Mai 2023 – Ausgabe 41

Dynamische Stabilisierung der lumbalen Wirbelsäule – Erfahrungen mit einem neuen Produkt

Dr. med. Charilaos Christopoulos
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Schlüsselwörter: Lumbale Spinalkanalstenose, Pseudolisthesis, dynamische Stabilisierung, dorsale Stabilisierung, Wirbelsäulenversteifung

Die dynamische Stabilisierung ist bei bestimmten Krankheitsbildern eine Alternative zur Wirbelsäulenversteifung mit starrem Schrauben-Stab-System und Cage. Sie entlastet die Bandscheiben und die Facettengelenke, ohne die Beweglichkeit des Segmentes komplett aufzuheben. Ein an der ATOS Orthoparc Klinik Köln eingeführtes neues Implantat lässt noch mehr Beweglichkeit zu.

Bei einer immer älter werdenden Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland steigt der Anteil der Patienten, die mit entsprechenden Rückenschmerzen einen Spezialisten aufsuchen. In den meisten Fällen findet man außer dem üblichen altersentsprechenden Verschleiß auch eine Ursache für die immer kürzer werdende Gehstrecke des Patienten: Der Grund ist eine Einengung des lumbalen Spinalkanals sowohl zentral als auch lateral mit Einengung der Nervenaustrittslöcher und entsprechenden Beschwerden in den unteren Extremitäten. Es kommt zur klassischen Claudicatio-spinalis-Symptomatik mit zunehmenden belastungsabhängigen Schmerzen und Kraftverlust in den Beinen, die die Betroffenen bereits nach einer kurzen Gehstrecke zwingen, stehen zu bleiben.

Die Stenose entsteht teilweise durch eine massive Hypertrophie des Lig. flavums und der Facettengelenke mit prominenten Facettengelenkergüssen, teils bildmorphologisch als Zysten nachweisbar.

Eine angedeutete oder klare Pseudolisthesis lässt sich ebenfalls nicht allzu selten diagnostizieren. In solchen Fällen, wo man auch eine gewisse Instabilität mitdiagnostizieren wird, reicht eine reine mikrochirurgische Dekompression des Spinalkanals mit Erweiterung der Nervenaustrittslöcher nicht aus. Hier wird gleich eine Stabilisierungsoperation durchgeführt von dorsal in TLIF- oder PLIF-Technik. Diese führt allerdings nicht nur zu einer komplett aufgehobenen Beweglichkeit im Bereich des versteiften Wirbelgelenks, sondern auch zu einem erhöhten Risiko für Anschlussinstabilitäten der benachbarten Wirbelsegmente.

Je nach Art der Instabilität (keine klare Olisthesis, nur Facettengelenkzysten nachweisbar versus eindeutige Pseudolisthesis mit Instabilität in den Funktionsaufnahmen) kann eine dynamische Stabilisierung der betroffenen Wirbelsegmente mit Pedikel-Schrauben-Systemen durchaus eine mögliche Alternative sein.

Die Systeme zur dynamischen Stabilisierung zeichnen sich durch einen teilbeweglichen Stab aus, der eine gewisse Beweglichkeit im operierten Segment ermöglicht. Bei einigen Systemen sind auch die Schrauben-Stab-Verbindungen flexibel konstruiert. Außerdem kann man in Verbindung mit einer klassischen Stabilisierung das darüber liegende Segment mitversorgen (Toping-off/Hybridversorgung). Hierüber ist schon einiges geschrieben und veröffentlicht worden.

Unterschiedlichste Systeme zur dynamischen Stabilisierung sind auf dem Markt verfügbar. Das früher häufiger beobachtete Implantatversagen (Schraubenbrüche) ist in den letzten Jahren durch Verbesserung der Produkte durch die Industrie deutlich reduziert worden.

