Mai 2022 – Ausgabe 39

Kasuistik: Kniebeschwerden bei Leistungssport oder doch Rheuma?

Dr. med. Verena Schmitt
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Schmitt

Prof. Dr. med. Holger Schmitt
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Dr. med. Ines Dornacher
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Auf Veranlassung von Prof. Holger Schmitt, Deutsches Gelenkzentrum, stellte sich ein 31-jähriger Leistungssportler (Volleyballspieler) erstmals im April 2020 in unserem Zentrum für Rheumatologie vor. Die Überweisungs- Diagnose lautete „akuter Reiz- und Schwellungszustand des rechten Kniegelenkes sowie Baker-Zyste bei massiver Synovialitis des Kniegelenkes, V.a. rheumatische Erkrankung“.

Der Patient berichtete, dass er vermutlich unter Corona­bedingter Sportpause seit März 2020 zunehmende, tief- sitzende Rückenschmerzen mit Morgensteifigkeit entwickelt habe. Am 5. April 2020 kam es nach intensiver Physiotherapie und ohne vorheriges Trauma zu einer plötzlichen Kniegelenkschwellung rechts. Der Patient stellte sich heimatnah beim Orthopäden vor. Es erfolgte eine Kniegelenkpunktion mit Nachweis von 5.857 Leukozyten/μl (Normwert < 200) ohne Keim-­ oder Kristall­nachweis. Das CRP war mit 24,6 mg/l mäßig erhöht, die Leukozytenzahl im Blutbild war normal. Anamnestisch waren weder ein vorangegangener Infekt, Zeckenbisse, eine Psoriasis oder chro­nisch­entzündliche Darmerkrankungen beim Patienten noch in der Familie zu erfragen. Der Patient berichtete jedoch, dass er in den letzten Jahren mehrmals schmerzarme Sprunggelenk­Schwellun­gen ohne vorheriges Trauma gehabt habe und dass ihn eine ständige Steifig­keit im sportlichen Leben begleite. Bei der Erstvorstellung bei uns war der 31­jährige Patient in gutem Allgemein-­ und Ernährungszustand, der Gelenkstatus bis auf eine Knieschwellung rechts (Abb. 1) mit endgradigem Streckdefizit unauffällig. Das Kniegelenk war nicht gerötet und nicht überwärmt. Bei der Wirbelsäulenun­tersuchung fand sich lediglich ein leichter Klopfschmerz im Lendenwirbelsäulen­ bereich. Die Iliosakralgelenke waren nicht druckschmerzhaft und die Beweglichkeit sehr gut; der minimale Finger­Boden­ Abstand beim Vorbeugen betrug 0 cm. Die Haut und Nägel waren unauffällig, insbesondere ohne Anzeichen für eine Psoriasis. Die ergänzende rheumatologische Labor­diagnostik ergab bis auf die bekannte CRP­Erhöhung keine richtungsweisenden Befunde. Die serologischen Marker für eine Rheumatoide Arthritis (Rheumafaktor, anti­CCP), für eine Spondyloarthritis (HLA­B27) und die Borrelien­/Chlamydien­ Serologie waren negativ. Im MRT des rechten Kniegelenks vom April 2020 