Mai 2020 – Ausgabe 35

Die Syndesmose und ihre Verletzungen – jeder kennt sie …wirklich?

Dr. Oliver Stock

Keywords: Syndesmosenverletzung, Klassifikation, ossäre Begleitverletzungen, Fibulafraktur

Manche kennen ihn noch: „Den Fuß der Nation“. So wurde der Fuß bzw. die Syndesmosenverletzung von Michael Ballack kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2010 tituliert. Vier Jahre später zwang auch Marco Reuss die gleiche Verletzung zum WM-Aus in Brasilien.

Sprunggelenksdistorsionen sind ein sehr häufiges Verletzungsmuster. Hierbei kommt es in den überwiegenden Fällen zu Verletzungen des lateralen Kapsel-Band-Apparates. Wesentlich seltener ist die straffe Bandverbindung zwischen den beiden Unterschen kelknochen, die sogenannte Syndesmose, betroffen. Die Häufigkeit einer Syndesmosenverletzung bei einem Distorsionstrauma des Sprunggelenks variiert in der Literatur von ein bis 11 % (Clanton 2002, Mak 2013). Aufgrund der höheren Krafteinwirkung werden bei Sportlern Häufigkeiten von 12-32 % beschrieben (Waterman 2011). Im Vergleich zu Verletzungen des lateralen Bandapparates ist die Heilungszeit einer Syndesmosenverletzung bis zu viermal länger. Vor allem aber ist das klinische Outcome bei einer übersehenen oder fehlbehandelten Syndesmosenverletzung sehr schlecht.Die Röntgendiagnostik ist in der heutigen Akutmedizin schnell verfügbar – nicht nur in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses, sondern auch in der gut sortierten orthopädisch-unfallchirurgischen Praxis. Daher ist die Diagnose von Frakturen schnell gestellt und eine entsprechende Behandlung kann eingeleitet werden. Bandverletzungen wie die der Syndesmose sind jedoch mit einer nativradiologischen Röntgendiagnostik nicht zu erfassen. Daher sind eine exakte Anamnese des Unfallhergangs sowie die eingehende Untersuchung extrem wichtig.

Anatomie

Die distale Tibia und Fibula werden durch Bänder miteinander verbunden. Hierdurch entsteht die Malleolengabel, welche ein Scharniergelenk ist. Es gibt eine proximale (Verbindung zwischen Wadenbeinkopf und Tibia), mittlere (Membrana interossea) und distale Syndesmose. Mit „Syndesmose“ wird typischerweise der distale Anteil betitelt. Dieser besteht aus einer vorderen (Lig. tibiofibulare anterius), mittleren (Lig. tibiofibulare interosseum) und hinteren (Lig. tibiofibulare posterius) Bandverbindung. Durch diese Bandverbindung wird der Talus stabil im Gelenk geführt. Kommt es zu einer Verletzung der Syndesmose, ist die Stabilität der Malleolengabel nicht mehr gegeben und die Kongruenz des Gelenkes ist gefährdet. Warum dies so wichtig ist, beschrieb Weber bereits vor mehr als 60 Jahren.Eine Seitverschiebung des Talus von nur 1 mm nach lateral verringert die Gelenkkongruenz von 100 % auf 42 % (Ramsey 1976). Dies führt durch punktuelle Mehrbelastung zwangsläufig zu posttraumatischen Sprunggelenksarthrosen. Mehr als 13 % der Sprunggelenksarthrosen sind auf ligamentäre Instabilitäten zurückzuführen (Valderrabano 2006). Daher sind eine adäquate Diagnostik und Behandlung essenziell wichtig.

Diagnostik

Typischerweise besteht nach dem Unfall eine unspezifische Schwellung des gesamten lateralen, teilweise auch medialen Sprunggelenkes. Auch die Schmerzangabe des betroffenen Patienten ist meist unspezifisch. Daher sind die exakte körperliche Untersuchung und die Kenntnis der anatomischen Landmarken essenziell. Durch eine sehr feinfühlige Palpation lässt sich bei einer Verletzung der ventralen Syndesmose ein punktueller Druckschmerz provozieren. Ein positiver Frick- (schmerzhafte Außenrotation im oberen Sprunggelenk) und Squeeze-Test (Schmerzen über der ventralen Syndesmose bei mediolateraler Kompression des Unterschenkels) weisen ebenfalls auf eine Syndesmosenverletzung hin.

