Mai 2021 – Ausgabe 37

Hüftdysplasie: Aktuelle operative Behandlungs­möglichkeiten

Prof. Dr. med. Fritz Thorey
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Keywords: Hüftdysplasie, Rekonstruktion, Osteotomie

Die Hüftdysplasie ist eine Fehlentwicklung des Hüftgelenkes, die zu einer frühen Arthrosebildung führen kann. Neben einer rechtzeitigen Diagnostik der Fehlstellung ist eine konsequente und stadien­angepasste Behandlung essenziell. In Abhängigkeit vom Alter des Patienten und von der Aus­prägung gibt es spezifische operative Eingriffe, um die Hüftstellung und Stabilität wiederherzustellen.

Der Begriff Hüftdysplasie umfasst ein breites Spektrum von Hüftveränderun­gen: neonatale Instabilität, Azetabulum­dysplasie, Hüftsubluxation und echte Hüftluxation. Im Falle einer Dysplasie sind einige morphologische Veränderungen im Azetabulum, im proximalen Femur oder in beiden vorhanden. Eine Extrem­form ist die subluxierte Hüfte, bei der zwar noch Kontakt zwischen beiden Gelenk­flächen besteht, dieser aber nicht mehr konzentrisch ist. Bei einer echten Luxation besteht kein Kontakt zwischen den Ge­lenkflächen des proximalen Femurs und des Azetabulums. Es ist wichtig, zwischen diesen Erscheinungsformen zu unter­scheiden, da auch der klinische Verlauf, die Behandlung und die Prognose unter­schiedlich sind.

Anatomie

Die Hüfte besteht aus der Hüftpfanne, dem proximalen Femur mit Hüftkopf und den sie verbindenden Weichteilen (Kap­sel, Lig. capitis femoris, Lig. transversum). Die Hüftpfanne ist eine komplexe Struk­tur beim wachsenden Kind, die aus An­teilen des Os pubis, Os ilium und Os ischium gebildet wird und mit Knorpel aus gekleidet ist. Die Weichteile sind neben der Form des Azeabulums maß­geblich an der Stabilität des Hüftgelen­kes beteiligt.Im Laufe der Zeit und des Wachstums kommt es zu Veränderungen, die alle Strukturen der Hüfte betreffen. Die Ent­wicklung der Hüftgelenkspfanne benötigt einen konzentrisch anliegenden Hüftkopf. Wenn der Hüftkopf nicht in der Pfanne steht, flacht die Hüftpfanne ab und die knöcherne Wand verbreitert sich (Abb. 1).Auch am proximalen Femur treten ver­schiedene Veränderungen auf. Das dys­plastische Femur weist häufig eine er­höhte Valgus­ und Anteversion und einen kurzen Hals auf. Der Femurkopf ist viel­fach deformiert und die Verknöcherung des Kerns ist im Vergleich zur kontralate­ralen Seite verzögert. Der Markraum des Femurs ist eng und gerade.

Ätiologie und Pathogenese

Ein adäquates Wachstum und eine ad­äquate Entwicklung der Hüfte hängen von zwei wesentlichen Faktoren ab: der konzentrischen Positionierung des Fe­murkopfes in der Hüftgelenkspfanne und dem adäquaten Gleichgewicht im Wachs­tum zwischen den drei Beckenknochen, welche die Hüftpfanne bilden, und dem Azetabulumknorpel. Jede Veränderung dieser beiden Bedingungen führt zu einer Hüftdysplasie.

Für die Entstehung der Hüftdysplasie gibt es verschiedene Theorien und Risiko­faktoren. Die hormonelle Theorie geht von einem Ungleichgewicht zwischen Östrogenen und Progesteron aus, wobei Östrogene eher einer Dislokation ent­gegenwirken, während eine Umgebung mit höheren Progesteronkonzentrationen die Dislokation begünstigen kann. Die mechanische Theorie behauptet, dass anhaltende mechanische Stimulation eine Deformität provozieren kann, besonders in Zeiten hohen Wachstums. Der mensch­liche Fötus erfüllt diese Kriterien aufgrund seiner Plastizität und schnellen Wachs­tumsrate. Alle Umstände, unter denen der Fötus erhöhten deformierenden Kräften ausgesetzt ist, sind geeignet, eine Hüft­dysplasie zu erzeugen. Oligoamnion, Makrosomie oder Steißlage mit gestreck­ten Knien sind einige der Risikofaktoren, die auf der mechanischen Theorie be­ruhen. Die aufrechte Haltung mit erzwun­gener Hyperflexion der Hüfte und die Kniestreckung, die mit der Steißlage ver­bunden ist, kann zu Hüftdysplasie und Dislokation führen. Die linke Seite ist häu­figer betroffen, da bei den meisten in orthograder Lage entbundenen Neugebo­renen diese Hüfte an der Wirbelsäule der Mutter anliegt, was die Abduktion dieser Hüfte begrenzt.