zeigte sich ein massiver Gelenk­erguss mit Bakerzyte und Synovialitis bei global intakten Band-­ und Knorpelstruk­turen (Abb. 2). Die Menisken waren bis auf eine diskrete Inhomogenität des Außen­meniskus­Vorderhorns unauffällig. Auch sonographisch fand sich ein deutlicher Kniegelenkerguss rechts mit Hypervasku­larisation des Synovia als Zeichen einer entzündlichen Reizung (Abb. 3). Aufgrund der Anamnese, der klinisch und bildgebend ausgeprägten Kniearthritis mit starker Entzündung der Synovia, der deutlich erhöhten Leukozytenzahl in der Gelenkflüssigkeit, moderat erhöhten systemischen Entzündungszeichen und negativen serologischen Rheumamarkern stellten wir die Diagnose einer undiffer-enzierten Monarthritis bzw. undifferen­ zierten peripheren inflammatorischen Arthritis (UPIA). Wir begannen eine Glukokortikoidtherapie mit Prednisolon 20 mg/Tag, die bei zögerlichem Anspre­chen passager auf 50 mg Prednisolon/ Tag erhöht wurde. Darunter kam es zu einem raschen Rückgang der schmerz­haften Kniegelenkschwellung, einer deutlich besseren Beweglichkeit und CRP­Normalisierung. Eine Wiedervorstellung erfolgte erst nach sechs Monaten, im Januar 2021. Zwischenzeitlich wurde der Patient heimat­nah orthopädisch betreut. Im Dezember 2020 war es zu einer erneuten, ausge­prägten Schwellung des rechtsseitigen Kniegelenks gekommen, zudem erstmals zu einer schmerzhaften Schwellung des 2. Zehs rechts und des Zeigefingers rechts (Abb. 4). Das CRP war mit 11 mg/l leicht erhöht. Aufgrund der Daktylitis an Finger und Zeh, die typisch für eine Psoriasisarthritis sind, wurde die Diagnose einer Psoriasisarthritis sine psoriase gestellt. Zur raschen Beschwerdebesserung erhielt der Patient erneut Prednisolon (50mg/ Tag). Gleichzeitig wurde eine Basistherapie mit Methotrexat 20 mg s.c. 1 x/Woche begonnen. Um weiterhin Leistungssport betreiben zu können, musste ein Antrag auf medizinische Ausnahmegenehmigung zur Prednisolongabe bei der Nationalen Anti­Doping Agentur Deutschland (NADA) gestellt werden. Im März 2021 begannen wir bei persistierenden Daktylitiden, die den Patienten beim Leistungssport deutlich einschränkten, eine Biologica­ Therapie mit dem TNF alpha­Blocker Certolizumab (Cimzia®). Es kam zu einem raschen Therapieansprechen innerhalb von wenigen Wochen und zu seitdem anhaltender Remission. Die letzte Wieder­vorstellung erfolgte im Februar 2022. Der Patient berichtet von einem „ganz anderen Lebensgefühl“, voller sportlicher Leistungsfähigkeit und dass er sich so gut wie in den letzten 10 Jahren nicht mehr gefühlt habe. Die Steifigkeit, die für den Patienten auch beim Sport belastend war, ist verschwunden.

