Mai 2023 – Ausgabe 41
Knieendoprothetik: Alignment im Wandel der Zeit
Schlüsselwörter: Knieendoprothetik, Alignment, mechanisches Alignment, kinematisches Alignment, patientenindividuelle Knieendoprothese, roboterarm-assistierte Implantation
Die Diskussion über das beste Alignment, also die beste Ausrichtung, ist eines der „hot topics“ in der Knieendoprothetik. Das klassische mechanische Alignment mit gerader Beinachse sollte heutzutage nicht mehr kompromissloses Ziel bei der Implantation einer Knieendoprothese sein. Neuere Philosophien orientieren sich an den individuellen natürlichen Gegebenheiten der knöchernen und weichteiligen Anatomie der Patienten.
Im Rahmen der Implantation einer Knietotalendoprothese bezeichnet das Alignment die Ausrichtung der Implantate in Bezug auf die Gesamtachse, welche durch den HKA (Hip-Knee-Ankle, Hüfte- Knie-Sprunggelenk) angegeben wird, bei Bestimmung des HKA-Winkels mit 0° bzw. 180°. Abweichungen Richtung O-Bein werden als „Varus“ und Abweichungen Richtung X-Bein werden als „Valgus“ bezeichnet.
Die Anatomie jedes einzelnen Menschen stellt sich als hochgradig variabel dar. Die Phänotypen der aus Femur und Tibia generierten Beinachse (Abb. 1) und der Phänotyp des Knies an sich haben sich bei Untersuchungen an einer Vielzahl von gesunden und von degenerativ veränderten Knien als hochgradig variabel herausgestellt (Abb. 2). Diese anatomische Variabilität führt natürlich auch zu einer starken funktionellen Variabilität, welche im Rahmen der bildgebenden und klinischen Untersuchung wesentlich schwieriger zu erfassen ist.
In der Knieendoprothetik führte eine nicht unwesentliche Anzahl unzufriedener Patienten in den letzten Jahren zu einigen grundsätzlichen Änderungen der Philosophie des Vorgehens und zur Verwendung technischer Neuerungen für die operative Behandlung.
Mittlerweile existieren mehrere unterschiedliche Techniken zur Implantation einer Knietotalendoprothese, denen verschiedene Alignment-Philosophien zugrunde liegen.
Alignment im Wandel der Zeit
Für lange Zeit wurde eine neutrale Achse als die einzig sinnvolle Option gehalten, um für eine möglichst lange „Implantatsüberlebensdauer“ zu sorgen. Um diese neutrale Achse zu gewährleisten, wurde die Technik des „mechanischen Alignments“ beschrieben (Abb. 3). Die verbreitete Einführung dieser Technik geht hauptsächlich auf den Amerikaner John Insall zurück und wird bis heute als der „Goldstandard“ betrachtet.
Um diese neutrale Achse im Rahmen der Implantation einer Knieendoprothese zu gewährleisten, müssen die Knochenschnitte reproduzierbar in immer gleicher Form vorgenommen werden. Da die konstitutionelle Anatomie des Menschen aber von Geburt an sehr variabel ist, sind in den meisten Fällen Veränderungen an den Weichteilstrukturen, insbesondere im Rahmen sog. „Bandrelease“ erforderlich, um für straffe Bandverhältnisse zu sorgen. Diese Vorgehensweise führt allerdings nicht unbedingt zu einer guten kinematischen Funktion des Gelenks und wird als einer der Gründe für den hohen Anteil von Restbeschwerden gesehen und erklärt schlussendlich die Unzufriedenheit der Patienten.
Einer der Hauptgründe für eine geringe Implantatsüberlebensdauer ist der Verschleiß des Kunststoffinlays aus Polyethylen, welches zwischen den Implantaten als neuer Gelenkspalt eingebracht wird. Dies war insbesondere der Fall, wenn das Inlay durch Achsabweichungen in der Frontalebene unphysiologisch belastet wurde.
Durch Verbesserungen in der Qualität und eine damit optimierte Haltbarkeit der Polyethylen-Inlays nahm das Interesse an alternativen Alignment-Philosophien im Verlauf der letzten Jahre deutlich zu. Dazu kam eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche nun in der Entscheidungsfindung, welche Option in welchem Fall die richtige ist, Einzug gefunden haben.
Grundsätzlich gilt zu unterscheiden, ob weiterhin ein rein systematisches Vorgehen (z. B. angepasstes mechanisches Alignment oder anatomisches Alignment) oder ein Vorgehen mit Berücksichtigung der Kinematik und ein von der Spannung der Weichteile geleitetes Vorgehen (z. B. kinematisches Alignment) gewählt wird.
Die Idee der individuellen Komponentenausrichtung wird am konsequentesten im Konzept des kinematischen Alignments umgesetzt (Abb. 4) [5]. In mehreren Studien zeigte die Anwendung des kinematischen Alignments gegenüber dem mechanischen Alignment eine Verbesserung der klinischen Ergebnisse [1, 3, 4]. Allerdings fanden sich auch deutliche Ausreißer, welche auf die Ungenauigkeit des technischen chirurgischen Vorgehens zurückgeführt wurden [2]. Vor allem sollte eine Überhöhung des physiologischen tibialen Varus vermieden werden, denn dies könnte durch Überlastung des Implantat- Knochen-Interfaces zu einer frühen Implantatlockerung führen [8, 9].
