Oktober 2023 – Ausgabe 42
Die orthopädieschuhtechnische Versorgung des medialen Hohlfußes – aus der Praxis für die Praxis
Schlüsselwörter: Hohlfuß, konservative Therapie, Einlagenversorgung, Schuhversorgung
Beim Hohlfuß gibt es verschiedene Ausprägungen und Formen. Die Ursachen sind meist neurologische Erkrankungen, die dann zu einem Muskelungleichgewicht führen, auch Wachstumsfaktoren spielen eine Rolle.
Der Hohlfuß ist eine erworbene Deformität und muss so von angeborenen – wie zum Beispiel dem Klumpfuß – unterschieden werden. Die konservative Therapie sollte die Physiotherapie einschließen, insbesondere nach ganzheitlichen Konzepten auf neurophysiologischer Basis, Spiraldynamik® und/oder Gehen. Soweit aber kontrakte Fehlstellungen und Muskeldefizite auf dem Boden von neuromuskulären Erkrankungen vorliegen, kommt die Physiotherapie an ihre Grenzen. Eine adäquate Einlagen- und gegebenenfalls Schuhversorgung ermöglicht die Teilhabe der Betroffenen am Alltag auf möglichst hohem Niveau. Hornhautschwielen sollten fachgerecht podologisch mitbehandelt werden.
Die Autoren sehen im interprofessionellen Austausch die beste Versorgung für die Patientinnen und Patienten. Wie weiter unten noch dargestellt wird, sind Verordnungen differenziert und erfordern dann noch eine subtile Ausarbeitung. Bei der Einlagenversorgung gibt es Erfahrungswerte, welche Rohlinge und welche Materialien und Shorehärten sich bewährt haben, wie die Einlage nach dem Probegehen und der Zusammenarbeit von Arzt und Schuhtechniker [AS1] gegebenenfalls nachzuarbeiten ist und mit den Schuhen (mit fester Hinterkappe und gegebenenfalls einer Absatzverbreiterung) eine Einheit bilden. So ist die vorliegende Publikation eine Darstellung aus der Praxis für die Praxis. Motiviert dazu wurden wir, weil sich unsere Erfahrungen teils von einschlägigen Lehrbuchmeinungen unterscheiden und weil diese Versorgung leider nicht immer bekannt ist.
Definition des Hohlfußes
Nach Döderlein (5) definieren wir den Hohlfuß (Pes cavus) als fixierte Plantarflexions-Fehlstellung des Vorfußes im Verhältnis zum Rückfuß, die sich unter Belastung nicht ausgleichen lässt. Sie wird im Allgemeinen von Krallen- oder Klauenzehen begleitet. Entweder sind alle Metarsalia oder nur das Metatarsale I plantarflektiert. Die Stellung des Rückfußes ist variabel und kann in der Sagittalebene Hackenfuß, Neutral- oder Spitzfuß- Position sein, in der Frontalebene ist eine Varus-, eine Neutral- oder eine leichte Valgusstellung möglich. Der Hohlfuß ist eine erworbene Deformität. Es gibt auch den inspektorisch auffälligen, aber symptomlosen hochgesprengten Fuß als Normvariante. Dabei finden sich keine Krallenzehen, eine normale Stellung der Ferse und keine eingeschränkte Dorsalextension im oberen Sprunggelenk.
Epidemiologie
Der Anteil an Hohlfüßen in der Bevölkerung beträgt zirka 10 %, davon leiden ca. 60 % an Fußschmerzen (8). Eine familiäre Häufung ist in Abhängigkeit von der Grunderkrankung bekannt (5, S. 8). An erster Stelle stehen neuromuskuläre Ursachen, die entweder als progrediente Erkrankungen, zum Beispiel die periphere hereditäre motorische und sensorische Neuropathie (HMSN) oder Muskeldystrophien (Duchenne), oder als nicht progrediente Erkrankungen, zum Beispiel periphere N. ischiadicus-Schädigung, vorliegen können. Bei den nicht neuromuskulären Ursachen sind unter anderem das Kompartmentsyndrom oder Sehnenverletzungen, zum Beispiel der Peronealsehnen, zu nennen (dazu und zu den weiteren Ursachen sie- he (5) S. 11 und 12).
Der Ballenhohlfuß
Häufig kommt der mediale Ballenhohlfuß vor, der durch eine Steilstellung des ersten Strahles gekennzeichnet ist. Dagegen ist der komplette Ballenhohlfuß durch eine gleichmäßige Plantarflexionsstellung aller Metatarsalia charakterisiert. Auf die genaue Darstellung der weitaus komplexeren Fehlstellungen wie Hackenhohlfuß, Spitzhohlfuß und Knickhohlfuß sei auf (5), Seite 3 ff. verwiesen.
Im folgenden Artikel soll anhand eines Versorgungsbeispiels besonders auf den medialen Ballenhohlfuß mit einer beginnenden Kontraktur und einer fehlenden Dynamik in der spiraligen Verwringung des Vorfußes gegenüber dem Rückfuß eingegangen werden. Bei dieser Erkrankung ist zunächst die Fähigkeit, den Vorfuß supinatorisch aufzubiegen, eingeschränkt. Schließlich kommt es zur Pronationskontraktur, die ein plantigrades Auftreten des Vorfußes nur noch erlaubt, wenn der Rückfuß gleichzeitig in Varusposition gedrückt wird (Abb. 1). Dies kann man im Coleman-Block-Test feststellen und ausgleichen (Abb. 2 a, b). Aus Sicht der Autoren wird der mediale Ballenhohl fuß nicht immer erkannt und vom verordnenden Arzt bzw. der Ärztin richtig rezeptiert, oder, wenn der Patient / die Patientin Einlagen verschrieben bekommt, nicht unbedingt richtig orthopädietechnisch angegangen.
