Mai 2025 – Ausgabe 45

Die Entwicklung der Knieendoprothetik in den letzten 25 Jahren aus meiner Sicht

Dr. med. Dirk Eiwanger

Dr. med. Dirk Eiwanger
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Da ich hier meine persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen auf die Entwicklung der Knieendoprothetik der letzten 25 Jahre präsentieren möchte, bedarf es einer kurzen Vorstellung: Seit Mitte der 1990er Jahre habe ich die Knieendoprothetik semiaktiv operativ beobachtet und ab 1999 meinen operativen Schwerpunkt aktiv auf die Knieendoprothetik gelegt. Auch wenn ich universitär gestartet bin, waren meine weiteren beruflichen Stationen bis heute mehr basisoperativ mit hohen OP-Fallzahlen in der Knieendoprothetik.

In all den Jahren konnte ich in den verschiedenen Kliniken meine Patientinnen und Patienten postoperativ früh (nach 6 und 12 Wochen) sowie mittelbis langfristig (jährlich) persönlich nachuntersuchen. Dieses persönliche Feedback und die dazugehörenden statistischen Erfassungen der Ergebnisse und Verläufe sowie der Abgleich mit der Literatur waren und sind die Grundlage meiner nachfolgend beschriebenen operativen Entwicklung im Bereich der Knieendoprothetik.

Mein Blick auf die Entwicklungen in der Knieendoprothetik

In meiner frühen Zeit in der Orthopädie in den mittleren und späten 1990er Jahren hatten wir im Friedrichsheim in Frankfurt bereits „gefühlt“ gute Ergebnisse mit Patientinnen und Patienten und ihren Knieprothesen. Alles wirkte mit den auch heute noch verfügbaren Oberflächenersatzprothesen operativ einfach und schnell durchführbar. Präoperative Planungen zum Erreichen gerader Beine und horizontaler Gelenklinien wurden auf Butterbrotpapier gezeichnet und anschließend zügig operativ durchgeführt. Die Ergebnisse waren im Durchschnitt recht gut, die Ansprüche der Betroffenen aber auch deutlich geringer als heutzutage.

Euphorie beim ersten CAOS-Meeting

Da die angestrebte gerade Ausrichtung des Beines klinisch wie auch in den Röntgen Ganzbeinaufnahmen nicht immer gelang, suchte man in Zeiten der raschen Computerentwicklung Ende der 1990er Jahre dort nach Hilfen. Mein damaliger Chefarzt Prof. Dr. Fridun Kerschbaumer, sehr interessiert und offen für technologische Möglichkeiten, schickte mich im Rahmen unserer bereits durchgeführten Navigation von Hüftpfannen und auch Knieprothesen 2000 zum ersten CAOS (Computer Assisted Orthopedic Surgery)-Meeting nach Davos. Dort spürte man eine unglaubliche Euphorie, und es wirkte, als ob mit der Computerunterstützung alle Probleme und Fragen der orthopädischen Chirurgie beantwortet werden könnten (Abb. 1).

Dieser damalige Hype und die tatsächliche Entwicklung der Navigationstechnik, welche ja in einer anderen Frankfurter Klinik – wahrscheinlich zu früh – zur Robotik an Hüfte und Knie führte, ergaben tatsächlich eine genauere und konstantere Positionierung der femoralen und tibialen Implantate im Vergleich zur konventionellen Technik der Kniechirurgie. Die zunächst positive Weiterentwicklung der teuren Navigationstechnik (damals schon bildgestützt und bildfrei verfügbar) schaffte es dann auch in kleinere und städtische Häuser und brachte mich beruflich zu einem erneut sehr akribischen und innovativen Operateur, Dr. Fritz Wiedemann, nach Kaufbeuren. Dort unterstützte ich ihn in der CT-basierten Navigation der Knieendoprothetik mit hohen Fallzahlen und konnte weitere positive Erfahrungen sammeln.

