Mai 2024 – Ausgabe 43

Hüftdysplasie: Hüftgelenksnahe Osteotomien zur Korrektur

Prof. Dr. med. Fritz Thorey
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Schlüsselwörter: Hüftdysplasie, Beckenosteotomie, Femurosteotomie, Hüft-Impingement

Hüftgelenksnahe Osteotomien gehören zu den bewährten orthopädischen Operationsverfahren, die bereits seit Jahrzehnten weltweit erfolgreich angewendet werden. Eine der klassischen Indikationen ist die Hüftdysplasie, die jedoch aufgrund der Ultraschalluntersuchung bei Neugeborenen und den Möglichkeiten der frühzeitigen konservativen Behandlung deutlich rückläufig ist.

Weitere Indikationen sind Fehlrotationen des proximalen Femurs (Coxa vara, Coxa retrotorta) oder in der Vergangenheit lokal umschriebene Knorpelschäden. Mittels hüftgelenksnahen Osteotomien kann eine physiologische biomechanische Einstellung des Hüftgelenks erfolgen, sodass die Kraftübertragung wieder gleichmäßig im Hüftgelenk erfolgen kann. Man unterscheidet femorale Osteotomien – die im Bereich des Hüftkopfes, intertrochantär, subtrochantär oder in Höhe des Trochanter majors erfolgen können – von Beckenosteotomien, die abhängig vom Alter der Patientinnen und Patienten unterschiedlich ausfallen können. Dieser Artikel soll eine Übersicht über die unterschiedlichen hüftgelenksnahen Osteotomien geben, die eine frühzeitige Entwicklung einer Hüftarthrose verhindern können.

Die Entwicklung der Hüftpfanne (Azetabulum) hängt während der Wachstumsphase weitgehend von der Entwicklung und dem Wachstum des Gelenkknorpels ab. Hierbei entwickelt sich die Konkavität des Azetabulums als Antwort auf die Sphärizität des Hüftkopfes (Ausbildung einer Kugel). Dadurch kann jede abnormale Position des Hüftkopfes und Ausformung des Hüftkopfes zu einer pathologischen Formierung des Azetabulums führen. Die veränderte Kongruenz vom Azetabulum zum Femurkopf kann hierbei als azetabuläre Dysplasie bezeichnet werden.

Vielfach können Fehlentwicklungen bereits im Kleinkind- und Jugendalter erkannt und dahingehend korrigiert werden. Nichtsdestotrotz bestehen Dysplasien des Azetabulums bis zum Erwachsenenalter. Obwohl die Inzidenz der Hüftdysplasie (Restdysplasie) in der Normalbevöl­kerung nicht vollständig bekannt ist, besteht Einvernehmen darüber, dass eine weiter bestehende azetabuläre Dysplasie zu einer frühzeitigen degenerativen Hüftgelenkserkrankung führen kann [1, 2]. Daher ist es immens wichtig, Fehlstellungen frühzeitig zu erkennen, um entsprechende korrigierende Eingriffe im Bereich des Azetabulums vornehmen zu können und einen frühzeitigen Knorpelschaden zu verhindern [3]. Dazu haben sich die Beckenosteotomien zur Reorientierung des Azetabulums und zur Verbesserung des biomechanischen Ablaufes des Hüftgelenks in der Vergangenheit bewährt. Das Ziel hierbei ist, die Biomechanik des Hüftgelenks wiederherzustellen, um eine frühzeitige Gelenkersatzoperation im jüngeren Alter zu verhindern.

Es gibt diverse Beckenosteotomien, die unterschiedliche Indikationen haben und jeweils Vor- und Nachteile sowie potenzielle Komplikationen beinhalten. Die Wahl der richtigen Beckenosteotomie ist daher ein wichtiger Schritt bei der Behandlung der Deformität und hängt von verschiedenen Faktoren ab: vom Alter des Knorpels und Knochens und der zugrunde liegenden Erkrankung des Hüftkopfes. Ein präzises Wissen um die Pathoanatomie des Hüftgelenks ist eine weitere Voraussetzung. Die generellen Ergebnisse der Beckenosteotomien sind in der Literatur gut, wenn die Indikation zu der entsprechenden Technik frühzeitig gestellt wird.