Wie bei allen Verletzungen müssen die angrenzenden Gelenke ebenfalls untersucht werden, um Begleit-verletzungen nicht zu übersehen. In der Praxis zeigt sich häufig, dass Außenbandrupturen in der ersten klinischen Untersuchung des Patienten häufig schmerzhafter sind als isolierte Syndesmosenverletzungen. Dies könnte ein Grund für fehlinterpretierte/übersehene Syndesmosenverletzungen sein.Eine meist schnell verfügbare Röntgendiagnostik des betroffenen Sprunggelenks in zwei Ebenen dient der Beurteilung der Gelenkarchitektur und zur Diagnostik möglicher Begleitverletzungen im Knöchelbereich. Die nicht-knöcherne Syndesmose kann im Röntgenbild nur indirekt beurteilt werden. Hierzu werden aussagekräftige Distanzen gemessen. Eine weitere schnell verfügbare und strahlenfreie Untersuchung ist der Ultraschall. In Studien wird hierbei eine Sensitivität von 88,6 % sowie eine Spezifität von 96,7 % beschrieben. Zeigt die Röntgendiagnostik normwertige Distanzen, der Ultraschall keine Auffälligkeiten, die körperliche Untersuchung jedoch den Verdacht einer Syndesmosenverletzung, ist eine weiterführende Diagnostik mittels MRT indiziert. Die MRT-Diagnostik lässt eine exakte Beurteilung der vorderen und hinteren Syndesmose zu. Auch die Kongruenz der Malleolengabel sowie die Stellung der Fibula in der tibialen Inzisur lässt sich sehr gut beurteilen. Die Sensitivität des MRTs beträgt hierbei 100 %, die Spezifität 93 %. Daher spielt das Magnetresonanztomogramm in der Diagnostik eine zentrale Rolle.

Aufgrund des Unfallmechanismus sind häufig Begleitverletzungen anzutreffen. Beispielsweise kommt es bei einem Supinationstrauma häufig zu einer Fraktur der distalen Fibula auf Höhe der Syndesmose. Durch den Bruchverlauf und den Unfallmechanismus kommt es zur Zerreißung der ventralen Syndesmose. Bei der Untersuchung der angrenzenden Gelenke ist eine hohe Fibulafraktur sowie eine Fraktur im Bereich der Basis des fünften Mittelfußknochens auszuschließen. Bei der Untersuchung der angrenzenden Gelenke ist eine hohe Fibulafraktur sowie eine Fraktur im Bereich der Basis des fünften Mittelfußknochens auszuschließen.

Einteilung der Syndesmosenverletzung

Es gibt zahlreiche Klassifikationen der Syndesmosenverletzung. Die Mehrheit der Einteilungen unterscheidet die verletzten Strukturen und die hieraus resultierenden Instabilitäten. Die nachfolgende Klassifikation nach Porter ist die wahrscheinlich bekannteste:

  • Grad I: stabile Verletzung, bei der es zu einer Partialruptur der Syndesmose kommt
  • Grad II: stabile/instabile komplette Ruptur des LTFA mit begleitender Verletzung der Membrana interossea
  • Grad III: instabile Verletzung mit kompletter Ruptur aller drei Bandanteile der Syndesmose mit oder ohne Verletzung des Lig. Deltoideum

Die Einteilung der Syndesmosenverletzungen und vor allem der Stabilität ist wichtig, da nur so eine adäquate Therapie eingeleitet werden kann. Eine Grad-III-Verletzung ist bereits auf einem Röntgenbild zu erkennen. Hier kommt es aufgrund der Instabilität zu den oben genannten Auffälligkeiten in den Distanzen. Schwierigkeiten bei der Einteilung und Therapieplanung ergeben sich häufig bei Grad-II-Verletzungen, da diese sowohl stabil als auch instabil sein können. Auffälligkeiten müssen sich daher nicht immer im Röntgen zeigen, auch wenn eine Instabilität vorliegt.

Zur weiteren Beurteilung einer möglichen Instabilität erfolgt eine dynamische Untersuchung der Gelenkverhältnisse mithilfe des Ultraschalls oder Bildwandlers. Mehrere Studien zeigen jedoch, dass es hierbei zu wenig objektivierbaren Ergebnissen kommt. In der Literatur wird bei unauffälligem Röntgen und unklarer dynamischer Untersuchung eine diagnostische Arthroskopie empfohlen, um hierbei eine Instabilität zu verifizieren. Unserer Erfahrung nach ist dies aber nicht notwendig.

Wie machen wir es?

Ergibt die exakte körperliche Untersuchung den klinischen Verdacht einer Syndesmosenverletzung, erfolgt eine Röntgendiagnostik des Sprunggelenks in zwei Ebenen. Zeigen sich trotz klinischem Verdacht keine Instabilitäten im Röntgenbild, erfolgt unmittelbar eine dynamische Untersuchung der Syndesmose mithilfe des Ultraschalls. Hierbei kann nicht nur die Verletzung der Syndesmose selbst, sondern auch eine vorhandene Instabilität meist gut beurteilt werden. Sollte sich auch hier keine eindeutige Verletzung der Syndesmose zeigen, erfolgt eine weiterführende MRT-Untersuchung. Nach diesem diagnostischen Algorithmus kann aus unserer Erfahrung nicht nur eine exakte Einteilung in Grad I, II oder III erfolgen, vor allem aber eine Stabilität oder eine Instabilität lässt sich beurteilen.