Abkühlung des ersten Trends zur Navigation

Leider zeigten die klinischen Ergebnisse des navigationsgestützten Operierens von Knieprothesen bezüglich Scores, Funktionalität und Patientenzufriedenheit keine so durchschlagende Verbesserung wie erhofft. Der Trend kühlte etwas ab und ging wieder weg von der kosten- und zeitintensiveren Navigation in der Endoprothetik. Dies führte auch mich weiter in eine neue Klinik, in die Hessingklinik nach Augsburg. In der Abteilung für Wirbelsäule und Endoprothetik unter Dr. Dr. Klaus Matzen war bei sehr hohen Fallzahlen und kurzen OP-Zeiten trotz vorhandenen Navigationsgeräts außer bei Skoliose-OPs kein Raum für computerunterstütztes endoprothetisches Operieren.

Die nächste Neuerung: mobile PE-Inlays

In dieser Zeit kam die nächste, nun hardwareorientierte Neuentwicklung mit den verschiedensten mobilen PE-Inlays bei Knieprothesen flächendeckender auf den Markt. Auch wir sind auf diesen Zug aufgesprungen mit der Hoffnung auf Abriebreduktion sowie ein positiv verzeihendes und physiologischeres Prothesenergebnis. Ich kann mich gut an ein durch uns organisiertes Symposium mit Hauptthema der verschiedensten mobilen Inlays erinnern. Die großen Erwartungen wurden im Verlauf nicht erfüllt, und die Nutzerzahlen sind bis heute stark rückläufig. Auch in der Gemeinde der Knieteilprothesenoperierenden, zu denen ich heute mit deutlich steigenden relativen und absoluten Fallzahlen gehöre, schlägt das Pendel weg vom mobilen Inlay bei Schlittenprothesen und hin zu Fixed-Bearing-Modellen.

Mich führte mein Weg zurück nach Frankfurt, und vieles erinnerte bezüglich der Implantate, Zugänge und der nun digitalen Planung an die Knieendoprothetik aus den 1990er Jahren. Das Ziel war weiterhin die gerade Beinachse, jedoch versuchten wir im Unterschied zu früher, mit aufwendigeren operativen Weichteilreleasen die Knie mediolateral in Extension und Flexion bandstabil und spannungsgleich zu bekommen. Operationszeiten und Weichteiltraumen gingen damit hoch, die klinisch-funktionellen Ergebnis-Scores jedoch leider nicht.

Patientenspezifische Schnittblöcke

Die Entwicklung der patientenspezifischen Schnittblöcke mit 3D-Planung anhand CT oder MRT kam mit dem 3D-Druck auf und weckte 2010 mein Interesse. Diese Verfahren konnten fast die Genauigkeit der zuvor durchgeführten Navigation erreichen und machten das OP-Setup sehr übersichtlich bezüglich Instrumenten, Tischen sowie OP-Zeit. Also, ein tolles digitales Tool mit recht hoher Genauigkeit in der Umsetzung und mit Auslagerung der Technik und Planung aus dem OP-Saal (Abb. 2).

Die Nachuntersuchungen und die Literatur bestätigten für diese Verfahren eine höhere Trefferquote des angestrebten Ziels – weiterhin die gerade Beinachse mit gerader Gelenklinie – im Vergleich zur konventionellen OP-Technik. Aber auch hier waren die klinisch-funktionellen Outcomes und die Patientenzufriedenheit nicht durchgehend besser.

Zur gleichen Zeit startete ich das Operieren von Teilprothesen des Knies, insbesondere die mediale Hemischlittenendoprothese. Dies führte nach sehr kurzer Lernkurve zu tollen klinischen Ergebnissen und dies ohne Navigation und PSI-Instrumente (Abb. 3).

Auffallend war die sehr hohe Zahl an Patientinnen und Patienten, die in den Nachuntersuchungen ein Vergessen ihrer Prothese und eine vollständige Zufriedenheit, „wie früher vor der Knieprothese“, angaben. Dies war natürlich sehr motivierend und führte zu höheren Fallzahlen und einem Ausloten der Grenzindikationen.

