Mai 2020 – Ausgabe 35

Die Sprunggelenkprothese – ein steiniger Weg auch in Hinblick auf Sport?

Thermann

Prof. Dr. med. Hajo Thermann
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Keywords: Sprunggelenkprothese, Sportfähigkeit, Prothesendesign, Komorbiditäten

Nach der Implantation einer Endoprothese des Sprunggelenks wird von sportlicher Aktivität oft abgeraten, da die Kinematik der Prothese sehr weit von der natürlichen entfernt ist und daher mit Einschränkungen auch hinsichtlich der Lebensdauer der Prothese gerechnet werden muss. Eine eigene Untersuchung zeigt jedoch, dass gelenkschonende Low-Impact-Sportarten wie Schwimmen oder Radfahren durchaus möglich und auch zu empfehlen sind.

Ob ein Patient nach Implantation einer Endoprothese wieder Sport ausüben kann, hängt grundsätzlich von der Anatomie und der kinematischen Eigenschaft der Prothese ab. Das Design der Prothese sollte die ursprüngliche Anatomie des Gelenks so exakt wie möglich rekonstruieren. Die Kinematik der Schulter, Hüft- und Knieendoprothesen entspricht weitestgehend der des normalen Gelenks. Die Endoprothese des oberen Sprunggelenks (OSG) hingegen hat im Design noch einen großen Rückstand, verglichen mit den Prothesen der anderen Gelenke. Das Bewegungszentrum des OSG ist multizentrisch, weswegen es nach Implantation einer Endoprothese noch nicht gelungen ist, eine natürliche Kinematik des Sprunggelenks nachzuempfinden oder gar zu verwirklichen. Häufig steht einer guten Funktion des künstlichen Sprunggelenks im Wege, dass das Gros der Sprunggelenkarthrosen posttraumatischer Natur sind. Oft handelt es sich um die Folgen von Sprunggelenkfrakturen bzw. -instabilitäten, die teilweise mit erheblichen Fehlstellungen einhergehen. Die Gelenke haben vielfach vor der Operation schon über einen langen Zeitraum keine gute Funktion mehr ausgeübt bzw. es lag über Jahre durch die verstärkte Fehlstellung des Rückfußes Varus/Valgus eine pathologische Kinematik vor.

Die In-vivo-Kinematik nach Implantation einer Sprunggelenkprothese zeigt eine deutliche Abnahme der Bewegungsausmaße in allen Ebenen. Dies kann zu Weichteil- und Polyethylenstress führen. Nachweislich ist besonders die Dorsalextension (Anziehen des Fußes) limitiert. Zudem findet sich nach der Implantation einer Sprunggelenkendoprothese eine erhöhte Laxität (Bänderschwäche) in allen Ebenen. Auch Leardini, der sehr genau die Ligamente (Bänder) des OSG für die Endoprothetiksituation untersucht hat, stellt die Stabilität der Ligamente nach Implantation infrage. Ferner zeigt sich – auch durch das Design bedingt – eine geringere sagittale Translation des Polyethylens und der Tibia. Rotationsbewegungen existieren fast nicht und der Kontakt zwischen den einzelnen Komponenten der Prothese findet mehr posteromedial statt und nicht wie beim normalen Gelenk posterolateral. Müller konnte in einer Fußmodell-Kinematik feststellen, dass keiner der gemessenen Parameter einen normalen Level erreicht. Eigene Untersuchungen zeigen, dass die Joint-Line an 30 gemessenen Prothesenimplantationen im Vergleich zur gesunden Seite um fast 1 cm verändert und das Gelenk proximalisiert wurde. Alle diese Parameter dokumentieren eindeutig, dass eine Sprunggelenkprothese nicht mit einem natürlichen Gelenkvergleichbar ist, was Auswirkungen auf die Sportfähigkeit von Patienten mit OSG-Prothese hat.

Schmerzfreiheit und verbesserte Beweglichkeit als Ziele

Die Implantation einer Prothese hat neben Schmerzfreiheit vor allem zum Ziel, die Beweglichkeit zu verbessern. Weiterhin soll die Rückfußachse korrigiert werden, um somit überhaupt die Voraussetzung für einen nachhaltigen Bestand einer Prothese ohne Lockerung zu gewährleisten. Bei Sprunggelenkprothesen muss teilweise eine ausgiebige Mobilisation des Narbengewebes erfolgen, häufig mit Verlängerung der Achillessehne im Sinne eines Gastroc Slide oder einer Vulpius-Operation (Verlängerung der Wadenmuskulatur), um überhaupt eine ausreichende Dorsalextension zu erreichen.Patienten haben nach Implantation einer Prothese oft den persönlichen Eindruck, dass nicht nur am Sprunggelenk posttraumatische, steife Gelenke zu Beweglichkeitseinschränkungen neigen, sondern dass auch das Knie von Einschränkungen betroffen ist. Möglicherweise hängt dies mit einem erhöhten Narbenpotenzial zusammen, entstanden durch die lange pathologische Entwicklung bis zur Implantation im Weichteilmantel.

Sport mit OSG-Prothese in der Literatur

Im Hinblick auf die Sportfähigkeit mit OSG-Prothese ist die Literatur extrem spärlich. Ein Grund dafür ist, dass viele Operateure von der Wiederaufnahme sportlicher Betätigung grundsätzlich abraten oder lediglich Sport im Low-Impact-Bereich empfehlen. Daraus resultiert natürlich, dass viele Patienten selbst bei wiedererlangter Mobilität und Schmerzfreiheit bei der Wiederaufnahme leichter sportlicher Betätigung extrem vorsichtig sind.

