Mai 2025 – Ausgabe 45
Die Behandlung von Infektionen am Schultergelenk – meine prägendsten Erfahrungen
PD Dr. med. Robert Hudek
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Meine prägendsten Erfahrungen, die umwälzendsten Innovationen und die wichtigsten Erkenntnisse bei der Behandlung infizierter Schultern – danach wurde ich gefragt. Diese Erfahrungen stehen natürlich auf dem Fundament des Wissens meiner Lehrmeister und nähren sich zu großen Teilen daraus. Andererseits waren wir aber an vielen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beteiligt und haben damit zur Erkennung und Behandlung von Infekten am Schulter- und Ellenbogengelenk beigetragen.
Man muss an dieser Stelle aber auch betonen, dass es noch viele Rätsel in der Infektionsbehandlung zu lösen gibt. Der Schlüssel wird wohl im Verständnis des komplexen Zusammenspiels zwischen der menschlichen Biologie und dem Mikrobiom liegen. Alles hängt mit allem zusammen, und dieser Artikel soll eine kurze Übersicht über die teilweise überraschenden Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Schulterinfekten geben.
Als ich nach dem Ende meiner schweizerischen Facharztausbildung zurück nach Deutschland kam, begann ich in einer Abteilung, die eine hohe Fallzahl komplexer Revisionen und vor allem Protheseninfekte behandelte. Derart viele Fälle waren mir bis dahin nicht untergekommen. Die Basis meiner Erfahrungen in deren Behandlung habe ich in den mehr als zehn Jahren meiner Tätigkeit in Bad Neustadt an der Saale sammeln können. Dort waren wir nahezu täglich mit der Therapie schwieriger, teilweise katastrophaler postoperativer Verläufe konfrontiert, die uns aus dem ganzen Land zugewiesen wurden.
Die zweizeitige Behandlung infizierter Prothesen und die Anwendung antibiotikabeladener Spacer wurden in Bad Neustadt sicher beherrscht, und die Erfolge konnten sich sehen lassen [8]. Allerdings war trotz multidisziplinärer Zusammenarbeit und hohen personellen und technischen Einsatzes die volle Wiederherstellung der präinfektiösen Schulterfunktion praktisch ausgeschlossen. Auch wenn die Erkrankten nach der Sanierung des Infektes überaus zufrieden waren, die Funktion kam oft nicht über einen Constant Score von 50 bis 60 hinaus.
Da wir schon früh bei der Probenentnahme während der Operation auch auf eine Kultur von Anaerobiern geachtet haben, tauchte immer wieder ein und dasselbe Bakterium in der mikrobiologischen Kultur auf: Propionibacterium (Cutibacterium) acnes (Abb. 1). Ein grampositiver Keim, der nahezu überall vorkommt, insbesondere aber auf talgdrüsenreicher Haut [1]. Er benötigt besondere, anaerobe Anzuchtbedingungen. Die Bebrütung muss auf 14 Tage ausgedehnt werden, die Transportmedien müssen ebenfalls angepasst sein, sonst überleben die Keime den Weg ins Labor nicht. In der Tiefe der Talgdrüsen existiert der Keim unter Luftabschluss, kann aber auch aerotolerant sein, d. h. auch unter Sauerstoff überleben (Abb. 2). P. acnes bildet Biofilme und ist bestens auf die Besiedelung der menschlichen Haut eingerichtet. Deshalb hatte er auch für andere chirurgische Disziplinen Bedeutung, die Kardiochirurgie in unserem Hause machte ganz ähnliche Erfahrungen. Auch in der Wirbelsäulenchirurgie traf man immer wieder auf das Bakterium [3, 5]. Auf Nachfrage bei unserer Mikrobiologie- und Infektiologieabteilung ob der Bedeutung des Keimes im Revisionsfall einer Schulterprothese wurde meist reflektiert, es handele sich doch am ehesten um eine Verunreinigung und der Keim sei eigentlich bedeutungslos. Allerdings wuchs P. acnes in praktisch allen Kulturen und nicht nur bei infizierten Prothesen, sondern auch nach arthroskopischen Voroperationen.