Revolutionär: die neue Alignmentphilosophie

Auf Kongressen wurde seit Anfang der 2010er Jahre und zunehmend ab 2015 von „Alignment-Philosophien“ weg vom rein mechanischen Alignment gesprochen. Klare Grenzen und Ziele konnten hierbei nicht benannt werden, Begriffe wie kinematisches oder anatomisches Alignment tauchten auf. Dies bedeutete ja eine Neudefinition des OP-Ziels bei Knieendoprothesen und somit nichts weniger als eine theoretische Revolution. Zu zwei eigenen Erfahrungen passte dies gut und erzeugte bei mir ein gewisses Aha-Erlebnis:

  • zum Ersten die extrem positiven Ergebnisse bei Schlittenprothesen, im Verlauf mit dem Oxford-Modell von mir operiert. Diese wurden ja bewusst nicht in eine Gerade korrigiert, sondern im Wesentlichen bandorientiert ausgerichtet und mit sinnvollem Restvarus belassen. Auf einem Kongress wurde damals der mediale Schlitten als die kinematischste aller Knie-OPs bezeichnet!
  • Zum Zweiten die sehr guten Ergebnisse bei Männern mit starken Varusknien >10°, welche aus dem Weichteilkompromiss heraus unterkorrigiert und ebenfalls in einem Restvarus belassen wurden.

Diese Zieländerung löste auf den Kongressen und Treffen spürbare Verunsicherung und Diskussionen aus, denn wie sollten wir jetzt unsere Prothesen planen und diese Ausrichtung operativ umsetzen?

Somit operierte ich weiter gerne mediale Schlittenprothesen und wagte mich bei den Knie-TEPs nur an kleine Anpassungen der Achs- oder Gelenklinienausrichtung, da das „gerade Operieren“ mit den herkömmlichen Instrumentarien doch wesentlich sicherer war. Erfahrene Operierende bewegen sich in einem 3°-Korridor der Achsabweichung.

Da wir bereits länger mit der Fa. Symbios im Bereich der individuellen Hüftschaftprothetik arbeiteten, begann ich nach der Einführung 2018 rasch das Individualknie Origin® zu implantieren (Abb. 4). Die 3D-Planung, der OP-Ablauf und die Zufriedenheit der OP-Mitarbeitenden machten Spaß, und die Ergebnisse waren von Anfang an radiologisch wie klinisch hervorragend. Hervorzuheben sind sicher die perfekte Passform und Größe mit geringer Knochenresektion, aber insbesondere die Abkopplung der Ausrichtung der beiden Gelenkteile patellofemoral (Trochlea) und femurotibial im Vergleich zu Standardprothesen. Der Patellalauf zeigte sich eigentlich immer hervorragend, deswegen war bisher auch fast kein retropatellarer Ersatz notwendig.

Neue Ausrichtungsziele für die Beinachse

Erst 2021 erschien dann eine Veröffentlichung der australischen Forschungsgruppe CPAK (Coronal Plane Alignment of the Knee), welche Licht in die Planung und die Ausrichtungsziele der Knieendoprothetik brachte. Bekanntermaßen ändert sich der mechanische HKA (Hip Knee Ankle) bei der einseitig betonten Gonarthrose ins X oder O. Die Forschenden haben herausgefunden, dass die Winkel MPTA und LDFA in gesunden wie arthrotischen Populationen gleich bleiben und der zu berechnende arithmetische HKA (Subtraktion des MPTA vom LDFA) die vorbestehende Beinachse (constitutional alignment) sehr genau und verlässlich darstellen kann. Damit hat man erstmals die präpathologische und ggf. wieder anzustrebende Beinachse der Patientinnen und Patienten definiert und sie über diese einfache Rechnung in einer 2D-Planung darstellbar gemacht.

Die Forschungsgruppe hat außerdem eine Phänotypentabelle (CPAK 1–9) bezüglich Beinachse (aHKA) und Gelenklinienverlauf (JLO = joint line obliquity) mit ihren Häufigkeiten erstellt (Abb. 5). Dabei zeigte sich, dass das in der Knieprothetik jahrzehntelang verfolgte Ziel der postoperativ geraden Beinachse und neutralen Gelenklinie (CPAK 5) nur bei etwa 15 % der Gesunden wie der Erkrankten vorkommt. Ab diesem Zeitpunkt war also endgültig klar, dass sich die Ziele in der Knieendoprothetik verschieben und stärker individualisiert werden müssen. Dies wurde auf verschiedensten Wegen kommuniziert (QR-Code).