In der internationalen Literatur finden sich vereinzelte retrospektive Studien, die im europäischen Raum durchgeführt wurden. Hier wurde auch Jahrzehnte länger moderne OSG-Endoprothetik durchgeführt, bevor es in die USA „überschwappte“. Diese Studien haben die Limitierung, dass sie keine langen Nachuntersuchungszeiten aufweisen – Daten über 5-10 Jahresergebnisse mit sportlicher Aktivität existieren nicht.Studien von Uselli et al. und Naalet et al. haben weniger die Sportausübung im Fokus. Sie beschäftigen sich eher mit der Frage: Was bringt der Sport in der Nachuntersuchung für die Leistungsfähigkeit der Sprunggelenkprothese, gemessen in einem internationalen Score AOFAS/UCLA Score? Die verfügbaren Studien zur Sportausübung geben an, dass

  • zwischen 40-50% der Patienten, die vorher sehr aktiv Sport getrieben haben, ihren Sport wiederaufgenommen haben. Dies bezieht sich nur auf Low-Impact-Sport mit geringerer Belastung wie Schwimmen, Fahrradfahren, Walking.
  • High-Impact-Sport wie Joggen oder Ballsportarten werden nicht empfohlen und sind auch bedeutungslos.

Eigene Ergebnisse

Die Daten von 193 Patienten, denen zwischen 2000-2008 ein künstliches Sprunggelenk eingesetzt wurde, wurden evaluiert. 138 dieser Patienten schieden aufgrund von Komorbiditäten, Revisionschirurgie oder erheblichen internistischen Erkrankungen aus. 55 Patienten wurden  in Bezug auf ihre sportliche Aktivität nachuntersucht. Die Untersuchung betraf:

  • die Trainingseinheiten pro Woche
  • die Trainingsstunden pro Woche
  • die schmerzfreie Gehstrecke

Ferner wurden der VAS-Score für Schmerz, Funktion und Zufriedenheit des Patienten sowie der Foot Function Score gemessen. Die sportliche Betätigung wurde in drei Phasen erfasst:

  • sportliche Betätigung bevor Beschwerden auftraten
  • sportliche Betätigung mit Beschwerden vor dem chirurgischen Eingriff
  • sportliche Betätigung nach Totalendoprothesenimplantation

76% dieser Patienten trieben Sport, bevor die Beschwerden auftraten, während vor der Operation nur noch 29 % sportlich aktiv sein konnten. Nach der Prothesenimplantation kehrten 76 % der Patienten wieder in eine sportliche Aktivität zurück. Die Trainingseinheiten pro Woche vor den Beschwerden betrugen 2 Einheiten, direkt vor der OP 1 Trainingseinheit und nach Einbau der Prothese 2,7. Die Trainingsstunden pro Woche beliefen sich auf 3,4 ohne Beschwerden, mit Beschwerden auf 1,6 und nach der Prothesenimplantation auf 3 Stunden. Bei den durchgeführten Sportarten handelte es sich um Fitness-Training im Studio, Schwimmen, Biking, Skifahren und Golf; dies war vergleichbar mit anderen Studien.Die meisten Patienten gaben an, dass es ihnen vor Auftritt der Beschwerden möglich war, eine beliebig lange Strecke schmerzfrei gehen bzw. walken zu können. Unmittelbar vor der Operation reduzierte sich die mittlere Walking-Strecke auf 1 Std. +/- 2,2 Stunden. Nach der Prothesenimplantation war es den Patienten hingegen wieder möglich 3,6 Std. +/- 4,0 Stunden am Stück zu gehen. Die VAS-Scores ergaben eine signifikante Reduktion der Schmerzen und eine Verbesserung von Funktion und Zufriedenheit. Der Foot Function Index, ein spezifischer Fußtest, zeigt postoperativfür Schmerzen, Funktion und Aktivität doch noch eine erhebliche Einschränkung der Patienten, trotz ihrer sportlichen Aktivität. Die vorbestehende Steifheit, die teilweise fortgeschrittene Arthrose im unteren Sprunggelenk und die Verknöcherungen, die häufig postoperativ auftreten können, limitieren zusätzlich die Sportausübung.Unsere Studie ebenso wie die Literatur zeigen bei den Patienten zudem einen hohen Anteil an Komorbiditäten wie Knie- & Hüftarthrosen. Diese führen zusätzlich zu schwerwiegenden Einschränkungen in Hinsicht auf Bewegungsumfang, Kadenz und Geschwindigkeit im Vergleich zu einem normalen Gangzyklus. Mit einer Sprunggelenkprothese sind Sportarten ohne Impact wie Biking, Golf, Schwimmen, Walking und Skifahren bei geübten Sportlern möglich. Die in der Literatur aufgeführten Low-Impact-Sportarten führen besonders bei den Patienten, die auch vor der Prothese sportlich aktiv waren, zu einer großen Zufriedenheit.

Fazit

Zusammenfassend zeigen die Studien und die eigenen Daten, dass OSG-Prothesen noch erheblicher Designveränderungen und Verbesserungen bedürfen, damit Menschen mit Gelenkersatz auch stärker beanspruchende Sportarten ausüben können.Sport und Sprunggelenkprothese ist in den Augen der operierenden Ärzte häufig ein erheblicher Widerspruch. Bei der Berücksichtigung aller aufgeführten kinematischen Punkte sollte selbst bei einer gut liegenden Prothese mit schmerzfreiem Sprunggelenk intensiver Sport mit schnellen Stopp- und Antrittsbewegungen kritisch betrachtet werden. Gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen und Fahrradfahren hingegen haben neben der Herz-Kreislauf-Wirkung eine günstige Wirkung auf den Prothesen-, Knochen-, Weichteilkomplex und unterstützen die Lebensdauer einer Prothese.