Oktober 2024 – Ausgabe 44
Dorsale Stabilisierung bei pathologischer HWK-Fraktur
Schlüsselwörter: pathologische HWK-Fraktur, okzipitozervikale Stabilisierung, dorsale Stabilisierung, Verbundspondylodese
Die Mehrzahl der Behandlungen in den meisten medizinischen Fächern ist heutzutage zu einem großen Teil standardisiert. Gelegentlich lassen sich die Standards aus verschiedenen Gründen jedoch nicht umsetzen – so auch in dem hier beschriebenen Fall eines Patienten mit einer pathologischen Fraktur an der Halswirbelsäule.
Auch in den chirurgischen Disziplinen werden die meisten Versorgungen nach gewissen Standards realisiert. Natürlich werden, je nach „chirurgischer Schule“, so auch in der Wirbelsäulenchirurgie gleichartige Pathologien teils unterschiedlich adressiert. Ungeachtet dessen orientiert sich das Vorgehen innerhalb einer chirurgischen Schule wiederum meist an etablierten Pfaden.
Gelegentlich sind diese Verfahren allerdings aus verschiedenen Gründen nicht dem ansonsten gängigen Standard entsprechend durchführbar, etwa wegen des Allgemeinzustands des Patienten, des Vorliegens von Hautläsionen (z. B. Verbrennungen) im operativen Zugangsbereich oder bei Status nach mehrfachen vorausgegangenen Operationen mit ausgeprägten Vernarbungen. In derartigen Fällen werden teils außergewöhnliche und kreative therapeutischen Maßnahmen erforderlich, eine Art von „off label“-Behandlung. Im vorliegenden Beitrag wird ein solcher Fall vorgestellt.
Anamnese und Befund
Ein 51-jähriger Patient mit pathologischer Fraktur HWK 2 mit absoluter Spinalkanalstenose bei multipel metastasiertem Adenokarzinom des gastroösophagealen Überganges AEG Typ II (uT3, uN+, cM0) stellte sich in unserer Einrichtung bei einem drohenden hohen Querschnittsyndrom zur palliativen Versorgung der HWS vor. Bei der Vorstellung sahen wir einen Patienten in kompensiertem Allgemeinzustand, mit Rollstuhl mobilisiert und Schiefhals nach rechts. In der klinischen Untersuchung bestanden reizlose Hautverhältnisse im Bereich der HWS, es zeigte sich ein ataktisches Gangbild und es bestanden leichte Druckschmerzen im Bereich des okzipitozervikalen Überganges.
MRT und CT zeigen eine pathologische Fraktur HWK 2 mit nahezu vollständigem Kollaps des rechtsseitigen Gelenkmassivs und eine absolute Spinalkanalstenose dorsal HWK 2 (Abb. 1).
Zum Untersuchungszeitpunkt fand sich eine leichte Schwäche der Schulterabduktion links bei Status nach Frakturversorgung, im Weiteren unbeeinträchtigte grobe Kraft der Kennmuskulatur der oberen und unteren Extremitäten (M5 nach BMRC). Ferner ließen sich multiple subkutane Metastasen ertasten, z. B. okzipital, am Oberschenkel links und an der oberen BWS paravertebral rechts.
Therapieoptionen
Nach ausführlicher Beratung des Patienten und seiner Ehefrau über die vorliegenden Befunde und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sowie über mögliche therapeutische Optionen erfolgte die umgehende stationäre Aufnahme zur dringlichen operativen Versorgung. Es wurden mögliche therapeutische Optionen sowie das zu erwartende Querschnittsyndrom mit entsprechenden Folgen im Falle einer weiteren Fehlstellung kraniozervikal erläutert.
Prinzipiell wäre eine ventrodorsale Versorgung mit transoralem Tumor-Debulking, Dekompression und Rekonstruktion der vorderen Säule sowie eine dorsale Stabilisierung mit Reposition die geeignete chirurgische Therapie. Da es sich um eine palliative Behandlung handelt, wurde auf den transoralen Eingriff verzichtet. Eine ursprünglich geplante okzipito-zervikale Stabilisierung konnte bei großer Osteolyse okzipital und somit fehlenden Ankerpunkten für eine Fixierung am Schädel nicht durchgeführt werden.
Daraufhin entschlossen wir uns zur dorsalen Stabilisierung HWK 1-4 über Massa lateralis-Schrauben HWK 1, HWK 3 und HWK 4 mit Reposition sowie Dekompression unter intraoperativem SEP-Monitoring. Zur Erhöhung der Stabilität des Konstruktes bei fehlender ventraler und okzipitaler Abstützung erfolgte die Anlagerung von Knochenzement (PMMA) dorsal von HWK 1 bis HWK 4 nach dem Verbinden der beiden Stäbe mit einem Querstabilisator im Sinne einer sogenannten Verbundspondylodese (Abb. 2).
Der Patient konnte postoperativ extubiert werden und wurde intensiv durch die Physiotherapie betreut. Anschließend gelang es, den Patienten zu mobilisieren. Die Wundheilung verlief regelhaft und der Patient konnte zur weiteren onkologischen Behandlung verlegt werden.