Oktober 2020 – Ausgabe 36

Laura Philipp, die vierte des Ironman Ha­waii 2019, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit ihrem Sporttreiben und den Besonderheiten des weiblichen Organis­mus auseinandergesetzt. Laura gelingt es, Sport in der Weltspitze und einen ge­sunden, funktionierenden Zyklus ohne die Einnahme von künstlichen Hormonen (z. B. Pille) zu verbinden. Auf ihrem YouTube Channel (Laura Philipp Triathletin) erzählt Laura in mehreren Episoden über ihre per­sönlichen Erfahrungen auf diesem Weg.

In der Sportwissenschaft wurde über Jahrzehnte hinweg Frauen als Empfeh­lung weitergegeben, das Gleiche zu essen und zu trainieren wie Männer, nur einfach ein bisschen reduzierter.

  • 99 % aller Studien zu Diäten und Er­nährungstrends und auch Trainings­ formen werden ausschließlich mit Männern durchgeführt, da Frauen und ihr Zyklus (hormonelle Schwankungen) zu kompliziert/nicht valide zu untersuchen sind.
  • Der große Unterschied zwischen Männern und Frauen ist der weibliche Menstruationszyklus und die damit einhergehenden hormonellen Schwankungen und die Auswirkungen auf den Stoffwechsel, die Thermoregula­tion, die Verletzungsanfälligkeit, die Leistungsfähigkeit u. a. m.

Bei Männern erfolgt die Ausschüttung der Geschlechtshormone (z. B. Testoste­ron) in einem täglich gleichen Rhythmus. Bei Frauen — ab Pubertät bis Menopause — unterliegt die Ausschüttung der Ge­schlechtshormone einem 28–35 Tage Zy­klus. Frauen, die einen natürlichen Zyklus haben, sollten aus diesem Grund ihr Training und ihre Ernährung an ihren Zyklus anpassen.

Grundlagen

In der ersten Zyklushälfte = Follikelphase ist die hormonelle Situation dem Mann am ähnlichsten. Die Hormone Testoste­ron, Östrogen und Progesteron, FSH und LH sind sehr niedrig. Insgesamt befindet sich der Stoffwechsel in einer „anabolen“ = aufbauenden Situation.

Auch die Basaltemperatur ist mit Beginn der Periode und in der ersten Zyklushälfte niedriger, was dazu führt, dass wir Frauen in dieser Phase besser mit Hitze umgehen können und weniger schnell überhit­zen/schwitzen, wenn sie Sport treiben. Viele Frauen fühlen sich in der ersten Zyk­lushälfte engergiegeladen, extrovertiert und leistungsfähig. Diese Phase eignet sich hervorragend für intensive Ausdauersporteinheiten, z. B. Intervalltraining und Krafttraining, mit dem Ziel, Muskulatur aufzubauen.

BEISPIEL 1: Berganläufe 10 x 60 s, zügig hoch, 90–95 % HF max, bergab gehen.

BEISPIEL 2: intensives Krafttraining mit hohen Lasten und wenigen Wieder­holungen oder ein intensives Crossfit Workout.

Da der weibliche Stoffwechsel bis zum Eisprung (Zyklushälfte) eine höhere Fett­verbrennung aufweist, eignet sich die Follikelphase auch, um z. B. Kohlenhydrate etwas in der Ernährung zu reduzieren oder generell ein wenig Gewicht zu verlie­ren (sollte dies ein Ziel sein!). Auch der Blutzucker ist stabiler, da der Körper besser über Fettstoffwechsel arbeiten kann und weniger Kohlenhydrate benötigt. Fette und Proteine sollten in dieser Phase in jede Mahlzeit ausreichend integriert sein, um die Hormonproduktion und den Muskelaufbau sowie die Erholung der in­tensiven Trainingseinheiten bestmöglich zu unterstützen.

Ernährungstipp

Grundsätzlich haben Frauen ein kleineres metabolisches Erholungsfenster nach Trainingseinheiten als Männer. Frauen sollten innerhalb von 30 min nach dem Training mit einem Shake oder einer Mahlzeit mit Kohlenhydraten und mind. 20 g Proteinen nachfüllen. Männer können sich aufgrund ihres Stoffwechsels bis zu eine Stunde Zeit lassen.

Zum Eisprung, der die Mitte des Zyklus kennzeichnet, steigen die Hormone FSH, LH und Östrogen an und mit dem Eisprung verändert sich die hormonelle Situation deutlich. Durch den Gelbkörper — Hülle des gesprungenen Eis — steigt das Hormon Progesteron und Östrogen sinkt stark ab.

Progesteron führt dazu, dass sich unser Stoffwechsel in eine „katabole“ = abbau­ende Situation bewegt.

