Oktober 2019 – Ausgabe 34

Die Radiuskopfprothese beim Trauma – mehr als nur ein Platzhalter?

Der Radiuskopf ist ein wichtiger Teil der komplexen Gelenkmechanik des Ellenbogengelenkes. Das primäre Ziel der Behandlung bei dislozierten Radiuskopffrakturen besteht in einer anatomischen Rekonstruktion des Radiuskopfes mittels Osteosynthese. Ist aufgrund der Komplexität der Fraktur eine anatomische Reposition nicht möglich, besteht die Möglichkeit einer Radiuskopfresektion oder der Implantation einer Radiuskopfprothese. Während die Radiuskopfresektion in der Akutsituation bislang als gleichwertig zu den Radiuskopfprothesen angesehen wurde, entwickelt sich der Trend heutzutage hin zur primären Radiuskopfprothese.

Ätiologie und Einteilung der Radiuskopffrakturen

Die Frakturen des Radiuskopfes machen etwa ein Drittel der Ellenbogenfrakturen und zwischen 1,7 % – 5,4 % aller Frakturen aus. Die häufigste Ursache für Frakturen des Radiuskopfes sind Stürze auf das ausgestreckte Ellenbogen- und Handgelenk. Im klinischen Alltag hat sich für die Einteilung der Radiuskopffraktur die Klassifikation nach Mason bewährt.

Therapieoptionen

Unverschobene oder gering dislozierte Mason Typ I-Frakturen werden üblicherweise konservativ therapiert mittels einer kurzfristigen Ruhigstellung im Oberarmgips und anschließender funktioneller Nachbehandlung aus der Schiene heraus. Mason Typ II-Frakturen können in der Regel operativ mittels offener Reposition und Schraubenosteosynthese versorgt werden. Bei komplexen Frakturen vom Mason Typ III und Typ IV besteht das Ziel ebenfalls in einer anatomischen und übungsstabilen Osteosynthese des Radiuskopfes. Ist dies nicht möglich, besteht die Möglichkeit der alleinigen Radiuskopfresektion oder der Implantation einer Radiuskopfprothese.

Das Ziel der chirurgischen Therapie bei Radiuskopffrakturen ist die Wiederherstellung der Gelenkstabilität unter Berücksichtigung der komplexen Ellenbogen-Kinematik. Bei der Therapie von Radiuskopffrakturen und insbesondere bei der Fragestellung „Radiuskopfresektion vs. Radiuskopfprothese“ ist zu berücksichtigen, dass Radiuskopffrakturen häufig mit Begleitverletzungen am Ellenbogengelenk wie Frakturen des Processus coronoideus und Verletzungen der Kollateralbänder assoziiert sind.

Radiuskopfresektion

Die Ergebnisse in der Literatur nach alleiniger Radiuskopfresektion sind sehr heterogen, wobei die meisten Autoren über zufriedenstellende Ergebnisse berichten. Antuna et al. haben 26 Patienten nach einem Zeitraum von durchschnittlich 15 Jahren nachuntersucht und berichteten, dass 92% der Patienten ein gutes oder exzellentes klinisches Ergebnis aufwiesen. Drei Patienten (11 %) gaben jedoch im Verlauf Schmerzen im Bereich des Handgelenkes an. Vergleichbare Ergebnisse berichten Iftimie et al., die 27 Patienten 17 Jahre nach Radiuskopfresektion nachuntersucht haben. Die Autoren konnten zeigen, dass 93 % der Patienten sehr gute klinische Ergebnisse aufwiesen, wohingegen 2 von 27 Patienten (7 %) über Handgelenksschmerzen klagten und daher im Verlauf operativ revidiert worden sind. Die Arbeitsgruppe von Morrey et al. untersuchte 13 Patienten nach einem Zeitraum von 20 Jahren nach Radiuskopfresektion nach. Hierbei konnte die Autoren zeigen, dass es in Folge des fehlenden Radiuskopfes zu einer proximalen Migration des Radius um durchschnittlich 1.9 mm gekommen ist. Vier der 13 Patienten (31 %) entwickelten im Verlauf symptomatische Handgelenksschmerzen.

Der Pathomechanismus der Entstehung der Handgelenksbeschwerden nach Radiuskopfresektion ist mittlerweile eingehend untersucht und beschrieben worden: Die Resektion des Radiuskopfes führt im Verlauf durch die Kraftaufnahme im Ellenbogen lediglich über das Humeroulnargelenk und bei gleichzeitig fehlender Abstützung radial zu einer Zunahme der Valgusstellung im Ellenbogen, was die ulnaren Bandstrukturen überdehnt und schädigt sowie eine Neuropathie des N.ulnaris provozieren kann. Als Folge der sich entwickelnden ulnaren Bandinstabilität entsteht eine chronische Instabilität im gesamten Ellenbogen mit proximaler Migration des Radius nach distal ähnlich den Spätfolgen einer nicht behandelten Essex-Lopresti Verletzung. Es kommt zu einer fortschreitenden Arthrose im distalen Radioulnar- und Radiokarpalgelenk. Bei einem nicht unwesentlichen Anteil der Patienten äußert sich dies dann in Schmerzen im Bereich des Handgelenkes.