Die meisten Systeme sind für die Versorgung von ein bis maximal zwei Segmenten gedacht, damit kann man außer L5/S1 fast alle lumbalen Segmente versorgen. Es kommt natürlich auch hier auf die Indikationsstellung an, deutlich instabile Segmente (Beweglichkeit in den Funktionsaufnahmen) oder Olisthesen mehr als Grad I muss man konventionell fixieren.

Seit einem knappen Jahr ist auf dem deutschen Markt ein Implantat verfügbar, welches aufgrund seiner Konstruktion sowohl das operierte als auch die benachbarten Segmente schützt und noch mehr Beweglichkeit der Bandscheiben des operierten Segmentes zulässt, verglichen mit bisherigen Systemen. Der B-Dyn-Stab (Hersteller: Cousin Biotech, Frankreich) ist mittlerweile von deutschen Firmen zugekauft und man kann ihn bei verschiedenen perkutanen Systemen anwenden (z. B. mit Diplomat® Pedikelschrauben von Signus). Der Stab ist im französischsprachigen Raum schon seit 2008 erhältlich und bislang mehrere Tausend Male erfolgreich eingesetzt worden (Abb. 1).

Er besteht aus einem in zwei Längen erhältlichen Titanstab mit polyaxial beweglichem kranialem Anteil sowie einem Kern, der aus einem PCO-basierten Motion- Kontrollring und einer zylindrischen Hülle samt Silikondämpfer besteht (Abb. 2).

Dadurch wird dem operierten Segment zusätzlich zu einer Flexion/Extension auch eine Lateralbeugung ermöglicht (Abb. 3). Rotation und Translation werden weiterhin unterbunden.

Die Implantation ist relativ einfach: Nach mikrochirurgischer Dekompression des betroffenen Segmentes werden die Pedikelschrauben perkutan implantiert und anschließend wird der Titanstab ebenfalls perkutan eingebracht und an den Schraubenköpfen mit den Madenschrauben befestigt. Entscheidend für die Implantation ist, dass die richtige Länge gewählt wird, damit der flexible Teil tatsächlich frei ist. Entsprechende Markierungen des Implantates weisen darauf hin.

Die Erstergebnisse sind sehr zufriedenstellend, auch meine bisherige kurze Erfahrung ist ausschließlich positiv. Die persönlichen Erfahrungen müssen natürlich entsprechend mit Studien belegt werden. Dies ist in den kommenden Jahren vorgesehen.

Zusammenfassend ist die dynamische Stabilisierung bei bestimmten Krankheitsbildern eine Alternative zur Wirbelsäulenversteifung mit starrem Schrauben-Stab- System und Cage. Sie korrigiert Überbeweglichkeiten, stabilisiert das lockere Segment und entlastet somit die Bandscheiben und die Facettengelenke, ohne die Beweglichkeit des Segmentes komplett aufzuheben. Das erlaubt, verglichen zu den bisherigen angewandten dynamischen Systemen, noch eine laterale Beugung, was der ursprünglichen intakten Wirbelsäulenbewegung sehr nahekommt. Auch in der letzten Ausgabe des offiziellen Organs der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft, „Die Wirbelsäule“, wurden aktuelle Daten zur dynamischen Stabilisierung veröffentlicht. Sie beruhen auf einer an 18 Zentren in Deutschland und Österreich durchgeführten Doppelblindstudie, an der 293 Patienten mit mono- oder bisegmentaler symptomatischer de- generativer LWS-Instabilität teilnahmen, die zuvor nicht auf eine konservative Therapie angesprochen hatten. Die dynamische pedikelbasierte Stabilisierung führte in dieser Studie zu ähnlich guten Ergebnissen wie ein Fusionseingriff; einen wesentlichen Vorteil der dynamischen Sta- bilisierung stellte jedoch die geringe Invasivität dar, die sich günstig auf die Eingriffsdauer und das Blutungsrisiko auswirkte. Weitere Erfahrungen sowie aufwendige Studien sollen das hoffentlich in der nächsten Zeit auch belegen.