Mai 2021 – Ausgabe 37
Die Osteotomien des proximalen Femurs
Prof. Dr. med. Rudi G. Bitsch
Zum Arztprofil
Keywords: Hüftdysplasie, Morbus Perthes, Epiphyseolysis capitis femoris (ECF), Hüftkopfnekrose, Schenkelhalspseudarthrose, femoroazetabuläres Impingement (FAI), proximale FemurOsteotomie
Bei pathologischen Veränderungen am Hüftgelenk junger Patienten sollten die Möglichkeiten gelenkerhaltender Eingriffe trotz der sehr guten Ergebnisse der Endoprothetik immer in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden.
Die Osteotomien des proximalen Femurs waren über Jahrzehnte Standardverfahren in der orthopädischen Chirurgie. Basierend auf den von Pauwels (1) beschriebenen Grundüberlegungen zur Biomechanik des Hüftgelenks wurden angeborene oder erworbene Fehlstellungen des proximalen Femurs mit Osteotomien therapiert. In den 70erJahren des letzten Jahrhunderts wurde das zweidimensionale Konzept von Pauwels von Renato Bombelli in die Dreidimensionalität überführt (2). Das Prinzip der Korrektur beruht dabei auf der Optimierung der Kräfte und Hebel am Hüftgelenk, der Druck und Zugverteilung im Schenkelhals sowie der Verbesserung von Gelenkkongruenz und -stabilität. Bei vielen klassischen Indikationen haben sich in den letzten Jahrzehnten jedoch andere OPTechniken durchgesetzt, wie z. B. die Impingement Chirurgie (3), Becken-Osteotomien (4) und nicht zuletzt die endoprothetische Versorgung.
Verfahrensbeschreibung
Die Einteilung der Osteotomien am proximalen Femur erfolgt zum einen nach der anatomischen Lokalisation; so können Osteotomien am Hüftkopf und am Schenkelhals, transtrochantäre, intertrochantäre, subtrochantäre und Trochanter-Osteotomien unterschieden werden. Weiterhin kann eine Einteilung erfolgen nach der Korrekturwirkung der Osteotomie in Varus/Valgus, Extension/Flexion, Außen/Innentorsion, Drehung in der Schenkelhalsachse oder dreidimensionalen Korrekturen mit Kombination der Osteotomie-Ebenen.
Bei proximalen Femurosteotomien kommt es zu Veränderungen des Drehzentrums, des FemurOffsets, der Beinlänge und der mechanischen Lastachse. Die FemurLastachse wiederum kann nach medial oder lateral, nach dorsal oder ventral mit entsprechender Auswirkung auf das Kniegelenk verschoben werden. Das komplexe Zusammenspiel und die Kombinationsmöglichkeiten der möglichen Korrekturrichtungen müssen hierbei berücksichtigt werden. Unerwünschte Nebeneffekte, wie z. B. Veränderung der Beinlänge, können technisch, z. B. durch Entnahme von Knochenkeilen und Verschiebung von schiefen Osteotomieflächen, beeinflusst werden (5). Während am ausgewachsenen Skelett das Ziel meist die Reduktion des Voranschreitens der Arthrose ist, soll während des Wachstums eine möglichst normale Hüftmorphologie erreicht werden, um präarthrotische Deformitäten zu verhindern.
Indikationen und Kontra-Indikationen des Verfahrens
Die Hochzeit der Therapie der Koxarthrose mit Osteotomien des proximalen Femurs lag noch vor der Optimierung der Endoprothetik und der Hüftsonografie nach Graf als Screeningmethode. Aus dieser Zeit stammt Bombellis Konzept der horizontalen „Tragfläche“ des normalen Hüftgelenkes: Nur wenn die kraniale Belastungszone des Azetabulums als „gewichtstragende Oberfläche“ horizontal ausgerichtet ist, herrscht ein optimales Kräftegleichgewicht mit balancierten Druckkräften ohne störende Scherspannungen. Dieses Prinzip hat sich auch in der breiten klinischen Routine als Zielparameter reorientierender BeckenkorrekturOsteotomien (nach Ganz oder Tönnis) durchgesetzt.