Mit detektivischem Spürsinn
Man ahnte schon morgens früh, wenn die Kulturergebnisse schließlich auf Station lagen, dass man eigentlich gar nicht so recht wusste, ob man nun einen echten Infekt oder nur das Ergebnis einer Verunreinigung vor sich liegen hatte. So stellte sich also regelmäßig bei der Morgenvisite die Frage, ob sich die Betroffenen einer langwierigen und durchaus konfliktreichen Antibiotikatherapie unterwerfen sollten oder ob man die Situation gar nicht erst als Infekt titulieren, geschweige denn therapieren sollte. Aus solchen Unklarheiten entstanden drängende Fragen mit echter therapeutischer Konsequenz – auf welchen Weg sollte man seine Patientinnen und Patienten schicken?
Weil man den Keim nun ständig beobachtete, stellte sich schließlich eine entscheidende Frage: Wie oft tritt Propionibacterium acnes eigentlich bei „normalen“ Patientinnen und Patienten auf? Also bei solchen, die nicht wegen eines Infektverdachtes zu uns gekommen waren, sondern wegen einer harmlosen Arthroskopie oder auch einer Endoprothese. Wie oft könnte man den Keim bei Fällen, die noch nie eine Vor-OP hatten, im Gelenk nachweisen? Wie hoch war die intraoperative Nachweisrate bei Gesunden [9]?
Aus den Ergebnissen dieser Fragestellung ließ sich dann eine der prägendsten Erfahrungen in der Infektbehandlung ableiten: Die Proben waren voll mit „Propionis“, wie sich im Verlauf zeigen sollte [9]. Sehr hilfreich war dabei die Abteilung für medizinische Mikrobiologie und Infektiologie der Universitätsklinik in Marburg. Allen voran PD Dr. Sommer, der sich sehr für die Studie eingesetzt hatte. Bei mehr als einem Drittel der Betroffenen war P. acnes zu finden, dabei hatte keiner dieser Fälle jemals eine Operation oder Infiltration in die Schulter erhalten – jungfräuliche Verhältnisse sozusagen. Dennoch hatten wir trotz des Keimnachweises keine infizierten Verläufe. Wir hatten die Gewebeproben damals von verschiedenen Etagen genommen, von der oberflächlichen Haut, von der subkutanen Schicht und aus dem Gelenkraum in der Tiefe, Kapsel, Labrum, Humerus und Glenoid [9]. Auch negative Kontrollen wurden entnommen, denn es hätte ja sein können, dass die Kulturen nur deshalb positiv wurden, weil es auf dem langen Weg zur Inkubation im 37° Brutschrank, beim Transport oder anderswo zu Verunreinigungen gekommen war. So konnten wir gleich auch die Zuverlässigkeit unseres Labors testen. Aber nichts dergleichen war der Fall. Alle Negativkontrollen blieben sauber, unsere Methodik schien robust [9].
Der Keim war überall
So dachten wir natürlich, dass vor allem in den oberflächlichen Hautproben positive Kulturen zu finden sein werden. Je weiter man in die Tiefe käme, umso seltener sollte man P. acnes vorfinden – dachten wir. In den statistischen Auswertungen kam es aber zu einem überraschenden Ergebnis: Die tiefen Schichten waren teilweise häufiger besiedelt als die Oberflächen [9]. Das war eine weitere Erkenntnis, für die wir keine schlüssige Erklärung parat hatten. Die Fragezeichen wurden also nicht weniger. Hinter jeder dieser Fragen muss sich eine Antwort verbergen, nur kamen wir mit unseren Mitteln nicht mehr weiter. Welche Eigenschaften hatte der Keim? Desinfizieren wir überhaupt ausreichend? Verwenden wir die falschen Mittel? Wieso klebt P. acnes an praktisch jedem Fremdkörper?
So brauchten wir Leute, die mehr wussten als wir Orthopäden, und ich suchte damals den Kontakt zu anderen Disziplinen, um Antworten zu erhalten. Einer dieser Kontakte war Holger Brüggemann, der an der Universität Aarhus in Dänemark forschte. Er hatte als Erster das gesamte Genom von P. acnes entschlüsselt, und seine Publikationen waren beeindruckend [2]. Holger war rasch bereit, uns bei der Fahndung zu unterstützen.
So kam es zu einer weiteren, für mich persönlich sehr wichtigen – ja, fast der wichtigsten – Erkenntnis in der Behandlung von Infekten: Man braucht Partnerschaften, die ein anderes Erfahrungsfeld hinzufügen. Die Überschneidungen aus Mikrobiologie und Infektiologie machen es zu komplex. Der berühmte Tellerrand musste überwunden werden, es geht nur gemeinsam und nur mit motivierten Leuten.