Neu ist das „personalisierte Alignment“, welches auf der Kombination einer individuell hergestellten Knieprothese und der Berücksichtigung der natürlichen anatomischen Verhältnisse basiert. Der HKA kann dabei in einer Bandbreite von 5° varus bis 3° valgus in der präoperativen Planung gewählt werden [6].
Perfektionierung des Alignments mit roboterarm-assistierter Implantation einer Knieendoprothese
Robotersysteme (z. B. Mako Smart RoboticsTM, Fa. Stryker, Kalamazoo, MI, USA) bieten in Kombination mit der Navigation unter Verwendung von Standardprothesen die Möglichkeit einer virtuellen Planung unter intraoperativem Einbezug der Weichteilspannung. Die notwendige Knochenbearbeitung wird dabei ebenfalls optimiert. Im Vergleich zu den früheren vollautomatischen Robotern (z. B. Robodoc) haben die neuen Systeme sogenannte stereotaktische Eigenschaften mit taktiler Rückmeldung. Dies bedeutet, dass die Operation nicht vollautomisch von einem Roboter durchgeführt wird, sondern der Operateur den Roboterarm, welcher den Knochen mit einer Fräse oder Säge bearbeitet, per Hand führt und vorgegebene Begrenzungen des Knochens nicht überschreiten kann.
Nach dem Prinzip des kinematischen Alignments wird eine Rekonstruktion der ursprünglichen natürlichen Femuroberfläche bzw. -anatomie angestrebt [5]. Bei der Ausrichtung der tibialen Komponente sollte aktuell eine Grenze von maximal 3° Varuswinkel hinsichtlich der koronaren Ausrichtung der Tibiakomponente nicht überschritten werden. Insgesamt sollte der Gesamtvarus nicht größer als 4–5° werden. Mittels der dreidimensionalen Darstellung der Prothesenpositionierung lassen sich die endgültige bzw. zum gegenwärtigen Zeitpunkt geplante Lage visualisieren und entsprechende Fehler korrigieren (Abb. 5).
Operationstechnische Fehler sind durch den Operateur kaum mehr möglich, solange der Operateur durch die notwendige Expertise in der Knieendoprothetik weiß, wie die Prothese im Ergebnis implantiert werden soll. Die Präzision der Implantation und damit auch die Sicherheit für den Patienten wird durch ein automatisches Abschalten der Säge/Fräse bei der Knochenbearbeitung, wo keine Bearbeitung erfolgen soll (z. B. an dem direkt am Knochen verlaufenden Innenband), maximiert.
Perfektionierung des Alignments mit Verwendung von patientenindividuellen Implantaten
Die Variabilität des menschlichen Kniegelenkes wird am ehesten durch eine patientenindividuelle Knieprothese (z. B. Origin® Fa. Symbios Orthopédie SA, Yverdon-les-Bains, Schweiz) wiederhergestellt. Neben der individuellen Knieprothese selbst wird auch das zugehörige Instrumentarium für eine perfekte Implantation der Prothese individuell hergestellt. Dabei soll eine möglichst physiologische Kinematik des Gelenkes gewährleistet werden, wobei die Kombination aus „personalisiertem Alignment“ und individueller Prothese ein „natürliches“ Kniegefühl unter geringerer Invasivität des operativen Vorgehens mit größtmöglichem Erhalt der Knochensubstanz verspricht.
Basierend auf einer Planungssoftware wird mithilfe einer dreidimensionalen Simulation ein Modell der ursprünglichen Knieanatomie erstellt. Diese dient zur Vorlage für ein Implantat, welches der natürlichen Form des Knies entspricht und dabei auch die ursprüngliche Beinachse und Gelenklinie wiederherstellt (Abb. 6-7).
Erste Ergebnisse in einem Nachunter- suchungszeitraum von mindestens zwei Jahren zeigten eine sehr hohe Zufriedenheitsrate der Patienten von 94 % mit ebenfalls besseren klinischen Score- Ergebnissen im durchschnittlichen Vergleich zur Literatur [6].
Fazit
Das klassische mechanische Alignment mit gerader Beinachse sollte heutzutage nicht mehr kompromissloses Ziel bei der Implantation einer Knieendoprothese sein. Neuere Philosophien orientieren sich an der individuellen und den natürlichen Gegebenheiten der knöchernen und weichteiligen Anatomie der Patienten. Die aktuell festgelegten Grenzen der Achsabweichung sollten dabei beachtet werden. Die operative Umsetzung des
Plans ist durch die technologische Unterstützung mit Robotik und Navigation wesentlich einfacher und präziser geworden. Eine Sonderform stellt das personalisierte Alignment mit individuellen Prothesen dar. Nur die weitere intensive wissenschaftliche Aufarbeitung der tatsächlichen klinischen Ergebnisse wird die Vorteile der verschiedenen Philosophien auch im Langzeitverlauf darlegen können.