Zusätzlich haben die Beckenosteotomien einen großen Einfluss auf die operative Behandlung und pathophysiologische Betrachtung des Hüftgelenks in den letzten Jahren. Nach der Einführung der periazetabulären Osteotomie (PAO) hat das Konzept des femoroazetabulären Impingements (FAI) durch Ganz et al. [7,8,9] das analytische Vorgehen und die Betrachtungsweise bei der Behandlung von Heranwachsenden mit Hüftgelenkspathologien revolutioniert. Ebenfalls haben die technischen Neuerungen der Hüftgelenksdarstellung (MRT, Arthro-MRT, CT) dazu geführt, dass viele Folgen von Hüftpathologien durch entschiedenes frühzeitiges Handeln verhindert werden konnten.

Neben dem Einsatz der azetabulären Osteotomien hat man mit den proximalen Femurosteotomien unterschiedliche Möglichkeiten, auf Pathologien zu reagieren. Durch die frühzeitige Behandlung von Kleinkindern ist die Anzahl der proximalen Femurosteotomien in den letzten Jahren jedoch deutlich rückläufig; sie werden vielfach nur noch in speziellen Zentren durchgeführt. Gerade im Kleinkindalter kommen diese häufig noch zur Anwendung, um Hüftdysplasien oder Schenkelhalsverkürzungen entsprechend therapieren zu können. Oft werden proximale Femurosteotomien als Kombinationsoperationen in Zusammenhang mit beckenkorrigierenden Osteotomien durchgeführt.

In den letzten Jahren hat die zusätzliche intraartikuläre Knorpelbehandlung im Zusammenhang mit den beckenkorrigierenden Eingriffen deutlich zugenommen, sodass man neben der Behandlung der knöchernen Pathologie ein Impingement oder einen bestehenden Knorpeldefekt mittherapieren kann. Durch eine zusätzliche Eröffnung des Gelenks können hierbei Knorpeltherapiemaßnahmen wie eine autologe Chondrozytentransplantation (ACT) oder eine AMIC / MACI-Behandlung durchgeführt werden, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.

Anatomie

Für eine genaue Betrachtung und Beurteilung von Hüftfehlstellungen wird ein exaktes Wissen der Hüftgelenksanatomie in den einzelnen Wachstumsphasen benötigt. Gerade das proximale Femur zeigt eine deutliche Entwicklung über die Zeit des Heranwachsenden vom Kleinkind über den Jugendlichen bis zum Erwachsenenalter. Der sog. CCD-Winkel (Caput-Collum-Diaphysen-Winkel) beschreibt die Stellung des Schenkelhalses und des Hüftkopfes zur Oberschenkelschaftachse. Er entwickelt sich vom Zeitpunkt der Geburt von ca. 150 Grad bis zu einem physiologischen CCD-Winkel beim Erwachsenen von 120 bis 122 Grad [9]. Zusätzlich gibt es Veränderungen im Bereich der Antetorsion (Drehung des Schenkelhalses nach vorne) während des Wachstums, sodass von einem Antetorsionswinkel von 30 Grad vom 2. bis zum 4. Lebensjahr bis zu einem Antetorsionswinkel von ca. 18 bis 20° beim Erwachsenen ausgegangen werden kann [10].

Ferner nimmt die Länge des Schenkelhalses einen deutlichen Einfluss auf die Biomechanik des Hüftgelenks. Bei Zunahme des Abstandes vom Becken zum Trochanter major (Offset) nimmt ebenfalls der Hebelarm des Hüftgelenks zu, sodass weniger Kraft zum Abspreizen für die Stabilisierung des Beckens notwendig ist. Bei einer deutlichen Verkürzung oder Steifstellung des Schenkelhalses wird von den Muskeln wesentlich mehr Kraft benötigt, um die gleiche Stabilität zu erreichen. Starke Abweichungen von diesen physiologischen Werten können zu einer Überbelastung in speziellen Bereichen des Hüftgelenks und damit zu einer frühzeitigen Arthroseentwicklung führen.

