Oktober 2021 – Ausgabe 38

Knieverletzungen bei sportlichen Kindern und Jugendlichen

Schmitt

Prof. Dr. med. Holger Schmitt
Zum Arztprofil

Keywords: Kindesalter, Verletzungen, Osteochondrosis dissecans, vordere Kreuzbandruptur

Verletzungen des Kniegelenkes im Kindesalter unterscheiden sich teilweise erheblich von denen Erwachsener. Die Wachstumsfuge ist als Schwachstelle zu sehen und kann akut bei Verletzung oder im Rahmen einer Überlastung geschädigt werden. Spezielle Operationsverfahren werden – immer mit dem Bemühen, die verletzte Struktur zu erhalten – eingesetzt, um eine möglichst optimale Wiederherstellung zu ermöglichen und Spätschäden zu vermeiden.

Aufgrund der Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen leiten sich in den verschiedenen Wachstumsphasen unterschiedliche Therapiemaßnahmen für Kinder und Jugendliche ab, bei denen es bei sportlichen Belastungen zu Verletzungen oder Überlastungsschäden gekommen ist. Am häufigsten finden sich im Kindesalter (< 12 Jahre) knöcherne Verletzungen, deutlich weniger Muskel- und Sehnenverletzungen. Bei Jugendlichen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren zeigt sich eine besondere Empfindlichkeit im Bereich der Wachstumsfugen, hier insbesondere an den Apophysen. Es kommt daher häufig zu Überlastungsreaktionen in diesen Zonen, relativ selten zu Bandverletzungen. Ist der Jugendliche ausgewachsen, dominieren ähnlich wie bei älteren Erwachsenen Kapselbandverletzungen des Kniegelenkes, manchmal auch Muskelverletzungen. Erst im Seniorenalter sehen wir aufgrund der veränderten Knochenqualität Frakturen an erster Stelle. Das Wachstum innerhalb der ersten bei- den Lebensjahrzehnte läuft in drei Phasen ab. Die genetisch gesteuerte Phase von der Geburt bis etwa zum 3. und 5. Lebensjahr ist durch ein hohes Wachstumstempo gekennzeichnet. Die zweite Phase bezeichnet man als die Hypophysen-Zwischenhirn-System stimulierende Phase, in der vom 7. bis zum 9. oder 12. Lebensjahr ein langsames, stetiges Wachstum vorhanden ist. In der dritten, androgen gesteuerten Phase kommt es zu einer erheblichen Wachstumssteigerung mit deutlicher Gewichtszunahme (Pubertät).

Frakturen im Kindesalter

Frakturen im Kindesalter als Folge von Sportverletzungen sind häufig. Man unterscheidet je nach Lokalisation der Fraktur zwischen epiphysärer, metaphysärer und diaphysärer Form. In vielen Fällen kann konservativ behandelt werden, bei Dislokation oder Gelenkbeteiligung ist jedoch häufig eine operative Maßnahme erforderlich.

Intensive chronische Belastungen im Wachstumsalter können Einfluss auf die Wachstumsfugen haben. Beispiele hierfür sind die gehäuft anzutreffenden O-Beine bei Fußballspielern oder ähnliche Wachstumsstörungen im Be- reich der Epiphysenfuge am Übergang zwischen Schenkelhals und Hüftkopf. Hieraus entwickelt sich nicht selten das femoroazetabuläre Impingement (FAI), das im Erwachsenenalter zu Bewegungseinschränkungen und belastungsabhängigen Beschwerden führen kann. Die Sehnenansatzpunkte befinden sich im metaphysären Bereich, deren Fugen den gleichen morphologischen Aufbau aufweisen wie die Epiphysenfugen.

Apophysenverletzungen

Die Apophysen sind nicht am Längenwachstum beteiligt, sodass Wachstumsstörungen nach Verletzungen normalerweise nicht zu erwarten sind. Apophysenverletzungen häufen sich im Alter zwischen 13 und 15 Jahren, wobei Jungen häufiger als Mädchen betroffen sind. Bei sportlich aktiven Kindern treten derartige Phänomene vermehrt auf, insbesondere an den Apophysen der unteren Extremität.

Die bekanntesten Apophysenverletzungen stellen der Morbus Osgood-Schlatter mit Beteiligung der Tuberositas tibiae dar, gefolgt vom Morbus Sinding-Larsen an der distalen Patella. Je nach Ausheilung kann es auch zu einer Fragmentation oder Ossifikation kommen. Üblicherweise können derartige Verletzungen und Probleme konservativ behandelt werden; in Einzelfällen ist eine kurzzeitige Ruhigstellung im Gips oder Brace erforderlich. Eine vorübergehende Belastungsreduktion durch die Zuhilfenahme von Unterarmgehstützen über ca. zwei bis vier Wochen kann hilfreich sein, die überlastete Struktur zu schonen. Später kann je nach Lokalisation ein Tapeverband zur Entlastung der Wachstumsfugen angelegt werden. Alltagsbelastungen sind meist nach vier bis sechs Wochen wieder möglich. Je nach Sportart kann eine intensivere Sportpause für ca. acht Wochen erforderlich werden. In wenigen Fällen ist nach Abschluss des Wachstums die operative Resektion einer prominenten Knochenstruktur oder eines mobilen Fragmentes erforderlich.

