Oktober 2023 – Ausgabe 42

Gleichzeitige beidseitige Implantation von Knieendoprothesen

Prof. Dr. med. Christoph Becher

Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Schlüsselwörter: Knie-Totalendoprothese, Schlittenprothese, beidseitige Kniearthrose, einzeitiges Vorgehen

Die Implantation einer Knie-Totalendoprothese stellt bei fortgeschrittener Osteoarthrose des Kniegelenks ein hocheffektives Verfahren zur Reduktion des Schmerzes und zur Verbesserung der Lebensqualität dar. Häufig sind jedoch beide Knie in gleicher Weise betroffen, was die Frage nach einem gleichzeitig auf beiden Seiten durchgeführten Gelenkersatz aufwirft. Diese Frage wird in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert [1-4].

Ziel dieses Beitrags ist es, die möglichen Vor- und Nachteile des Vorgehens zu diskutieren.

Bei Fehlstellungen der Beinachsen (z. B. bei einem X- oder O-Bein, Abb. 1) kann die Implantation einer Prothese auf einer Seite die Problematik auf der anderen Seite eventuell deutlich verstärken. Dies ist einer der Gründe für die gleichzeitige, beidseitige Implantation einer Endoprothese im Rahmen eines operativen Eingriffs (Abb. 2). Teilgelenksprothesen (sog. Schlittenprothesen, Abb. 3) oder auch die Kombination eines kompletten Ersatzes auf der einen und Teilgelenksersatz auf der anderen Seite (Abb. 4) sind natür- lich auch möglich.

Potenzielle Vorteile der gleichzeitigen beidseitigen Implantation

  • gleichzeitige Korrektur von Fehlstellungen und damit Vermeidung der Zunahme von Beschwerden auf der Gegenseite oder in anderen Körperregionen (z. B. Wirbelsäule, Becken, Füße)
  • Zeitersparnis für den Patienten bzw. die Patientin durch die nur einmalige Vorbereitung des Eingriffs, insgesamt verkürzte Aufenthaltsdauer im Krankenhaus bzw. in einer Rehabilitationsklinik und insgesamt kürzere Behandlungsdauer, auch in Bezug auf die Nachbehandlung
  • Reduktion der Kosten für das Gesundheitssystem.

Potenzielle Nachteile der gleichzeitigen beidseitigen Implantation

  • erhöhte peri- und postoperative Komplikationsrate durch die verlängerte Operationszeit, höhererBlutverlust, längere Narkosedauer und erschwerte postoperative Mobilisation
  • erhöhte postoperative internistische Komplikationsrate mit Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) mit möglicher Lungenembolie, kardiovaskulären Vorkommnissen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall) und allgemein erhöhter postoperativer Sterblichkeitsrate.

Diskussion

Die gleichzeitige beidseitige Versorgung mit einer Knieendoprothese ist aufgrund der genannten Vorteile für viele Patientinnen und Patienten attraktiv. Demgegenüber stehen die Nachteile, insbesondere das generell höhere Risiko für peri- und postoperative Komplikationen [1, 3, 4].

Zunächst gilt zu differenzieren, ob es sich um eine beidseitige Versorgung mit einer Knie-Totalendoprothese oder lediglich mit einer Teilendoprothese bzw. einem Mix aus beidem handelt. Prinzipiell gilt: Je geringer die Invasivität des operativen Vorgehens, desto weniger ist mit einer erhöhten Komplikationsrate zu rechnen.

Allgemein am meisten gefürchtet sind internistische peri- und postoperative Komplikationen, die im schlimmsten Fall zum Tod des Patienten bzw. der Patientin führen können. Hier ist die wissenschaftliche Datenlage relativ eindeutig. In einer Studie mit Einschluss von 34.908 Patienten bzw. Patientinnen betrug die allgemeine Sterblichkeitsrate innerhalb der ersten 30 Tage 0,12 Prozent und nach 90 Tagen 0,16 Prozent. Interessanterweise war das allgemeine Sterberisiko zu beiden Zeitpunkten etwa viermal niedriger, wenn die Operation mit technologischer Unterstützung (z. B. roboterassistiert) durchgeführt wurde [1].