Hintergrund: Psoriasisarthritis

Die Psoriasisarthritis (PSA) ist eine chronisch entzündlich­rheumatische Erkrankung und gehört in die Gruppe der Spondyloarthritiden. In 80 % der Fälle tritt die Hautmanifestation der Psoriasis Jahre vor den muskuloskelettalen Veränderungen auf, bei manchen der Betroffenen findet sich lediglich eine positive Familienanamnese bezüglich Psoriasis, ohne dass die Patientin/der Patient selber Hautsymptome einer Psoriasis aufweist. Die positive Familien­anamnese stellt dann ein Klassifikations­kriterium für die PSA dar.

Ein kleiner Teil der PSA­Patienten und ­Patientinnen hat jedoch weder eine positive Familienanamnese für Psoriasis noch entwickeln diese je eine Hautbetei­ligung. Sie weisen nur die charakteristi­schen Befunde einer Psoriasis­Arthritis auf, die Psoriasisarthritis sine psoriase.

Das klinische Bild der PSA ist vielfältig. Unterschieden wird die periphere von der axialen Symptomatik. Bei der peripheren Beteiligung kann es zu einer Monarthritis und Oligoarthritis (≤ 5 Gelenke sind beteiligt) kommen – wie bei unserem Patienten –, aber auch ein polyarthritisches Verteilungsmuster ist möglich. Typisch sind Enthesitiden (z. B. Achillessehnenent­zündung, Plantarfasziitis); pathognomo­nisch sind Daktylitiden (sog. „Wurstfinger“ oder „Wurstzehen“). Bei unserem Patienten ermöglichte die Entwicklung der Daktyli­tiden im Verlauf der Erkrankung, die initiale Diagnose einer undifferenzierten Mon­arthritis bzw. undifferenzierten peripheren inflammatorischen Arthritis (UPIA) zu spezifizieren und rasch eine spezifische Biologika­Therapie einzuleiten. Eine Veränderung der Symptomatik rheuma­tologischer Erkrankungen im Verlauf ist häufig, die Möglichkeit einer spezifischeren Klassifizierung und Therapie sollte regel­mäßig geprüft werden (3, 4).

Bei der axialen Beteiligung der PSA treten entzündliche Veränderungen an der Wirbelsäule einschließlich der Iliosakral­gelenke auf. Da bei unserem Patienten die vorbestehenden tiefsitzenden Rückenbeschwerden durch die Biologika­Therapie rasch verschwanden, ist davon auszu­gehen, dass auch eine axiale Beteiligung der PSA vorlag.

Die PSA kann mit anderen Erkrankungen assoziiert sein, z. B. mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Auch kann eine entzündliche Augen­erkrankung (Uveitis) vorhanden sein. Das kardiovaskuläre Risiko ist bei PSA erhöht.

Bei unserem Patienten hat die Kniege­lenkpunktion mit der Untersuchung der Gelenkflüssigkeit und dem Nachweis eines entzündlichen Gelenkergusses den entscheidenden Hinweis auf eine entzünd­lich­rheumatische Erkrankung gegeben. Insbesondere auch, da die rheumatolo­gischen Labormarker (Rheumafaktor, anti CCP, HLA B27) unauffällig waren. Dies verdeutlicht – neben einer bakteriologi­schen Untersuchung – die Bedeutung der Leukozyten­Zählung im Gelenkpunktat, um einen entzündlich­rheumatisch bedingten Gelenkerguss von einem be-­ lastungsinduzierten bzw. degenerativ bedingten Gelenkerguss zu unterscheiden. Eine Leukozytenzahl von > 2.000/μl im Gelenkpunktat und der Ausschluss eines bakteriellen Geschehens bestätigt eine entzündlich­rheumatische Erkrankung. Auch bei Sportlern und Sportlerinnen, bei denen strukturelle Schäden als Ursache einer Gelenkschwellung wahrscheinlicher sind, sollte zur differentialdiagnostischen Abklärung immer eine Leukozyten­Zählung im Rahmen der Synovialflüssigkeit­ Analyse erfolgen (5).

Bei der Behandlung der PSA sind wie bei allen anderen entzündlich­rheumatischen Erkrankungen das sog. „Treat­to­Target“­ Prinzip und die sogenannte „Tight Control“ entscheidend für den weiteren Verlauf. Ziel ist es, eine möglichst rasche Remis­sion zu erreichen. Gelingt dies nicht, sollte in möglichst kurzer Zeit zumindest ein Stadium der „Minimal Disease Activity“ (MDA) erzielt werden. Daher sollten Pa­tienten und Patientinnen mit PSA, aber auch mit anderen rheumatischen System­erkrankungen, engmaschig, d. h. anders als bei unserem Patienten initial, mindes­tens alle drei Monate kontrolliert und die Therapie angepasst werden, solange die Remission beziehungsweise MDA nicht erreicht wurde.

Die medikamentöse Behandlung erfolgte bei unserem Patienten gemäß den internationalen Therapieempfehlungen der GRAPPA (Group for Research and Assessment of Psoriasis an Psoriatic Arthritis) (2). Bei ungenügendem Therapie­ ansprechen auf Methotrexat und aufgrund der für den Sportler sehr beeinträchtigen­ den Daktylitiden wurde Methotrexat nach drei Monaten durch eine Biologika­Thera­pie mit dem TNF alpha­Blocker Certilizu­mab ersetzt. Bereits nach kurzer Zeit war der Patient anhaltend beschwerdefrei und ist sportlich wieder voll leistungsfähig.