Oktober 2021 – Ausgabe 38

Der kindliche Knicksenkfuß – wann ist er behandlungsbedürftig?

Anita Mittwede

Dr. med. Sebastian Müller
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Keywords: Knicksenkfuß, Pes planovalgus, Plattfuß, Kind, Arthorise, Evans-Osteotomie, Kalkaneusverschiebeosteotomie nach Gleich, Achillessehnenverlängerung

Der Knicksenkfuß ist Teil der physiologischen Fußentwicklung des Kleinkindes. Bleibt er mit zunehmendem Alter bestehen oder wird er mit Beschwerden und strukturellen Veränderungen auffällig, besteht je nach Alter des Kindes und Ausmaß der Deformität sowie der damit einhergehenden Schmerzen und der Funktionseinschränkung eine konservative oder auch operative Therapiebedürftigkeit.

Als Knicksenkfuß wird eine angeborene oder erworbene dreidimensionale Deformität des Fußes beschrieben. Sie ist gekennzeichnet durch eine Abflachung des Fußlängsgewölbes (Senkfuß) und eine Valgusdeformität (Knickfuß) im Rückfuß, gleichzeitig zeigt der Vorfuß in einer Abduktions- und Supinationsstellung nach außen (Abb. 1a, b). Das Sprunggelenk knickt nach innen, die Malleolengabel rotiert nach innen, der Zugansatzpunkt der Achillessehne verlagert sich weiter nach außen, sodass die Deformität durch den Muskelzug verstärkt wird.

Außerdem deformieren die Gelenke, ins- besondere des ersten Strahls, wobei das Sprungbein-Kahnbein-Gelenk in der Regel am stärksten betroffen ist. Der Sprungbeinkopf senkt sich bei Schwäche des Pfannenbandes Richtung Boden (Steilstand des Talus), das Kahnbein schiebt sich in Abduktion und Dorsalflektion über den Talus. Das Kahnbein-Würfelbein 1-Gelenk senkt sich Richtung Boden und klappt unten auf, ebenso das Würfelbein-Mittelfußknochen 1-Gelenk. Diese normalerweise eher rigiden Gelenke verformen sich meist durch eine Instabilität des Kapselbandapparates, die im Kindesalter durch eine erhöhte Elastizität des Bindegewebes vor der Pubertät noch verstärkt wird, und/oder durch eine zu hohe Belastung. Außerdem spielt die – vor allem dynamische – muskuläre Stabilisierung eine Rolle.

Diese Instabilität und Überlastung kann durch eine vermehrte Innenrotationsstellung des Ober- oder Unterschenkels, also auch durch eine im Kindesalter oft ausgeprägte Anteversion im Schenkelhals und durch eine Verkürzung der Wadenmuskulatur, noch verstärkt und beschleunigt werden. Eine weitere mögliche Ursache ist ein knöchernes Fehlwachstum, bei dem meist die Fußinnenseite schneller wächst als die Fußaußenseite.

Entwicklung des Kinderfußes

Kinder haben natürlicherweise von Geburt an einen Knicksenkfuß. Das mediale Fußgewölbe ist durch einen Fettkörper gepolstert (Spitzy-Fettkörper). Zu Beginn der Laufphase eines Kleinkindes ist der Taluskopf natürlicherweise noch medialisiert und schiebt sich im Laufe der Entwicklung erst nach und nach über das Fersenbein, die zu Beginn nach innen rotierte Malleolengabel gleicht sich normalerweise bis zur Adoleszenz durch eine Außenrotation aus. Die Rückfußachse vertikalisiert sich zunehmend bis zum Wachstumsabschluss. Bis zum sechsten Lebensjahr hat ein Großteil der gesunden Kinder einen asymptomatischen flexiblen Knicksenkfuß, der nicht behandlungsbedürftig ist. In den folgenden Jahren nimmt die Häufigkeit rapide ab. Nur bei zirka 4 % der Kinder über zehn Jahre persistiert ein Knicksenkfuß, und nur etwa bei der Hälfte dieser wird er symptomatisch mit Schmerzen.

Diagnostik

In der Anamnese klagen die Patienten über Schmerzen beim Gehen oder nach langem Stehen, Ermüdungserscheinungen und ggf. über drückendes Schuhwerk. Oft beschreiben die Eltern ein „nicht normales” Gangbild.

