Mai 2024 – Ausgabe 43

Die Glenoiddysplasie

Dr. med. Sven Lichtenberg
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Schnetzke

Prof. Dr. med. Marc Schnetzke
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Prof. Dr. med. Markus Loew
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Schlüsselwörter: Glenoiddysplasie, Omarthrose, posteriore Glenoidosteotomie, Schulter-Totalendoprothese

Da die meisten Glenoiddysplasien jahrzehntelang mit wenig Symptomen einhergehen, werden sie häufig erst diagnostiziert, wenn nach posteriorer (Sub-)Luxation die Instabilität bestehen bleibt oder wenn eine aufgrund der Dysplasie entstandene Omarthrose Beschwerden verursacht. Die operativen Verfahren zur Korrektur sind anspruchsvoll.

Die Glenoiddysplasie ist eine angeborene Erkrankung, die ähnlich wie die Hüftdysplasie zu einer verfrühten Arthrose, also zur Omarthrose, führen kann. Auf der anderen Seite kann die Glenoiddysplasie auch ein Grund für posteriore Instabilitäten im Adoleszenten- und jungen Erwachsenenalter sein.

Meist treten die Veränderungen im Rahmen anderer Erkrankungen auf. Nach Currarino [2] wird unterschieden in:

  • Primäre Glenoiddysplasie: familiäre Häufung mit wenig Symptomen im Kindesalter, selten schwerwiegende Instabilitäten, meist Zufallsbefund
  • Syndromassoziierte Glenoiddysplasie: bilaterale Dysplasien assoziiert mit multiplen Fehlbildungen im Rahmen syndromaler Erkrankungen
  • Glenoiddysplasie assoziiert mit Mukopolysaccharidosen und Mukolipidosen
  • Glenoiddysplasie in skelettalen Dysplasien

Ferner findet man eine Glenoiddysplasie auch bei Kindern mit Erb´scher Lähmung durch eine nicht zentrische, posterior gerichtete Positionierung aufgrund der Innenrotationskontraktur des Humeruskopfes im Glenoid.

Diagnostik

Normalerweise findet man im MRT Veränderungen der Glenoidkonturierung mit

  • unregelmäßiger Kontur
  • flacher Darstellung des Glenoids
  • vermehrter Retroversion des Glenoids
  • Hypertrophie des posterioren Labrums
  • Defekt / Fehlbildung des posteroinferioren Glenoidrands

Weishaupt hat eine Klassifikation der postero-inferioren Veränderungen im CT veröffentlicht [10]:

  • spitz zulaufender posteriorer Rand
  • J-förmige Kontur (lazy-J)
  • Deltaform als dreieckige knöcherne Läsion

Ferner wird unterschieden zwischen Patientinnen und Patienten, die vor ihrem bzw. nach ihrem 40. Lebensjahr symptomatisch werden [8]. Alle Patientinnen und Patienten mit den später aufgetretenen Symptomen hatten arthrotische Veränderungen durch die über Jahre vermehrte posteriore Subluxationsstellung des Humeruskopfes, während die anderen Patientinnen und Patienten am ehesten zu posterioren Schulterinstabilitäten oder Subluxationen neigten. Somit muss bei der Therapie zwischen diesen Gruppen unterschieden werden.

Therapie

Die meisten Glenoiddysplasien sind symptomfrei oder -arm. Somit fallen diese Dysplasien meist erst auf, wenn junge aktive Patientinnen bzw. Patienten eine traumatische oder eher atraumatische posteriore Sub- / Luxation erleiden und diese Instabilität auch nach konservativer Therapie anhält. Die Bildgebung hierbei ist – wie oben beschrieben – durch eine MRT gut zu bewerkstelligen, nur selten ist eine CT notwendig.

Glenoidosteotomie

Während bei posterioren Instabilitäten meist ein posteriorer Bankart-Repair ausreicht, ist bei den Patientinnen und Patienten, bei denen eine Glenoiddysplasie zugrunde liegt, ein knöcherner Aufbau notwendig. Hier ist sich die Literatur noch nicht einig, welches Verfahren das beste ist. Es gibt Beschreibungen von offenen und von arthroskopischen Verfahren. Allen gemeinsam ist letztlich, das vermehrt retrovertierte Glenoid zu korrigieren. Meist erfolgt eine posteriore Knochenanlagerung eines Knochenspans aus dem Beckenkamm, entweder mit Schrauben oder implantatfrei. Die Ergebnisse bei diesen Verfahren sind durch Komplikationen und aufgrund einer hohen Arthroserate nicht wirklich ermutigend [4], [6], aber neuere Verfahren mit einer posterioren Glenoidosteotomie und Knochenspaneinbringung scheinen eine Verbesserung zu bringen [7], [10].

