Mai 2022 – Ausgabe 39

Hamstrings: Prävention und Rehabilitation

Kathrin Stall

Tobias Baierle

Schlüsselwörter: ischiokrurale Muskulatur, Prävention, Rehabilitation, Askling-L-Protokoll

Verletzungen der ischiokruralen Muskulatur, auch bekannt als „Ischios“ oder „Hamstrings“ (engl.), treten im Sport regelmäßig auf. Besonders häufig sind hiervon Sportler und Sportlerinnen aus Sportarten wie z. B. Fußball, Football, Basketball oder Rugby betroffen. Die Gemeinsamkeit liegt in der wiederkehrenden hohen Sprintaktivität dieser Sportarten.

Eine solche Verletzung ist bei Sport­ ler:innen zu finden, die ihre Muskulatur über das normale Bewegungsausmaß hinaus dehnen. Beispiele hierfür sind
z. B. Tanzen und Wasserskifahren [1,2]. Eine Hamstring­Verletzung ist oft schwer­ wiegend, da sie nicht nur Schmerzen hervorruft, sondern auch mit einer langen Rehabilitation einhergeht [3]. Es ist daher essenziell, sich mit einer optimalen Verlet­ zungsprävention zu beschäftigen.

Anatomie und Funktion

Die ischiokrurale Muskulatur befindet sich am dorsalen Oberschenkel und setzt sich aus drei Muskeln zusammen. Diese lassen sich in zwei Gruppen unterteilen:

  • semitendinosus und M. semimembranosus (medial)
  • biceps femoris mit zwei Anteilen (lateral)
  • Die gemeinsame Aktivität der drei Muskeln bewirkt eine Knieflexion sowie Hüftextension. Sie wirken antagonis­tisch zum M. quadriceps.

Prävention von Verletzungen

Die aktuelle Studienlage zeigt, dass Ver­letzungen der ischiokruralen Muskulatur durch präventive Maßnahmen reduziert und verhindert werden können.

Es wurden verschiedene Interventionen betrachtet, welche mögliche Risikofaktoren adressieren:
Ein identifizierter Risikofaktor für häufigere Verletzungen ist das Alter. Es ist jedoch unklar, welche spezifischen Faktoren für dieses Phänomen sorgen. Eine Theorie lautet, dass der Verlust von Muskelmasse zu geringer Kraft und strukturellen Veränderungen führt. Die Ergebnisse einer anderen Studie deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Risikofaktor Alter und der exzentrischen Muskelkraft geben könnte. Es zeigt sich, dass eine Verbesserung der Exzentrik den Risikofaktor Alter verringert.

Ein weiterer, viel diskutierter Risikofaktor ist das Verhältnis der Kraft von Quadri­zeps zu der der ischiokruralen Muskulatur. Es gibt verschiedene Theorien, jedoch ohne klare Ergebnisse.

Eine eindeutige Studienlage gibt es zu der Wichtigkeit des Faktors der Kraft der ischiokruralen Muskulatur. Eine reduzierte Kraft in diesem Bereich gilt als sicherer Risikofaktor für Verletzungen. Hierbei zählt vor allem auch erneut eine geringe exzentrische Kraft als Risikoindikator. Es wird angenommen, dass die meisten Ver­letzungen in diesem Muskelbereich wäh­rend der exzentrischen Aktivität auftreten, bei der auch die Gesamtmuskelaktivität am höchsten ist. Dies liefert Argumente dafür, dass ein exzentrisches Training der Muskulatur stattfinden sollte.

Auch der Einsatz von Interventionen, die der neuromuskulären Funktion dienen, wird empfohlen, um ein Verletzungsrisiko zu verringern Ein weiterer Risikofaktor sind voraus­ gegangenen Verletzungen. Dies ist u. a. auf verschiedene Faktoren einer inadäqua­ten Rehabilitation zurückzuführen: Dies kann zu einer inkompletten Heilung, einer verbleibenden Schwäche des verletzten Gewebes oder zu funktionellen Defiziten führen. Auch psychologische Faktoren können dabei eine Rolle spielen.

Eine verringerte Flexibilität ist ein weiterer Risikofaktor. Eine Verbesserung der Flexi­bilität sollte daher im Zuge eines Präventi­onsprogrammes beachtet werden. Zu diesem Punkt ist die Studienlage jedoch unklar, da die ischiokrurale Muskulatur häufig nicht separat betrachtet wurde.

Wichtig ist es, mögliche Risikofaktoren früh zu erkennen. Dabei ist zu beachten, dass die Identifikation sich aufgrund einer hohen Variabilität von der individuellen Interpretation unterscheiden kann. Die große Varianz innerhalb eines Teams, eines Saisonverlaufes etc. sorgt dafür, dass das Einführen eines Präventions­programms für alle und nicht nur für klar identifizierte Sportler:innen empfohlen wird.

Für eine solche Implementation von Präventionsprogrammen in Vereinen und Sportstätten auf verschiedenen Ebenen müssen auch Barrieren, wie die Einstellung von Sportler:innen und den Personen, die hinter ihnen stehen, zur Prävention berücksichtigt und adressiert werden.

Ergebnisse aus Schweden zeigen, dass die Durchführung eines kontrollierten Rehabilitationsprogramms, in welchem u. a. Information und Aufklärung über Risikofaktoren, erneute Verletzungen, ein progressives Zehn­Stufen­Rehabili­tationsprogramm mit Kriterien für ein sicheres Return to Play Bestandteil waren, das Risiko für eine erneute Verletzung der unteren Extremität um bis 75 Prozent senken konnte.

Die Übungen „Glider“, „Diver“ und „Extender“ sind die Bestandteile des Askling­L­Protokolls, welches sowohl für die Prävention als auch für die Reha­bilitation eingesetzt wird. Das Ziel dieser Übungen ist das exzentrische Training und die Dehnung der ischiokruralen Musku­latur. Die Übungen haben eine moderate Intensität und lassen sich einfach imple­mentieren.

Rehabilation

Eine unzureichende Rehabilitation von (vorherigen) Verletzungen zählt zu den Risikofaktoren für neue Verletzungen. Eine erfolgreiche Rehabilitation dient demnach immer auch als weiterfolgende Prävention! In der nachfolgenden Tabelle wird ein möglicher Aufbau für eine Rehabilitation nach einer Verletzung der ischiokruralen Muskulatur dargestellt.