So entstand die nächste Studie, denn wir mussten einen Weg finden, die fehleranfällige mikrobiologische Kultur zu überwinden. Kritische Stimmen konnten uns nämlich vorwerfen, wir arbeiteten nicht sauber genug, die Kulturen seien doch alle nur Verunreinigungen von der Oberfläche. Wir mussten den Keim direkt im Gewebe nachweisen können – ohne Kultur. Es musste also immunhistochemisch gemacht werden. Die Gewebeprobe wird arthroskopisch aus dem Gelenkraum entnommen und im OP direkt in ein Formalinröhrchen gelegt (Abb. 3).
Die Stunde der Immunhistochemie
Dadurch wird eine Kontamination der Probe von außen praktisch ausgeschlossen. Holger hatte in seinem Labor propionispezifische Antikörper hergestellt, und sie fanden Anwendung bei allerlei in vitro Untersuchungen zum Stoffwechsel des Keimes. Wir erhielten einen Teil der kostbaren Antikörper und nahmen Kontakt zur Pathologie in der Uniklinik Gießen auf. Prof. Gattenlöhner hatte dort sehr viel Erfahrung in der hochauflösenden Darstellung von Tumoren und besaß ein hochmodernes, konfokales Lasermikroskop. Dort konnten wir bis auf 300 nm vergrößern, und einzelne Zellen wurden sogar in 3D sichtbar [7]. Zellkern, Zytoplasma, Organellen, alles in 3D – es war unglaublich. Man half uns dort, die Proben aus unseren Schulterfällen mit den Antikörpern aus Dänemark zu koppeln, und so kam es zur nächsten wichtigen Erkenntnis, mit der kaum einer gerechnet hatte: Es leuchtete überall (Abb. 4, 5). Die Antikörper banden spezifisch an den Keim und konnten im Gewebe gesunder Patientinnen und Patienten nachgewiesen werden. Dieser hatte mittlerweile einen anderen Namen bekommen: Cutibacterium acnes. Ein Mitarbeiter aus Holgers Labor in Dänemark hatte ihn anhand genetischer Untersuchungen umbenannt. Wenn man mit dem Mikroskop stark genug vergrößerte, so konnte man sogar einzelne Zellen sehen, in deren Zytoplasma der Antikörper intrazellulär leuchtete.
Der Keim ist vor dem Chirurgenteam da
Wir hatten also den Verdacht, dass der Keim wohl vor dem Chirurgenteam da ist. Er scheint im Gewebe zu persistieren und möglicherweise so etwas wie der Helicobacter der Schulter zu sein. Es stellte sich heraus, dass C. acnes im Labor sogar ganz ähnliche Mechanismen anwendete, um intrazellulär im Gewebe zu persistieren.
So entstand die nächste wichtige Erkenntnis: Cutibacterium acnes kann wohl nie ganz eradiziert werden, er lebt nämlich teilweise in der Tiefe. Am häufigsten war er im Übrigen im AC-Gelenk zu finden. Jede zweite Person in unserer Sprechstunde hatte eine AC-Arthrose, und wir spekulierten nun, ob der Keim die Pathogenese möglicherweise provozierte.
Warum aber hatten wir so viele Patientinnen und Patienten, die überhaupt keine Probleme hatten, obwohl wir ja davon ausgehen mussten, dass auch sie voll mit C. acnes waren? Besiedelt waren insbesondere jüngere Männer, das passte auch zur Talgdrüsendichte und lieferte eine plausible Erklärung dafür, dass in den großen Prothesenregisterdaten vor allem den Männern und jüngeren Altersgruppen die Risikofaktoren für Endoprotheseninfekte zugeschrieben wurden [10]. Es musste also auch an einer Verschleppung der Keime von der Oberfläche in die Tiefe liegen, und wir gingen daher der Frage nach, ob wir das richtige Desinfektionsmittel verwendeten. Mittlerweile etablieren sich Cremes mit Akne-Salbe (Benzoylperoxid, BPO), die erfolgreich in den USA zum Einsatz kamen. Aber niemand wusste, ob sie die Infektionsrate tatsächlich senken konnten.
