Oktober 2021 – Ausgabe 38

Digitale Gang- und Statikanalyse bei Kindern und Jugendlichen: Fortschritte in der Diagnostik und Verbesserung der Therapie

Dr. med. Mathias Schettle

Sara Weidmann

Keywords: Rückenschmerzen bei Kindern, Fehlhaltung, Fehlbelastung, Gang- und Statikanalyse, sensomotorische Einlagenversorgung

Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen aufgrund von Fehlhaltung und Fehlbelastung sollten früh erkannt werden, um eine Chronifizierung und Folgeschäden zu verhüten. Mit der lichtoptischen digitalen Gang- und Statikanalyse können neben Statikdaten vor allem Bewegungsmuster dynamisch erfasst und digital dargestellt werden.

Mehr als 80 % aller Deutschen klagen mittlerweile über Rückenbeschwerden – und die Patienten werden dabei immer jünger. Die Initiative KiGGS, eine Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts zur gesundheitlichen Lage bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, zeigt, dass von ca. 18.000 befragten Kindern im Alter von 11 bis 17 Jahren mehr als drei Viertel angaben, während der letzten drei Monate unter Schmerzen gelitten zu haben. Knapp die Hälfte davon hatten Rückenschmerzen.

Ursachen für Rückenschmerzen frühzeitig erkennen

Gerade bei jungen Menschen zeigen sich in der täglichen Praxis als Hauptursachen für Rückenschmerzen neben Bewegungsmangel und Wachstumsschmerzen vor allem Fehlhaltungen und Fehlbelastungen, die – mit Muskelverspannung einhergehend – zu einem entsprechenden Beschwerdebild führen können. Dauerhaft verspannte und verhärtete Muskelpartien können darüber hinaus zu einer Reizung benachbarter Nerven oder langfristig gar zu chronischen Haltungsschäden führen. Zusätzlich sind differentialdiagnostisch bei Kindern und jungen Erwachsenen natürlich auch strukturelle Pathologien, wie beispielsweise eine Skoliose oder ein Morbus Scheuermann, zu berücksichtigen.

Als häufig auftretende Haltungsproblematik zeigt sich im Heranwachsendenalter beispielsweise der Rundrücken. Dieser ist Ausdruck einer ausgeprägten Haltungsinsuffizienz, ausgelöst zum Beispiel durch zu viel und auch falsches Sitzen. Oft bleiben Fehlhaltungen lange symptomlos. Gerade deswegen erweist sich eine frühe Diagnostik als sinnvoll und wichtig, um Folgeschäden zu vermeiden bzw. zu minimieren.

Der menschliche Bewegungsapparat ist in seiner Gänze ein höchst komplexes System von Muskeln, Sehnen, Bändern, Knochen und Gelenken. Um hier frühzeitig Fehlhaltungen oder auch Fehlbelastungen erkennen zu können, ist eine ganzheitliche Betrachtung – besser gesagt eine Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln – entscheidend.

Diagnostik mittels Gang- und Statikanalyse

Neben den etablierten bildgebenden Verfahren wie Röntgen oder MRT bietet sich zur genaueren Diagnostik vor allem eine lichtoptische digitale Gang- und Statikanalyse an. Dabei handelt es sich um eine seit mittlerweile über 20 Jahren konstant weiterentwickelte Untersuchungsmethode, die es erlaubt, neben einer statischen Untersuchung auch eine dynamische Analyse der Bewegungsmuster durchzuführen. So können gleichzeitig die Position der Wirbelsäule, die Beinachsen ebenso wie der Fußabdruck sowohl statisch als eben auch dynamisch gemessen und digital dargestellt werden.

Als Teil des Untersuchungsganges wird beispielsweise ein Linienraster auf den Rücken des Patienten projiziert und von einer Videokamera aufgezeichnet. Eine Computersoftware analysiert die Linienkrümmungen und generiert daraus ein dreidimensionales Abbild der Oberfläche, quasi einen „virtuellen Gipsabdruck“ des Rückens. Anhand der Oberflächenkrümmung und durch die automatische Detektion anatomischer Punkte lassen sich der dreidimensionale Verlauf der Wirbelsäule und die Stellung des Beckens rekonstruieren. Die nur wenige Sekunden dauernde Messung liefert dabei eine Fülle an Informationen, z. B. über die Krümmung der Wirbelsäule, die Wirbelkörperrotation oder die Stellung des Beckens. Des Weiteren können anhand einer Video-Ganganalyse zusätzlich bereits geringste Fehlbelastungen des Fußes und der Beine, beispielsweise im Kniegelenk, identifiziert werden. Die so gewonnenen Informationen können im Weiteren vom Arzt in Beziehung zu den womöglich vorhandenen Schmerzen gesetzt werden. Der Arzt kann dann daraus je nach Befunden und Beschwerden im Verlauf therapeutische Konsequenzen ziehen, zum Beispiel im Sinne eines spezifischen Trainingskonzepts, einer individualisierteren Physiotherapie oder einer Einlagenversorgung bzw. Schuhzurichtung.

Individuelle Therapiekonzepte zur Verbesserung der Statik

In unserem Haus wird dem Patienten in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Körperstatik und Sensomotorik der Firma Lückenotto, das sich auf diese Art von Analysen spezialisiert hat, auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse ein ganzheitliches Therapiekonzept empfohlen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf einer aktiven, funktionellen Therapie bestehend aus Physiotherapie und aus medizinischer Kräftigungstherapie. Hierbei sollen gezielt Muskelgruppen gestärkt und muskuläre Dysbalancen ausgeglichen werden.

Ein weiterer therapeutischer Fokus, der sich sehr gut mit einer digitalen Gang- und Statikanalyse korrelieren lässt, sind sogenannte sensomotorische Einlagen. Dabei handelt es sich um sehr dünne Schuheinlagen mit einer muskelstimulierenden Wirkung. Durch diese Einlagen kann die Aktivität einzelner Muskeln bzw. Muskelketten beim Stehen und beim Gehen zielgerichtet verändert werden. Die Muskelspannung wird dadurch tonisiert bzw. detonisiert. Das bedeutet, fehlerhafte Bewegungsmuster werden überschrieben und eine bessere Körperhaltung wird dadurch begünstigt. Diese propriozeptiven Einlagen können auch gut mit den bekannten konventionellen Korrektureinlagen kombiniert werden.

Fazit

Die digitale Gang- und Statikanalyse bei Kindern und Jugendlichen ist eine hervorragende diagnostische Option um frühzeitig Fehlstellungen und Fehlbelastungen zu erkennen und rechtzeitig zu behandeln. Aufgrund der strahlungsfreien Applikation eignet sich die Methode auch besonders für regelmäßige und gerade während des Wachstums notwendige Verlaufskontrollen. Hierfür wird sie deshalb auch bereits regelmäßig zur Verlaufsbeurteilung bei Skoliose eingesetzt.