Mai 2024 – Ausgabe 43

Erworbene Gelenkdeformitäten in der Rheumatologie am Beispiel der Rheumatoiden Arthritis – sind sie heutzutage vermeidbar?

Dr. med. Verena Schmitt
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Dr. med. Ines Dornacher
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Schlüsselwörter: Rheumatoide Arthritis, DMARDs, biologische Basistherapie, zielgerichtete Basistherapie

Entzündlich-rheumatische Erkrankung sind chronische Erkrankungen, die Gelenke, Sehnen, die Wirbelsäule, aber auch innere Organe betreffen können. Wenn die Erkrankungen spät erkannt oder ungenügend behandelt werden, können irreversible Schäden entstehen, wie am Beispiel einer unserer Patientinnen deutlich wird.

Kasuistik

Nachfolgend sehen wir das Beispiel einer jetzt 68-jährigen Patientin, bei der 1980 im Alter von 25 Jahren die Diagnose einer Rheumatoiden Arthritis gestellt wurde und die einen erosiven Verlauf mit ausgeprägten Gelenkveränderungen hat (Abb. 1+2). Erstmals stellte sie sich 2019 im Zentrum für Rheumatologie vor. Die typischen Marker für eine Rheumatoide Arthritis – Rheumafaktor und antiCCP – sind positiv, die Entzündungswerte (CRP und BKS) waren immer wieder erhöht (Abb. 1-4).

Seit Diagnosestellung nahm die Patientin kontinuierlich Glukokortikoide („Cortison“) ein, mindestens 5 mg Prednisolon / Tag. Eine Basistherapie, d. h. die Gabe eines sogenannten DMARD (engl. Disease Modifying Antirheumatic Drug) erfolgte nur kurzzeitig, mit Methotrexat. Dies wurde jedoch wegen schlechter Verträglichkeit (Haarausfall) wieder rasch beendet. Für einen weiteren Versuch einer Basistherapie konnte sich die Patientin aufgrund der schlechten Erfahrungen mit Methotrexat nicht entscheiden. Leider entzog sie sich bis 2019 auch regelmäßigen rheumatologischen Verlaufskontrollen.

2019 erfolgte nochmals ein Therapieversuch mit Methotrexat als Basistherapie. Wegen schlechter Verträglichkeit (Müdigkeit) wurde diese Therapie ebenfalls nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Danach wurde Leflunomid als Basistherapie eingesetzt, das ebenfalls wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen nach kurzer Therapiedauer abgesetzt werden musste. Nachdem zwei konventionelle synthetische Basistherapien (csDMARDs) erfolglos zum Einsatz gekommen waren, bestand nun unter Berücksichtigung der S2e-Leitlinie für Rheu­matoide Arthritis [2] die Indikation für eine sogenannte Biologika-Therapie (bDMARD).

Biologika sind biotechnologisch hergestellte Medikamente, die spezifisch in Regulationsvorgänge der Immunantwort und damit gezielt in die Krankheitsmechanismen eingreifen. Wir begannen eine T-Zell-Antikörpertherapie (Abatacept), die jedoch leider wegen einer allergischen Reaktion beendet werden musste. Seit März 2021 erhält die Patientin eine Biologika-Therapie mit einem TNFa-Blocker (Etanercept). Diese Therapie hat die Beschwerden, v. a. Finger- und Kniearthralgien mit rezidivierenden Schwellungen, gebessert, jedoch kommt es trotzdem immer wieder zu Schmerzschüben. Prednisolon konnte im Verlauf auf minimal 2 mg / Tag reduziert werden, jedoch nie ganz abgesetzt werden.

Trotz intensiver Gespräche und Erläuterungen der therapeutischen Alternativen konnte sich die Patientin bisher leider nicht für eine Änderung der Therapie entscheiden, da sie Sorgen wegen eventuell erneut auftretender Nebenwirkungen hat, subjektiv zufrieden ist und unter der bestehenden Therapie eine deutlich bessere Lebensqualität hat.

Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie

Solche schweren Krankheitsverläufe mit Gelenkdeformitäten wie bei dieser Patientin sollen und können heutzutage in aller Regel durch folgendes Vorgehen vermieden werden:

  1. Frühes Erkennen der Erkrankung durch Anwendung der Klassifikationskriterien

2010 wurden die Klassifikationskriterien (Tab. 1) für die Rheumatoide Arthritis (RA) neu definiert. Diese neue Klassifikation des „American College of Rheumatology“ (ACR) und der „European League Against Rheumatism“ (EULAR) ermöglichen es, eine Rheumatoide Arthritis früher zu erkennen [1], [5].