Klinische Untersuchung

In der klinischen Untersuchung gilt es, den pathologischen (rigiden) vom physiologischen (flexiblen) Knicksenkfuß zu unterscheiden. Dazu wird der Fuß unter Be- und Entlastung betrachtet. Gleicht sich die Deformität unter Entlastung aus, handelt es sich um eine flexible Form. Dasselbe gilt für das Ausgleichen, vor allem der Rückfußachse, im Zehenspitzenstand (Abb. 2a, b). Im Großzehenhyperextensionstest (Jack’s Test) wird die Plantaraponeurose durch Dorsalextension der Großzehe unter Spannung gesetzt, sodass sich beim flexiblen Knicksenkfuß das Fußgewölbe aufrichtet.

Das obere und das untere Sprunggelenk sowie die Gelenke des ersten Strahls werden auf ihre Beweglichkeit überprüft. Eine verminderte Beweglichkeit oder komplette Rigidität im unteren Sprunggelenk ist Hinweis auf eine Coalitio tarsale.

Eine Verkürzung der Wadenmuskulatur wird unter Testung der Dorsalextension im oberen Sprunggelenk bei gebeugtem und gestrecktem Kniegelenk detektiert oder ausgeschlossen (Silfverskjöld-Test). Dabei ist es wichtig, die Rückfußachse invertorisch zu verriegeln. Ergänzend kann überprüft werden, ob das Kind fähig ist, auf den Hacken zu gehen. Außerdem wird die muskuläre Stabilisierung mit dem Gehen auf der Fußinnen- und Außenkante beurteilt. Die komplette Beinachse wird auf Deformation und Rotationsfehler überprüft, auch ein Genu valgum kann einen Knicksenkfuß begünstigen.

Wichtig ist auch die Betrachtung des Gangbildes, gegebenenfalls mit Videodokumentation, um die funktionelle Beeinträchtigung zu evaluieren. Außerdem sollte das Schuhwerk inspiziert werden, insbesondere das Abnutzungsmuster an der Sohle, hier findet sich oftmals eine vermehrte Abnutzung an der Innenseite. Die Füße können vor allem auf der medialen Seite Druckstellen und Schwielen aufweisen.

Bei einem gehäuften familiären Auftreten sollten auch die Füße der Eltern mit betrachtet werden.

Radiologische Diagnostik

In der radiologischen Basisdiagnostik erfolgt bei Verdacht auf eine strukturelle Veränderung eine Röntgenaufnahme des Fußes dorsoplantar und seitlich, die ggf. unter differentialdiagnostischen Aspekten durch eine anterior-posteriore Aufnahme des Sprunggelenks und Schrägaufnahmen (Ausschluss einer Coalitio calcaneo-navicularis oder talo-calcanearis) sowie einer seitlichen Aufnahme in maximaler Plantarflexion (Ausschluss Talus verticalis) ergänzt werden kann. Die Röntgenaufnahme ist jedoch nur bei Verdacht auf pathologischen Knicksenkfuß ab einem Alter von sechs Jahren sinnvoll. Bei jüngeren Kindern ist eine Röntgenaufnahme aufgrund von vielen unübersichtlich angeordneten Wachstumskernen kaum beurteilbar und bei meist physiologischem Knicksenkfuß strahlenschutztechnisch kaum vertretbar es sei denn, es besteht differentialdiagnostisch der Verdacht auf einen Talus verticalis (Schaukelfuß), der frühzeitig operativ therapiert werden sollte. Um das Lastverteilungsmuster des Fußes zu objektivieren, kann eine Pedobarographie durchgeführt werden.

Um differentialdiagnostisch angeborene oder erworbene Grunderkrankungen mit Knicksenkfuß als Begleiterscheinung auszuschließen, können je nach klinischem Verdacht weitere Untersuchungen angeschlossen werden. Sonographie, Doppleruntersuchungen, CT, MRT und ggf. Szintigraphie können Hinweise auf strukturelle Fehlbildungen, auf Traumata, ein inflammatorisches Geschehen wie Infektion oder Rheuma oder auf eine Neoplasie geben. Ein pathologisches EMG deutet auf eine neurologische Ursache hin. Eine Gewebebiopsie kann über eine muskuläre Dystrophie Aufschluss geben, ebenso über einen genetischen Defekt wie die Trisomie 21 oder eine systemische Erkrankung wie das Marfan-Syndrom oder das Ehlers-Danlos-Syndrom mit nachfolgender Instabilität der Bandstrukturen. Diese Untersuchungen werden vor allem bei Verdacht auf eine systematische Erkrankung, eine Stoffwechselstörung oder ein infektiöses Geschehen durch eine laborchemische Diagnostik mit Blutentnahme ergänzt.