So kam es zum nächsten sehr wertvollen Kontakt. Prof. Axel Kramer aus Greifswald, Leiter des dortigen Hygienischen Instituts und Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, war gleich von einer Zusammenarbeit begeistert und half, die nächste Arbeit auf den Weg zu bringen: Die üblichen Desinfektionsmittel sollten an der Schulter verglichen werden. Welches Mittel reduziert C. acnes am effektivsten? Aus dieser Arbeit konnten wir ableiten, dass insbesondere jodhaltige Mittel kombiniert mit Alkohol die beste Wirkung auf Anaerobier haben, vor allem, wenn man sie 30 Minuten vor dem Hautschnitt aufträgt. Axel Kramer wunderte sich nicht und klärte uns auf: Jod durchdringt die Haut und wandert auch in die Tiefe, wohingegen octenidinhaltige Mittel an der Oberfläche verharren. Da Jod (genau wie Octenidin) eine Remanenzwirkung entfaltet (es wirkt auch, wenn es eintrocknet), verwenden wir seither nur noch alkoholbasierte Desinfektionsmittel mit Jod zur chirurgischen Hautdesinfektion.
Eine weitere Erkenntnis kam schließlich durch eine Beobachtung aus Zürich zustande, bei der direkt nach dem Hautschnitt wässriges Jod in den OP-Situs gespült wurde, um die Keimzahl unmittelbar nach dem Hautschnitt zu reduzieren [12]. Diese Methode ist gut verträglich und schadet dem Gewebe nicht. Gegenwärtig verwenden wir bei allen offenen Operationen an der Schulter wässriges Jod mehrfach während der OP, um die Last mit C. acnes zu reduzieren, vor allem bei Männern mit vielen Haaren/Talgdrüsen (Abb. 7). Ob wir damit tatsächlich die Infektrate relevant senken können, bleibt abzuwarten und ist Gegenstand von weiteren Untersuchungen.
So hat sich im Verlauf der Jahre aus eigenen Erkenntnissen und denen anderer Forschungsgruppen ein ganzes Maßnahmenbündel entwickelt, um einen Schulterinfekt zu verhindern. Die Therapie des Infektes orientiert sich ebenfalls an den eigenen Forschungsergebnissen. Im Grundsatz müssen bei nachgewiesenem low-grade oder chronischem Infekt alle Fremdkörper und Nekrosen entfernt werden, da C. acnes sehr talentiert ist, Biofilme zu bilden. Vor allem entstehen Koalitionen mit anderen Keimen, die offenbar von Nachteil sind. Wenn C. acnes gemeinsam mit Staph. epidermidis auftritt, können schwer zu sanierende Infekte entstehen, da Staph. epidermidis oft gegen viele Antibiotika resistent ist. Es gilt daher, bei jeder Prothesenimplantation die Keimlast auch während des Eingriffes immer wieder mit wässrigem Jod zu reduzieren, damit der Keim die Oberfläche des Implantates nicht erreichen kann. Das berühmte Postulat von Gristina „Race for the surface“ [4] gilt ganz besonders für die Schulter, denn C. acnes steht im Verdacht, schon vorher im Gelenk zu persistieren. Teilweise wird vermutet, dass es die Entwicklung einer Arthrose sogar provoziert [11]. Die Anwendung eines antibiotikabeladenen Spacers bleibt daher in meinen Händen weiterhin das Mittel der Wahl, um infizierte Prothesen zweizeitig zu wechseln, das gilt vor allem dann, wenn knöcherne Defekte zu adressieren sind [6] (Abb. 6a, b). Man erhält eine hervorragende, artefaktarme Planungsgrundlage bei einer CT und eine zweite Gelegenheit, das Gelenk zu spülen und die Keimlast zu reduzieren. Die Versorgung knöcherner Defekte an Glenoid und Humerus, die im Rahmen von Wechseloperationen entstehen, stellt ein weiteres Gebiet dar, bei dem wesentliche Erfahrungen entstanden sind, das würde aber den Umfang an dieser Stelle sprengen.
Fazit
Die Erkenntnis, dass sich das wechselseitige Zusammenspiel des Menschen mit seinem Mikrobiom nicht nur auf die Oberflächen und den Verdauungstrakt konzentriert, sondern auch tiefer liegende Gewebe und Gelenke betreffen kann, war meine bis dahin aufschlussreichste Erkenntnis in der Behandlung von Infektionen.
So besteht der Verdacht, dass auch die immunologische Steuerung dieses komplexen Systems eine Rolle spielt, ob eine Infektion ausbricht oder nicht. Denn seit Urzeiten hat das Zusammenleben von Säugern und Mikroben schon Bestand, die Wechselwirkungen sind uns häufig völlig unbekannt. Daher sollten Eingriffe in dieses Wechselspiel, das wir als orthopädische Chirurginnen und Chirurgen durch unsere Operationen zwangsläufig beeinflussen, immer auch aus diesem Blickwinkel gesehen werden.