Inwieweit die erhöhte Arthroserate nach den Korrekturverfahren auf diese zurückzuführen oder aber eine natürliche Folge der Dysplasie ist, ist noch nicht abschließend geklärt und wird sicher auch nicht konklusiv beurteilbar sein.

Prothetischer Gelenkersatz

Treten die Symptome jenseits des 40. Lebensjahres auf, besteht meist schon eine deutliche Arthrose des Glenohumeralgelenks. Durch die lebenslange posteriore Translation des Humeruskopfes kommt es zu einem Verbrauch des posterioren Glenoids mit sogar zunehmender Retroversion des Glenoids und zunehmender posteriorer Translation des Humeruskopfes (Abb. 2). Hier liegt sicher auch einer der Gründe für die Ausbildung von Omarthrosen bei noch eher jungen Patientinnen und Patienten ohne bekannte traumatische Vorereignisse. Hieraus ergibt sich bereits in frühen Jahren die Indikation zum prothetischen Gelenkersatz. In der Klassifikation hat sich die Glenoidklassifikation nach Walch und deren Modifikation etabliert [1], (Abb. 1).

Hemiprothese: Ersetzt man nur den arthrotisch veränderten Humeruskopf mit einer Humeruskopfprothese, ändert sich nichts an der zugrunde liegenden Dysplasie. Der prothetische Kopf wird das posteriore Glenoid verstärkt abnutzen und die Deformität eher zunehmen zu lassen.

Anatomische Totalprothese: Bei den ja eher jungen Patientinnen und Patienten besteht eigentlich die Indikation zum anatomischen Gelenkersatz. Die Humeruskopf wird in unserem Vorgehen am ehesten schaftfrei und mit einem konvertierbaren Kurzschaft versorgt (Abb. 3). Die glenoidale Komponente stellt die größte Schwierigkeit dar. Eine Korrektur der Retroversion ist dadurch limitiert, dass mit den heute meist verfügbaren zementierbaren PE-Pfannen ein knöcherner Aufbau von posterior technisch schwierig und letztlich unzuverlässig ist (hohe Resorptionsrate). Ein korrigierendes Befräsen des Glenoids zur Änderung des Retroversionswinkels durch Abfräsen des ventral gesunden Knochens führte zu einer Schwächung des Knochenlagers für das Implantat und zu einer Medialisierung der Gelenklinie mit Verschlechterung der Vorspannung der eigentlich intakten Rotatorenmanschette. Es hat sich gezeigt, dass ein Abfräsen des Knochens von mehr als 3,5 Millimetern zu einer signifikanten Schwächung des Knochens mit anschließender frühzeitiger Komponentenlockerung führt.

Der Knochenaufbau mit Verwendung von autologem Knochen und einem anatomischen Metalback-Implantat wäre das optimale Versorgungskonzept, aber es gibt zum einen nur wenige Anbieter und zum anderen besteht das Risiko eines frühen PE-Verbrauchs und daraus resultierender Metallose und Revisionsnotwendigkeit. So werden die Hoffnungen nun vor allem auf augmentierte PE-Implantate gesetzt, die durch eine posteriore PE-Verdickung die pathologische Retroversion und den posterioren Knochenverlust ausgleichen sollen. Bisher zeigen diese Implantate hoffnungsvolle Ergebnisse, wie aber deren Haltbarkeit ist und wo die Grenzen der Augmentation liegen, bleibt abzuwarten.

In sehr stark veränderten und verbrauchten Glenoiden sind schon im jüngeren Alter auch primär inverse Prothesen unausweichlich. Auch hier gilt es, die Knochendeformität mit Knochenaufbau und / oder Metallaugmentationen der Basisplatten möglichst auszugleichen. Eine verbleibende Retroversion von 10 Grad ist tolerabel.

Grundlage für eine optimale Prothesenimplantation in diesen dysplastischen Glenoiden ist eine präoperative Planung des Eingriffs mit CT-Daten der Patientinnen und Patienten und die Verwendung einer entsprechenden Planungssoftware, die heute jede Prothesenfirma anbietet.

Fazit

Auf eine angeborene Glenoiddysplasie wird – anders als bei der Hüfte – nicht gescreent. Gewisse Syndrome und Lähmungen, wie z. B. die Erb´sche Lähmung, sollten jedoch die Behandelnden hellhörig werden lassen, da hier neben anderen Skelettdysplasien auch das Glenoid betroffen sein kann. Symptomatisch wird die Glenoiddysplasie dann entweder früh durch Instabilitätsepisoden oder später, dann bereits mit arthrotischen Veränderungen. Hier sind die Behandlungskonzepte etabliert und erfolgreich wie oben beschrieben.