter Auflösung hochfrequenter Schallköpfe eine präzise Darstellung der Bauchwandschichten und damit eine exakte Vermessung der Rektusdiastase ermöglicht. Ein Wert von bis zu zwei Zentimetern in der Position zwei Zentimeter oberhalb des Nabels gilt als Normalwert. Gemessen wird die Rektusdiastasenlänge und -weite in den Positionen M1 – M5 entsprechend der Einordnung von Bauchwandhernien durch die EHS-Klassifikation von Bauchwandhernien (siehe Abb. 5a und b). Die Rektusdiastasenlänge wird von proximal nach distal zugeordnet (M1 – M5) und in toto in Zentimetern angegeben. Danach kann die gemessene Rektusdiastasenweite eingeteilt werden in

W1: < 3 Zentimeter; W2: 3 ≤ 5 Zentimeter; W3: > 5 Zentimeter.

Bestehende Begleithernien in der Rektusdiastase werden im Sinne der folgenden Tabelle verzeichnet:

  • Nabelhernie: ja/nein
  • Epigastrische Hernie: ja/nein
  • Trokarhernie: ja/nein
  • Narbenhernie: ja/nein

Die Anzahl stattgehabter Schwangerschaften wird ebenso wie Mehrlingsgeburten erfasst. Die Beschaffenheit der Haut wird eingeteilt in drei Grade:

  • S0: keine Hautlaxität oder Hautfalten
  • S1: geringe Hautlaxität und nur wenige Falten
  • S2: ausgedehnte Hautlaxität und hende und durch die stabilisierende Operation sich verstärkende Haut-/Weichteilüberschuss beseitigt werden, um ein funktionell und ästhetisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen (Abb. 3 und 4). Bei diesem Vorgehen handelt es sich um ein rekonstruktives Vorgehen, das den inneren Torso und die äußeren Haut-/ Weichteile wiederherstellt.

Indikation und operative Therapie

Eine alleinige Korrektur einer Nabel- oder epigastrischen Hernie ohne Behandlung der Rektusdiastase ist oft – bedingt durch die schwache Bindegewebsqualität des umgebenden Gewebes – mit einer erhöhten Rezidivquote verbunden.

Eine Rektusdiastase 1. Grades: W1, S0-S1 ohne Begleithernien bedarf keiner operativen Therapie. Konservative Maßnahmen wie eine gezielte Physiotherapie mit Kräftigung besonders der schrägen Bauchwandmuskulatur im Sinne der Rückbildungsgymnastik ggf. in Kombination mit neuromuskulärer Elektrostimulation (NMES) gelten als Therapie der Wahl.

Eine Rektusdiastase 2. Grades: W2, S1 mit (oder ohne) Begleithernien stellt eine gute Indikation für die folgenden endoskopischen Bauchwandoperationen dar.

Eine Rektusdiastase 3. Grades: W3, S2 mit Begleithernien stellt eine ideale Indikation für das plastisch-/bauchwandchirurgische Hybridverfahren dar. Die oben genannten endoskopischen Verfahren sind prinzipiell auch bei dieser Konstellation möglich, hinterlassen jedoch im Gegensatz zum Vorgehen bei Rektusdiastasen 2. Grades einen erheblichen Haut-/ Unterhaut-Gewebeüberschuss mit allen Folgen, der dann in einem zweiten Eingriff korrigiert werden muss. Daher bietet sich bei dieser Konstellation das maximal offene kombinierte Verfahren („MAO“) an.

Operative Therapie, „MAO“-Hybrid-Verfahren

Ziel ist es, in einer Prozedur erstens sowohl sämtliche Hernien zur verschließen, die Rektusdiastase zu korrigieren und die Bauchwand durch Netzaugmentation in sublay-Position zu stabilisieren. Zweitens soll im Sinne einer plastisch-chirurgischen Intervention (Abdominoplastik) der bestehende und durch die stabilisierende Operation sich verstärkende Haut-/Weichteilüberschuss beseitigt werden, um ein funktionell und ästhetisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen (Abb. 3 und 4).

Bei diesem Vorgehen handelt es sich um ein rekonstruktives Vorgehen, das den inneren Torso und die äußeren Haut-/ Weichteile wiederherstellt.

Schrittweiser Ablauf der Prozeduren

Zunächst erfolgt das Anzeichnen der Inzisions- und Resektionsgrenzen im Haut-/ Weichteilmantel durch den plastischen Chirurgen an der stehenden Patientin inklusive Photodokumentation – eine Aufgabe, die viel Erfahrung und ästhetisches Einfühlungsvermögen erfordert. Wichtig hierbei ist die profunde Kenntnis und Einschätzung der Anatomie von Haut und Unterhaut, um abzuschätzen, in welchem Ausmaß Gewebe reseziert werden darf, um keine Durchblutungsstörung und konsekutive Wundrand- oder Lappennekrosen zu riskieren.