Unterstützung durch Navigation und Robotik

Um dies nun akkurat umzusetzen, benötigen wir in der Knieendoprothetik die Unterstützung der modernen Navigationssysteme, welche nun bei klareren Zielen und besser als vor 20 Jahren ihre Stärken in der Genauigkeit ausspielen können. Auch die Individualendoprothetik der Fa. Symbios arbeitet in ihrer 3D-Planung mit spezifischen Rekonstruktionsalgorithmen (max. 5° Varus und 3° Valgus) nach Einteilung in die verschiedenen CPAK-Gruppen. Hiermit sind wir in meiner Gegenwart der Knieendoprothetik mit Roboternavigation und Individualendoprothetik angekommen.

Wir haben uns in der ATOS Klinik Wiesbaden nach zweijähriger Abwägung für die Roboternavigation mit dem CORI®-System der Fa. Smith + Nephew, imageless, entschieden (Abb. 6). Die Rechnerleistungen sind hervorragend und stabil, das Setup im OP ist schlank, die operative Umstellung ist überschaubar, und alles ist immer manuell zwischendurch überprüfbar. Die semiaktive Robotik mit der Handfräse funktioniert sehr gut und macht auch überzeugten orthopädischen Sägerinnen und Sägern Freude. Die Erfassung der mediolateralen Stabilität, die in die Planung einfließt, ist sicherlich eine erhebliche Verbesserung und Erweiterung der Navigation von früher. Unsere Frühergebnisse sind ermutigend, die OP-Zeiten sind nicht überbordend, und der zukünftige Mehrwert an Informationen anhand der intraoperativen digitalen Anpassung der Prothesenpositionierung ist sicher nicht zu unterschätzen (Abb. 7).

Die Perspektive

Natürlich sind durch die oben beschriebenen Entwicklungen und Erkenntnisse weiterhin nicht alle Fragen gelöst. Zum Beispiel ist CPAK „nur“ eine frontale 2D-Analyse der Kniegelenke. Sicherlich bleiben Themen wie Stellung in der Sagittalebene, Rotationen oder auch das wichtige Femoropatellargelenk weiterhin in der Diskussion.

Spätestens seit 2021 laufen viele Untersuchungen zu den vermeintlichen Vorteilen eines begrenzten kinematischen Alignments insbesondere in der Ligamentbalancierung, Funktionalität und Patientenzufriedenheit. Hierbei gilt es, insbesondere die Grenzen des kinematischen Alignments bezüglich Beinachse (aHKA) und Gelenklinie (JLO) herauszufinden und natürlich die erwarteten verbesserten klinischen Ergebnisse hoffentlich zu bestätigen.

Die Knieendoprothetik hat sich in den letzten 25 Jahren aus meinem Blickwinkel erheblich weiterentwickelt, auch wenn alles, wie oben beschrieben, seine Zeit braucht. Trotz aller Erkenntnisse darüber, was früh postoperativ hilft, mittelfristig gut funktioniert und auch langfristig hält, erreichen wir in der Knieendoprothetik zunehmend sehr gute, aber immer noch nicht die angestrebten und insbesondere konstanten Topergebnisse.

Ich denke, mit dem beschriebenen Wissen über die Phänotypen des Knies und die bestmöglichen Alignment-Strategien sowie mit den zwingend notwendigen operativen Ausführungshilfen der Roboternavigation wie auch mit 3D-geplanten Individualknieprothesen lernen wir alle, Operierende wie Firmen, dazu und können im Verlauf mit immer besseren Ergebnissen rechnen. Anzustreben wären aus meiner Sicht ebenso gute klinische Ergebnisse, wie sie Operierende der medialen Schlittenprothese mit hohen Fallzahlen bereits seit Jahren vorzuweisen haben.

ATOS