Radiuskopfprothese

Catellani et al. haben im Jahr 2018 alle Studien mit Implantation von Radiuskopfprothesen in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst. Die Implantation von Radiuskopfprothesen führt meist zu zufriedenstellenden Ergebnissen hinsichtlich des Bewegungsausmaßes (Extension/Flexion) mit durchschnittlich 116° Extensions-Flexions-Umfang. Gute klinische Ergebnisse werden auch hinsichtlich des Mayo Elbow Performance Score von 79 bis 100 (schlechte Funktion 0, beste bei 100) erzielt. Außerdem zeigten die Ergebnisse niedrige Werte in der visuellen Schmerzscala (0 bis 2,2, min. 0 und max. 10). Heutzutage existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Radiuskopfprothesen auf dem Markt. Hinsichtlich der Polarität von Radiuskopfprothesen unterscheidet man sog. monopolare und bipolare Prothesenmodelle. In einer Vergleichsstudie von Gramlich et al. 2018 zwischen monopolaren Langschaft- (z. B. MoPyc® Fa. Tornier) und bipolaren Kurzschaft-Prothesen (z. B. rHead® Fa. Stryker) zeigte sich eine doppelt so hohe Rate an radiografischen Lockerungszeichen der Prothesen bei den bipolaren Prothesen (14,3 % vs. 38,7 %). Analog hierzu verhielten sich symptomatische Prothesenlockerungen im Vergleich monopolar zu bipolar. Die Studien der letzten Jahre konnten zeigen, dass monopolare Prothesen vor allem bei ligamentären Begleitverletzungen eine höhere Primärstabilität bieten und in der Akutsituation den bipolaren Prothesen überlegen sind.Neben der Auswahl des geeigneten Prothesentyps birgt diese Operation das Risiko für spezifische Komplikationen wie z. B. die Überlänge der Prothese.In einer eigenen Studie konnten wir weiterhin zeigen, dass eine Überlänge der Radiuskopfprothese mit einem signifikant schlechteren klinischen Ergebnis einhergeht. Eine exakte Kenntnis der Anatomie des Ellenbogens, der anatomischen Landmarken zur Bestimmung der korrekten Länge sowie die Adressierung der begleitenden Kapsel-Band-Verletzungen sind wesentliche Faktoren, die die Voraussetzung für ein zufriedenstellendes Ergebnis nach Implantation einer Radiuskopfprothese darstellen.

Radiuskopfresektion versus Radiuskopfprothese

Die Arbeitsgruppe von Graham King konnte in einer biomechanischen Arbeit zeigen, dass mit Implantation einer Radiuskopfprothese im Gegensatz zur alleinigen Radiuskopfresektion die ursprüngliche Gelenkkinematik vollständig wiederhergestellt werden kann. Über das bereits deutlich länger praktizierte Verfahren der Radius-kopfresektion existieren jedoch Studien und Metanalysen mit Beobachtungszeiträumen von bis zu 30 Jahren, wohingegen die klinischen und radiologischen Nachbeobachtungszeiträume von Prothesen-Implantationen am Radiuskopf lediglich bis knapp zehn Jahre reichen. Dies dürfte ein wesentlicher Grund sein, weshalb heute noch eine Zurückhaltung bezüglich der Implantation bei Radiuskopfprothesen besteht.Die Praxis der alleinigen Radiuskopfresektion wird aufgrund des Risikos der chronischen Instabilität mit konsekutiver Arthrose im Hand- und Ellenbogengelenk heutzutage jedoch zunehmend verlassen. Laut Literaturangaben liegt die Rate an begleitenden ligamentären Verletzungen bei Radiuskopffrakturen bei 40 % bis 100 %, so dass in Frage gestellt wird, ob eine isolierte Radiuskopffraktur überhaupt existiert. Aus diesem Grund stellt aus heutiger Sicht die Implantation einer Radiuskopfprothese die Methode der Wahl zur operativen Versorgung von nicht rekonstruierbaren Radiuskopffrakturen dar. Die alleinige Radiuskopfresektion sollte nur sehr zurückhaltend als „Salvage-Procedure“ durchgeführt werden.

Fazit

Die Zusammenfassung der klinischen und experimentellen Studien lässt den Schluss zu: Die Radiuskopfprothese ist mehr als nur ein Platzhalter. Die Implantation von Radiuskopfprothesen bildet in der Frakturversorgung von osteosynthetisch nur unzureichend rekonstruierbaren Frakturen (Typ Mason III und IV) eine zuverlässige Möglichkeit die Gelenkmechanik und Stabilität im Ellenbogengelenk vollständig wiederherzustellen. Die alleinige Radiuskopfresektion wird zunehmend verlassen und sollte – wenn überhaupt – nur als „Salvage-Procedure“ in Erwägung gezogen werdenDie Radiuskopfresektion ist aufgrund der relevanten Langzeitfolgen und Auswirkungen auf die Stabilität im Ellenbogengelenk sowie der möglichen Arthrose im Handgelenk zurückhaltend anzu-wenden. Die aktuellen Daten- und Studienlagen zeigen Vorteile der monopolaren verankerten Langschaft-Radiuskopfprothesen hinsichtlich Funktion und Prothesenlockerung. Zur besseren Einschätzung möglicher Langzeitfolgen und Komplikationen hinsichtlich der Radiuskopfprothesen sind langfristig angelegte Follow-up-Studien notwendig.

Von Marc Schnetzke, Sven Lichtenberg und Markus Loew