Das Mittel zur Korrektur der damals weitverbreiteten präarthrotischen Deformitäten und sekundären Koxarthrosen waren aufwendige dreidimensionale Osteotomien vorwiegend am proximalen Femur (z. B. ValgusExtensionsOsteotomie). Abb. 1 zeigt das Grundprinzip der an der individuellen Kopfform angepassten Vergrößerung der gewichtstragenden Knorpeloberfläche bzw. Reduktion des Druckes im Gelenk (6).
Das Ziel der Verzögerung einer endoprothetischen Versorgung um mehrere Jahre ist dabei in der Regel ab einem Arthrosegrad 3 nach KellgrenLawrence nicht mehr erreichbar. Weiterhin wird durch die Veränderung der Anatomie des proximalen Femurs oft auch die spätere Versorgung mit einer Endoprothese erschwert. Die Verfahren der proximalen Varisations oder ValgisationsOsteotomien wurden deshalb bei Vorliegen einer relevanten Koxarthrose zugunsten des endoprothetischen Gelenkersatzes aufgegeben.
Endoprothetische Versorgung bei hohen Hüftluxationen
Bei der endoprothetischen Versorgung von hohen Hüftluxationen kann eine Verkürzungsosteotomie mit oder ohne Korrektur der Rotation erforderlich werden.
Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Prothesenpfanne im primären Azetabulum verankert werden konnte. Beschrieben werden transverse, schräge, Z-förmige und umgekehrt V-förmige Osteotomien. Es werden Stabilisierungen mit überbrückender Platte sowie die Verwendung von Cerclagen zur Frakturprophylaxe empfohlen. Das Vorgehen ist aber auch ohne zusätzliche Implantate möglich. Im Vorfeld sollte neben der exakten Planung am Röntgenbild eine klinische Untersuchung mit Feststellung der absoluten Beinlänge (Oberrand HüftkopfPlantarfläche) erfolgen, um die erforderliche Verkürzung bestimmen zu können (Abb. 2).
Pseudarthrose nach Schenkelhalsfraktur
Eine Behandlungsmethode für die Pseudarthrose einer Schenkelhalsfraktur beim jüngeren Patienten besteht in der valgisierenden intertrochantären Umstellungsosteotomie. Durch diese werden die auf die Fraktur wirkenden Scherkräfte zu Kompressionskräften umgewandelt.
Die funktionellen Ergebnisse sind dabei meist nur zufriedenstellend. Dies liegt daran, dass sich durch die valgisierende Operation das Offset verringert, und der Hebelarm der Glutealmuskulatur verkürzt. Deshalb werden die Pseudarthrosen des älteren Patienten in der Regel endoprothetisch versorgt.
Hüftkopfnekrose
Die Therapie der Hüftkopfnekrose wird in Abhängigkeit von der internationalen ARCOKlassifikation (Association Research Circulation Osseous) durchgeführt. Bei Osteonekrose im präradiologischen Stadium I ist eine Markraumdekompression angezeigt, die zu einer Entlastung der intraossären Hypertonie führt. Bei beginnenden radiologischen Veränderungen (Stadium II/III) sind den Hüftkopf entlastende und zentrierende Umstellungsoperationen möglich, die unter Umständen zusammen mit Anbohrungen oder Spongiosaauffüllungen des nekrotischen Bereiches durchgeführt werden können. Die Verhinderung des Kopfeinbruchs ist hier das primäre Therapieziel. Eine isolierte FlexionsOsteotomie ist z. B. bei ventral gelegenen partiellen Hüftkopfnekrosen bei jungen Patienten mit kleinem Nekroseareal möglich (7). Bei fortgeschrittenem Alter und fortgeschrittener Nekrose ist nur noch der künstliche Gelenkersatz erfolgversprechend.