Die Klassifikationskriterien (siehe Tabelle 1) sind anzuwenden, wenn eine eindeutige Gelenkschwellung in mindestens einem Gelenk festgestellt wird und die Gelenkschwellung nicht durch eine andere Erkrankung besser erklärt werden kann. Die Klassifikation als „definitive RA“ erfolgt beim Erreichen eines Scores von ≥ 6 von möglichen zehn Punkten in vier Kategorien.

  1. Anwendung von wissenschaftlich belegten, definierten Therapieempfehlungen gemäß den aktuellen Behandlungsleitlinien

Die medikamentösen Therapiestrategien zur Behandlung der Rheumatoiden Arthritis sind entscheidend für den Langzeitverlauf. Sie dienen dem Ziel, durch frühe und konsequente Unterdrückung der Entzündung eine Gelenkzerstörung zu verhindern und damit die Funktion zu erhalten [2].

  1. „Hit hard and early“

Dieses Therapieprinzip betont die Notwendigkeit einer durchgreifenden Therapie, die „kräftiger“ / stärker und möglichst früh beginnen sollte. Bei gutem Verlauf kann sie dann reduziert werden – nach dem Prinzip „besser deeskalieren als eskalieren“.

  1. „Treat to Target“: Regelmäßige Kontrolle des Therapieerfolgs und Therapieanpassung

In der Rheumatologie ist – nicht nur bei der Rheumatoiden Arthritis – das „Treat-to-Target“-Konzept inzwischen die Therapie der ersten Wahl [3], [4]: Alle drei Monate sollte die Krankheitsaktivität im Rahmen von Verlaufskontrollen überprüft und die Therapie angepasst werden. Wenn die Krankheitsaktivität nicht um mindestens 50 Prozent reduziert ist, was ergänzend mit verschiedenen Aktivitäts-Scores überprüft werden kann, muss die Therapie angepasst werden. Ziel ist immer der Krankheitsstillstand / die Remission. Studien konnten zeigen, dass sich durch die „Treat-to-Target“-Strategie ein besserer Krankheitsverlauf der Rheumatoide Arthritis erzielen lässt [2]. Die Herausforderung der „Treat-to-Target“-Strategie ist daher vor allem, diese auch tatsächlich in der Praxis umzusetzen.

  1. Vertrauen zwischen Arzt / Ärztin und Patientinnen und Patienten – Verbesserung der Compliance

Die Angst vor unbekannten Therapien und möglichen Nebenwirkungen ist groß. Beim Kontakt mit den Patientinnen und Patienten gilt es, durch aufklärende Gespräche diese Sorgen zu nehmen, realistische Ziele zu setzen und damit auch eine bessere Compliance zu erzielen, d. h., eine korrekte Durchführung der therapeutischen Empfehlungen ambulant zu ermöglichen.

  1. Neue Therapieoptionen – Ziel: Krankheitsstillstand / Remission

Neben der konventionellen synthetischen Basistherapie (csDMARDs) gibt es seit dem Jahr 2000 die Biologika / biologischen Basistherapien (bDMARDs) und die sogenannten zielgerichteten (engl. targeted) synthetischen Basistherapien (tsDMARDs) (Abb. 5). Diese neuen Therapieoptionen haben die therapeutischen Möglichkeiten in der Rheumatologie revolutioniert. Das Ziel des Krankheitsstillstandes ist durch sie in den meisten Fällen realisierbar geworden.

Fazit

Für unsere Patientin, die 1980 erstmals erkrankte, gab es lange Zeit viele der heutigen Therapieoptionen noch nicht. Aufgrund schlechter Therapieverträglichkeit eines Medikamentes hatte sie sich leider der weiteren rheumatologischen Behandlung entzogen und ist bis heute bezüglich medikamentöser Therapien sehr kritisch eingestellt. Dabei ist bei „Anti-CCP“-Positivität ein aggressiverer Verlauf der Rheumatoiden Arthritis nicht unwahrscheinlich, sodass gerade in einem solchen Fall eine intensive Therapie und entsprechende Überwachung nach dem „Treat to Target“-Konzept äußerst wichtig sind, um weitere Gelenkschäden zu vermeiden.

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen können unter Berücksichtigung von Klassifikationskriterien heute früher erkannt und unter Beachtung der Therapieleitlinien der Anwendung sowie neuer Therapieoptionen wesentlich besser behandelt werden. So können bei den meisten Patientinnen und Patienten ein Krankheitsstillstand (Remission) erzielt und bleibende Gelenk- und Organschäden vermieden werden.

Die Frage in der Überschrift lässt sich daher beantworten: Ja, in den allermeisten Fällen sind Gelenkdeformitäten heute vermeidbar!