Nach Team-Time-Out und perioperativer Antibiotikaprophylaxe mit Einleitung der Narkose erfolgt in genauer Abstimmung mit der Anästhesie die subtile und durch- aus zeitaufwendige Lagerung der Patientin mit später möglicher Lagerungsveränderung aus der liegenden in die sitzende Position (Beach Chair) und umgekehrt.

Wechseldruckmanschetten an den Beinen sorgen durch den künstlich erzeugten Wechsel zwischen Druck und Erschlaffung dafür, den Blutfluss zum Herzen in den tiefen Beinvenen aufrechtzuerhalten, um zusätzlich zur medikamentösen Prophylaxe einer Thrombose oder Embolie vorzubauen.

Eine Dauerkatheteranlage für die Kontrolle der Ein- und Ausfuhr von Flüssigkeiten ist für diesen länger dauernden Eingriff erforderlich.

Nach ausgiebigem Abwaschen und Abdecken erfolgt der erste Abschnitt der Operation durch die Plastische Chirurgin oder den Plastischen Chirurgen: Hautinzision von Spina iliaca anterior auperior bis SIAS in der Regel in Bikinihosenhöhe, wenn nach OP-Planung möglich, andernfalls bei Bedarf auch höher oder tiefer. Subtile Präparation von Kutis sowie Subkutis inklusive Scarpa- und Camper Faszie. Komplettes Abheben von Haut und Unterhautgewebe von der Faszienlage der Bauchwand (vordere Blätter der Rektusscheiden, Linea alba und Externusaponeurose) unter weitgehender Schonung der kleinen und kleinsten Blutgefäße, um eine Ernährungsstörung von Haut und Unterhaut zu vermeiden.

Häufig findet sich im Nabel eine Situation verminderter Durchblutung und ästhetisch wenig ansprechender Hautüberschussbildung sowie oft eine komplette Ausstülpung des Nabels („Tellernabel“), die einen Nabelerhalt nicht möglich und wünschenswert erscheinen lassen. Daher kann der Nabel großzügig von der Faszie abgehoben werden, ein Umstand, der die folgenden Schritte der inneren Bauchwandstabilisierung erleichtert. Bei der MAO-Prozedur wird die Blutversorgung des Nabels deutlich reduziert, sodass mit einer Nekrose des Nabeltrichters zu rechnen ist.

Die zeitaufwendige Präparation erfolgt bis zu den Rippenbögen beidseitig und zum Xiphoid mittig. Es wird so wenig Haut und Unterhautgewebe wie eben möglich unter Schonung der Perforatorbündel mittig tunnelartig von der Faszie abgehoben (Abb. 6). Die notwendigen Resektionen der Haut- und Unterhautgewebe erfolgen noch nicht zu diesem Zeitpunkt. Der präparierte Haut- und Weichteilmantel wird mit NaCl angefeuchteten Bauchtüchern geschont.

Nun erfolgt der zweite Schritt der Prozedur nach erneuter Hautdesinfektion und Handschuhwechsel durch die Bauchwandchirurgin oder den Bauchwandchirurgen:

Es wird eine Längsinzision beider vorderer Blätter der Rektusscheiden am medialen Rand vom Xiphoid bis zur Symphyse durchgeführt. Die Rektusmuskulatur wird vorsichtig unter Respektierung der lateralen Gefäß-/Nervenbündel beidseitig ausgelöst. Die dargestellten hinteren Blätter der Rektusscheiden und die Linea alba werden in der Breite vermessen, um die Rektusdiastase 3. Grades zu dokumentieren (Abb. 7a, b).

Nun erfolgt die raffende Naht der massiv ausgewalzten Linea alba (Rektusdiastase) und der hinteren Blätter der Rektusscheiden, am sichersten über einen in die Bauchhöhle über einen kleinen Querschnitt in die innere Bauchwand (dorsal der Linea alba unterhalb der Linea arcuata: Peritoneum) knapp über der Symphyse, flach unter die innere Bauchwand eingebrachten Bauchspatel, um ein versehentliches Greifen von Darmschlingen sicher zu vermeiden.