Konservative Therapie

Da es sich bei Grad-I-Verletzungen um stabile Verletzungen handelt, können diese konservativ behandelt werden. Die Therapie besteht hier aus der Mobilisation in einem Gehgips oder einer Unterschenkel-Fuß-Orthese (Air Walker). Im Allgemeinen wird für 2-3 Wochen eine Teilbelastung mit etwa 20 kg empfohlen.

Danach erfolgt die schmerzadaptierte Vollbelastung über weitere vier Wochen. Durch den Air-Walker-Stiefel wird die Syndesmose entlastet, da eine Dorsalextension und Pronation im oberen Sprunggelenk vermieden wird.

Zu beachten ist, dass eine längere Schmerzphase sowie Belastungsinsuffizienz im Vergleich zu Außen-bandläsionen zu erwarten ist. Der „Zeitraum bis zum Return to sports“ beträgt somit auch meist doppelt so lange wie bei einer Außenband ruptur (Wright 2004).

Operative Therapie

Da bei einer Grad-III-Verletzung eine Instabilität der Malleolengabel vorliegt, besteht die Indikation zur operativen Therapie. Liegt eine häufig mit anzutreffende Weber-B-Fraktur vor, wird mittels offener Reposition und interner Plattenosteosynthese etwa 3-4 cm proximal der Gelenklinie eine Stellschraube zur Fixation der Syndesmose eingebracht. Hierzu ist eine exakte Einstellung der Malleolengabel mit dem Bildwandler während der Operation unabdingbar. Nur bei exakter Beurteilbarkeit der oben genannten Distanzen im Röntgen kann eine korrekte Reposition der Malleolengabel und Platzierung der Stellschraube erfolgen.Liegt keine ossäre Begleitverletzung vor, bestehen mehrere Möglichkeiten der operativen Versorgung. Klassischerweise wird die Verletzung mit zwei perkutan eingebrachten Stellschrauben operativ versorgt. Alternativ kann eine Versorgung mit sogenannten Plättchen-Faden-Systemen (z. B. Tight Rope®) erfolgen (Abb. 5).

Eine klare Evidenz für eine der beiden Methoden besteht derzeit nicht. Bei beiden Verfahren werden über einen etwa 1-2 cmmessenden Hautschnitt zwei Schrauben oder das Plättchen-Faden-System unter Röntgenkontrolle eingebracht. Außerdem erfolgt die makroskopische Kontrolle der Syndesmose. Zeigt sich hier eine Dehiszenz der Bandfasern erfolgt eine Naht der Syndesmose. Postoperativ erfolgt eine Röntgenkontrolle in zwei Ebenen, um die exakten Distanzen zu messen (s. o.). Lassen sich diese nicht ganz sicher beurteilen, sollte eine Kontrolle mittels CT (Schichtbildröntgen) erfolgen. Wie wir oben gelesen haben, führen kleinste Abweichungen in der Symmetrie der Malleolengabel zu weitreichenden Folgen. Unabhängig vom gewählten Operationsverfahren werden in der Literatur unterschiedliche Empfehlungen zu der postoperativen Belastung angegeben. Diese reichen von zwei Wochen Teilbelastung mit 20 kg in einem Air-Walker-Stiefel bis hin zu acht Wochen. Auf Grund der langjährigen Erfahrung mit Syndesmosenverletzungen erfolgt bei uns nach einer operativen Therapie eine Teilb-elastung bis 20 kg in einem Air-Walker-Stiefel für die Dauer von sechs Wochen. Dies deckt sich auch mit der Mehrheit der aktuellen Literatur. Eine Ausnahme stellt die operative Versorgung mit einer bioresorbierbaren Schraube dar. Dabei ist eine Entfernung nicht mehr notwendig (siehe Artikel: „Resorbierbare Implantate in der Knochenbruchbehandlung“ von Dr. med. Oliver Stock, Sportchirurgie Heidelberg, ATOS News 33).

Fazit

Syndesmosenverletzungen sind komplexe Verletzungen. Werden diese zeitverzögert diagnostiziert, kommt es zu langen Rehabilitationszeiten und schlechteren klinischen Ergebnissen. Eine Sprunggelenksarthrose kann die Langzeitfolge sein. Um die richtige Therapie einleiten zu können, muss eine mögliche Instabilität erkannt werden. Eine exakte Anamnese, Untersuchung und Einleitung einer adäquaten Diagnostik sind der Schlüssel zum Erfolg. Nur hierdurch kann eine adäquate konservative oder operativeTherapie eingeleitet werden. Dies ist Voraussetzung, damit die betroffenen Patienten und Sportler ihr vorheriges sportliches Leistungsniveau wieder erreichen.