In einer aktuellen Arbeit, in der 21.044 Patienten bzw. Patientinnen mit gleichzeitiger beidseitiger Knie-Totalendoprothesen-Implantation mit 126.264 Patienten bzw. Patientinnen mit einseitiger Knie-Totalendoprothesen-Versorgung verglichen wurden, zeigte sich eine signifikant erhöhte Rate an Lungenembolien, Schlaganfällen und eine signifikant erhöhte Notwendigkeit an Bluttransfusionen in der Gruppe der Personen mit gleichzeitiger beidseitiger Versorgung. Auch die Sterblichkeit war hier statistisch signifikant unterschiedlich. Insgesamt sind die Unterschiede allerdings, in Bezug auf die Gesamtzahl, als gering einzustufen, so war z. B. die Rate an Lungenembolien bei beidseitiger Versorgung um 0,13 Prozent erhöht (Gesamt: 0,27 % vs. 0,14 %) und die Rate an Schlaganfällen bei beidseitiger Versorgung um 0,07 Prozent erhöht (Gesamt: 0,13 % vs. 0,06 %). Deutlich höher war allerdings das Risiko, eine Bluttransfusion zu benötigen, mit einer Gesamtrate von 5,23 Prozent bei beidseitiger Knieprothesenversorgung gegenüber 0,67 Prozent bei einseitiger Knieprothesen-Implantation [4].

In dieser Arbeit betrug die Krankenhausverweildauer für die Gruppe der Personen mit gleichzeitiger beidseitiger Versorgung durchschnittlich 3,02 Tage gegenüber 1,97 Tagen bei einseitiger Versorgung [4]. Hierbei handelte es sich um ein amerikanisches Patientengut, was im Hinblick auf die in Deutschland üblichen Verweildauern durchaus bemerkenswert ist. Dies zeigt allerdings, dass selbst bei einer beidseitigen gleichzeitigen Versorgung die Belastung für die Patientinnen und Patienten doch nicht so ausgeprägt zu sein scheint, sodass eine geringe Verweildauer von durchschnittlich drei Tagen ausreicht.

Für die gleichzeitige beidseitige Implantation einer Schlittenprothese liegen aktuell keine Daten vor. Es kann aber aufgrund der geringeren Invasivität mit weniger Blutverlust von einer niedrigeren Komplikationsrate im Vergleich zur Implantation einer Knie-Totalendoprothese ausgegangen werden.

Entsprechend dieser Daten sollten diese medizinischen Hintergründe mit dem Patienten bzw. der Patientin kritisch diskutiert werden. Patientinnen und Patienten mit kardialen Vorerkrankungen, wie z. B. einem stattgehabten Herzinfarkt oder einer tiefen Beinvenenthrombose mit Lungenembolie oder Schlaganfall, kommen für die gleichzeitige beidseitige Versorgung mit einer Knie-Totalendoprothese in der Regel nicht infrage. Auch die beidseitige Implantation einer Schlittenprothese sollte in diesen Fällen kritisch gesehen werden.

Aus ökonomischer Sicht ist das gleichzeitige beidseitige Vorgehen in jedem Fall zu bevorzugen. US-amerikanische Daten aus dem Jahr 2012 errechneten für die gleichzeitige beidseitige Implantation einer Knie-Totalendoprothese durchschnittliche Kosten von 43.401 US$ im Vergleich zu 72.233 US$, wenn die Operation zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgte [2]. Für die Kliniken ist das zeitlich versetzte Vorgehen entsprechend lukrativer durch die insgesamt deutlich höhere Gesamtvergütung der Kliniken durch die Krankenkassen/Versicherungen der Patientinnen und Patienten. Dies dürfte in Deutschland der Hauptgrund dafür sein, warum die beidseitige Versorgung insgesamt nur selten durchgeführt wird.

Der entscheidende Vorteil der gleichzeitigen beidseitigen Vorgehensweise ist für meine Patientinnen und Patienten nach meiner Erfahrung die gesamte Zeitersparnis durch die nur einmal notwendige Vorbereitung des Eingriffs, den nur einmal notwendigen stationären Aufenthalt und die nur einmal notwendige Rehabilitationsmaßnahme.

Auch wenn manche Patienten bzw. Patientinnen wegen der oft schwer vorstellbaren Situation der beidseitigen Operation zunächst Vorbehalte äußern, bereuen sie die Entscheidung nach dem Eingriff so gut wie nie. Insbesondere bei schweren Arthrosen mit deutlicher Einschränkung der Belastbarkeit und vorliegenden Achsdeformitäten beidseits ist das gleichzeitige beidseitige Vorgehen besonders vorteilhaft.

Prof. Dr. med. Christoph Becher
IZO – Internationales Zentrum für Orthopädie
ATOS Klinik Heidelberg
christoph.becher@atos.de