Konservative Therapie

Der asymptomatische flexible Knicksenkfuß ist grundsätzlich nicht therapiebedürftig. Wichtig ist die Aufklärung der Eltern über den natürlichen Entwicklungsverlauf. Barfußgehen, sportliche Aktivität, klettern und ausreichend großes und weites Schuhwerk mit flexibler Sohle werden empfohlen. Übergewicht kann sich nachteilig auf den Entwicklungsverlauf auswirken. Bei Kindern mit gestörter Gelenkfunktion, die über acht Jahre alt sind, wird Physiotherapie mit Dehnung der Wadenmuskulatur und Einlagenversorgung empfohlen, das Gleiche kann für jüngere Kinder mit schmerzhaftem flexiblem Knicksenkfuß in Betracht gezogen werden. Eine Einlagenversorgung stellt jedoch eine rein symptomatische Therapieform dar und hat keinen nachgewiesenen Einfluss auf die Entwicklung der Fußform. Eine klinische Verlaufskontrolle mit vergleichender Fotodokumentation sollte nach sechs Monaten durchgeführt werden.

Bei einem rigiden Knicksenkfuß vor dem sechsten Lebensjahr sollte eine neuromuskuläre oder genetische Erkrankung ausgeschlossen werden. Hier ist häufig eine stabilisierende Orthesenversorgung sinnvoll.

Operative Therapie

Im 7. bis 10. Lebensjahr bedarf es nur bei sehr schweren Fällen einer operativen Therapie.

Im Jugendalter hingegen kann je nach Ausmaß der Deformität bei rigidem und/ oder symptomatischem Knicksenkfuß (Schmerzen, Ermüdungserscheinungen) eine operative Therapie erwogen werden. Die bildgebenden Verfahren erlauben eine Beurteilung der Deformitäten in allen drei Ebenen.

Eine Progredienz der Deformität und der funktionellen Einschränkung trotz konservativer Therapiemaßnahmen über mindestens sechs Monate ist ebenfalls ein Indikator für eine operative Versorgung.

Im folgenden Abschnitt werden die häufigsten Operationsmethoden im einzelnen dargestellt:

Arthrorise

Die Arthrorise wird beim schmerzhaften flexiblen bzw. passiv korrigierbaren Knicksenkfuß häufig angewendet. Am besten sollte sie kurz vor Beginn der Pubertät durchgeführt werden. Das Prinzip ist die mechanische Sperrung des

Subtalargelenkes gegen Eversion. Diese erfolgt durch ein Sinus tarsi-Implantat (Sinus-tarsi-Arthrorise) oder eine in den Sinus tarsi eingebrachte Schraube (Kalkaneostop-Arthrorise). Es erfolgt ein Hautschnitt lateral über dem Sinus tarsi, über den das an die Größe des Sinus tarsi angepasste Implantat oder eine kanülierte Spongiosa-Schraube in Repositionsstellung so eingebracht wird, dass der Schraubenkopf bei Eversion an den Processus lateralis tali stößt. Außer der mechanischen Repositionsstellung wird diesem Verfahren auch eine propriozeptive Komponente zugeschrieben. Das Implantat bzw. die Schraube werden mehrere Jahre, optimalerweise bis zum Wachstumsabschluss, belassen.

Kalkaneusverlängerungsosteotomie nach Evans

Dieses Verfahren wird beim sympto- matischen, passiv vollständig reponierbaren Knicksenkfuß in jedem Alter angewendet. Das Prinzip ist, die relative Verkürzung des lateralen Fußrandes beim Knicksenkfuß auszugleichen. Zunächst wird präferentiell ein Knochenkeil vom ipsilateralen Beckenkamm entnommen, alternativ kann allogener oder Kunstknochen verwendet werden. Es erfolgt der laterale Zugang zum Kalkaneus über einen geschwungenen Hautschnitt von der Außenknöchelspitze bis zum Kuboid. Unter Schonung des N. suralis wird zwischen den Sehnen des M. extensor digitorum brevis, dessen Ursprung abgelöst wird, und des M. peroneus brevis auf den Knochen präpariert. Die Osteotomie erfolgt 1-2 cm proximal des Kalkaneokuboidalgelenkes. Der Knochenkeil wird möglichst so weit eingebracht, dass eine dreidimensionale Korrektur der Deformität erfolgt (Abb. 3a, b).

