November 2022 – Ausgabe 40

Kasuistik: Verlängerungsosteotomie bei 12 Jahre alter Klavikula-Malunion

Dr. med. Kristina D. Kubon

Dr. med. Sven Lichtenberg
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Prof. Dr. med. Markus Loew
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Schnetzke

Prof. Dr. med. Marc Schnetzke
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Schlüsselwörter: Klavikulafraktur, konservative Therapie, Verkürzung, Korrekturosteotomie, autologe Spongiosa

Die konservative Therapie von Klavikulafrakturen geht häufig mit einer Ausheilung in Achsabweichung und Verkürzung einher. Wir präsentieren den Fall eines 59-jährigen Patienten, der sich zwölf Jahre nach konservativer Behandlung einer Klavikulafraktur im mittleren Drittel mit einer Verkürzung von über zwei Zentimetern, klinisch deutlich sichtbarer Fehlstellung und subjektiver Kraftminderung sowie Schmerzen im Bereich des Schulterblattes vorstellte.

Anamnese

Ein 59-jähriger Patient stellte sich zwölf Jahre nach einer Fraktur im mittleren Drittel der rechten Klavikula mit Ausheilung in Achsabweichung und Verkürzung von 2,5 Zentimetern bei konservativer Therapie vor. Neben der Unzufriedenheit über das kosmetische Ergebnis berichtet der Patient über funktionelle Beschwerden beim Mountainbiken, der rechte Arm sei im Seitenvergleich wesentlich weniger belastbar und es würde zu einer Überlastung der die Skapula stabilisierenden Muskulatur sowie Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule kommen.

Befund

Die körperliche Untersuchung ergab eine deutliche Verkürzung der rechten Klavikula mit Verkürzung im Seitenvergleich (13,5 cm rechts, 16 cm links ACG zu SCG), keine Druckempfindlichkeit, kein Klaviertastenphänomen. Die röntgenologische Darstellung bestätigte die Diagnose.

Therapie und Verlauf

Präoperativ Messung des Abstandes zwischen AC- und SC-Gelenk (Abb. 1a). Intraoperativ Darstellung der Klavikula und des gut abgrenzbaren ehemaligen Frakturverlaufs (Abb. 1b).

Einbringen von Distraktoren medial und lateral der Fraktur und Durchführen einer Z-förmigen Osteotomie. Anschließend erfolgt die vorsichtige Distraktion des Osteotomiespaltes (Abb. 2a). Unter maximaler Spannung wurde eine Distraktion von 2,5 Zentimetern erreicht (Abb. 2b).

Die überlappenden Knochenenden wurden mittels einer Repositionszange fixiert und eine 8-Loch LC-Platte von ventral anmodelliert und fixiert (Abb. 3a). Der Defekt wird mit einem autologen Beckenkammknochen aufgefüllt. Die ursprüngliche Länge von 15,5 Zentimetern und der Abstand des AC-Gelenks zum SC-Gelenk konnten so wiederhergestellt werden (Abb. 3b, postoperatives Röntgenbild siehe Abb. 4a).

In der Nachkontrolle sechs Wochen postoperativ zeigte sich eine uneingeschränkte Beweglichkeit der rechten Schulter, der Patient berichtete über eine deutliche Besserung der subjektiven Kraftminderung und ein optisch ansprechendes Ergebnis (Abb. 4b) bei einem Subjective Shoulder Value von 99 Prozent. Die periphere Durch-blutung, Motorik und Sensibilität waren jederzeit intakt.

Diskussion

Bei der konservativen Behandlung von Frakturen im mittleren Drittel der Klavikula kommt es in etwa 73 Prozent zu einer Verheilung der Frakturenden mit Achsabweichung und Verkürzung [4].

Die dabei häufig auftretende Verkürzung der Klavikula basiert auf dem medialisierenden Muskelzug durch den M. pectoralis, M. trapezoideus und den M. latissimus dorsi auf den Schultergürtel [1].

Eine stärkere Verkürzung geht mit einem erhöhten Risiko für funktionelle Einschränkungen einher, wobei die veränderte Position des Glenoids und des Schultergürtels, die vermehrte Abhebung des Schulterblattes vom Torso sowie eine verminderte Spannung der Muskulatur als Ursachen diskutiert werden [2].

Patel et al. legten anhand einer Simulation dar, wie eine Verkürzung der Klavikula über eine veränderte Biomechanik zu einer Einschränkung der muskulären Kapazität des Glenohumeralgelenks führt [6].

Klinisch konnte ein signifikanter Kraftverlust bezüglich der Abduktion und der Innenrotation der Schulter mit der verkürzten Klavikula im Vergleich zur nicht betroffenen Seite von Ledger et al. bei einer Kohorte von zehn Patienten festgestellt werden [5]. In einigen anderen Studien war jedoch kein klinisch relevanter Effekt einer Verkürzung auf die Stärke der betroffenen Schulter detektierbar [3].