Ähnliche physiologische Orientierungen bestehen im Bereich der Hüftpfanne. Entscheidend beim Hüftgelenk ist, dass eine adäquate Überdachung des Hüftkopfes durch die Pfanne erfolgt. Hier spielen sowohl die seitliche Überdachung (LCE-Winkel, Lateraler-Centrum-Pfannenabschlusswinkel), die vordere Überdachung (ACE­Winkel, Vorderer-Centrum-Kantenwinkel) als auch der Tragflächenwinkel (TF-Winkel) eine entscheidende Rolle, um die Stellung des Hüftkopfes in der Hüftpfanne zu beurteilen. Pathologische Abweichungen von diesen Normen können zu einer Überbeanspruchung und Überbelastung des Gelenks und zu einer frühzeitigen Arthroseentwicklung führen (Abb. 1). In Fällen, bei denen die Hüftpfanne samt Becken nach vorne gekippt ist (vorderer Tilt), kann es zu einer funktionellen Problematik mit Anschlagen des Schenkelhalses an dem vorderen Pfannenrand bei einer starken Hüftbeugung kommen. Radiologisch stellt sich dieses als ein Überkreuzen des vorderen und hinteren Pfannenrandes dar und führt ebenfalls zu einem Impingement mit Schmerzen (Abb. 2).

Wichtig bei Betrachtung von möglichen Fehlstellungen ist, welche Fehlformen eine direkte Auswirkung haben und zu einer frühzeitigen Arthrose führen können. Generell bejaht werden kann dies für folgende anatomische Veränderungen: dezentrierter Hüftkopf, zu kleines Azetabulum (Pfanne), zu steile Pfanne, ungenügende Überdachung seitlich und nach vorne, entrundetes Azetabulum, asphärischer Femurkopf, verminderte Anteversion der Pfanne, zu große oder zu tiefe Pfanne (Protrusio acetabuli) und verminderter Offset des Femurkopfes (geringer Abstand zwischen Trochanter major und Becken). Ein sog. präarthrotischer Zustand besteht häufig bei Schenkelhalsverkürzung sowie Coxa retrotorta (nach hinten rotiertem Schenkelhals). Keine Präarthrose stellen jedoch die Coxa antetorta und die Coxa magna dar [11, 12, 13,14, 15, 16, 17]. Um diese Fehlstellungen besser zu analysieren, stehen die klassische Röntgendiagnostik, die Computertomographie (CT) und die Kernspintomographie (MRT) zur Verfügung.

Azetabuläre Osteotomien (Beckenosteotomien)

In der Literatur ist eine Vielzahl von unterschiedlichen Beckenosteotomien beschrieben, im Folgenden werden einige der am häufigsten vorkommenden Osteotomien vorgestellt, die in der heutigen Zeit noch Anwendung finden.

Osteotomie des Os ileum nach Salter

Bei der Osteotomie nach Salter wird das Becken nur einmalig durchtrennt (oberhalb der Spina iliaca anterior inferior). Die Hüftpfanne wird dann nach vorne und seitlich gezogen, um eine bessere Überdachung des Hüftkopfes zu ermöglichen. Anschließend wird ein dreieckiger Knochenkeil in dieser Stellung eingebracht und das Korrekturergebnis wird mit ein bis drei Drähten temporär fixiert. Die Indikation zur Beckenosteotomie nach Salter wird bei einer zu steilen Pfanne im Alter zwischen zwei und acht Jahren gestellt, da zu diesem Zeitpunkt noch keine vollständige knöcherne Durchbauung und Festigung des Hüftpfanne vorliegt.