Durch diese langsam resorbierbare raffende Naht wird die Rektusdiastase sicher beseitigt und die Rektusmuskeln werden wieder in ihrer physiologischen Position mittig positioniert. Zur Stabilisierung der hinteren Bauchwand und zur Vermeidung wieder auftretender, zuvor durch Naht nach Bruchsackpräparation verschlossener Hernien in der Mittellinie erfolgt nach Nahtverschluss des Spatelzuganges die Augmentation der hinteren Bauchwand mit einem leichtgewichtigen, großporigen, mit Gentamycin getränkten, individuell zugeschnittenen Kunststoffnetz. Eine Fixation des Netzes ist in der Regel nicht erforderlich. Darauf werden nach separater Ausleitung mindestens einer 12er-Redon- drainage aus dem Netzlager, die sofort mit dem Drainagesystem konnektiert wird, die vorderen Blätter der Rektusscheiden ebenfalls mit langsam resorbierbarem Nahtmaterial raffend miteinander vernäht. Gegebenenfalls raffende Nähte im Übergang zwischen gerader und schräger Bauchmuskulatur vervollständigen die innere Bauchwandstabilisierung.

Nach der inneren Bauchwandstabilisierung übernimmt die Plastische Chirurgin oder der Plastische Chirurg wiederum nach erneuter Hautdesinfektion und Handschuhwechsel. In diesem dritten und meistens am längsten dauernden Schritt der Operation werden nach aktueller, individueller Einschätzung die zuvor markierten Areale des Haut- und Unterhaut- gewebes sehr subtil nach den Regeln des Durchblutungserhaltes reseziert. Die verbleibende Kutis und Subkutis wird durch gezielte Fettresektion modelliert und es wird ein neuer Nabel konstruiert („Random pattern“ Fettlappen in einem kleinen, zuvor genau angezeichneten Areal zur Bildung des „Hooding“ der (neuen) Nabeloberkante). Der neue Nabel wird auf der neu geschaffenen Linea alba mit zwei nicht resorbierbaren Flaschenzugnähten fixiert, um eine räumlich korrekte Nabelkontur zu erzielen. Danach wird nach Aufsetzen der Patientin die eigentliche Straffung des Haut- und Unterhautgewebes vorgenommen: präliminar werden nach separater Ausleitung von mindestens zwei Redondrainagen, die ebenfalls sofort mit dem Drainagesystem konnektiert werden, beide Wundränder mit Situationsklammernähten positioniert.

Nun werden zunächst beide Ränder der Scarpafaszien fortlaufend resorbierbar (Vicryl 0/2.0) nach schrittweiser Entfernung der Hautklammern miteinander vernäht. Letzte Korrekturen der Haut-/Unterhautränder zueinander erfolgen jetzt insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung von Hautaufwerfungen („Love handles“) in den lateralen Wundwinkeln. Nachdem so eine spannungsarme Straffung der Gewebe erreicht ist, werden die beiden Hautränder ebenfalls fortlaufend intrakutan (Monocryl 3-0) miteinander vernäht.

Pflasterverbände nach erneuter Hautdesinfektion und Handschuhwechsel, die Anlage einer komprimierenden Bauchbinde und das Öffnen der konnektierten Redondrainagen beschließen den Eingriff (Abb. 8). Der Dauerkatheter wird nach Mobilisierung am Folgetag entfernt.

Das chirurgische postoperative Prozedere wird ebenso wie die postoperative Schmerztherapie kooperativ seitens der Anästhesie und der Chirurgie festgelegt. Während der früh postoperativen Phase wird die Patientin in der Aufwacheinheit überwacht und betreut. Die postoperative Phase auf der Bettenstation ist durch eine suffiziente Schmerzbehandlung, regelmäßige Verband- und Drainagevisiten sowie die Frühmobilisierung mit Atemtraining und Thromboseprophylaxe gekennzeichnet. Vor der Entlassung erfolgt die Drainageentfernung.

In der späten postoperativen Phase sind schweres Heben und zu starkes Strecken der Bauchwand zu meiden. Das kontinuierliche Tragen der Bauchbinde verhindert Serombildungen. Regelmäßige postoperative interdisziplinäre Sprechstunden sind zur Kontrolle des Operationserfolges unerlässlich.

Bei derart ausgedehnte Bauchwandrekonstruktionen sind neben allgemeinen Komplikationen wie Thrombose, Embolie und Pneumonie, die Prophylaxen entsprechend den Leitlinien erfordern, lokale Komplikationen wie Serom, Hämatom, Infektion jeweils oberflächlich und/oder tief und die Wundrandnekrose sowie die Nabelnekrose besonders gefürchtet.

Um diesen vorzubeugen, sind ein strikt einzuhaltendes Wund-/Verbandmanagement, eine suffiziente Schmerztherapie sowie im Einzelfall neben der Antibiotikaprophylaxe auch eine Metaphylaxe erforderlich.

Ergebnisse

Im Zeitraum 1.9.2018 bis 31.12.2023 wurden im Hamburger Hernien Centrum in der ATOS Fleetinselklinik 84 Hybridoperationen in oben beschriebener Technik durchgeführt.

Die durchschnittliche Eingriffsdauer betrug 210 Minuten. Die durchschnittliche stationäre Verweildauer der Patientinnen betrug 4,5 Tage.