Das Ergebnis wird mit transkutanen K-Drähten, mit Schrauben oder einer Platte gesichert. Anschließend werden gegebenenfalls ergänzende knöcherne oder weichteilige Verfahren angewandt, um eine Restdeformität zu beheben. Meist wird durch diese Korrektur ein – dann operativ durch Achillessehnenverlängerung zu behebender – Spitzfuß demaskiert.

Alternativ zu diesem Verfahren kann die kalkaneokuboidale Distraktionsarthrodese durchgeführt werden, bei Kindern gibt es hierfür jedoch nur selten eine Indikation.

Kalkaneusverschiebeosteotomie nach Gleich

Bei der OP nach Gleich wird vor allem der Rückfußvalgus adressiert. Indirekt wird bei diesem Verfahren auch der Vorfuß leicht adduziert, wenn diese Komponente flexibel ist. Der Tuber calcanei wird von lateral mitsamt des Ansatzes der Achillessehne in ca. 35-40° zur Plantarebene unter Schonung der medialen Weichteilstrukturen osteotomiert. Der Tuber wird nach medial und etwas nach distal verschoben, bis die Valgusdeformität des Rückfußes korrigiert ist, also die Kalkaneusachse wieder im Lot steht. Gibt es Repositionsschwierigkeiten durch eine Verkürzung der Pronatoren, so müssen diese verlängert werden. Er wird in Neutralposition mit Drähten, Schrauben oder einer Platte fixiert. Auch das Fußgewölbe wird – vor allem durch das Verschieben des Fragmentes nach ventral – passiv aufgerichtet. Da die Instabilität des ersten

Strahls jedoch damit nicht behoben ist, sollten nach Konsolidierung das Längsgewölbe aufrichtende Schuheinlagen getragen werden oder primär ein ergänzendes knöchernes Verfahren zur Aufrichtung des ersten Strahls durchgeführt werden. Die Kalkaneusverschiebeosteotomie lässt sich sehr gut mit der Verlängerungsos- teotomie nach Evans kombinieren (Abb. 4a-d), wenn der Fußaußenrand strukturell verkürzt ist.

Weitere knöcherne Verfahren

Zur Aufrichtung des ersten Strahls kann ergänzend die navikulokuneiforme Arthrodese mit Korrektur durch Keilresektion der Gelenkflächen durchgeführt werden.

Alternativ kann die dorsal aufklappende Osteotomie des Oscuneifome mediale nach Cotton, bei der ebenfalls das mediale Fußgewölbe aufgerichtet wird, an- gewendet werden. Sie setzt jedoch eine gewisse Stabilität der Bandstrukturen voraus. Die Vorfußpronation kann durch eine plantar flektierende Osteotomie des Os metatarsale I wieder hergestellt werden.

Häufig müssen mehrere Verfahren kombiniert werden, um die meist dreidimensionale Deformität vollständig zu adressieren. Bei schweren Fehlbildungen kann die Indikation zu einer subtalaren Arthrodese, z. B. nach Grice-Green, oder einer Triple-Arthrodese bestehen.

Weichteiloperationen

Alleinige Weichteiloperationen mit Kapselraffung und/oder Sehnentransfer des M. flexor digitorum longus auf das Oscuneiforme mediale oder Augmentation des M. tibialis posterior mit demselben haben sich nicht bewährt, allenfalls in Kombination mit knöchernen Verfahren. Am häufigsten ist eine Verlängerung der Wadenmuskulatur bei Spitzfußstellung in Neutralposition des Rückfußes nach knöcherner Korrektur notwendig. Diese kann je nach Ausprägungsgrad der Muskelverkürzung nach Baumann, Strayer oder Vulpius erfolgen. Hierbei wird die aponeurotische Muskelfaszie durchtrennt und der Muskel wird bis zur physiologisch korrigierten Position in die Länge gezogen. Seltener müssen die Pronatoren (M. peroneus brevis, M. extensor digitorum longus, M. peroneus tertius) verlängert werden.

Fazit

Der kindliche Knicksenkfuß ist eine zumeist harmlose und physiologische Erscheinung im Kleinkindalter. Selten können ihm systemische Erkrankungen zugrunde liegen. Persistiert er nach dem 6.-8. Lebensjahr und fällt er durch Ermüdungserscheinungen, Schmerzen und /oder Rigidität auf, besteht eine – zunächst meist konservative – Behandlungsbedürftigkeit. Bei Persistenz kann es in seltenen Fällen zur Indikationsstellung einer operativen Versorgung kommen. Eine gründliche Anamneseerhebung und eine differenzierte klinische Untersuchung sind hierbei essenziell.