Epiphyseolysis Capitis Femoris
Bei der ECF (jugendliche Hüftkopflösung) wird zwischen der akuten Form und dem chronischen Verlauf sowie nach Dislokationsgrad differenziert. Klassische Indikation für die Korrekturosteotomie nach Imhäuser war der hohe Abrutschwinkel des Hüftkopfs und die Außendrehkontraktur bei der ECF. Die intertrochantäreKorrektur (Abb. 3) wird dabei gegenüberderjenigen im Schenkelhalsbereich(Ort der eigentlichen Fehlstellung) bevorzugt, da die Gefahr der Hüftkopfnekrose hierbei geringer ist. Die Verschraubung der Kopfepiphyse verhindert das weitere Abgleiten derselben, die Fixation der Osteotomie erfolgt mit Winkelplatte (8). Aufgrund des regelhaft entstehenden sekundären femoroazetabulären Impingements (FAI) und der erheblichen Veränderung der Knochengeometrie mit erschwerten Bedingungen für eine spätere endoprothetische Versorgung wird diese Osteotomie zunehmend seltener angewendet. Als Verfahren der Wahl gelten daher heute anatomische Repositionen der HüftkopfEpiphyse über die chirurgische Hüftluxation oder über arthroskopisch assistierte Verfahren.
Morbus Perthes
Um die Chance einer sphärischen Ausheilung des Kopfes zu erhöhen, wird in Abhängigkeit vom Alter und beim Vorliegen von sogenannten Head-at-risk Zeichen im Röntgenbild die Indikation zur Korrektur gestellt. Die mit einer Osteotomie angestrebte Verbesserung des Containments kann mithilfe der alleinigen Varisierung des proximalen Femurs, der alleinigen Beckenosteotomie oder kombinierter Verfahren erreicht werden. Trochanter-Osteotomien sind Verfahren der Wahl bei Coxa vara et brevis mit TrochanterHochstand, wie er typischerweise im Residualstadium eines Morbus Perthes mit „HirtenstabDeformität“ eintritt. Je nach Kongruenz des Gelenks kann durch eine alleinige Valgisation eine Distalisierung des Trochanters erreicht werden. Ein oft gewünschter Nebeneffekt ist hierbei eine Verlängerung des Beins. Dabei bewirkt die Distalisierung nur eine relative Verlängerung des Schenkelhalses. Die MorscherOsteotomie führt dagegen zu einer reellen Verlängerung (9). Abb. 4 zeigt das Prinzip der Morscher Osteotomie. Diese OPTechnik ist deutlich anspruchsvoller und birgt die Gefahr der Nekrose. Kontraindiziert ist die schenkelhalsverlängernde Osteotomie bei noch offenen Wachstumsfugen.
Hüftgelenkdysplasie
In Kombination mit Pfanneneingriffen spielen proximale Femurosteotomien in der Therapie von Dysplasien unverändert eine große Rolle, insbesondere wenn durch Zusatzeingriffe am proximalen Femur die Gelenkkongruenz optimiert werden kann. Eine genaue Kenntnis und Analyse der Pathomorphologie ist die Voraussetzung, um die proximale Femurosteotomie isoliert oder als Kombinationseingriff zu Pfanneneingriffen erfolgreich einzusetzen. Die wichtigste, bei Hüftgelenkdysplasien eingesetzte korrigierende Osteotomie am proximalen Femur ist die intertrochantäre DerotationsVarisations Osteotomie (DVO) mit dem Ziel der Optimierung der Hüftkopfüberdachung durch dreidimensionales tiefes Einstellen des Hüftkopfes in der Gelenkpfanne. Als additives Verfahren kann dazu der Transfer des Trochanter major durchgeführt werden. Operationsziel ist die funktionelle Verbesserung des Hebelarms der Glutealmuskulatur sowie die Behandlung eines Trochanterimpingements.
Im Gegensatz dazu sind aufgrund des hohen OsteonekroseRisikos bei zugleich geringen Korrekturwinkelwerten subkapitale Osteotomien am Femur ungeeignet (10).
Fazit
Es lässt sich ein weiterer Bedeutungsverlust der Osteotomien des proximalen Femurs feststellen. Von einer häufig durchgeführten Therapie der Wahl geht die Entwicklung hin zur Sekundärtherapie beim Versagen anderer Behandlungsformen oder zur Kombinationstherapie mit diesen. Dieser Bedeutungsverlust ist der Weiterentwicklung anderer Operationsverfahren und nicht zuletzt den immer besser werdenden Langzeitergebnissen der Endoprothetik mit modernen Gleitpaarungen geschuldet.
Die Kenntnis der biomechanischen Prinzipien und operativen Techniken bleibt jedoch eine Voraussetzung, um orthopädische Patienten mit anatomischen Abweichungen erfolgreich behandeln zu können.