Knorpelschäden

Knorpelschäden finden sich insbesondere bei Patellaluxationen, bei denen es entweder im Bereich der medialen Patellafacette oder im Bereich des lateralen Femurkondylus zu Abscherverletzungen des Knorpels kommen kann. Degenerative Veränderungen, die sich flächenhaft im Bereich der Kniegelenke bei Kindern bemerkbar machen, sind eine Rarität. Am häufigsten finden sich derartige Veränderungen als Folge von erheblichen Instabilitäten der Kniegelenke nach Kreuzbandverletzungen im frühen Kindesalter. Bei Jugendlichen sind Durchblutungsstörungen im Bereich der gelenknahen Knochenareale häufig, die wir am häufigsten am medialen Femurkondylus des Kniegelenkes beobachten, auch wenn die eigentliche Ursache meist nicht geklärt werden kann.

Sportlich aktive Kinder haben ein höheres Risiko, dass es zu derartigen Veränderungen im Sinne einer Osteochondrosis dissecans (OD) kommen kann. Bevorzugt finden sich diese Veränderungen an der medialen Femurkondyle des Kniegelenkes, seltener am lateralen Femurkondylus oder im Bereich der Kniescheibe. Die Erkrankung hat einen stadienhaften Verlauf. Bei den ersten beiden Stadien finden sich ödematöse Veränderungen in der subchondralen Knochenzone, die als Zeichen einer Minderdurchblutung gewertet werden können, die jedoch noch nicht zu einer Instabilität des Fragmentes führen. In diesen Fällen ist eine konservative Therapiemaßnahme mit Entlastung des linken Kniegelenkes und Erhalt der Bewegungsfähigkeit sinnvoll und möglich. Bei Stadium 3- und 4-Veränderungen, die häufig kernspintomografisch zur Darstellung gebracht werden können (Abb. 1), finden sich Instabilitätskriterien, die in den meisten Fällen zu einer operativen Versorgung führen (Abb. 2). Operative Maßnahmen zielen darauf ab, das Fragment wieder einheilen zu lassen. Es kommt zu einem Débridement der durchblutungsgestörten Zone und wenn möglich zu einer Refixation des Knochen-Knorpel- Fragmentes. Lediglich wenn eine ausgeprägte Zystenbildung oder eine erhebliche Minderdurchblutung des Fragmentes vorhanden sind, können andere Therapiemaßnahmen mit Spongiosaanlagerung und Knorpelersatz erforderlich werden.

Grundsätzlich haben Kinder und Jugendliche bei Knorpelreparatur eine im Vergleich zu den Erwachsenen bessere Prognose. Sowohl bei der häufig eingesetzten Mikrofrakturierung als auch bei Knorpelzelltransplantation sind die Ergebnisse bei Kindern und Jugendlichen besser. Eine Sportfähigkeit ist dann zu erwarten, wenn neben der Einheilung des Fragmentes und des Knorpelüberzuges auch eine volle Funktion inklusive Kraft und Koordination vorhanden ist. In den meisten Fällen dauert das bis zu einem Jahr.

Kreuzbandverletzungen

Auch im Kindes- und Jugendalter kann es zu Verletzungen der Kreuzbänder kommen. Während noch vor mehr als zehn Jahren bei Rupturen des vorderen Kreuzbandes im Kindesalter zurückhaltend eine Indikation zur operativen Therapie gestellt wurde, sieht man die Auswirkungen einer solchen Ruptur heute auch bezüglich der empfohlenen Therapiemaßnahmen anders. Es hat sich gezeigt, dass auch das kindliche und jugendliche Gelenk durch die sich bei der vorderen Kreuzbandruptur entwickelnde Instabilität erheblich belastet werden kann, sodass bereits nach wenigen Jahren Knorpel- und Meniskusschäden auftreten können. Aus diesem Grunde wird heutzutage auch bei jungen Patienten mit offenen Wachstumsfugen die vordere Kreuzbandstabilisierung empfohlen.

Die häufig bei Kindern auftretende knöcherne vordere Kreuzbandruptur wird bei Dislokation durch arthroskopische Verfahren refixiert. Die intraligamentäre Ruptur des vorderen Kreuzbandes wird ähnlich wie bei Erwachsenen durch eine körpereigene Sehne rekonstruiert (Abb. 3). In Einzelfällen kann auch das eigene Kreuzbandgewebe durch verschiedene Optionen verstärkt genutzt werden. In allen Fällen führt eine vordere Kreuzbandruptur im Kindes- und Jugendalter dazu, dass eine Wiederaufnahme von sportlichen Aktivitäten frühestens nach 9 bis 12 Monaten erfolgen kann, sofern – wie beim Erwachsenen – eine gute Entwicklung der Muskulatur, Kraft und Koordination vorhanden ist, um wieder nahezu uneingeschränkt dem zuvor ausgeübten Sport nachzugehen. Bei Meniskusschäden im Kindes- und Jugendalter wird in den allermeisten Fällen versucht, das Meniskusgewebe zu erhalten und nicht zu resezieren. Mittlerweile existieren zahlreiche Nahttechniken, um eine Rekonstruktion des Meniskus erfolgreich durchzuführen. Bei Meniskusrefixation ist davon auszugehen, dass eine uneingeschränkte Sporttauglichkeit frühestens nach drei bis vier Monaten, meistens erst nach einem halben Jahr, erreicht wird.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kniegelenksverletzungen bei Kindern und Jugendlichen anders als bei Erwachsenen behandelt werden. Es gibt mittlerweile zahlreiche Optionen, verletzte Gelenkstrukturen minimalinvasiv zu rekonstruieren, somit das Trauma sehr gering zu halten und insbesondere die idealen Reparaturmöglichkeiten, die das wachsende Skelett mit sich bringt, auszunutzen.