Es gibt auch den kompletten Ballenhohlfuß mit seiner Deformität in der Sagittalebene. Dieser bedarf der Versorgung im Maßschuh, der auch bei allen anderen komplexeren Hohlfüßen, der jeweiligen Deformität angepasst, mit einem lotrechten Aufbau und Versteifungen am Sprunggelenk zur Anwendung kommt. Bezüglich der Indikationen zur Operation und zu den Operationstechniken sei auf die Arbeit von Fabian Krause verwiesen (7).
Entwicklung der Einlagenversorgung bei medialem Hohlfuß
Marquardt empfiehlt eine Torsionseinlage (8). Dabei wird der laterale Rand einer dreiviertellangen Einlage bis unter das Mittelfußköpfchen 5 und gegebenenfalls unter 4 vorgezogen. Damit wird der äußere Fußrand genügend unterstützt und angehoben; dadurch lassen sich leichte Pronationskontrakturen ausgleichen. Nach Rabl werde an einer langsohligen Einlage die Korrektur vom 5. bis zum 3. Mittelfußstrahl geführt und der Vorfußaußenrand unterbaut (9). Dazu solle dann noch außen eine Metalleinlage zur Versteifung über die ganze Fußlänge bis zur 5. Zehe eingearbeitet werden.
Dies ist sicher historisch interessant, aber heute nicht Stand der Versorgung. Genauso ist die von Specht vorgeschlagene Erhöhung des gesamten Außenrandes der Einlage bei fixierter Vorfuß Rückfußtorsion nicht förderlich (10). Dabei ist es nach Marquardt nicht gut, „das Längsgewölbe durch Bettungen oder Einlagen hochzutreiben“ (8). Dem stimmen wir so weit zu. Er empfiehlt vielmehr eine langgezogene stufenförmige Bettung, die den Hohlfuß wie einen Keil auseinandertreibe (8 sowie 10, 6, 2). Mit dieser Streckstufentechnik soll versucht werden, den Fuß zu verlängern (Abb. 3). Die erste Beschreibung dieser Methode geht auf Baehler zurück (1). Dies hat sich nach Ansicht der Autoren wegen des Drucks am Ansatz der stark gespannten Plantarfaszie mit der Gefahr der Ansatztendinitis nicht bewährt. Beim Hohlfuß handelt es sich zudem um eine Deformität, die sich trotz aller ihr entgegenwirkenden Bodenreaktionskräfte entwickelt. Daher bleibt es fraglich, ob dies mit der sogenannten Streckstufentechnik verhindert werden kann (11).
Stattdessen favorisieren wir eine exakt modellierte retrokapitale Pelotte, entweder herzförmig oder als quere Stufe (5, 6, 11), gegebenenfalls noch wegen der starken Hornhautschwielen unter den Mittelfußköpfchen 1 oder 5 mit einer gezielten Weichbettung ebendort.
Unser Versorgungsbeispiel zeigt eine Einlage mit flexiblem Kern zur Versorgung von Hohlfüßen bei positivem Coleman- Block-Test (Abb. 4). Die schräge Ebene unter dem Vorfußballen – das Metatarsale-I-Köpfchen steht tiefer als das Metatarsale-V-Köpfchen – ermöglicht eine Neutralstellung im unteren Sprunggelenk und ist damit ideal zur Versorgung von medialen Hohlfüßen mit vorfußinduziertem Rückfußvarus (Abb. 5).
Die Ferse wird schalenförmig geführt und das Kuboid ist gut ausmodelliert. Dadurch wird der Rückfuß korrigiert, die damit verbundene Überlastung der Peronealsehnen (aktive Stabilisatoren) und der fibularen Seitenbänder (passive Sicherung) werden reduziert und entsprechende Beschwerden gemindert.
Das mediale Längsgewölbe soll dagegen nicht ausmodelliert werden, um nicht einen weiteren Varusimpuls zu geben (11).
Die schräge Ebene unter dem Vorfußballen mindert dabei die ungünstige und beschwerdehafte Druckbelastung. Die Höhendifferenz ist individuell und manchmal auch noch unterschiedlich zwischen rechts und links, je nach Ausprägung des medialen Ballenhohlfußes, auszuführen. Dabei sind häufig 3 bis 5 Millimeter nötig, selten auch etwas mehr. An den Schuhen kann auch noch eine rückverlagerte Ballenrolle angebracht werden ((3), S. 71).
Fazit
Waren früher bei der Einlagenversorgung des Hohlfußes korrigierende Maßnahmen führend, so hat sich aktuell der Ansatz im Sinne der Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung durchgesetzt. Damit sehen wir die sogenannte Streckstufentechnik nicht als zielführend an. Moderne formstabile, polsternde und zugleich dauer- elastische Materialien, wie zum Beispiel Polyurethan, verhindern eine Deformierung der Einlagen und dämpfen doch ausreichend. Den Patientinnen und Patienten kann durch individuell angefertigte Einlagen signifikant geholfen werden (4).
Dieser Beitrag erschien erstmals zum 90. Geburtstag von Paul Gabel, dem Großvater und Vater der Autoren in der Zeitschrift „Orthopädie-Schuhtechnik“ Ausgabe 5 / 2023. Paul Gabel war Orthopädieschuhmachermeister aus Bad Mergentheim (29.04.1933 – 11.09.2020)
Marius Gabel
Orthopädieschuhtechniker
Türk Fuß-Vital-Center, Freudenstadt
Dr. med. Dr. med. h.c. Michael Gabel
ATOS Klinik Stuttgart
michael.gabel@atos.de