Die zweite Zyklusphase = Lutealphase ist die Phase, in der sich viele Frauen nicht so leistungsstark fühlen, häufig müde sind und sich etwas introvertierter verhalten können. PMS­Symptome können die Leistungsfähigkeit zusätzlich negativ be­einflussen.

In Bezug auf die sportliche Leistungs­fähigkeit kann man daraus resultierend Folgendes sagen: Muskelaufbau fällt Frauen in dieser Phase schwerer, intensi­ve Belastungen werden als anstrengen­der empfunden und die Thermoregulation fällt schwerer.

Progesteron bereitet den weiblichen Kör­per auf eine mögliche Befruchtung und Einnistung der Eizelle in der Gebärmutter vor, aus diesem Grund lockern sich die Bänder im weiblichen Körper, was zu einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit beim Sporttreiben führen kann.

Von Nüchterntraining (Training ohne vor­herige Nahrungsaufnahme) wird in der zweiten Zyklushälfte komplett abgeraten. Der weibliche Körper braucht in dieser Phase mehr Kohlenhydrate als in der ers­ten Zyklushälfte und es kommt durch die­- sen Mehrbedarf leichter zu Blutzucker­schwankungen und Heißhunger. Frauen verbrauchen ca. 200 kcal mehr pro Tag in der zweiten Zyklushälfte. Daraus erklärt sich auch die Lust auf Süßes. Wer in dieser Phase nicht zunehmen und trotz­dem Sport treiben möchte, sollte sich auf eine nährstoffreiche und regelmäßige Ernährung mit Fokus auf die Kohlenhydrat und Proteinversorgung legen.

ZIEL NUMMER 1:

den Blutzuckerspiegel stabil halten, um den Körper nicht zu stressen. Denn Stress verursacht die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und genau diese Ausschüttung führt bei Frauen dazu, dass Fett eingelagert anstatt wie bei Männern verbrannt wird.

Schlussfolgerungen aus diesem Wissen sind:

keine Diäten in der zweiten Zyklushäfte, da diese für Stress sorgen und somit zu mehr Einlagerung von Fett führen können

Im Training können grob folgende Regeln aufgestellt werden: aerobes Ausdauer-­ training kann grundsätzlich immer statt­finden, je näher die Periode, desto weniger hochintensives Training sollte durch­geführt werden. Beim Krafttraining lieber mehr Wiederholungen und etwas weniger Gewicht. Vorsicht bei Ballsportarten und Koordinationstraining: Hier gilt v. a.: unter Ermüdung steigt durch die gelockerten Bänder die Verletzungsgefahr. Ganz wich­tig ist, dass es im Empfinden große Unterschiede gibt und Lösungen ebenso in­dividuell gefunden werden müssen.

Wer PMS­Symptome und Verletzungsan­fälligkeit in der zweiten Zyklushälfte reduzieren möchte, sollte vor und nach je­ dem Training ca. 20 g Proteine zu sich nehmen. Wenn die Trainingseinheit länger als 1 Stunde ist, sollte man sich zudem mit einem kohlenhydrathaltigen Sportgetränk versorgen. (Richtwert ca. 60 g Kohlenhy­drate/Stunde). Das gilt übrigens auch für die erste Zyklushälfte, wenn sehr intensiv trainiert wird. In langen Trainings (>1 h), wie zum Beispiel Radausfahrten, empfeh­le ich auf gute Hydration zu achten, da so die Thermoregulation besser funktioniert und der Körper weniger gestresst wird.

BEISPIEL 1: Radtraining 2 h ruhiges Radfahren, um die Grundlagenausdauer zu verbessern.

BEISPIEL 2: Krafttraining mit niedrigeren Lasten und mehr Wiederholungen oder eine Yoga­Stunde.

Dies ist ein erster Einblick in ein Thema, das mich als Frau und Sportlerin bewegt. Seit ich mich damit beschäftige, habe ich das Gefühl, mehr und mehr mit mir und meinem Körper im Einklang zu arbeiten, statt gegen ihn. Gemeinsam mit meinem Trainer habe ich Lösungen für mein Trai­ning und meine Wettkämpfe gefunden, die mir helfen, in jeder Phase meines Zyk­lus Leistung erbringen zu können.

Ich möchte mit diesem Beitrag Frauen dazu ermutigen, sich mit ihrem Zyklus und ihrer Gesundheit auseinanderzuset­zen. Ein funktionierender Zyklus trägt nicht nur zur Gesundheit (z. B. hohe Kno­chendichte), sondern auch zu einer emoti­onalen Ausgeglichenheit und mehr Leis­tungsfähigkeit im Alltag und Sport bei.