Triple-Osteotomie

Die Triple-Osteotomie wurde erstmals von Le Coeur beschrieben; später erfolgten die Beschreibung und die Modifikation von Hopf, Sutherland, Steel und Tönnis. Im deutschsprachigen Raum war es sicherlich Tönnis, der dieser Technik zu einer weiten Verbreitung verholfen hat. Bei diesen Osteotomien werden die drei Knochen des Beckens (Os ileum, Os ischii, Os pubis) durchtrennt. Anschließend erfolgt eine dreidimensionale Korrektur der Hüftpfanne, die sowohl im seitlichen als auch im vorderen Bereich erfolgen kann.

Periazetabuläre Osteotomie (PAO)

Bei der periazetabulären Osteotomie (Abb. 3) wird das Azetabulum ausgemeißelt, ohne dass alle Knochen (Os ilium, Os pubis, Os ischii) vollständig durchtrennt werden. Die heute bekannteste Modifikation des Verfahrens erfolgte von Ganz, bei der das Os ilium und das Os ischii nicht vollständig durchtrennt, sondern die beiden Schnitte durch eine dorsale Osteotomie verbunden werden. Diese Operation lässt sich durch einen einzigen Hautschnitt von ventral durchführen und weist eine hohe Stabilität im Vergleich zu anderen Verfahren auf.

Proximale Femurosteotomien

Bei den sog. Femurosteotomien als gelenkverbessernde Maßnahmen können drei unterschiedliche Bereiche genutzt werden: intratrochantär, subtrochantär oder am Trochanter major. Die Wahl hängt stark von der entsprechenden Pathologie ab.

Intertrochantäre Verkürzungsosteotomie

Bei Vorliegen einer Hüftdysplasie mit vorheriger Luxation des Hüftkopfes aus der Pfanne kann gerade bereits bei Säuglingen diese Operationstechnik notwendig sein, um eine Einstellung des Hüftkopfes in die Pfanne zu ermöglichen. Hierbei kann zusätzlich der Oberschenkelknochen verkürzt werden. Abhängig von der Lokalisation der Osteotomie besteht der Nachteil, dass gerade Sehnenansätze (Musculus psoas am Trochanter minor) entweder fehlen oder eine erhöhte Spannung in diesem Bereich besteht.

Intertrochantäre Varisation – Derotationsosteotomie

Häufig findet man bei Patientinnen bzw. Patienten mit Hüftdysplasie eine vermehrte Anteversion des Schenkelhalses. Dieses Verfahren wurde häufig zusätzlich zu einer Beckenosteotomie durchgeführt, bei vermehrtem Fortbestehen einer Antetorsion oder Coxa valga, um eine physiologische Stellung des Hüftkopfes in der Pfanne zu erreichen. Zusätzlich kann dieses Verfahren bei lokal begrenzten Hüftkopfnekrosen (im Original steht Union-Hüftkopfnekrosen) (Morbus Legg-Calvé-Perthes) genutzt werden, um das Containment (konkretes Überdachen) des Hüftgelenks wiederherzustellen. Gerade die Anwendung bei Dysplasien hat den sekundären Effekt, dass das Azetabulum durch eine Veränderung der Druckverteilung physiologischer geformt wird.

Zusammenfassung

Um die Pathologien des Hüftgelenks zu behandeln, stehen verschiedene hüftgelenksnahe Osteotomien zur Verfügung. Diese betreffen die azetabuläre Seite (Pfannenseite) sowie das proximale Femur (Oberschenkelbereich). Mit diesen Operationsverfahren lassen sich verschiedene Fehlstellungen wie Hüftdysplasien, Erkrankungen des Hüftkopfes sowie weitere Fehlstellungen addressieren, um einer frühzeitigen Arthroseentwicklung vorzubeugen. Aufgrund des deutlichen Rückgangs der Operationszahlen durch die Sonographiekontrolle von Neugeborenen führen diese Verfahren heutzutage nur noch wenige spezialisierte Operateure durch, die damit jedoch sehr gute Ergebnisse erzielen können.