Die familiäre Veranlagung ist in der Litera­tur gut dokumentiert. Familienangehörige ersten Grades haben ein zwölffach er­höhtes Risiko, eine Hüftdysplasie zu ent­wickeln, während das relative Risiko im zweiten Grad nur 1,7 beträgt. Es wurde auch über eine höhere Inzidenz von Hüft­arthrose und von Implantation einer Hüfttotalendoprothese bei den Eltern und Großeltern von Patienten mit diagnos­tizierter Hüftdysplasie im Vergleich zur All­gemeinbevölkerung berichtet.

Trotz der oben genannten Faktoren wei­sen die meisten Patienten mit Hüftdys­plasie und die meisten der behandlungs­bedürftigen Patienten keine Risikofaktoren auf, außer dem weiblichen Geschlecht (80 % der Fälle).

Behandlung

Je höher das Alter bei Behandlungsbe­ginn ist, desto schlechter sind die Er­gebnisse nach einem Eingriff. Bis zum Alter von acht Jahren geht man davon aus, dass mögliche Komplikationen der Behandlung zwar zu einem unbefriedi­genden Ergebnis führen können, das in der Regel jedoch nicht schlechter ist als die Dysplasie, wenn sie unbehandelt geblieben wäre.

Alle Behandlungsbemühungen basieren darauf, einen konzentrisch positionierten Femurkopf in der Hüftpfanne zu erhalten, damit letztere zu einem normalen Wachs­tum angeregt wird. Das azetabuläre Kor­rekturpotenzial nimmt nach dem dritten bis vierten Lebensjahr deutlich ab. Daher sind frühzeitige Eingriffe von größter Bedeutung.

Ziel der Behandlung ist es daher, eine konzentrische und stabile Reposition des Hüftkopfes in die Hüftpfanne und so eine korrekte Entwicklung aller Strukturen der Hüfte zu erreichen sowie Komplikationen wie eine Hüftkopfnekrose zu vermeiden. Ebenfalls soll durch eine Korrektur der azetabulären Dysplasie die stabile und konzentrische Position des Femurkopfes in der Hüftpfanne erreicht werden.

Zusätzlich sind Becken­ oder Femuros­teotomien in zwei Situationen indiziert:1) Wenn eine Restdysplasie vorhanden ist, die durch eine vorherige Reposition der Hüfte nicht korrigiert werden konnte. 2) Wenn aufgrund des Alters des Kindes zu erwarten ist, dass das Korrekturpoten­zial nach einer Hüftreposition nicht ausreicht, um die Azetabulumdysplasie zu korrigieren. Beckenosteotomien werden nach dem Alter von drei bis vier Jahren durchgeführt, wenn das azetabuläre Kor­rekturpotenzial nachlässt.

Korrektur der azetabulären Dysplasie

In den ersten Lebensmonaten ist der Reiz, der durch einen stabilen und konzen­trisch in der Pfanne positionierten Hüft­kopf ausgelöst wird, in der Regel ausrei­chend, um die Hüftpfannenentwicklung zu normalisieren. Bei Kleinkindern kann eine Pavlik­Bandage verwendet werden, um die Hüfte in Flexion und Abduktion zu halten, sodass das Pfannenwachstum stimuliert werden kann. Bei Kindern, die älter als sechs bis acht Monate sind, kann alternativ eine starre Hüftabduktions­orthese verwendet werden. Je älter das Kind ist, desto geringer ist das Potenzial für die Normalisierung einer dysplasti­schen Hüftpfanne. Die Prävalenz der Aze­tabulumdysplasie steigt mit dem Alter der Hüftreposition. Das Alter, in dem eine Normalisierung des Azetabulums nach Hüftreposition nicht mehr erreicht werden kann, ist nicht bekannt.

Eine azetabuläre Dysplasie kann auch dann auftreten, wenn die Reposition in­nerhalb der ersten Lebensmonate durch­geführt wird. Bei bis zu 19 % der Patienten, die erfolgreich mit einer Pavlik­Bandage behandelt wurden, zeigt sich eine Rest­dysplasie; 22 % bis 33 % der Patienten mit geschlossener oder offener Repositi­on weisen sie ebenfalls auf.

In den Fällen mit persistierender azeta­bulärer Dysplasie sind azetabuläre und/oder femorale Osteotomien notwendig, um das Risiko einer Koxarthrose im Er­wachsenenalter zu vermeiden oder zu minimieren. Der genaue Zeitpunkt für deren Durchführung ist nicht genau defi­niert, aber das Alter und die Entwicklung des Azetabular­Indexes können bei der Vorhersage der Wahrscheinlichkeit einer Restdysplasie im Reifestadium helfen.