Dabei unterscheiden sich die bisher publizierten Studien stark in Bezug auf die erhobenen Parameter wie etwa der gemessenen Kraft oder der subjektiven Parameter (z. B. DASH-Score oder Patientenzufriedenheit) [10], aber insbesondere auch in Bezug auf das untersuchte Patientenkollektiv. So lag bei der Studie von Ledger et al. die durchschnittliche Verkürzung bei 2,14 Zentimetern [5], während Hillen et al. von einem Längenunterschied von durchschnittlich 1,09 Zentimetern berichten [3]. Diese Heterogenität macht eine definitive Aussage bezüglich der zu erwartenden Einschränkungen der Belastbarkeit einer Schulter bei Verkürzung der Klavikula unmöglich.

Die vorliegenden Untersuchungen fokussieren sich des Weiteren häufig auf die primäre Behandlungs-entscheidung „konservativ vs. operativ“ bei frischen Frakturen. Weit weniger Untersuchungen wurden zur operativen Versorgung von mit Achsabweichung und Verkürzung verheilten Klavikulafrakturen publiziert, in einem systematischen Review schlussfolgern Sidler-Maier et al., dass eine korrigierende Osteotomie eine gute therapeutische Option bei symptomatischer Achsabweichung und Verkürzung sei [7]. Dabei ist die bevorzugte Variante eine Osteotomie entlang der ursprünglichen Frakturenden und gegebenfalls ein Knochengraft entweder lokal oder als Beckenkammspongiosa.

Strong et al. berichten etwa über 59 Fälle von symptomatischen in Fehlstellung verheilten Klavikulafrakturen nach konservativer Therapie. Zusätzlich zur Osteotomie entlang der ursprünglichen Frakturenden und Platten-osteosynthese wurde ein Knochengraft mit lokalem Knochen aus dem Kallus durchgeführt. In allen Fällen konnte eine Verbesserung der Funktion der Schulter ein Jahr nach der Operation festgestellt werden [8]. Dabei wurden 3D-CT-Scans zur Messung der Verkürzung und Planung der Osteotomie verwendet.

Von einer neuen Technik mittels keilförmiger Osteotomie, welche auch ohne komplexe präoperative 3D-Planung zu einer ausreichenden Wiederherstellung der Anatomie bei der extraartikulären Fraktur der Klavikula führte, berichteten kürzlich van Essen et al. [9]. Es wurden fünf Patienten mit einer Verkürzung von durchschnittlich 1,5 Zentimetern (im Bereich von 0,9 cm bis 2,8 cm) operiert.

Die hier dargestellte Z-förmige Osteotomie bei in Fehlstellung verheilter Klavikulafraktur ermöglichte nicht nur eine Wiederherstellung der gesamten Länge bei einer erheblichen Verkürzung von über zwei Zentimetern, sondern gestaltete sich auch in Bezug auf die Weichteilsituation problemlos. Dabei ist insbesondere die vorsichtige Präpa- ration und die langsame Distraktion der Osteotomieenden aus unserer Sicht unabdingbar. Auch bietet die Form der Osteotomie mit überlappenden Enden eine zusätzliche Stabilität verglichen mit einer Osteotomie entlang der ehemaligen Frakturenden. Eine 3D-CT-Darstellung präoperativ ist dabei eventuell für den Operateur hilfreich, aber nicht zwingend notwendig.

Unsere Erfahrungen aus diesem Fall decken sich so mit denen von van Essen et al. [9] berichteten Eindrücken. Die Z-förmige Osteotomie mit Plattenosteosynthese und Beckenkammspongiosa ist eine gute Möglichkeit zur Wiederherstellung der Länge bei symptomatischer Verkürzung der Klavikula durch eine in Fehlstellung verheilte Fraktur, auch mit Latenz von über zehn Jahren zum ursprünglichen Unfall und einer Verkürzung von über zwei Zentimetern.

Fazit für die Praxis

Die Z-förmige Osteotomie und Wiederherstellung der Länge durch Interposition eines Spongiosaknochenblockes eignet sich hervorragend für die Versorgung von in Verkürzung verheilten Klavikulafrakturen. Auch bei einer Distanz von über zwei Zentimetern oder über zehn Jahre alter Fraktur ist unter vorsichtiger Präparation und langsamer Distraktion der Frakturenden weichteilschonend die Wiederherstellung der Länge sowie der Form der Klavikula möglich und kann bei Patientinnen und Patienten mit Beschwerden wie Kraftverlust oder Unzufriedenheit mit dem kosmetischen Ergebnis erwogen werden.