Femorale Osteotomien

Femorale Osteotomien zielen darauf ab, den Femurkopf durch Derotation und Erhöhung des Varus neu auszurichten, um die azetabuläre Entwicklung zu stabilisie­ren und zu stimulieren. Diese Techniken basieren auf dem Prinzip, dass das proxi­male Femur häufig eine erhöhte Antever­sion und Varisation aufweist – ein Thema, das immer noch umstritten ist. Die fe­morale Anteversion ist die Hauptursache für das Wiederauftreten von Subluxatio­nen, sodass eine Derotationsosteotomie notwendig sein kann, um eine stabile Reposition der Hüfte zu erhalten. Experi­mentelle Studien haben gezeigt, dass die Varisierung auch das Azetabulumvo­lumen erhöht.

Azetabuläre Osteotomien

Azetabuläre Osteotomien versuchen, die Überdeckung des Femurkopfes auf der Azetabulumseite zu erhöhen. Es gibt zwei Hauptgruppen: solche, die den Pfan­nenknorpel erhalten, und solche, die den Gelenkknorpel nicht erhalten (Salvage­ Osteotomien). Die erste Gruppe besteht aus Umstellungsosteotomien (Salter, Triple­Osteotomie, periazetabuläre Osteo­tomie (PAO)) und Azetabuloplastiken, die die Morphologie verändern (Dega oder San Diego, Pemberton). Ob diese Osteo­tomien bei instabilen Hüften eingesetzt werden können, bleibt umstritten. In der Literatur findet man häufig die Meinung, dass physiologische Azetabulumosteo­tomien nur bei einer reduzierten und stabilen Hüfte durchgeführt werden soll­ten (Abb. 2).

Reorientierungsosteotomien (Salter, Triple­ Osteotomie, PAO) erhöhen die laterale und anteriore Abdeckung des Femurkop­fes durch Änderung der Pfannenrichtung.

Azetabuloplastiken (Dega oder San Diego, Pemberton) bieten im Vergleich zu Re­orientierungsosteotomien eine höhere Korrekturrate der azetabulären Dysplasie.

Es gibt noch weitere Osteotomien, deren Indikation in vielen Fällen nicht mehr ge­geben ist. Darunter fallen die sogenann­ten Salvage­Osteotomien der Stabilisie­rung der Hüfte und der Vergrößerung der Femurkopfabdeckung und der azetabu­lären Kontaktfläche. Sie erhalten nicht den Gelenkknorpel als Kontaktfläche zwischen Femurkopf und Azetabulum. Allerdings entwickelt sich durch eine zwischenge­lagerte Gelenkkapsel zwischen Hüftkopf und Ilium (bei Chiari­Osteotomie) oder Knochentransplantat (bei Shelf­Osteoto­mie) eine Knorpelmetaplasie, die an Gelenkknorpel erinnern könnte.

Diskussion

Man kann jedoch feststellen, dass Becken­osteotomien das Risiko der Entwicklung einer Hüftarthrose beim jungen Erwach­senen nicht vollständig vermeiden. Thomas et al. stellten 2007 in einem Arti­kel JBJS (Am) fest, dass 23,8 % der Patienten, die mit einer Salter­Osteoto­mie behandelt wurden, 40 Jahre nach der Azetabuloplastie eine Hüfttotalendo­prothese benötigten (6). Darüber hinaus wiesen weitere 17 % eine Arthrose Grad 3 oder 4 (Kellgren­ und Lawrence­Klassifi­kation) auf, obwohl keine THR implantiert worden war. In ähnlicher Weise fanden Steppacher et al. 2007 in einem Artikel in CORR heraus, dass nach 20 Jahren Nachbeobachtung von Patienten mit einer PAO 38 % der Patienten eine THR benö­tigten (7).

Schlussfolgerungen

Die Hüftdysplasie ist die Hauptursache für einen hüftendoprothetischen Ersatz bei jungen Menschen (etwa 21 % bis 29 %). Die Inzidenz nimmt jedoch mit zu­nehmendem sonographischen Screening der Neugeborenen in Deutschland und Europa ab. Je höher das Alter bei einer Behandlung, desto schlechter sind die Ergebnisse nach der Intervention. Daher ist eine frühzeitige Diagnose der wichtigs­te Faktor in Bezug auf das Ergebnis. Auch bei einem Normalbefund in der körperli­chen Untersuchung des Neugeborenen gibt es weiterhin einen klaren Konsens über die Durchführung eines Hüftultra­schalls, wenn eine Steißlage oder eine positive Familienanamnese für eine Hüft­dysplasie vorliegt.